"Die Mörder sind unter uns" - Der Ulmer Einsatzgruppenprozess 1958
Methodenvorschlag
Verlaufsplanung mit Materialien
Zeit / Phase | Inhalt / methodische Hinweise | Material |
1. Doppelstunde: „Kommissar Zufall“ – Die Ermittlungen |
Sek II | |
1.1 Einstieg: DEFA-Plakat „Die Mörder sind unter uns“ |
Das DEFA-Plakat zum Film „Die Mörder sind unter uns“ (1946) wird eingeblendet. (Hier handelt es sich um den ersten deutschen Spielfilm nach dem Zweiten Weltkrieg, in dem es um einen NS-Kriegsverbrecher geht, der unbehelligt in Berlin lebt, aber von einem ehemaligen Untergebenen erkannt wird.) Die Schülerinnen und Schüler sammeln Fragen zum Titel. Im Unterrichtsgespräch sollte zum Thema „Unentdeckte bzw. nicht verurteilte NS-Verbrecher“ hingeführt werden. Wünschenswert wäre es, schon hier zu differenzieren, aus welchen Tatbereichen es 1946 „Mörder“ geben könnte. |
D 1 |
1.2 Übergang / Problematisierung: Zeitungsbericht (Titel) von 1955 über einen „wieder aufgetauchten SS-Oberführer“; Gründe für die verzögerte Aufarbeitung von NS-Verbrechen |
Zeitungsartikel vom 25.5.1955: zuerst wird nur die Überschrift (SS-Oberführer wieder „aufgetaucht“) eingeblendet: - Was heißt „wieder ‚aufgetaucht‘“? - Warum (erst) 1955? Evtl. Thesen sammeln oder gleich zum Darstellungstext über die Aufarbeitung von NS-Verbrechen in den 1950er Jahren. AA: Die Schülerinnen und Schüler markieren oder arbeiten die Gründe für die verzögerte Aufarbeitung heraus. Besprechung |
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1.3 Überleitung und Erarbeitung I: Auswertung des Zeitungsartikels: Warum wird der SS-Oberführer enttarnt? |
Zurück zum Zeitungsartikel vom Mai 1955: Wie kam es zu der „Entdeckung“ des ehemaligen SS-Oberführers? Die Schülerinnen und Schüler arbeiten den Text durch; evtl. kann dieser auch gemeinsam gelesen werden, um unbekannte Begriffe oder Sachverhalte gleich klären zu können, z.B.. - Flüchtlingslager in Ulm-Wilhelmsburg: Es handelt sich überwiegend um Flüchtlinge aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten. - als „nicht betroffen“ entnazifiziert: Fischer-Schweder hatte in seinem Entnazifizierungsbogen falsche Angaben gemacht. - „Partisanenbekämpfung“: tatsächlich handelte es sich hier um Mordaktionen an Zivilisten, v.a. Juden in den neu eroberten Gebieten im Osten. Bei der Besprechung sollte auf die Problematik der häufig lückenhaften Entnazifizierung eingegangen bzw. daran angeknüpft werden. Es wird auch deutlich, dass sich Fischer-Schweder in den 1950er Jahren in der BRD offenbar sicher vor einer Anklage fühlte, da er auf Wiedereinstellung in den Staatsdienst klagte. Außerdem sollte beachtet werden, dass die Enttarnung und letztlich der Prozess auf einer Reihe von Zufällen basierte („Kommissar Zufall“). Schließlich ist zu berücksichtigen, dass Fischer-Schweder stellvertretend für Tausende von Tätern steht, die bis dahin nicht zur Rechenschaft gezogen wurden. |
AB 1 |
1.4 Input / Überleitung: Hintergründe des Ulmer Prozesses; Begriffsklärungen: Einsatzgruppen, Einsatzkommando Tilsit |
Die Lehrkraft fasst mithilfe von D 3 kurz zusammen, wie es zu dem Einsatzgruppenprozess gegen Fischer-Schweder und neun weitere Angeklagte kam. Anschließend lernen die Schülerinnen und Schüler mithilfe von D 4 den historischen Hintergrund zu den Einsatzgruppen und zum Einsatzkommando Tilsit kennen. |
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1.5 Erarbeitung II: Ermittlungen zu den Mordaktionen des Einsatzkommandos Tilsit |
In vier bis fünf Gruppen ermitteln die Schülerinnen und Schüler wichtige Indizien bzw. Informationen zum Tathergang im deutsch-litauischen Grenzgebiet im Sommer 1941 und zu den Tätern. AA: Markiert bzw. notiert alle für den späteren Prozess wichtigen Informationen. Bereitet euch darauf vor, diese den anderen Gruppen vorzustellen, zu erklären und – so weit möglich – zu beurteilen. Es bietet sich an, die Zuteilung nach Interesse vorzunehmen. Die Ermittlung kann auch als Gruppenpuzzle organisiert werden. Folgende Themenbereiche stehen zur Auswahl:
