4.3 Die Revolution von 1918 in Friedrichshafen
In den monatlich erstellten Stimmungsberichten des württembergischen Militärkommandos lässt sich sehr schön der Stimmungsverfall im Lande ablesen. Als sich im Laufe des Jahres 1918 die militärische Niederlage abzeichnete, brach der weitere Durchhaltewillen in breitesten Bevölkerungskreisen in wenigen Monaten zusammen. Nachdem klar war, dass alle Entbehrungen umsonst waren, all die Lasten nicht kompensiert werden konnten durch Zahlungen der anderen besiegten Länder, war man nicht mehr bereit, die Mühen einer sinnlos erscheinenden Fortsetzung des Krieges zu tragen. Das Militärkommando stellte mit Entsetzen seit dem Sommer "einen totalen Zusammenbruch der Stimmung, eine allgemein trostlose Verfassung der Gemüter, Niederbruch der Nerven und tiefsitzende Verbitterung" fest. Auf dem Lande war man vor allem über die Kriegszwangswirtschaft erbost, die im Gegensatz zu ihren Zielen zu einem immer größeren Produktionsrückgang auch durch bäuerliche Verweigerungsstrategien führte.
Zwar haben schließlich vor allem die Arbeiter offen revoltiert und damit das Kriegsende und den Sturz des alten monarchischen Systems herbeigeführt. Aber möglich war dies nur, und das sah das Militärkommando bereits im Herbst sehr klar, weil auch die Landbevölkerung und das Bürgertum nicht mehr bereit waren, auch nur einen Finger für die Erhaltung des alten Systems zu rühren. Allerdings hatten diese Bevölkerungsgruppen kein positives Ziel, außer dass alles baldmöglichst ein Ende haben sollte. Mit dem Kriegsende war deshalb ihre kurzfristige Interessenidentität mit den Arbeitern beendet. Die Schwierigkeiten der Nachkriegszeit, wie auch die Ziele der Arbeiter vermochten diesen Mittelstand nicht für die neue Republik einzunehmen, so dass er schon bald unter Verdrängung seiner eigenen Rolle vor und bei der Revolution wieder dem alten System nachhing.
Dass Friedrichshafen geradezu eine Vorreiterrolle bei der Revolution spielen sollte, war zunächst nicht abzusehen. Zwar hielten angesichts der Arbeitermassierungen und der Kriegsbedeutung der Friedrichshafener Rüstungsindustrie die Behörden immer ein wachsames Auge auf die Entwicklung der Stimmung in der Arbeiterschaft, doch beteiligte sich diese während des Krieges an keiner der großen norddeutschen und Berliner Streikbewegungen. Lohnauseinandersetzungen im Sommer 1917 und im Verlauf des Jahres 1918, bei denen sich Arbeiterausschuss und Konzernleitung nicht einigen konnten, wurden durch Schlichtungsausschüsse oder Eingreifen des Kriegsministeriums geregelt. Als im Sommer 1917 im Motorenbau weitere Überstunden verweigert wurden, bis die Lohnforderung erfüllt seien, forderte selbst die Gewerkschaft in voller Identifizierung mit den deutschen Kriegszielen die Arbeiter dazu auf, die Überstunden wieder zu leisten, auch wenn die Verhandlungen keinen Erfolg hätten. Die weitere Verweigerung würde "die für die Verteidigung des Vaterlandes so nötig beschleunigte Herstellung der Luftwaffe" verzögern.
Zeichen für tiefersitzende Opposition traten im Juli 1916 zutage, als in den Betrieben im Flugzeugbau Flugblätter gegen die Verurteilung Karl Liebknechts mit der Parole "Nieder mit dem Kriege" verteilt wurden. Die der Verteilung Verdächtigten waren 2 Arbeiter, die dann 2 Jahre später auch die Revolution anführten.
