Franz von Sickingen und das Aufbegehren des Ritteradels im Zeitalter von Reichsreform und Reformation
Hintergrund
Bedeutung
Die Epochenwende vom Mittelalter zur Neuzeit brachte der Ritterschaft nicht den Untergang, wohl aber befand sich der niedere Adel um 1500 in einer Umbruchssituation, die den Einzelnen insbesondere dann in eine schwere Krise zu stürzen vermochte, wenn er weder über eine hinreichend große Grundherrschaft noch ein verwandtschaftliches Netzwerk oder ein lukratives Dienstverhältnis zu einem fürstlichen Lehnsherrn verfügte.
Ausgelöst wurde der krisenhafte Wandel vornehmlich durch vier Faktoren:
1. erlitten die Ritter durch das Aufkommen von Feuerwaffen und den Einsatz von Söldnerheeren generell einen militärischen Bedeutungsverlust. Mochte der gerade gegen Ende des 15. Jahrhunderts zu beobachtende Aufschwung des Turnierwesens auch der Stärkung des ritterlichen Selbstbewusstseins dienen - die Zeit der gepanzerten Einzelreiter war fortan für immer vorbei.
2. wurde nichtfürstlichen Adligen durch die Reichsreformbewegung, die seit 1495 auf die Durchsetzung eines Ewigen Landfriedens bzw. den rechtlichen Konfliktaustrag vor dem Reichskammergericht abzielte, grundsätzlich das Recht zur autonomen Gewaltanwendung bestritten.
3. drohte den Rittern die Gefahr einer Mediatisierung durch die mächtigeren Landesfürsten, welche sich zunehmend um die Arrondierung und den administrativen Ausbau ihrer Territorien sowie um die Erlangung der Steuer- und Gerichtshoheit bemühten.
4. gerieten die Ritter durch die wachsende wirtschaftliche Kraft der Städte in eine finanzielle Konkurrenzsituation, die ihr Prestige stark beeinträchtigte bzw. ihr adliges Selbstverständnis in Frage stellte.
Diese Situation trieb zahlreiche Niederadlige bereits zu Beginn des 16. Jahrhunderts in die Opposition, und zwar dergestalt, dass sie zur Wahrung ihrer vermeintlichen Rechte zu dem typisch mittelalterlichen Instrument der Fehde griffen. Ab 1500 zeigte sich dabei allerdings eine verstärkte Tendenz zur Kommerzialisierung, d. h. dass sich die Fehdeführer - die im Übrigen keineswegs nur aus dem verarmten Ritteradel stammten - zunehmend die Ansprüche Dritter zu Eigen machten und diese mit persönlichem Gewinn gewaltsam durchzusetzen versuchten.
Franz von Sickingen machte in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Im Vergleich zu den bescheideneren Aktionen kleiner „Raubritter“ setzten seine Fehden allerdings völlig neue Maßstäbe und zwar sowohl in der Art ihrer Durchführung als auch im Hinblick auf ihre Zielsetzung.
Außergewöhnlich war Sickingen erstens darin, dass er dank seiner finanziellen Ressourcen und seiner verwandtschaftlichen Verbindungen Söldnerheere mobilisieren konnte, die in die Tausende zählten, dass er sich militärtechnisch im Angriff wie bei der Fortifikation seiner Burgen auf der Höhe seiner Zeit bewegte und sich - lange vor dem Dreißigjährigen Krieg - wie ein moderner Condottiere oder Kriegsunternehmer verhielt, der seine Truppen durchaus opportunistisch auch in den Dienst fremder Herren stellte und nach der Maxime handelte, dass der Krieg den Krieg ernähren müsse.
Außergewöhnlich war Sickingen zweitens insofern, als er den Ideen der Reformation sehr nahe stand und diese auch politisch umzusetzen versuchte. So gewährte er neben Ulrich von Hutten zeitweilig auch dem aus dem Dominikanerorden ausgetretenen Heidelberger Humanisten und späteren Straßburger Reformator Martin Bucer sowie dem ehemaligen Pforzheimer Priester und späteren Reformator von Pfalz-Zweibrücken Johannes Schwebel seinen Schutz auf der Ebernburg, ließ seine persönlichen Überzeugungen in einer vermutlich von letzterem verfassten programmatische Flugschrift (‚Sendbrief an Dieter von Handschuhsheim‘) verbreiten und bemühte sich frühzeitig um den Aufbau eines evangelischen Kirchenwesens.
Vor allem aber machte er sich mit seiner Fehde gegen den Erzbischof von Trier die von Luther heraufbeschworene Infragestellung der politischen Herrschaft des geistlichen Standes zu eigen - wobei freilich offen ist, wie die konfessionellen bzw. machtpolitisch-finanziellen Beweggründe für seinen letztlich gescheiterten Säkularisationsversuch zu gewichten sind.
Außergewöhnlich war Sickingen drittens aber auch in der Hinsicht, dass er zeitweilig großen Rückhalt bei seinen Standesgenossen besaß und 1522 im pfälzischen Landau eine Einung von ca. 600 rheinischen, elsässischen und Kraichgauer Rittern zuwege brachte, die wohl weniger der taktischen Vorbereitung der Trierer Fehde als vielmehr der internen Konfliktregelung dienen und damit die Reichsjustiz ins Leere laufen lassen sollte. Seine Bedeutung als Anführer einer vermeintlichen Adelsrevolution ist indes nach Meinung der Forschung v. a. symbolischer Natur. Schon vor, erst recht aber nachdem er der übermächtigen Koalition seiner fürstlichen Gegner (Trier, Hessen, Pfalz) unterlegen war, wurde er von seinen Standesgenossen (etwa in dem fiktiven ‚Dialog mit St. Petrus an der Himmelspforten‘) zum Schirmherr ihrer althergebrachten Privilegien bzw. zum Garanten der zur Disposition stehenden Autonomie des Ritteradels stilisiert.
Ein solcher war er alles in allem wohl ebenso wenig wie der Führer einer evangelischen Bewegung. In seiner gescheiterten Opposition gegen die zukunftsweisenden Tendenzen einer neuen Zeit (Territorialisierung) bei gleichzeitiger Instrumentalisierung von Ideen eben dieser neuen Zeit (Reformation) zum allgemeinen, in erster Linie aber zum eigenen Vorteil (Kriegsunternehmer) spiegelt sich dennoch in beeindruckender Weise die fundamentale Unsicherheit und relative Offenheit des Epochenumbruchs um 1500, den an einem individuellen Schicksal möglichst konkret begreifbar zu machen ein zentrales Anliegen in Klasse 7 sein muss.
- Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte RP Karlsruhe -