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Argumente von Genozidleugnern und was man dagegen erwidern kann

Im Bildungsplan 2016 spielt die Geschichte des Osmanischen Reichs und der türkischen Republik eine zentrale Rolle für das Gymnasium in Klasse 10. Dabei werden sich die Schülerinnen und Schüler auch mit dem Genozid am armenischen Volk (Aghet) beschäftigen. Da dies nach wie vor zu Widersprüchen von Menschen führen kann, die bis heute diesen Genozid verharmlosen oder gar leugnen, finden sich hier eine Reihe von Argumenten, die in diesem Zusammenhang häufig vorgebracht werden. Damit können sich die Lehrkräfte auf auf ein eher ungewohntes Feld vorbereiten, um diesen Argumenten substanziell entgegentreten zu können.

Argument eines Genozidleugners Gegenargumente

Die Armenier sollten lediglich umgesiedelt werden. Es gab keinen Plan zu ihrer Vernichtung.

Die Umsiedlung erfolgte, ohne dass es einen Zielort oder Ansiedlungspläne gegeben hätte.

Ansiedlungsversuche, wie es sie in Syrien gab, wurden gezielt verhindert.

Die Armenier wurden ohne ihren Besitz auf die Märsche geschickt. 

Hans Lukas Kieser: „Von ernsthaften Bemühungen der Regierung um Wiederansiedlung konnte keine Rede sein.“ (In: Guttstedt, Wege ohne Heimkehr, S. 24)

Der deutsche Botschafter in Konstantinopel, Hans Freiherr von  Wangenheim, am 7. Juli 1915 an Reichskanzler Bethmann Hollweg: „Dieser Umstand [die Austreibung und die Umsiedlung der armenischen Bevölkerung] und die Art, wie die Umsiedlung durchgeführt wird, zeigen, dass die Regierung tatsächlich den Zweck verfolgt, die armenische Rasse im türkischen Reich zu vernichten.“

Der sog. „Genozid“ ist eine Folge der Kriegswirren des 1. Weltkriegs.

Ohne den Ersten Weltkrieg wären die Vertreibung und Vernichtung der Armenier in dieser Dimension nicht möglich gewesen.

Der für die Jungtürken problematische Kriegsverlauf im Winter 1914/1915 (Kaukasusfront, Schlacht von Sarikamis mit ca. 80.000 Gefallenen) und im Frühjahr 1915 (Dardanellen, Bedrohungslage für osmanische Hauptstadt Konstantinopel) führt zu einer Radikalisierung der Maßnahmen.

Die Forschung heute untersucht den Ersten Weltkrieg auch im Hinblick auf den Dammbruch „ethnischer Säuberungen“, den dieser in der Geschichte darstellt.

Die Armenier haben das Osmanische Reich verraten, waren Spione im Auftrag des Kriegsgegners Russland. Aus diesem Grund alleine war eine Umsiedlung gerechtfertigt.

Ca. 10000 Armenier in der Osttürkei liefen zur russischen Armee über.

Es gilt die Relationen zu beachten: Die Mehrheit der Armenier im Osmanischen Reich verstand sich als Teil der osmanischen Bevölkerung. So dienten u.a.  auch mehr als 200.000 Armenier noch zu Beginn des Ersten Weltkriegs in der osmanischen Armee, bis sie dann aus der Armee entfernt wurden – das heißt: entwaffnet und ermordet wurden.

In der russischen Armee kämpften auch Russen armenischer Herkunft. Ein Teil des historischen Siedlungsgebiets der Armenier lag auf russischem Gebiet.

Zur Einordung: 1914 hatten der osmanische Staat und das russische Zarenreich in etwa gleich viele armenische Untertanen (siehe Neumann/Kreiser in Geschichte der Türkei).

Eigentlich hatten die Armenier einen Genozid an den Türken geplant. Die Politik der türkischen Regierung kam diesem zuvor.

Im späteren Verlauf des Ersten Weltkriegs, im Schutz der vorrückenden russischen Truppen, und im türkischen Unabhängigkeitskrieg direkt im Anschluss an den Ersten Weltkrieg kam es zu  Massakern an Türken, die auch von Armeniern verübt wurden.

Der Genozid an den Armeniern, die sich zuspitzende Vertreibung und Vernichtung der Armenier, fällt hingegen in die Anfangszeit des Ersten Weltkriegs, in die Zeit von 1915 bis 1916. Die Einparteiendiktatur des jungtürkischen Triumvirats, also die Regierung des Osmanischen Reichs, ging in dieser Zeit gezielt gegen einen Teil der osmanischen Bevölkerung, gegen die Armenier, vor.

