Demokratische Orientierung durch Geschichte? Der Fall „Kalle“ aus Offenburg 1847

Hintergrund

Zeittafel


 

1803: Offenburg verliert den Status einer Freien Reichstadt und wird in das Kurfürstentum Baden, ab 1806 in das Großherzogtum Baden aufgenommen.

22. August 1818: Großherzog Carl unterzeichnet im Kurort Bad Griesbach im Schwarzwald die von Karl Friedrich Nebenius ausgearbeitete Verfassung des Großherzogtums Baden. In ihren insgesamt 19 Artikeln zu den „Staatsbürgerlichen und politischen Rechten der Badener und besonderen Zusicherungen“ gewährt die badische Verfassung den Untertanen im Großherzogtum Baden bereits wesentliche Grundrechte. 

7. April 1824: Karl Heinrich Schaible wird in Offenburg als Sohn des Landarztes Karl Schaible geboren und später katholisch getauft. 

Vormärz: Offenburg entwickelt sich zu einer Hochburg der badischen Liberalen. Seit 1845 hat es einen liberalen Bürgermeister (Gustav Rée). Die Eisenbahn fördert seit 1844 den wirtschaftlichen Aufschwung.

März bis Mai 1840: Im badischen Landtag debattiert die Zweite Kammer die geplante Modernisierung von Strafrecht und Strafprozessrecht. Diese wird auf Eis gelegt, weil die Erste Kammer die Beratungen darüber verschleppt. Zu dieser Zeit (1838-1843) führt der „Liberalenschreck“ Friedrich Karl Landolin von Blittersdorf die Regierungsgeschäfte in Baden.

Februar/ März 1845: In Baden werden ein neues Strafgesetzbuch und eine neue Strafprozessordnung sowie eine neue Gerichtsverfassung verkündet. Die Staatsanwaltschaft wird dabei neu eingeführt. Strafprozessordnung und Gerichtsverfassung treten jedoch vorläufig nicht in Kraft. Es gelten weiterhin die Regelungen aus den Jahren 1831 und 1837. Die praktische Umsetzung dieser Reformen zieht sich bis weit in die 1850er Jahre hin.

1. Mai 1847: Trotz dieser Justizreformen beginnt ein Ermittlungsbeamter in Rastatt unter Ausschluss der Öffentlichkeit ein schriftliches und zugleich geheimes Untersuchungsverfahren „wegen Verbreitung aufrührerischer Schriften“ gegen Karl Heinrich Schaible, der zuvor von der Polizei auf dem Heimweg von Heidelberg nach Offenburg in Rastatt verhaftet und als Staatsverbrecher ins Gefängnis gebracht worden war.

12. September 1847: Im Festsaal des Gasthauses „Salmen“ in Offenburg versammeln sich die „Entschiedenen Freunde der Verfassung“ des Landes Baden, darunter Gustav Struve und Friedrich Hecker. Sie verkünden dort 13 Offenburger Forderungen, die in ihrer inhaltlichen Zuspitzung das bis heute frühste nachgewiesene Grundrechtsprogramm in der deutschen Demokratiegeschichte darstellen.
November 1847: Karl Heinrich Schaible wird auf Rat des Gefängnisarztes gegen Kaution vorzeitig aus dem Rastatter Gefängnis nach Hause entlassen, nachdem sich sein Gesundheitszustand erheblich verschlechtert hatte.

30.12.1847: Karl Heinrich Schaible wird in Abwesenheit vom Hofgericht in Bruchsal, das zwischenzeitlich die Rastatter Untersuchungsakten aus dem geheimen Inquisitionsverfahren gesichtet und beurteilt hatte, wegen „Versuch des Hochverrats“ zu einem Jahr „Arbeitshaus“ verurteilt.

Januar 1848: Ein Beamter aus dem Oberamt Offenburg liest dem bettlägerigen Karl Heinrich Schaible zuhause das Gerichtsurteil des Hofgerichts Bruchsal vor. Gegen dieses Urteil legt Karl Heinrich Schaible Beschwerde beim Oberhofgericht in Mannheim ein. Seine Haftstrafe tritt er aus gesundheitlichen Gründen nicht an.  

19. März 1848: In Offenburg versammeln sich ca. 20.000 Menschen zu einer „Volksversammlung“.

März 1848: Im Verlauf der „Märzrevolution“ kommt die badische Regierung dem Druck der Straße auch dadurch entgegen, dass sie zuvor von Gerichten ausgesprochene Strafen für „politische Vergehen“ generell erlässt. Karl Heinrich Schaible muss daraufhin seine Haftstrafe nicht mehr antreten.

