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Die Kindheit von Sophie von der Pfalz

Sophie von der Pfalz war das 12. Kind des Pfalzgrafen Friedrich V. von der Pfalz. Dieser nahm zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges (1618-48) die böhmische Königskrone an, verlor sie aber nach einem Winter wieder (weshalb er auch als "Winterkönig" bekannt ist) und musste dann mit seiner Familie ins Exil an den holländischen Hof nach Den Haag fliehen. Dort wurde 1630 Sophie geboren. Als ihr Vater starb, war sie gerade zwei Jahre alt. Wie ihre älteren Geschwister schickte man sie sehr jung nach Leiden (im heutigen Belgien), wo sie von einer Hundertschaft von Gouvernanten, Lehrern und anderem Gesinde erzogen und bedient wurde. Der Bildungsanspruch - auch für die Mädchen - war hoch. Sprachen spielten eine wichtige Rolle: Sophie sprach fließend Französisch, Deutsch und Holländisch, konnte sich auf Englisch und Italienisch verständigen und hatte Grundkenntnisse in Spanisch und Latein.

Porträt der Kurfürstin Sophie von der Pfalz als Indianerin
gezeichnet von ihrer Schwester Luise Hollandine von der Pfalz

Unser Hof in Leiden war ganz nach deutscher Art. Der Tagesablauf war ebenso streng geregelt wie die Anzahl unserer Verbeugungen. Meine Gouvernante, Frau von Plessen, war auch die meines Vaters gewesen, was auf ihr Alter schließen lässt. Unterstützt wurde sie von ihren zwei Töchtern, die noch älter aussahen. Ihr Lebenswandel war anständig vor dem Herrgott wie den Herren. Sie suchten Ersterem zu Gefallen und führten Letztere niemals in Versuchung, denn ihr Äußeres war schrecklich und bestens geeignet, kleine Kinder zu ängstigen. Sie lehrten mich, Gott zu lieben und den Teufel zu fürchten, und erzogen mich zu großer Frömmigkeit nach den Lehren Calvins. Man brachte mir den Heidelberger Katechismus auf Deutsch bei, und ich konnte ihn auswendig, ohne ihn aber zu verstehen.

Ich stand jeden Morgen um sieben Uhr auf und musste im Nachtgewand zu Fräulein Marie von Quadt gehen, einer der besagten Damen, die mich beten und die Bibel lesen ließ. Darauf memorierte ich die Vierzeiler Pibracs. Währenddessen putzte sie sich die Zähne, die es immer sehr nötig hatten, und spülte den Mund. Ihre Grimassen während dieses Rituals sind mir viel besser in Erinnerung geblieben als der Lehrstoff. Dann kleidete man mich an, was bis halb neun ging. Danach musste ich den Reigen meiner verschiedenen Lehrer erdulden. Das dauerte bis zehn Uhr, es sei denn, der liebe Gott erbarmte sich meiner und schickte ihnen eine Erkältung. Um zehn Uhr kam, immer willkommen, der Tanzmeister und gab bis elf Unterricht. Dann war das Diner.

Unser Diner wurde immer feierlich an einer sehr langen Tafel eingenommen. Beim Betreten des Saals fand ich alle meine Brüder nebeneinander aufgestellt und hinter ihnen ihre Hofmeister und Kammerjunker. Ich musste erst eine sehr tiefe Verbeugung vor den Prinzen machen und eine weniger tiefe vor den anderen. Dann wieder eine sehr tiefe, wenn ich ihnen direkt gegenüberstand. Eine weniger tiefe machte ich dann vor meiner Gouvernante, die ihrerseits beim Betreten des Saals mit ihren Damen mir gegenüber einige sehr tiefe machte. Ich musste ihnen gegenüber wiederum eine weitere machen, wenn ich ihnen meine Handschuhe übergab, und darauf noch eine, wenn ich mich wieder vor meine Brüder stellte. Eine, wenn die Kammerjunker mir ein großes Becken zum Händewaschen brachten, noch eine nach dem Gebet und endlich die letzte und insgesamt neunte, wenn ich mich zu Tisch setzte.

Alles war so genau wie in einem Kloster geregelt. Der Wochentag bestimmte, was es zu essen gab. Sonntags und mittwochs wurden immer zwei Geistliche oder Professoren zum Diner geladen, die mir zutrauten, einmal sehr gebildet zu sein, weil ich eine schnelle Auffassungsgabe besaß. In Wahrheit wollte ich aber nur möglichst rasch mit dem leidigen Unterricht fertig werden. Nach der Mahlzeit hatte ich bis zwei Uhr nachmittags Pause, dann nahmen mich meine Lehrer wieder in Angriff. Um sechs aß ich zu Abend und um halb neun ging ich ins Bett, nachdem ich einige Kapitel aus der Bibel gelesen und gebetet hatte.

So lebte ich bis ich neun oder zehn Jahre alt war.


Sophies Beschreibung des Tagesablaufs wird im Bericht eines dortigen Lehrers aus dem Jahr 1632 bis auf die Stunde bestätigt. Die Lehrpläne der Prinzen und Prinzessinnen unterschieden sich nur darin, dass die Prinzen nach dem Diner keine Ruhepause hatten und nachmittags das Kriegshandwerk lernten (Fechten, Schießen, Reiten, Festungsbau).


Nach einer Übersetzung von Dr. Sean Ward: Sophie von Hannover. Memoiren 1630-1680: Neu übersetzt, kommentiert und für die Gegenwart erschlossen. Sean Ward (Hg.) 2014.


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