Rückerstattung und Wiedergutmachung am Beispiel Mannheims
Nach 1945 hinterließ die NS-Diktatur den Menschen eine Vielzahl von enormen Problemen; eines der zentralen hiervon war die Schuld gegenüber den Opfern des Nationalsozialismus. Das deutsche Volk hatte den Mord an Millionen von Menschen zu verantworten. Auch wenn in Deutschland plötzlich die aktiven Nazis wie vom Erdboden verschluckt waren und jeder verzweifelt versuchte, bei der Entnazifizierung als unbelastet zu gelten, blieben doch die unvorstellbaren Verbrechen, die man schwerlich nur einer Hand voller Verbrecher anlasten konnte. Große Teile der Deutschen schauten angesichts der Zerstörungen nach vorne und verspürten kaum Neigung, sich mit den Verbrechen der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Dennoch versuchte man in der Bundesrepublik durch die Politik der Wiedergutmachung gegenüber den Opfern und durch den Versuch der Rückerstattung gegenüber den Überlebenden Verantwortung für die NS-Verbrechen zu übernehmen und wenigstens teilweise die Opfer für die entstandenen Schäden zu kompensieren. Bei der Bevölkerung traf diese Politik nicht immer auf Verständnis, sahen viele doch vor allem die eigenen Verluste durch den Krieg und nicht unbedingt die Vorteile, die sich vorher durch Arisierung, Enteignung und Ausplünderung der entrechteten Mitbürger ergeben hatten.
In diesem Zusammenhang ergab sich eine sehr komplizierte Praxis der Wiedergutmachung und Rückerstattung, bei der viele der Opfer des NS-Regimes – so sie überhaupt überlebt hatten - gezwungen waren, erst einmal nachzuweisen, was sie verloren hatten. In ganz Deutschland beschäftigten sich Landesämter für Wiedergutmachung mit Fragen der Restitution und der Kompensation. Von den unzähligen Fällen, die in deutschen Archiven noch auf die Bearbeitung warten, werden in diesem Modul drei Fallbeispiele aus Mannheim aufgegriffen, anhand derer dargestellt werden soll, welche Fallstricke und Schwierigkeiten sich einem Opfer des Nationalsozialismus auch nach 1945 noch gestellt haben. Mannheim wurde deshalb ausgewählt, weil Christiane Fritsche dieses Feld exemplarisch im Auftrag der Stadt aufgearbeitet hat (vgl. Christiane Fritsche, Ausgeplündert, zurückerstattet und entschädigt - Arisierung und Wiedergutmachung in Mannheim, Ubstadt-Weiher 2013).
"Mensch, ärgere dich nicht über die Wiedergutmachung!"
Karikatur, in: Jüdische Illustrierte, Nr. 19, Juni 1950
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Die Schülerinnen und Schüler sollen sich zunächst in die Situation der emigrierten Opfer begeben. Diese sind zwar mit dem Leben davongekommen, haben aber neben ihrer Heimat und ihrem Besitz oft noch eine ganze Kultur verloren. Berufliche Qualifikationen waren nicht nachweisbar, sprachliche Barrieren verhinderten eine Integration und in Europa waren viele auch nach der Emigration aus Deutschland noch weiter auf der Flucht. Angesichts dieses Unrechts stellt sich die Frage, wie man konkret mit Ansprüchen dieser Opfer und deren Situation nach 1945 umgeht.
In drei arbeitsteiligen Gruppen sollen sich die Schülerinnen und Schüler mit drei Fällen beschäftigen und dabei Kriterien entwickeln, wie man beurteilen kann, ob Wiedergutmachung und Rückerstattung in angemessener Weise erfolgt sind. Diese eigene Beurteilung kann dann in einem weiteren Schritt noch mit dem Urteil der Expertin Dr. Fritsche verglichen werden. In einer Schlussdiskussion sollten dann weitergehende Probleme von Wiedergutmachungszahlungen erörtert werden – bis hin zu der Frage, bis zu welchem Zeitpunkt nach 1945 Wiedergutmachungszahlungen nachvollziehbar sind.
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Unterrichtsarrangement
1. Einstieg/Informationsinput: Das Schicksal der Überlebenden im Exil (auch als pdf-Datei zum Download) und
die Anfänge der Rückerstattung (auch als pdf-Datei zum Download)
Stellen Sie die Situation der Exilanten dar und stellen Sie die Anfänge der Rückerstattung gegenüber.
2. Entwicklung der Leitfrage: Wie werden die überlebenden Opfer des NS-Regimes nach 1945 behandelt? Wie sieht die Praxis der Rückerstattung und Wiedergutmachung konkret aus?
3. Arbeitsteiliges Gruppenarbeit: Drei Fallbeispiele von Wiedergutmachung und Rückerstattung
Die Schülerinnen und Schüler arbeiten zunächst in arbeitsteiligen Kleingruppen und tauschen sich in einem zweiten Schritt untereinander aus (z.B. jeweils zwei Vertreter einer der drei Kleingruppen). Dabei orientieren sich die Kleingruppen an der gemeinsamen Leitfrage.
- Die Familie Herzberg (auch als pdf-Datei zum Download)
- Die Familie Spanier (auch als pdf-Datei zum Download)
- Die Familie Friedmann (auch als pdf-Datei zum Download)
Für die Familie Friedmann lässt sich auch der Prozess der sog. Arisierung über ein Unterrichtsmodul nachvollziehen.
4. Integration: Christiane Fritsche über die Praxis der Wiedergutmachung am Beispiel Mannheims (auch als pdf-Datei zum Download).
5. Schlussdiskussion im Plenum: Der Umgang mit den überlebenden Opfern des NS-Regimes am Beipsiel der Arisierung
Mögliche Impulse der Diskussion
- Inwiefern war der Umgang mit den Opfern 1945 angemessen?
- Wie (un-)möglich ist "Wiedergutmachung"?
- Wie verhielten sich die Behörden gegenüber den Opfern und dem von ihnen erlebten Unrecht?
- Welche Rolle spielten Rückerstattungen im Rahmen der bundesrepublikanischen "Vergangenheitspolitik"?
6. Aktualisierung: Griechische Ansprüche auf Wiedergutmachung?
Erörtern Sie das Problem der Wiedergutmachung an den aktuellen Forderungen der griechischen Regierung gegenüber der Bundesrepublik (vgl. Kasten an der rechten Seite).
Möglichkeiten zur Differenzierung:
- Zeige am Beispiel der Familie Friedmann, wie Arisierung und Wiedergutmachung zusammenhängen.
- Erläutere, welche Schwierigkeiten einem NS-Opfer gemäß der Karikatur „Mensch, ärgere dich nicht über die Wiedergutmachung“ bevorstehen. Entspricht die in der Karikatur geäußerte Kritik der Realität?
Das Modul basiert den Arbeiten von Christiane Fritsche, Ausgeplündert, zurückerstattet und entschädigt - Arisierung und Wiedergutmachung in Mannheim, Ubstadt-Weiher 2013.
Herausgeber: Landesbildungsserver Baden-Württemberg
Quelle: https://www.schule-bw.de
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