Ausgrenzung aus der Wehrmacht
Obgleich viele Sinti und Roma im Ersten Weltkrieg als Soldaten dienten, verabschiedet der Reichskriegsminister bereits am 26. November 1937
einen Erlass, der Sinti und Roma die Ableistung des aktiven Wehrdienstes untersagt. Auf Drängen der Partei ordnet das Oberkommando der
Wehrmacht am 11. Februar 1941 und am 10. Juli 1942 noch einmal den Ausschluss aller Sinti und Roma aus "rassenpolitischen" Gründen an.
Trotz der Fürsprache vieler Vorgesetzter werden Angehörige der Minderheit direkt von der Front nach Auschwitz deportiert, manche tragen noch
ihre Uniform. Nach dem Erlass des OKW vom 12. Juli 1944 sollen sogar diejenigen Wehrpflichtigen entlassen werden, die mit "Zigeunerinnen"
verheiratet sind.
Der Reichsminister der Luftfahrt und Oberbefehlshaber der Luftwaffe, Hermann Göring, schließt Sinti und Roma in einem Erlass vom 7. Januar
1942 auch aus dem "Sicherheits- und Luftschutzwarndienst" aus. Ebenso sind auf Anordnung des "Jugendführers" vom 15. Mai 1942 alle Angehörigen
der Minderheit aus der "Jugenddienstpflicht", also der "Hitler-Jugend", zu entlassen.
Ausschließungsschein von Christian Weiß aus Göttingen
Quelle: Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma, Heidelberg
M 1: Oswald Winter
"1939 kam ich zum Reichsarbeitsdienst und von dort 1940 zur Deutschen Wehrmacht zum Infanterieregiment 190 unter General Paulus bei der 6.
Armee. Ich erhielt bis 1942 als Tapferkeitsauszeichnung das 'Sturmabzeichen in Silber', das 'Eiserne Kreuz', die 'Ehrenmedaille' für die
Winterschlacht und das 'Verwundetenabzeichen'. Ich erhielt einen Streif- und Lungenschuss und bekam deshalb 1942 Genesungsurlaub.
Als ich im Urlaub nach Breslau nach Hause kam, sagten mir Nachbarn, meine Mutter und Schwestern seien von der Gestapo weggebracht worden.
Auch mein zwölfjähriger Bruder und die gleichaltrige Tochter meiner älteren Schwester waren nicht mehr da. Zurück beim Stabsarzt erzählte ich,
was passierte.
Standortkommandant, Oberarzt und Offiziere schrieben ein Gesuch an Reichsmarschall Göring. Mein Kompaniechef schrieb deshalb an Heinrich
Himmler, er könne nicht glauben, dass ich 'Zigeuner' sei, und er erwirkte für mich im Reichssicherheitshauptamt in Berlin einen Termin. Dort
wurde ich von Kaltenbrunner empfangen. Ich trug ihm vor, dass ein Bruder bereits im Fronteinsatz in Russland gefallen war und dass meine
beiden anderen Brüder, der eine seit 1937 bei der Flak und der andere als Panzerfahrer, auch bei der Wehrmacht seien; ich wüsste auch nicht,
wohin meine Mutter und Geschwister gebracht worden seien. In meinem jugendlichen Leichtsinn glaubte ich an Ehre, und dass in Berlin meine
Tapferkeit im Krieg Anerkennung finden würde.
Ich fange an zu weinen, wenn ich daran denke. Denn in Wirklichkeit, so mache ich mir heute jedenfalls die Vorwürfe, hatte ich meine beiden
Brüder bei der Wehrmacht verraten und für meine Mutter und Geschwister nichts mehr bewirken können. Meine älteste Schwester wurde in Auschwitz
ermordet. Meine Mutter, die mit meiner zweitältesten Schwester über Ravensbrück nach Auschwitz kam, überlebte das Konzentrationslager
ebenfalls nicht. Mein kleiner Bruder und die Tochter der zweitältesten Schwester wurden 1943 in Passau im Alter von 13 und 12 Jahren von
Ärzten zwangssterilisiert. Mein einer Bruder kam direkt von der Fliegerabwehr am Münchener Hauptbahnhof Anfang 1943 weg nach Auschwitz und
wurde von dort im August 1944 nach der Auflösung des 'Zigeunerlagers' in Birkenau vor Berlin gegen russische Truppen in einem
Himmelfahrtskommando eingesetzt, das er nicht überlebte.
Der andere Bruder wurde direkt im Anschluss an meinen Termin bei Kaltenbrunner als Panzerfahrer aus der Wehrmacht entlassen. Als ich vom
Reichssicherheitshauptamt aus, wo mir Kaltenbrunner noch sagte, das wäre alles ein Irrtum seines Amtes und es würde für die ganze Familie
geregelt, wieder im Lazarett ankam, sagte mir der Oberarzt, zwei Gestapobeamten, die mich gerade abholen wollten, habe er gesagt, ich sei noch
zu krank. Mit dem Wehrentlassungsschein flüchtete ich sofort und versteckte mich in Polen und der Tschechei. Mein Bruder, der danach heimkam
und davon erfuhr, flüchtete Ende 1942 ebenfalls in den Untergrund und überlebte.
