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Marathon: Der Lauf zu sich selbst

Seit es die Athener verstanden hatten, die Flottenexpedition des Dareios als Angriff auf ganz Griechenland darzustellen, gehörte Marathon zum Kanon der großen Perserschlachten, welche die Nachwelt als Verteidigung Europas begriff. [...]

Die Ebene von Marathon

Von den übrigen Perserschlachten unterscheidet sich Marathon dadurch, daß dort nicht nur die Freiheit, sondern auch die Demokratie, wenn auch mehr vor den exilierten Athenern als vor den Persern, verteidigt wurde. [...] (M)it Beginn des 20. Jahrhunderts verwandelte sich der Schlachtort in eine Sportart. Seit dem Jahre 1896, als an historischer Stätte ein "Marathonlauf" ins Programm der Olympischen Spiele genommen worden war, wurde an etwas erinnert, das es nie gegeben hat. Die Ahistorizität des Laufes ist umstritten, doch spricht für sie ein überzeugendes argumentum e silentio. Herodot, der Historiker der Perserkriege, weiß nichts von dem Ereignis, obwohl er noch jede Anekdote erzählt hat, die sich in irgendeiner Weise zu Ehren der Athener auslegen ließ oder seine Zuhörer — und später auch Leser — unterhielt. Selbst die zahlreichen Redner, die im 4. Jahrhundert die ruhmreiche Vergangenheit Athens priesen, kennen das Geschehen nicht. Die Legende kam wohl im ausgehenden 4. Jahrhundert v. Chr., vielleicht in Zusammenhang mit der neu geordneten Ausbildung der Epheben, in die Welt, überdauerte den Hellenismus und war dann bei Autoren der Kaiserzeit präsent. Die beiden erhaltenen Zeugnisse stammen aus dem 2. Jahrhundert n. Chr., als sie geschrieben wurden, war der (fiktive) Marathonläufer schon über 550 bzw. 600 Jahre tot. Das eine Zeugnis stammt von dem Biographen Plutarch, das zweite von dem Satiriker Lukian.

Relief eines persischen Fußsoldaten
Nördlicher Treppenaufgang des Apadana-Palastes auf dem Gelände von Persepolis

Plutarch erwähnt die Geschichte nicht in seinen Biographien, die ja auch mindestens zweimal die Perserkriege zum Thema haben, sondern in seinen sogenannten rhetorisch-epideiktischen Schriften. Der Titel der Deklamation , die öffentlich oder in einer Rhetorenschule vorgetragen wurde, lautete: "Waren die Athener durch ihre Kriege oder durch ihre Weisheit berühmter?" Die Schrift wurde offenbar in ganz jungen Jahren verfaßt, vielleicht Ende der 60er Jahre des 1. Jahrhunderts n. Chr. [...] Nach Plutarch lief ein Hoplit, noch erhitzt vom Kampf, in voller Rüstung nach Athen, brach vor dem Ratsgebäude, dem Prytaneion, mit den Worten "Freut euch, auch wir freuen uns" (Chairete; kai chairomen) zusammen und hauchte seinen Geist aus. Plutarch beruft sich auf zwei Traditionen. Die erste geht angeblich auf den Philosophen Herakleides Pontikos zurück, der als Schüler Platons an der Akademie in Athen wirkte. Für die zweite Überlieferung nennt Plutarch keinen Namen, behauptet aber, sie werde von der Mehrheit vertreten. Mit Herakleides wäre die Entstehung oder Verbreitung der Legende in die zweite Hälfte des 4. Jahrhunderts v. Chr. zu datieren. Der Philosoph gibt auch einen Namen an. Demnach hieß der Läufer Thersippos und stammte vielleicht aus dem Demos Eroiadai (der Name ist verschrieben), nicht allzu weit von Marathon gelegen. Die angebliche Majoritätsmeinung [...] gibt als weiteren Namen Eukle(e)s an, und Lukian hat sogar noch einen dritten: Philippides. Bei Lukian richtet der Läufer seine Botschaft an die Archonten, bei Plutarch bricht er — nach einer Lesart — an den Türen des Prytaneion zusammen. [...] Auch die letzte Botschaft unterscheidet sich: Neben dem wenig aussagekräftigen "Wir freuen uns" steht das knappe "Wir siegen". Das in der Neuzeit allgemein kolportierte Perfekt "nenikekamen" ("Wir haben gesiegt"; Inf. Präs.: nikan) ist dagegen nur die Verbesserung eines Schulmeisters, der sich an der antiken Präsensform störte. Für einen ausgepumpten Läufer, der seinen letzten Atemzug mit der Siegesnachricht machte, wäre die Perfektform einfach zu lang gewesen, wenn auch die gelungenen Reduplikationen der Silben die bereits vollbrachten Heldentaten fast in den Schatten stellen würden.

Die variierenden Namen lassen vermuten, daß der Läufer keinen besaß, als ihn die Legende gebar. Die Phantasie der Historiker war dabei nicht allzu groß. Eukles ist ein sprechender Name und heißt nichts weiter als der "Berühmte", Thersippos hieß ein Bote, den Alexander der Große nach der Schlacht von Issos an den Großkönig Dareios schickte, und zwar von einem Ort namens Marathos im nördlichen Phönikien aus. Der Name Philippides schließlich weist auf das Garn, aus dem die Legende gesponnen ist. Pheidippides (Variante: Philippides) war, wie erwähnt, jener athenische Schnelläufer, der vor der Schlacht von Marathon nach Sparta eilte, um dort Hilfe zu holen. Er überlebte, denn er lief ja hauptberuflich, aber auch für den Heldentod eines Läufers gibt es ein Beispiel aus der Geschichte der Perserkriege. Nach der Schlacht bei Plataiai erbot sich ein Mann namens Euchidas, das für die Opfer erforderliche heilige Feuer aus Delphi zu holen, legte die 1000 Stadien (ca. 180 km) des Hin-und Rückweges an einem Tag zurück und hauchte dann seinen Geist aus.

Dorando Pietri beim Zieleinlauf des olympischen Marathonlaufs 1908 in London

Die Entfernung zwischen Marathon und Athen beträgt weniger als 30 km. Nur für die ersten Olympischen Spiele der Neuzeit wurde 1896 ein "Originalkurs" von ca. 40 km gefunden. Die nächsten Marathonläufe gingen über Strecken von 40 bis 43 km. Bei der vierten Olympiade, 1908 in London, wurden erstmals genau 42,195 km gelaufen. 1921 wurde diese Entfernung dann von der Internationalen Leichtathletik-Föderation IAAF in Genf für verbindlich erklärt. Wenn auch kein historisches, so ist im 21. Jahrhundert der Marathonlauf doch das bekannteste Ergebnis der Perserkriege.


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