Das Vorgehen einer Staatsmacht gegen die eigene Bevölkerung bzw. einen Teil der eigenen Bevölkerung lässt sich mit Massakern von unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen in einer Situation allgemeiner Gewalttätigkeit und kriegerischer Auseinandersetzungen nicht gleichsetzen. 

Über Jahrzehnte hinweg haben armenische Terroristen türkische Diplomaten und Politiker umgebracht – das ist der eigentliche Skandal.

In den 1920er-Jahren wurden führende Jungtürken durch die Attentäter-Organisation „Nemesis“ umgebracht. Mitte der 1970er Jahre begann die armenische Terrorgruppe ASALA (Armenian Secret Army for the Liberation of Armenia) Attentate zu verüben. Mehr als 40 Diplomaten und Beamte wurden dabei getötet. Die Mordserie reichte bis in die 1980er Jahre hinein.

Als Reaktion auf die Morde entstand in der Türkei die offizielle Geschichtsschreibung zum Jahr 1915. Die ersten Veröffentlichungen zum Thema waren von türkischen Diplomaten.

Genau genommen sind die Türken die Opfer der imperialistischen Mächte des 1. Weltkriegs. Sie hatten eine völlige Zerschlagung des =smanischen Reichs geplant – dies haben die Jungtürken und später Atatürk durch ihre Politik und ihren Kampf verhindert.

Türkische Republik nach 1923:

„Die Republik der Türkei gründete sich auf die mittels Vertreibung und Auslöschung der Christen erfolgte Türkisierung Anatoliens und führte diese Politik fort: ,Dieses Land gehört euch, den Türken. Dieses Vaterland war in der Geschichte türkisch, es ist türkisch und wird immer türkisch bleiben. Es ist nun wieder in die Hände seiner eigentlichen Besitzer zurückgekehrt, Armenier oder andere haben hier keinerlei Rechte‘, erklärte Mustafa Kemal 1923 in Adana.“ (siehe Guttstedt: Wege der Heimkehr, S. 189)

Die meisten der Bevölkerungsverluste der Armenier sind auf die Kriegssituation zurückzuführen oder waren lediglich lokaler Natur.

Die sogenannten Umsiedlungen begannen im Osten und Südosten der Türkei, also im Kriegsgebiet, wurden dann aber auch in Zentralanatolien, im westlichen Kleinasien und in Thrakien fortgesetzt, also fernab der Front.

Die Vertreibung und Vernichtung vollzog sich weithin nach demselben Muster: Die männlichen Armenier wurden getötet, die Frauen, Kinder und Alten auf die Märsche geschickt. Viele starben auf diesen Märschen an Hunger, Durst, Krankheit und Erschöpfung oder fielen Massakern zum Opfer. Die Überlebenden wurden in die syrische Wüste verschickt. Wenige überlebten die Lager dort.

Beim sog. „Genozid“ sind lediglich 300.000 Menschen umgekommen.

Nach Angaben des osmanischen Innenministeriums vom Mai 1919, die sich nach Kriegsende auf die Ermittlungen der Vormonate für die Prozesse gegen die Verantwortlichen für die Vertreibung und Vernichtung der Armenier vor den osmanischen Sondergerichten stützten, fanden bei den jungtürkischen Deportationen etwa 800.000 Armenier den Tod (vgl. T. Akcam: Armenien und der Völkermord)

Hilmar Kaiser, Historiker und Turkologe (siehe Gottschlich, Beihilfe zum Völkermord, S. 185): hat die osmanischen Bevölkerungsregister ausgewertet. Danach mindestens 1,1 Millionen getötete Armenier bis Ende 1916.  Weitere armenische Opfer in den Kämpfen in der Zeit 1917/1918.

Der türkische Publizist Murat Bardakci veröffentlichte 2008 die persönlichen Aufzeichnungen von Talaat Pasa, die er von seiner Witwe kurz vor ihrem Tod 1983 erhalten hatte. Danach lebten vor 1915 1.256.000 Armenier im Osmanischen Reich. 1917 wurden nur noch 284.157 offiziell registriert. Somit waren rund 972.000 Armenier „verschwunden“. 

Viele Armenier wurden gar nicht umgebracht, sondern haben lediglich ihre Religion gewechselt und als Muslime weitergelebt.

Tausende, wenn nicht einige zehntausend armenische Kinder, vor allem Mädchen, und junge Frauen wurden muslimisiert und türkisiert. Sie fanden Schutz in türkischen Familien oder wurden als Arbeitskräfte missbraucht.

Die Nachfahren dieser Überlebenden haben in der Türkei begonnen, über diese lange Zeit tabuisierte Familiengeschichte zu sprechen.

