Erinnerungskultur in Baden-Württemberg: Erinnerungszeichen an KZ-Gedenkstätten
Im neuen Bildungsplan spielt der Umgang mit den nationalsozialistischen Verbrechen und der Erinnerung hieran eine zentrale Rolle sowohl in Klasse 9 als auch bei den methodischen Kompetenzen, wenn es z.B. um einen Gedenkstättenbesuch geht.
Die Frage nach Schuld oder Mitschuld – beides Begriffe aus dem Bildungsplan - bildet sich repräsentativ ab auf Inschriften von Mahnmalen, KZ-Friedhöfen, die in diesem Modul unter dem Oberbegriff Erinnerungszeichen subsumiert werden. Der Einsatz des Moduls bietet sowohl als Vorbereitung als auch als Nachbereitung eines Besuchs einer Gedenkstätte an, nicht zuletzt um den historischen Ort und die Genese der heutigen Gedenkstättenlandschaft zu verstehen, was der Historiker Peter Steinbach die „zweite Geschichte“ des Nationalsozialismus nennt.
Dabei können im Hintergrund historische Forschungsfragen eine Rolle spielen, wie sie Marco Brenneisen in seiner Dissertation aufwirft:
- Werden an den Erinnerungszeichen die Verbrechen benannt?
- Wird das Sterben der Opfer als Folge dieser Verbrechen thematisiert?
- Wird lediglich ihr Tod festgestellt?
- Was wird über die Haft und die Zwangsarbeit ausgesagt?
- Wird ein in der Nähe befindliches KZ erwähnt?
- Werden Verantwortlichkeit und Täterschaft erkennbar?
(nach: Marco Brenneisen: Schlussstriche und lokale Erinnerungskulturen. Die „zweite Geschichte“ der südwestdeutschen Außenlager des KZ Natzweiler seit 1945. Stuttgart 2020, S. 17)
Entscheidend ist es hier, die reine Opferperspektive zu verlassen und das Geschehen als ein historisches Geschehen an einem historischen Ort in einer historischen Konstellation zu begreifen. Damit soll das historische Geschehen keinesfalls relativiert werden, sondern ein wichtiger Beitrag zum historischen Verstehen geleistet werden.
Inschrift des Gedenksteins am ehem. KZ Bisingen (1969) |
Im Modul sollen die Schülerinnen und Schüler über ein Hinweisschild sensibilisiert werden, das ab 1947 auf den Friedhof hinweist, auf dem die Opfer des KZ Bisingen begraben sind. Zwei weitere Bilder des KZ-Friedhofs können diesen Einstieg ergänzen.
Am Beispiel der Inschriften, die in Bisingen in den letzten 75 Jahren angebracht worden sind, sollen die Schülerinnen und Schüler eine Entwicklung feststellen zu mehr Ausführlichkeit, zu mehr Präzision und Sachlichkeit, zu einer deutlicheren Sprache und zu einem erweiterten Fragen- und Themenfeld, nicht zuletzt im Hinblick auf Verantwortlichkeiten. Das Ziel ist nicht zuletzt, dass Schülerinnen und Schüler zu Kriterien finden, welche Elemente eine angemessene Inschrift bestenfalls enthalten soll.
Diese Kriterien sollen die Schülerinnen und Schülerin einem weiteren Schritt an verschiedenen Inschriften aus baden-württembergischen Gedenkstätten überprüfen und dadurch in die Lage versetzt werden, zu beurteilen, welche Inschrift angemessen ist und welche Defizite enthält. So wäre ein aktiver Beitrag zur baden-württembergischen Erinnerungskultur geleistet. Nebenbei lernen die Schüler die vielfältige Gedenkstättenlandschaft Baden-Württembergs kennen, die sie individuell über die Web-Sites der einzelnen Gedenkorte vertiefen können.
Abgerundet wird das Modul durch einen reflektierenden Text von Marco Brenneisen, der sich damit beschäftigt, was die Entwicklung der Inschriften über den Umgang mit der NS-Vergangenheit in der Bundesrepublik aussagt.
Unterrichtsdesign
1. Einstieg: Beschilderung des KZ-Friedhofes Bisingen und der Bisinger KZ-Friedhof im Wandel
Zusatzinfo: ab Mitte 1957 fand sich die Beschilderung „Ehrenfriedhof“, in der Diskussion war auch „Kriegsgräberstätte“, ab den 1990ern wurde „KZ-Friedhof“ verwendet.