Die revolutionären Vorgänge Friedrichshafens zeichneten sich durch dreierlei aus:
- den relativ frühen Beginn der Massenbewegungen,
- dass von Anfang an an ihrer Spitze Mitglieder der radikalen Linken standen, Mitglieder der USPD, die sich während des Krieges von der SPD abgespalten hatte, und des Spartakusbundes,
- und dass deshalb von Anfang an die Friedensforderungen in Zusammenhang mit Forderungen nach Veränderungen des gesamten Gesellschaftssystems gebracht wurden.
Die erste Friedensdemonstration fand am 22. Oktober 1918 nach einer Betriebsversammlung bei Maybach statt. Von etwa 700 Anwesenden folgten etwa 100 einer Aufforderung des Arbeiters Matthiesen und zogen mit den Rufen "Nieder mit dem Krieg! Hoch die Deutsche Republik!" vor das Rathaus. 2 Tage später verließen 200 bis 300 Mann aus Protest einen Vortrag des rechten SPD-Abgeorneten Lensch und zogen wieder unter Hochrufen, nunmehr auf die sozialistische Republik und Rosa Luxemburg vor das Rathaus.
Für Samstag, den 26. Oktober, war ein Streik geplant, doch die großen Werke schlossen vorsorglich für diesen Tag ihre Betriebe. Dennoch formierten sich nunmehr 4.000 Menschen, also etwa die Hälfte aller Arbeiter wieder zu einem Zug vor das Rathaus, wo mehrere Reden gehalten wurden. Bei diesem Zug beteiligten sich erstmals auch etwa 60 Soldaten in Uniform. Für Dienstag, den 5. November, rief ein Aktionsausschuss einen Generalstreik zur Erzwingung eines sofortigen Waffenstillstandes aus. Bei einer Versammlung vor dem Saalbau des Luftschiffbaus wählten Tausende durch Zuruf einen Arbeiter- und Soldatenrat. Anschließend wurde das Programm des Arbeiter- und Soldatenrates Stuttgart übernommen, in dem u. a. gefordert wurde:
- Sofortiger Frieden,
- Abdanken aller Dynastien,
- Regierungsübernahme durch den Arbeiter- und Soldatenrat,
- Sozialisierung,
- 7-stündige Arbeitszeit.
Zur Übergabe dieser Forderungen an die Stadtverwaltung zur Weiterleitung an das Innenministerium begab sich nachmittags ein Zug von nunmehr 5.000 Leuten, darunter etwa 100 Soldaten zum Rathaus. Dort wurden wieder mehrere Reden gehalten und eine Resolution verfasst, in der dem Ministerium der Anschluss an die Stuttgarter Forderungen mitgeteilt wurde. Die Resolution schloss mit der Ankündigung, "die Erfüllung dieser Forderungen ggf. durch die Waffe der Revolution zu unterstützen". Über die Fortsetzung des Streiks traten am nächsten Tag Differenzen zwischen den Anhängern der alten gemäßigten und der radikalen unabhängigen Sozialdemokratie auf. In einer Versammlung am Nachmittag des 6. November setzten sich die Gemäßigten durch und beschlossen die Wiederaufnahme der Arbeit am nächsten Tag. Diese Arbeitswiederaufnahme benutzte nun das Ministerium, um durch einen als Vertreter des Oberamtmanns nach Friedrichshafen entsandten Oberregierungsrat die Unterzeichner der Resolution vom 4. November wegen Verdachts auf Hochverrat festnehmen zu lassen. Am gleichen Tag wurde ein Friedrichshafener Delegierter auf der Rückreise von Stuttgart zusammen mit 2 prominenten Führern der Stuttgarter Spartakisten in Ulm festgenommen. Aber noch im Laufe des gleichen Tages mussten die 5 Arbeiterräte in Friedrichshafen wieder freigelassen werden, nachdem die Maybach-Arbeiter einen neuen Streik angedroht hatten. Die Gewerkschaften sicherten dafür zu, dass sie die Bewegung wieder in die Hand bekommen und für den weiteren geordneten Verlauf aller Versammlungen und Aufzüge sorgen würden.