Auch türkische Muslime wurden zu Tausenden vom Balkan vertrieben – die Türken werden aber niemals als Opfer thematisiert. Auch hat die Türkei deshalb niemals Forderungen an die Nachfolgestaaten auf dem Balkan gestellt.

 

 

 

 

In beiden Balkankriegen kam es zu gezielten und blutigen Übergriffen auf die Zivilbevölkerung.

Insbesondere die muslimisch-osmanische Bevölkerung fiel diesen Übergriffen zum Opfer.

Es kam zu Massenvertreibungen von Muslimen. Laut Michael Schwartz (Schwartz, Ethnische "Säuberungen") wurde die Mehrheit der muslimischen Bevölkerung des Osmanischen Balkans vertrieben. Gegen Ende des ersten Balkankriegs Mitte 1913 lebten von den 2,3 Millionen Balkan-Muslimen nur noch 1,4 Millionen in der Region. 200.000 bis 623.000 Muslime kamen zu Tode. 

Die Türkei nahm im Zuge der Balkan-Kriege allein aus Südosteuropa ca. 413.000 muslimische Vertriebene auf.

Philip Ther (Ther, Die dunkle Seite der Nationalstaaten): Insgesamt mussten in den beiden Balkankriegen ca. 890.000 Menschen fliehen.

Die Bevölkerungsstruktur im türkischen Kernland, in Kleinasien, veränderte sich durch die Ankunft der Flüchtlinge vom Balkan. Der Anteil der muslimischen Bevölkerung (mit Vertreibungserfahrung) wuchs. In Anatolien lebten zu diesem Zeitpunkt bereits Flüchtlinge, die nach dem Krimkrieg (1853-1856) und nach dem Russisch-Türkischen Krieg (1877-1878) ins Reich geströmt waren (auch sie mit Vertreibungserfahrung).

Das Osmanische Reich verlor in den beiden Balkenkriegen seine letzten europäischen Gebiete. Das Großreich von einst war zerfallen. 85 Prozent des einstigen Territoriums in Europa, Nordafrika und im Mittleren Osten waren zu diesem Zeitpunkt verloren.

Jan Erik Zürcher (Zürcher, The Young Turk Legacy and Nation Building) weist darauf hin: Wichtige Vertreter der Jungtürken wie Enver oder Talaat stammten aus den verlorenen Provinzen in Südosteuropa.

Die Armenier haben mit der Illoyalität gegenüber dem osmanischen Staat begonnen (z.B. Aufstand in Van).

Zu Van:

Im April 1915 wehrten sich armenische Milizen in der Stadt Van gegen die türkischen Streitkräfte unter Führung von Cevdet, dem Gouverneur von Van, zugleich Militärführer und Schwager von Enver. Im Vorfeld waren bereits Armenier in der Umgebung von Van massakriert worden. Im Mai 1915 rückten russische Truppen in die Region Van vor. Ab dem 16. Mai zogen die türkischen Truppen ab. Im Schutz der russischen Truppen konnten Armenier aus Van fliehen. Dabei verübten Armenier auch Racheaktionen an Muslimen.

Zum Sündenbock-Vorwurf:

Der Feldzug gegen Russland an der Kaukausus-Front im Winter 1914/1915 führte zu einer verheerenden Niederlage. Mehr als 90.000 osmanische Soldaten starben. In dieser Situation benötigte das jungtürkische Triumvirat, insbesondere Kriegsminister Enver Pasa, eine Erklärung, eine Art Dolchstoßlegende.  Die Vorgänge von Van wurden für diesen Zweck genutzt.

Umgesiedelt wurden lediglich Armenier gregorianischen Glaubens, katholische oder protestantische Armenier waren von den Umsiedlungen ausgenommen.

Taner Akcam( Akcam, Some Official Denialist Arguments): Dies war lediglich eine Behauptung, um die verbündeten Deutschen zu beruhigen, die sich im Sommer 1915 mehrfach offiziell beschwerten; die Anordnungen, Katholiken und Protestanten zu schonen, die daraufhin getroffen wurden, wurden umgehend widerrufen (eine durchaus typische Praxis der CUP). Lediglich in Westanatolien gibt es (wenige) katholische und protestantische Armenier, die nicht deportiert wurden.

Die osmanische Regierung hat die Verbrechen an den Armeniern selbst untersucht und die Verantwortlichen verurteilt.

Taner Akcam: Verfolgt wurden nur Verbrechen im Zusammenhang mit dem Besitz der Armenier. Weil die CUP (Komitee für Einheit und Fortschritt) geplant hatte, dass der Besitz verstaatlicht wurde, wurde (manchmal) dagegen vorgegangen, wenn jemand privaten Vorteil aus der Situation schlug. Dies ist für die Zahl von 1397 Prozessen verantwortlich. Die Massaker und Übergriffe gegen Armenier wurden nicht untersucht.