Hintergrundinformation: zum KZ Bisingen und zur örtlichen Erinnerungsgeschichte
2. Leitfrage: Wie weist man angemessen auf die Opfer des Nationalsozialismus hin?
UG: Erwartungen der SuS
Der KZ-Friedhof Bisingen 1947 und heute |
3. Erarbeitung 1: Das Beispiel Bisingen – Inschriften
AA: Untersuche, wie sich die Erinnerungszeichen im Laufe der Jahre verändert haben. Entscheide, welche Kriterien eine Inschrift erfüllen sollte.
erwartete Ergebnisse auf einem TA 1:
- von nebulös-vage zu informativ-offen
- zunehmend klare Sprache („ruchlose Gewalt“ vs. „verhungerten“, „misshandelt und ermordet“)
- zunehmende Ausführlichkeit, Zeitangaben, Kontext
- zunehmende Thematisierung der Verbrechen, der Täter und der Todesumstände
- zunehmende Präzision (Art des Lagers, Zusammenhang mit KZ,
- neue Fragen, z.B.: Wer hat die Namensliste vernichtet und warum?
- Appelle: weniger eindringlich, sachlicher
4. Vertiefung: Welche Informationen braucht eine angemessene Inschrift?
TA 2: Kriterien:
- Benennung des Lagers als KZ, evtl. als Außenlager des KZ Natzweiler-Struthof
- möglichst genaue Benennung der Opfer, der Verbrechen, der Täter, der Todesumstände
- Thematisierung von KZ-Haft und Zwangsarbeit
- präzise Zeitangaben
- verständliche Sprache
evtl. Diskussion:
- mehrere Sprachen?
- informativ oder appellativ?
- christliche oder allgemein moralische Appelle?
KZ-Standorte in Baden-Württemberg |
5. Erarbeitung 2: Anwendung der Kriterien auf Inschriften an KZ-Gedenkstätten in Baden-Württemberg
AA: Untersuche, ob und ab wann die Inschriften die Kriterien erfüllen, die du zuvor erarbeitet hast. Berücksichtige, wer das Erinnern veranlasst.
Mögliche Ergebnisse
- was häufig nicht gesagt wird: Täter, Todesumstände, manchmal auch das eigene Lager (Unterriexingen)
- bemerkenswert: Ausführlichkeit und Präzision nehmen enorm zu (z.B. Neckargartach: genauer Kontext, Arbeitseinsätze, vorheriges Massengrab)
- unterschiedliche Appelle: Erinnerung, Ehre, Mahnung, Gedenken
- Veranlasser: zunächst französische Militärbehörden, zunehmend deutsche Kommunen bzw. Landkreise, vereinzelt zivilgesellschaftliche Gruppen (z.B. Sportverein, Stadtjugendring); Anlässe: Friedenswoche
6. Differenzierung: Informationen über KZ-Gedenkstätten in BW
AA: Erforsche für mindestens einen Ort, was dort passiert ist und in welchem Zusammenhang die Opfer umgekommen sind. Besuche dazu die angegebenen Web-Sites.
7. Fazit: Marco Brenneisen: Die Entwicklung der Gedenkstätten in Baden-Württemberg
Gibt es eine Entwicklung vom Appell zur Information? Ist ein offenerer Umgang mit schwierigen Inhalten erkennbar?
Mögliche Impulse:
- „Inschriften müssen immer „unvollständig“ bleiben. (Brenneisen, S. 16)
- „Denkmale sagen wenig über die Vergangenheit aus, umso mehr über die Zeit, in der sie gesetzt wurden und über diejenigen, die sie schufen.“ (Marcuse/Schimmelpfennig, Spielmann, zitiert nach Brenneisen, S. 17)
- Bei vielen Friedhöfen (z.B. Bisingen, Schömberg, Schörzingen) wurden in den 1960er- und 1970er-Jahren die Kreuze für jedes Opfer entfernt und aus gartenarchitektonischen und finanziellen Gründen weniger Kreuze aufgestellt, um den Rasen leichter mähen zu können.
Ausdrücklicher und großer Dank gilt Dr. Marco Brenneisen für die Mithilfe bei der Erstellung dieses Moduls.
Herausgeber: Landesbildungsserver Baden-Württemberg
Quelle: https://www.schule-bw.de
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