April 1848: Friedrich Hecker (36 Jahre alt) macht sich mit bewaffneten Unterstützern zu Fuß von Konstanz auf, um die Regierung in Karlsruhe gewaltsam zu stürzen und die Republik in Baden auszurufen. Karl Heinrich Schaible (noch 23 Jahre alt) radikalisiert sich ebenfalls. Er unterstützt diesen Aufstand und gehört zu denjenigen jungen Offenburgern, die den Offenburger Bahnhof besetzen und Barrikaden gegen anrückende hessische Regierungstruppen errichten. Friedrich Heckers Aufstand wird niedergeschlagen und Karl Heinrich Schaible flieht am 19. April 1848 als „rückfälliger Hochverräter“ nach Straßburg, wo bis zum Frühjahr 1849 als politischer Flüchtling unterkommt.

18. Mai 1848: In der Paulskirche in Frankfurt a.M. tritt die Nationalversammlung zusammen. Es ist das erste freigewählte Parlament auf nationaler Ebene in Deutschland.  

11./12. Mai 1849: In Rastatt schließen sich Soldaten, die dort in der Bundesfestung stationiert sind, erstmals der Revolution an. 

12./13. Mai 1849: In Offenburg versammeln sich ca. 35. – 40.000 Menschen auf dem Landeskongress der badischen Volksvereine und der allgemeinen Landesvolksversammlung. Karl Heinrich Schaible kehrt am 14. Mai aus Straßburg zurück und übernimmt das Kriegskommissariat für den Bezirk Offenburg. In dieser Funktion setzt er sich mit Nachdruck für republikanische Ziele der Revolution ein. 

13./14. Mai 1849: Großherzog Leopold flieht aus Karlsruhe. Der Landesausschuss der Volksvereine übernimmt die Regierungsgeschäfte.

1. Juni 1849: In Karlsruhe wird eine provisorische Regierung für Baden unter Vorsitz von Lorenz Brentano (35 Jahre alt) gebildet. Baden wird de facto die erste Republik in Deutschland.

10. Juni 1849: In Karlsruhe wird die am 3. Juni nach demokratischem Wahlrecht gewählte Verfassungsgebende Versammlung eröffnet.

18. Juni 1849: In Stuttgart wird der letzte Rest von Abgeordneten der mittlerweile aufgelösten Frankfurter Nationalversammlung von württembergischen Truppen ohne Blutvergießen auseinandergetrieben.  

23. Juli 1849: In Rastatt kapitulieren Soldaten der Bundesfestung gegenüber den von Preußen geführten Truppen des Deutschen Bundes. Damit endet in Baden die Revolution 1848/49.

Juli 1849: Karl Heinrich Schaible setzt sich während der Niederschlagung der Revolution auf Umwegen wieder nach Straßburg ab. Er wird zur Fahndung ausgeschrieben, stellt sich aber nicht den Behörden. Zur Strafe wird ihm die badische Staatsbürgerschaft aberkannt. Überwacht von deutschen Geheimagenten bleibt er im Exil in Frankreich, zunächst in Nancy, später in Paris.

Oktober 1850: Das Hofgericht Bruchsal verurteilt ihn in Abwesenheit zu zwei Jahren Zuchthaus.

1853: Karl Heinrich Schaible zieht nach England, nimmt die britische Staatsangehörigkeit an und beginnt eine erfolgreiche Karriere als Akademielehrer für Medizin.

1861: Die badische Regierung erlässt denjenigen, die seit 1849 wegen Teilnahme an der Revolution politisch verfolgt worden waren, generell die Strafen. Mit Hilfe seines Anwaltes Gustav Rée führt Karl Heinrich Schaible 10 Jahre lang einen Prozess gegen den Staat Baden, der sein Vermögen beschlagnahmt hatte. Der Prozess endet mit einem Vergleich, in dem Karl Heinrich Schaible 7000 Gulden zahlen muss.

1871: Deutschland wird Kaiserreich.

1883: Karl Heinrich Schaible geht im Alter von 59 Jahren in den Ruhestand und kehrt aus dem Exil in England nach Baden zurück.

1899: Karl Heinrich Schaible stirbt im Alter von 75 Jahren in Heidelberg. 


- Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte RP Freiburg -


Der Text dieser Seite ist verfügbar unter der Lizenz CC BY 4.0 International
Herausgeber: Landesbildungsserver Baden-Württemberg
Quelle: https://www.schule-bw.de

Bitte beachten Sie eventuell abweichende Lizenzangaben bei den eingebundenen Bildern und anderen Dateien.