Die Integration von Heimatvertriebenen am Beispiel Ravensburg

Hintergrund

Zeittafel


 

28. und 29. April 1945: Franzosen übernehmen Befehlsgewalt
In Ravensburg wurde das Kriegsende für die Bevölkerung dadurch erfahrbar, dass die Franzosen mit der Kontrolle über Rathaus und Kreisleitung die Befehlsgewalt über die Stadt übernahmen. Es wurde eine französische Militärkommandantur eingerichtet, deren Leiter zunächst Capitaine Steiner wurde.

9. Mai 1945: Siegesfeier der Franzosen
Ein Tag nach der Kapitulation der deutschen Wehrmacht feierten die Franzosen in Ravensburg mit einer großen Parade den Sieg. Dazu wurden die Dienstgebäude und das Quartier der Besatzungsmacht mit französischen Wimpeln dekoriert.

Oktober 1945: Nachkriegsbevölkerung
Noch bevor überhaupt Heimatvertriebene nach Ravensburg kamen, gab es bereits im Oktober 1945 im Kreis 7.980 Fremde. Zu diesen zählten deutsche Evakuierte, Vertriebene und Lazarettinsassen, nichtdeutsche „Displaced Persons“ (Polen, Esten, Letten, Litauer, Ungarn, Österreicher, Russen, Spanier, Rumänen und Jugoslawen). Dazu kamen Ende Mai 1945 noch ehemalige französische KZ-Häftlinge aus Mauthausen und anderen österreichischen und deutschen Konzentrationslagern nach Ravensburg.

Ab September 1947: Heimatvertriebene kommen nach Ravensburg
In der Französischen Besatzungszone herrschte im Gegensatz zu den anderen Zonen seit August 1946 eine so genannte „Zuzugssperre“. Das bedeutete, dass nur noch Kriegsheimkehrer, die hier ihren Wohnsitz hatten, zuziehen durften, sowie Kriegsversehrte, die hier bei Verwandten unterkommen konnten. Auch wer in einem festen Arbeitsverhältnis bei einem Arbeitgeber in der französisch besetzten Zone stand, konnte für die Dauer dieses Arbeitsverhältnisses zugelassen werden. Auf Druck der Amerikaner lockerten die Franzosen ab September 1947 die harten Restriktionen, sodass die Zahl der aus ihrer Heimat Vertriebenen kontinuierlich wuchs.

Entwicklung der Zahl der Heimatvertriebenen
Im Hebst 1950 waren es 2.034 gewesen, bis 1955 stieg die Zahl auf 5.080, bis 1961 auf 5.819.
Seit 1960 lag die Gesamtzahl der Heimatvertriebenen, Flüchtlinge und Evakuierten bei rund 18% der Einwohner.
1965 war die Integration und die mit dem Lastenausgleichsgesetz von 1952 verbundene materielle Entschädigung der meisten dieser Neubürger so weit gediehen, dass sie in den amtlichen Statistiken nicht mehr eigens ausgewiesen wurden.

Herkunft der Heimatvertriebenen
Die stichprobenartige Untersuchung der zwischen 1960 und 1972 geführten Ravensburger Einwohnermeldekartei ergab folgende Ergebnisse:
4,65% der untersuchten Einwohner stammten aus Ostpreußen, Hinterpommern oder Schlesien, 2,45% aus dem Sudetenland, Westpreußen oder Danzig. Eine nicht mehr festzulegende Zahl kam aus Rumänien, Jugoslawien, Ungarn, Polen und dem Baltikum.

Ankunft der Heimatvertriebenen in Ravensburg
Die meisten Heimatvertriebenen kamen mit dem Zug in Ravensburg an. Viele hatten nach ihrer Flucht aus der Heimat bereits einige Zeit in verschiedenen Lagern vor allem in Nord- oder Nordwestdeutschland verbracht. Einige hatten sich Ravensburg als Zielort ausgesucht, weil bereits andere Verwandte vor Ort waren oder sie erfahren hätten, dass sie in den hiesigen Firmen gute Aussichten auf einen Arbeitsplatz hatten. Außerdem spielte die Nähe zum Bodensee und zu den Bergen eine Rolle bei der Ortswahl.
Zuerst kamen die Heimatvertriebenen in das „Durchgangslager“ in Weingarten oder eines der ehemaligen Kriegsgefangenenlager in Ravensburg.
Dort wurden die Heimatvertriebenen entlaust, bürokratisch erfasst und erhielten einen Flüchtlingsausweis.

Wohnungssituation der Heimatvertriebenen
Das städtische Wohnungsamt versuchte die Heimatvertriebenen in Teilwohnungen bei Einheimischen unterzubringen. Viele Familien mussten sich eine Küche oder ein Bad teilen, dies führte unweigerlich zu Auseinandersetzungen zwischen den Vertriebenen und den Einheimischen. Zwar wurden ab 1949 der Ausbau von Dachgeschossen und die Einrichtung von Notwohnungen auf Dachböden staatlich gefördert, dies linderte die Wohnungsnot jedoch nur bedingt. Einige Heimatvertriebene konnten über ihren Arbeitgeber, z.B. die Firma Escher-Wyss, firmeneigene Wohnungen mieten und diese später kaufen.
Erst ab 1950 wurden neue Baugebiete erschlossen, beispielsweise am Sonnenbüchel, aber auch in den umliegenden Gemeinden entstanden Neubausiedlungen, die größtenteils von Heimatvertriebenen gebaut und bezogen wurden.

Ravensburger Landsmannschaften
In Ravensburg wurden in der Nachkriegszeit Landsmannschaften aller großen Gruppen von Vertriebenen gegründet. Verbunden waren die Mitglieder durch dieselbe Herkunft und dasselbe Schicksal. Die Treffen dienten dem Austausch, dem Kulturerhalt und der politischen Interessensvertretung. Folgende Landsmannschaften wurden gegründet:
1948: Pommern
1952/53: Danziger
1953/54: Schlesier
1954: Ostreußen, verbunden mit den Westpreußen

Ostdeutsche Heimatsammlung
Die Landsmannschaften hatten am 24. September 1978 in Ravensburg eine Heimatsammlung eröffnet, dessen Leiter, von Beginn an bis zur Auflösung im Jahr 2012, Dietrich Otto Zlomke war.
Die Dauerausstellung war auf ca. 90qm in die Regionen der Landsmannschaften unterteilt. Für Heimatsammlungen typisch bestand die Ausstellung in Ermangelung an Originalen fast ausschließlich aus Abbildern von Originalen.
Sinkende Besucherzahlen und Probleme bei der Besetzung der Aufsichten führten zur Beendigung der regulären Öffnungszeiten und 2012 zur Auflösung der Heimatsammlung.

Repräsentation der Geschichte der Heimatvertriebenen im Stadtmuseum
Im Jahr 2009 verstarb die Heimatvertriebene Margarete Philipp und hinterließ der Stadt Ravensburg eine großzügige Spende, verbunden mit dem Wunsch, dass die Erinnerung an die Vertriebenen in der Stadtgeschichte präsent bleiben sollte. Daraufhin wurde mit ausgewählten Objekten aus der ehemaligen Heimatsammlung im städtischen Museum Humpis-Quartier 2014 zunächst eine Sonderausstellung und später die Kabinettausstellung „Meine Heimat im Glas“ eingerichtet. Damit sind die Heimatvertriebenen als Teil der Ravensburger Stadtgeschichte dauerhaft repräsentiert.


- Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte an der ZSL-Regionalstelle Tübingen -


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