Samstag, der 9. November, der eigentliche Revolutionstag in Deutschland, verlief in Friedrichshafen offenbar ohne jede Aktion und Versammlung. So wurde in dieser Stadt die Revolution zwar früher als anderswo gefordert, aber dann tatsächlich einen Tag später gefeiert, am Sonntag, zwar unter roten Fahnen, aber mit Glockenläuten der Kirchen und "unter Beteiligung aller Stände".
Quelle
Das Seeblatt berichtete darüber:
"Nun weht auch hier die rote Flagge, das gesamte Straßen- und Stadtbild beherrschend. Die Umwälzung verlief wie in anderen Städten unseres Vaterlandes in völlig geordneten Grenzen. Das verständige Verhalten aller Bevölkerungskreise trug dazu bei, dass Ruhe und Ordnung nicht gestört wurden. Alle staatlichen und städtischen Organe versehen nach wie vor ihren normalen Dienst. Seit gestern tagt im kleinen Rathaussaale der Arbeiter-und Soldatenrat und seit heute stehen alle städtischen, staatl. und militärischen Behörden unter seiner Kontrolle. Alle Militärkommandos haben sich der Bewegung angeschlossen. Die Soldaten gehen unbewaffnet, die Reichskokarde ist von den Mützen entfernt, die Disziplinargewalt der Offiziere unterliegt der Kontrolle des Arbeiter- und Soldatenrats. Eine typische Erscheinung in der Stadt ist die Abnahme der Hoflieferanten-Waffen. Heute Vormittag fand im "Buchhorner Hof" eine Versammlung der Beamten und Angestellten statt, die einen Beamten- und Angestelltenrat bildeten.
Um 9.30 Uhr war Massenversammlung vor dem Saalbau, die Glockengeläute von beiden Kirchen aus ankündigte. In verschiedenen Ansprachen wurde die neue Staatsumwälzung gefeiert. Anschließend an diese Massenkundgebung fand ein großer Demonstrationszug durch die Stadt nach dem Rathausplatz statt, der die nach 8-10.000 zählende Menge nicht fassen konnte und alle anschließenden Straßen füllte.
Im Zuge, den Trommler und die Stadtkapelle eröffneten, befanden sich so ziemlich alle Stände der
Einwohnerschaft und viele Gäste von auswärts. Im einzelnen beteiligten sich hieran: Kriegsinvaliden, der
Arbeiter-, Soldaten- und Bauernrat,
Matrosen des Kommandos LZ 72, der Maybach-Motorenbau GmbH, die Garnison Löwental, der Luftschiffbau Zeppelin GmbH,
Flugzeugbau Friedrichshafen GmbH, die Bodenseeflottille, die Angestellten des Zeppelin-Werks Lindau GmbH, Abteilung
Seemoos, die Fliegertruppen, die Zahnradfabrik Friedrichshafen GmbH, die Flak-Truppen, die Gemeinde- und
Staatsarbeiter und -Angestellten, die Lederfabrik Hüni & Co. und schließlich Ordnungsmannschaften.
Nach Eintreffen des Zuges auf dem Rathausplatz wurde auf dem Rathaus die Rote Fahne der Republik gehisst und mehrere Ansprachen gehalten, von denen jene des Generaldirektors Colsman besonderen Eindruck machte. Er bekannte sich u.a. zu der Tatsache, dass nichts uns retten könne als die internationale Völkerverbrüderung und dass es Verdienst der Sozialdemokratie sei, wenn Deutschland gerettet werde. Wenn es je einen großen Tag in Deutschland gegeben habe, dann sei es der heutige. Um 1/2 1 Uhr löste sich die Demonstration in vollster Ordnung auf."
Aufgaben
Bearbeite weiterhin das Arbeitsblatt "Weltkrieg 1914 - 1918" .
- Arbeite heraus, wer die Revolution in Friedrichshafen unterstützt und wer dagegen ist. Warum?
- Erkläre, wie der Arbeiter- und Soldatenrat gebildet wird. Entspricht diese Prozedur demokratischen Erfordernissen?
- Erläutere die Begriffe "parlamentarische Demokratie" und "Räterepublik".
- Erörtere, warum die Unterstützung für den Arbeiter- und Soldatenrat in der Bevölkerung schnell schrumpfen wird.