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Geschichte gegenchronologisch unterrichten

In der Vergangenheit erwies es sich für sehr viele Lehrkräfte immer wieder als schwierig, den Stoff der Kursstufe in den beiden letzten Schuljahren vollständig zu unterrichten. Unterrichtseinheiten wie die Integration Europas und die historische Perspektivierung eines aktuellen Konflikts wurden oft sehr oberflächlich unterrichtet oder fielen der Zeitnot ganz zum Opfer. Für viele Kollegen war es sogar schwierig, die unterschiedlichen Facetten der Deutschen Einheit angemessen darzustellen (dass dies auch in Klasse 9 nicht einfach ist, sei hier nur nebenbei erwähnt) - immerhin doch ein Kapitel deutscher Geschichte, über das Abiturientinnen oder Abiturienten informiert sein sollten.

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Berlin: Grenzübergang Oberbaumbrücke am 11. November 1989
Foto: Wikimedia Commons by Roehrensee
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Die hier vorgestellte Variante des Kursstufenunterrichts nimmt eine einfache Veränderung vor, deren Auswirkungen aber erheblich sind. Die Unterrichtseinheiten werden nicht mehr in der Reihenfolge unterrichtet, wie sie im Bildungsplan dargestellt sind, sondern gegenchronologisch. Statt die deutsche Einheit verknappt am Ende von 12/2 zu behandeln, wird sie nun an den Anfang des Kursstufenunterrichts gestellt. Es fällt nichts unter den Tisch - es wird nur anders als meist bisher angeordnet.

Der Bildungsplan schreibt keine bestimmte Reihenfolge der Unterrichtseinheiten vor, sodass eine andere Anordnung von diesen mit dem Bildungsplan konform ist. Der Vorteil liegt aber darin, dass man ein Thema wie die Deutsche Einheit in jedem Fall im angemessenen Umfang behandeln kann - zudem zeigt die Erfahrung, dass Themen aus der Zeitgeschichte die Lernenden mehr motivieren als weiter zurückliegende Themen. Die Perspektive aus der Gegenwart verzichtet zwar häufiger auf die historisch-genetische Dimension von Geschichte, nähert sich dem Stoff aber analytischer und ist somit einem zweiten Durchgang in der Sekundarstufe II auch eher angemessen. Bei einzelnen Themen ergibt sich zudem die Chance, diese phänomenologisch und weniger chronologisch zu behandeln. Dieser Ansatz wird ja bisher schon bei den Themen "Industrialisierung" und "Revolutionen im Vergleich" im Bildungsplan gepflegt - er wird bei diesem Modell also nur ausgeweitet. Der Ansatz aus der Gegenwart hat einen stark aktualisierenden Akzent, argumentiert vom Ergebnis historischer Prozesse - er entspricht so dem natürlichen Blick des Menschen aus der Gegenwart, der sich der Geschichte meist von ihrem Ergebnis her annähert.

Die Konsequenzen des neuen Blickwinkels sind für die einzelnen Unterrichtseinheiten durchaus fruchtbar. So kann die NS-Diktatur vom Fluchtpunkt Holocaust aus behandelt werden mit der Leitfrage: "Wie konnte es hierzu kommen?" - eine ähnliche Leitperspektive drängt sich für die Weimarer Republik auf, bei der das Scheitern in den Mittelpunkt gestellt wird. Der Fokus beim deutschen Kaiserreich liegt so auf dem 1. Weltkrieg und der Katastrophe für Europa. Die Längsschnitte (Industrialisierung und Revolution) stehen eher altersadäquat am Ende der Schulzeit statt am Anfang der Kursstufe und die europäische Integration wird im Zusammenhang mit der Überwindung der Nationalismen in Europa und deren Übersteigerung im 2. Weltkrieg unterrichtet - um hier nur die wichtigsten zu nennen. Die Perspektive vom Ergebnis her schärft zudem den Blick für die Frage der Handlungsoptionen in bestimmten historischen Situationen und sensibilisiert dadurch für die tatsächlich die historischen Entwicklungen bedingenden Faktoren.

Toreinfahrt in Auschwitz-Birkenau
Der Holocaust (hier symbolisiert durch die Toreinfahrt in Auschwitz-Birkenau) ist der Fluchtpunkt der UE "Deutschland im Spannungsfeld zwischen Demokratie und Diktatur"
Foto: Bundesarchiv, B 285 Bild-04413 / Stanislaw Mucha / CC-BY-SA
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Didaktisch steht zunächst die Fragekompetenz im Mittelpunkt - vom Ergebnis her fragt ein Lernender logisch: "Warum und wie ist es hierzu gekommen?". Nicht immer muss man dann gegen die Chronologie unterrichten - beispielsweise wäre es denkbar, von der Frage: "Wie wurde Hitler möglich?" an den Beginn der Weimarer Republik zu springen und dann individualisiert einzelne Stränge und Aspekte untersuchen zu lassen, die linear-chronologisch oder phänomenologisch zum Scheitern Weimars beigetragen haben. Als Ergebnis wird die Urteilskompetenz der Lernenden gestärkt.

Im Folgenden werden nun eine neue Verteilung der Unterrichtseinheiten auf die einzelnen Kurshalbjahre vorgeschlagen sowie Möglichkeiten zum Einstieg in dieses Konzept vorgestellt.


1. Einstieg in den Unterricht:

  • Schaffung eines chronologischen Überblicks über die Themen der Kursstufe
  • Bildergalerie: Ereignisse oder Personen : vorwärts/rückwärts hängen
    Auswertungsblatt für Schüler: Ereignisse
  • Zäsuren, Zeitabschnitte, Perspektiven und Kategorien (Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur)
  • Chronologie hinterfragen: Zeitstrahl von rechts oder von links lesen - rückwärts erzählen?
  • Thematisierung der Konsequenzen: Ursache → Wirkung oder Wirkung → Ursache?
  • Wie weit muss man für die Erklärung von Ursachen zurückgehen? Konkrete Fragestellung: Was war am Anfang der Deutschen Einheit? mit Auswertungsblatt für Schüler: Einheit oder am Beispiel von Weimarer Republik und Nationalsozialismus

2. Die einzelnen Halbjahre

11/1: Geschichtsbewusstsein - Von der Einheit zur Teilung

  • Die deutsche Einheit
  • BRD/DDR
  • Kalter Krieg
  • optional vorschalten: Methoden im Fach Geschichte (Bilder, Texte, Materialien und was man daraus lernen kann)

11/2: Die Vision einer neuen Weltordnung

  • Europäische Integration
  • Nachkriegszeit
  • NS-Diktatur

12/1: Der deutsche (Sonder-)Weg vom Ergebnis her betrachtet

  • Weimarer Republik
  • Kaiserreich
  • Revolution von 48

12/2: Historische Längsschnitte - Wege der Modernisierung

  • Revolutionen
  • Industrialisierung
  • Module: Migration,... oder aktueller Konflikt, ... oder Umweltgeschichte, Globalgeschichte,...

Wenn Sie weiteres Interesse an dieser Variante des Kursstufenunterrichts haben, können Sie sich gerne mit der Fachredaktion in Verbindung setzen. Die Mailadresse steht unten links auf dieser Seite.


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Herausgeber: Landesbildungsserver Baden-Württemberg
Quelle: https://www.schule-bw.de

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