Es gab Prozesse gegen einzelne Personen, die der CUP zukünftig hätten gefährlich werden können.

Auch auf Druck der Briten und Franzosen setzte die osmanische Regierung nach Kriegsende Sondergerichtshöfe ein. Es wurden etwa 70 Strafverfahren gegen Politiker und andere Beteiligte an den Massakern an den Armeniern eingeleitet. Das Gericht verhängte bis zu 20 Todesurteile, von denen drei vollstreckt wurden. Die Hauptverantwortlichen aber waren zu diesem Zeitpunkt längst nicht mehr im Land. Talaat, Enver und Cemal hatten am 1. November 1918 an Bord eines deutschen U-Boots fliehen können. Kein Verantwortlicher der höheren Ebene konnte vor Gericht gestellt werden.

Während der Umsiedlung erhielten die Armenier Hilfen, um die schlimmsten Härten aufzufangen.

Taner Akcam: Es gibt keine Hinweise, dass der Staat Maßnahmen getroffen hat, um den deportierten Armeniern zu helfen. Im Gegenteil: Wer Armeniern half, wurde staatlich verfolgt, selbst wenn es sich um Organisationen aus neutralen Ländern wie den USA handelte. Es wurde sogar staatlicherseits gegen Helfer vorgegangen. [Dagegen erhielten Muslime, die sich aus dem Balkan in Anatolien ansiedelten enorm viele staatliche Hilfen.]

Die sog. „Special Organisation“ war lediglich im Krieg eingesetzt und hatte keine Funktion bei dem Vorgehen gegen die Armenier.

Taner Akcam: Die „Special Organisation“ (Teskilat-i Mahsusa) war maßgeblich an den Verbrechen gegen die Amernier beteiligt und wurde zu diesem Zweck ausdrücklich vom Staat eingesetzt. Die Bezeichnungen „bewaffnete Banden“ oder „Freiwillige(nverbände)“ sind dabei äquivalent (auch vom osmanischen Staat) verwendet worden. In diesen Verbänden wurden bevorzugt ehemalige Strafgefangene vorzeitig amnestiert, was zu deren zusätzlicher Brutalisierung beitrug.

Armenier wurden nicht aus dem Westen (Konstantinopel oder Izmir) deportiert.

Taner Akcam: die Deportationsrate im Westen ist geringer (wie auch der Anteil der Armenier an der Bevölkerung). Dies liegt daran, dass eine Homogenisierung bis zu 95% wie angestrebt in Westanatolien schon erreicht war.

In Konstantinopel wurden vor allem alleinstehende Männer ohne Familie gezielt deportiert. Diese wurden dann unter ihrem jeweiligen Geburtsort verzeichnet.

Jürgen Gottschlich, Beihilfe, S. 184/185: In Izmir verhinderte Liman von Sanders als zuständiger Armeechef an der Ägäisküste die Deportation der Armenier, weil er Unruhen in der überwiegend nicht-muslimischen Bevölkerung in der Stadt befürchtete.

Die Liste als pdf und als docx.

Literatur:

Akcam, Taner: Some Official Denialist Arguments of the Turkish State and Documents from the Ottoman Interior Ministry, in: Ders. The Young turks Crime against Humanity. Princeton: Princeton UP 2013. S. 373-446.

Ders.: A shameful Act. The Aremenian Genocide and the Question of Turkish Responsibility. New York: Holt 2006.

Ders.: Armenien und der Völkermord. Die Istanbuler Prozesse und die türkische Nationalbewegung, Hamburger Edition: Hamburg 2004.

Gottschlich, Jürgen: Beihilfe zum Völkermord. Deutschlands Rolle bei der Vernichtung der Armenier. Berlin: Chr. Links. 2015.

Guttstedt, Corry (Hg.): Wege ohne Heimkehr. Die Armenier, der Erste Weltkrieg und die Folgen (Hamburg: Assoziation A 2014.

Schwartz, Michael: Ethnische „Säuberungen“ in der Moderne. Globale Wechselwirkungen nationalistischer und rassistischer Gewaltpolitik im 19. und 20. Jahrhundert, München: Oldenbourg 2013.

Ther, Philipp: Die dunkle Seite der Nationalstaaten. „Ethnische Säuberungen“ im modernen Europa, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2011.

Zürcher, Erik J.: The Young Turk Legacy and Nation Building. From the Ottoman Empire to Atatürk’s Turkey.: I.B. Tauris 2010.


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