Ich konnte mich bei einer Frau in Polen, die ich nach 1945 heiratete, verstecken. Da auf meinem Wehrentlassungsschein die 'Rassenzugehörigkeit'
neben dem Gesetzesparagrafen, mit dem wir Sinti und Juden ab 1942 ausgeschlossen wurden, nicht ausdrücklich, dafür aber die Verwundung erwähnt
war, konnte ich bei Polizei und SS immer als 'Zigeuner' unerkannt entkommen. So war es mir sogar möglich, einige Zeit bei den Skoda-Werken zu
arbeiten, bis wir am 8. Mai 1945 von den Russen befreit wurden."
Oswald Winter
Quelle: Dokumentationszentrum Deutscher Sinti und Roma, Heidelberg
M 2: Emil Christ
Emil Christ mit seiner Cousine
Quelle: Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma, Heidelberg
Emil Christ wird wenig später aus der Wehrmacht entlassen und mit seiner Frau und seinen zwei Kindern nach Auschwitz deportiert. Im KZ Sachsenhausen zieht man ihn gegen Ende des Krieges zur "Einheit Dirlewanger" ein und schickt ihn an die Front; dabei gerät er in russische Kriegsgefangenschaft. Seine Frau und eines seiner Kinder sterben in Bergen-Belsen kurz vor der Befreiung des Lagers an Entkräftung.
M 3: Stanoski Winter
"Nachdem ich bereits 1938 beim Arbeitsdienst gewesen war, wurde ich am 1. Januar 1940 gemeinsam mit meinem Bruder Erich zum Militärdienst
eingezogen. Ich wurde bei der Marine zum Spezialisten für eine bestimmte Kanonenart ausgebildet und habe entsprechende Lehrgänge absolviert;
mein Dienstrang war Bootsmann. Ende 1941 wurden alle 14 Männer, die mit mir gemeinsam in einer Einheit waren, befördert, nur ich nicht.
Da habe ich Verdacht geschöpft, dass irgendetwas nicht in Ordnung ist, denn ich war bei meinen Vorgesetzten ja sehr beliebt. In dieser Zeit
spielte ich auch in Wilhelmshaven, wo wir stationiert waren, in der Handball- und Fußballmannschaft der Marine. Ein Kamerad namens Sommer,
mit dem ich zusammen Fußball spielte, saß in der Schreibstube. Als ich ihn fragte, warum ich nicht befördert worden sei, sagte er mir, dass
der Antrag zwar auf dem Schreibtisch liege, die Beförderung jedoch nicht ausgesprochen werden dürfe, weil ich 'Nichtarier' sei. Er gestand mir
sogar, dass er den Auftrag habe, mich zu überwachen. Ich konnte das alles nicht verstehen, ebenso wenig meine Vorgesetzten, nachdem ich sie
zur Rede gestellt hatte.
Einige Wochen später war ich wieder zu Hause. In meinem Wehrpass war vermerkt, ich sei 'nicht zu verwenden'. In Oldenburg bin ich dann zum
Wehrbezirkskommando gegangen und habe meinen Wehrpass abgegeben. Vier Wochen später kam auch mein Bruder nach Hause, der in Russland bei der
Luftwaffe gewesen war. Bald darauf wurden wir beide nach Auschwitz deportiert.
M 4: Max Friedrich
Max Friedrich mit seiner Frau Grete
Quelle: Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma, Heidelberg
Max Friedrich, hier mit seiner Frau Grete, wird nach dem Ausschluss aus der Wehrmacht mit seiner ganzen Familie nach Auschwitz deportiert, wo seine Frau und sein jüngstes Kind Waltraud ermordet werden. Die weiteren Stationen seines Leidenswegs sind das Männerlager in Ravensbrück, wo SS-Ärzte ihn zwangssterilisieren, und das KZ Sachsenhausen. Von dort wird Max Friedrich kurz vor Kriegsende an die Front geschickt und durch eine Mine schwer verwundet. Seinem Sohn Alfred gelingt auf dem "Todesmarsch" die Flucht; seine drei Töchter werden in Bergen-Belsen von britischen Truppen befreit.
M 5: Eugen Hodoschi
"Ich war bis zum Herbst 1942 Gefreiter in der Kriegsmarine in Norwegen. Eines Tages erschien der Obermaat und sagte vor der versammelten
Mannschaft zu mir: 'Du bist entlassen, weißt du warum?' Wenn ich jetzt nein sage, ging es mir durch den Kopf, wird er antworten: 'Weil du ein
Zigeuner bist!' Das wollte ich mir ersparen, darum sagte ich: 'Ich weiß Bescheid!'
Ich kam dann nach Kiel, mein Kommandant war zufrieden mit mir und folgte der Weisung, mich zu entlassen, nicht. 'Ich finde keinen Grund,
er ist ein ordentlicher Bursche', schrieb er an seine Vorgesetzten. Aber dann musste er doch dem Befehl gehorchen ... Ich wurde nach
Lackenbach geschickt, dort aber als Außenarbeiter beim Straßenbau und in den Waldpartien beschäftigt. So ist es mir etwas besser gegangen als
meinen Eltern und Geschwistern. Ich habe meine Schwestern und Brüder, zwei- bis dreijährige Kinder, in Lackenbach verloren."
M 6: Der Kommandant von Auschwitz, Rudolf Höß, 1947
"Man hatte vielfach Fronturlauber verhaftet, die hohe Auszeichnungen hatten, die mehrfach verwundet waren, deren Vater, Mutter oder
Großvater ..., aber Zigeuner oder Zigeuner- Mischlinge waren."
Herausgeber: Landesbildungsserver Baden-Württemberg
Quelle: https://www.schule-bw.de
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