Frühmittelalterliche Biographien
Zum Schluss stellt sich die Frage, inwiefern man die Biographie eines Tieres, zumal eines Tieres, das vor 1200 Jahren verstorben ist, schreiben kann – und damit die Frage nach den Bedingungen von historischen Biographien an sich.
Achim Thomas Hack schreibt dazu Folgendes:
„Dass er [Abul Abaz, d.Red] nicht selbst als Akteur, sondern nur als
Objekt von Handlungen anderer in Erscheinung tritt, ist dabei kein grundsätzliches Problem“ (Hack, a.a.O., S. 12).
„Keine der Frauen Karls des Großen – selbst die nicht, die ihm Erben gebar – hat eine auch nur ähnliche Beachtung
erfahren“ (Hack, a.a.O., S. 16).
Karl der Große (aus: Chronik des Ekkehard von Aura um 1112/14,
Cambridge Corpus Christi, Ms 373, fol. 24r)
Wikimedia Commons by Ekkehard von Aura
„Natürlich wird man dem grauen Vierbeiner keine in sich geschlossene Persönlichkeit unterstellen, die einen einmal
gefassten Lebensentwurf konsequent in die Realität umsetzt. Aber genau das hat Pierre Bourdieu auch für die
menschliche Vita als nachträgliche Sinngebung und damit als „biographische Illusion“ entlarvt. Damit sollen die
Unterschiede zwischen Mensch und Tier – selbstredend – nicht nivelliert werden. Aber was wir bei Tieren grundsätzlich
in Abrede stellen, können wir bei den Menschen des frühen Mittelalters aufgrund der Quellenlage in den allermeisten
Fällen auch nicht erkennen. In dieser Hinsicht (der historischen Erkennbarkeit) unterscheiden sich – so die These –
Abul Abaz und Karl der Große zumindest nicht in grundsätzlicher Weise.
Einem Elefanten sprechen wir den Charakter als individuelle Person mit einem eigenen Willen gemeinhin ab. Aber auch
bei seinem Besitzer lässt sich diese Person … aus den überlieferten Dokumenten nicht mit hinreichender Sicherheit
eruieren. Wir verfügen zum Beispiel über keine Ego-Dokumente, die uns einen verlässlichen Einblick in die Gedankenwelt
Karls des Großen erlauben, so dass Aussagen über seine persönlichen Motivationen meist nicht möglich sind. Bei den
Handlungen, die ihm die Quellen zuschreiben, bleibt stets die Frage, ob sie denn tatsächlich auf seine
Initiative zurückgehen; sie könnten immer aus der Eigendynamik der Ereignisse oder aus von anderen verursachten
Sachzwängen resultieren. Wer sich hinter der Chiffre „Karl der Große“ verbirgt, ist eigentlich immer unklar“ (Hack, a.a.O.,
S. 42f).
Darstellung aus: Jacob van Maerlant, Der naturen bloeme. Ms 70, Bl. 24v: Elefant (13.Jh.)
Lippische Landesbibliothek
(nach Achim Thomas Hack, Abul Abaz. Zur Biographie eines Elefanten, Badenweiler 2011, S. 62ff)
Herausgeber: Landesbildungsserver Baden-Württemberg
Quelle: https://www.schule-bw.de
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