Briefe 1705/1709
16. Mai 1705
Ich will Euch wohl mein leben hier sagen. Alle tag, außer Sonntag und donnerstag, stehe ich umb 9 auf, hernach knie ich nieder und verrichte mein gebet und lese mein psalm und capitel in der bibel. Hernach wasch ich mich, so sauber ich kann; nach dem schelle ich, dann kommen meine kammerweiber und ziehen mich an, umb 3/4 auf 11 bin ich angetan; denn lese ich oder schreib. Umb 12 gehe ich in die meß, welche keine halbe stunde wehrt; nach der meß rede ich mit meinen oder andern damen. Umb 1 precis geht man zur tafel. Gleich von der tafel gehe ich in mein kammer ein viertelstund auf und ab, darnach setze ich mich an meine tafel und schreibe. Bis umb halb 7 laß ich meine damen holen, gehe eine stund oder anderthalb spazieren, denn wieder in mein kammer bis zum nachtessen. Ist das nicht eine rechte einsiedeley? Etlich mal fahr ich auf die jagd, das wehrt eine stund, 2 auf högst, denn wieder in meine kammer. Auf der jagd bin ich ganz allein in einer caleschen , schlaf oft ein, wenn die jagd nicht zum besten geht. Man ißt umb 10 zu nacht, umb ¾ auf 11geht man von [der] tafel; den ziehe ich meine uhren auf, tue mein Sackzeug in einem korb, ziehe mich aus. Umb 12 gehe ich wieder, wo ich morgends hingehe, lese dort und denn zu bett. Das ist mein ganz leben, welches eben nicht gar lustig ist.
5. Mai 1709
Ich habe mir aber, umb Euch zu schreiben [den samstag ausgewählt], weilen dieser tag der einzige von der ganzen woch ist, in welchem ich am meisten zeit, zu schreiben, habe; denn sonntags schreib ich an ma tante, unsere liebe kurfürstin, und an mein tochter und selbigen tag kommen auch meine leute, als mein intendent und rat von Paris, mit welchen ich von meinen Sachen reden muß, paprassen besehen und unterschreiben. Montags muß ich an die zwey königinnen in Spanien schreiben, wie auch an die herzogin von Savoye, und arbeydt noch mit meinen Leuten, da werden alle ordre und zahlungen ausgeteilt. Dienstags haben wir die visiten von den ambassadeurs und envoyes und nachmittags schreibe ich an mein tochter und an 3 von ihre kinder, die mir schon schreiben. Mittwogen schreib ich an die herzogin von Hannover, nach Modene und was mir sonst noch vor schreiben zu handen kommen. Donnerstags schreibe ich wieder nach Hannover und gehe etlich mal in das abendgebet und Salut, so wohl als den Sonntag. Freytags schreibe ich wieder nach Luneville, sambstag aber habe ich keinen posttage, drumb habe ich den Euerigen draus gemacht.
Zum Glossar: Dort sind alle Wörter erläutert.
Versailles 1722 |
Herausgeber: Landesbildungsserver Baden-Württemberg
Quelle: https://www.schule-bw.de
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