" … vnd von den, so sy besitzen vnd beschirmen solten, hand sy vns geschunden vnnd geschaben, …"
Hintergrund
Landesgeschichte/Landeskunde Baden-Württemberg
Bedeutung
In den Zwölf Artikeln des Sebastian Lotzer, deren Erstausgabe am 19. März 1525 bei Melchior Ramminger in Augsburg gedruckt wurde und von denen sich mindestens 27 weitere Druckauflagen in Windeseile über ganz Mitteleuropa verbreiteten, entfalteten während des Deutschen Bauernkriegs die zahlreichen Forderungen der Bauern ihre katalytische Wirkung vom Harz bis an die Adria und von den Vogesen bis zu den Ostalpen.
Das Manifest des Bauernkriegs wurde von Lotzer aus rund 300 dörflichen Beschwerden zu einem Text redigiert, sprachlich und argumentativ prägnant gefasst sowie biblisch begründet. Seine große Leistung bestand darin, in einer Krise der ökonomischen, sozialen und politischen Verhältnisse das Wesentliche vom Unwesentlichen zu trennen und die daraus resultierenden Forderungen knapp und einprägsam zu formulieren.
Dies wurde in der damaligen Zeit von den Aufständischen sofort erkannt und auch gewürdigt, weshalb die Zwölf Artikel zum entscheidenden Manifest der Bauernbewegung wurden. Sie sind ein Monument deutscher Freiheitsgeschichte, die in ihrem Kern die Überzeugung von der Universalität der Menschenrechte enthalten. Sie stehen in einer langen Tradition, die vom Propheten Amos bis zu Martin Luther King, von Dietrich Bonhoeffer bis zu Bischof Carlos Filipe Ximenes Belo reicht.
Die Zwölf Artikel erinnern daran, dass Freiheit sich nicht von selber versteht, sondern dass sie ersehnt, erkämpft und verteidigt werden muss.
Das Grundanliegen der Bauernerhebung formulierte Sebastian Lotzer im Stile eines Paulusbriefs in der Vorrede zu den Zwölf Artikeln: Das Begehren der vereinigten Bauernhaufen ist, das Evangelium zu hören und dem gemäß zu leben, dem gemäß auch das gesellschaftliche Leben auszurichten. Grund und Grenze aller Forderungen der Bauern ist das Wort Gottes, wie es in der Bibel bezeugt wird. In drängenden Fragesätzen appelliert Lotzer an den lebendigen Gott selber, an seine Verheißung, den Armen zu Hilfe zu kommen. Das Wort des lebendigen Gottes, wie es in der Bibel bezeugt ist, ist Leitbegriff, weshalb der erste Artikel fordert, dass die von der Gemeinde erwählten Pfarrer das heilige Evangelium lauter und klar ohne allen menschlichen Zusatz, Lehre und Gebot predigen sollen.
Die weiteren von Lotzer prägnant gefassten Forderungen vereinheitlichten und radikalisierten gleichermaßen die vielen lokalen und regionalen Beschwerden und beanspruchten als Artikel Rechtsverbindlichkeit, ja sogar Verfassungsrang. Die Forderungen der Zwölf Artikel sind gemeindeorientiert: Die Verwendung des Großzehnten zur Besoldung des Pfarrers und für sozial-caritative Zwecke in der Gemeinde, der Bezug von Bau- und Brennholz, der Erhalt dörflicher Genossenschaftsrechte wie freie Jagd und Fischfang sowie der gemeinschaftlichen Allmende. Nimmt man die Bundesordnung der Christlichen Vereinigung hinzu, so kann man dieses politische Programm kommunal, korporativ, bündisch nennen: Die Gewalt im Land wächst aus den Gemeinden heraus, die sich selbstverantwortlich in einem Landfriedensbund organisieren. Im heutigen Sprachgebrauch würde man dies elementare Basis-Demokratie nennen.
Die Forderungen der Zwölf Artikel anerkennen eine staatliche Ordnung, deren Herrschaftsanspruch am Grundsatz der sozialen Gerechtigkeit seine Grenzen findet: Die Abschaffung des Klein- oder Viehzehnten, die Minderung bzw. teilweise Vergütung der Frondienste, die Festsetzung der Pachtzinsen, die Höhe der Gerichtsbußen sowie die Abschaffung des Todfalles. Die Forderungen der Zwölf Artikel beharren auf Rechtsstaatlichkeit: Die Abschaffung der Willkür in Gerichtssachen.
Der biblisch-radikale dritte Artikel fordert die Abschaffung der Leibeigenschaft. Die Freiheit und menschliche Würde ist das erste und elementare Menschenrecht, das in der biblischen Gotteserfahrung fußt, und wird gleich dreifach begründet: Theologisch mit dem Bezug auf den Erlösertod Christi, naturrechtlich im Hinblick auf die Schöpfungsordnung und ethisch mit dem Verweis auf die Nächstenliebe.
Dieser im Evangelium begründete Freiheitsbegriff der Zwölf Artikel findet sich mehr als 250 Jahre später in den Schlagworten der Französischen Revolution wieder: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.
- Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte RP Karlsruhe -