AB 6 kann auch zur Vertiefung oder als Hausaufgabe eingesetzt werden. Wenn möglich, werden die Ergebnisse der Gruppen an einer Metaplanwand gesammelt (oder digital z.B. bei Moodle Board – allerdings sind hier nur sehr kurze Texte oder Bilddateien möglich); als Vorarbeit für die „Lagebesprechung“ in der zweiten Doppelstunde. |
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1.6 evtl. Hausaufgabe: „Befehlsnotstand“ | Hier kann das Prozessgutachten zum „Befehlsnotstand“ (AB 6) ausgelagert werden. Ggf. müssen die Gruppen ihre Präsentationen bzw. Notizen fertigstellen. Sollte eine digitale Pinnwand verwendet werden, können die Gruppenmitglieder unkompliziert die interne Arbeitsteilung absprechen. | AB 6 |
2. Doppelstunde: : „Monsterprozess“ – Der Ulmer Einsatzgruppenprozess, seine Wirkung und Folgen |
Sek II | |
2.1 Abstimmung GA / Vorbereitung auf Präsentation | Je nach Stand der GA müssen die Ergebnisse zusammengeführt und die Präsentationen vorbereitet werden. | |
2.2 Einstieg: Erschießungen in Liebau |
Vor der Präsentation der Ergebnisse kann – als Einstieg in das Thema Einsatzgruppen – die 1:17-minütige Filmaufnahme einer Erschießungsaktion in Liepaja (= Liebau), Lettland gezeigt werden: Eine kurze Besprechung des Gesehenen schließt sich an. Die Gruppen mit den Zeugenaussagen sollten die Situation einordnen können. Dies kann auch als Übergang zur Präsentation der Ergebnisse dieser Gruppen dienen. |
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2.3. Präsentation: Lagebesprechung |
Mithilfe der Metaplantafel (oder der digitalen Pinnwand) werden die Gruppenergebnisse vorgestellt, erklärt und ggf. beurteilt (siehe AA). Je nach Dynamik kann begleitend über einzelne Aspekte diskutiert werden. Vor allem der Bezug des Angeklagten Harms (wie überhaupt fast aller Angeklagten in den deutschen Nachkriegsprozessen) auf einen „Befehlsnotstand“ wird für Diskussionsstoff sorgen. Hierzu kann das Gutachten AB 6 herangezogen werden. Die dortige Argumentation entspricht weitgehend dem heutigen Forschungsstand. |
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2.4. Übergang: Prozess |
In einem kurzen Input gibt die Lehrkraft einen Überblick über den Prozessverlauf: Zeitgenossen sprachen auch vom „Monsterprozess“, damit wird zum einen auf den Umfang der Ermittlungen und der Verhandlungen angespielt – es handelte sich um das bis dato umfangreichste deutsche Strafverfahren der Nachkriegszeit –, aber vor allem auf die Monstrosität der ans Licht gebrachten Verbrechen der Einsatzgruppen. - Anklage gegen zehn Angehörige des Einsatzkommandos Tilsit: Ein ganzer Verbrechenskomplex wird vor Gericht gebracht. - monatelange Recherchen und Vernehmungen 1956/57; - 184 Zeugenaussagen (z.T. aus Übersee eingeflogen); - 3 1/2 Regalmeter Leitz-Ordner voller Prozessakten - über 60 Verhandlungstage (28. April bis 29. August 1958); - Rekonstruktion von über 30 Mordaktionen; - dichte Berichterstattung in der Presse, auch überregional. |
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2.5. Erarbeitung I: Pressebericht zum Prozess sowie Plädoyers der Verteidigung |
Je nach Zeit wird hier thementeilig vorgegangen (oder die Lehrkraft trifft eine Auswahl): Ein Teil der Klasse wertet (in EA oder PA) den SZ-Bericht (AB 7) aus, ein anderer Teil die Plädoyers (Auszüge) der Verteidiger von Fischer-Schweder und Harms (AB 8a). Zu Letzterem gibt es eine gekürzte Version (AB 8b). Das Plädoyer des Harms-Verteidigers Schelbert, der mit seinem Reflexionsvermögen deutlich gegenüber den anderen Verteidigern hervorsticht, könnte auch Gegenstand einer vertieften Analyse oder einer handlungsorientierten Hausaufgabe sein: Verfasst einen Brief an Heinz Schelbert und nehmt Stellung zu seiner Argumentation. |
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2.6. Besprechung: im Plenum | Auch hier muss, je nach Dynamik, auf einzelne Aspekte näher eingegangen und je nach Interesse diskutiert werden. | |
2.7. Übergang / Erarbeitung II: Reaktionen der Öffentlichkeit |
Das große Medienecho führte auch zu Reaktionen der Bevölkerung, ob als Leserbriefe oder als Zuschriften an das Gericht. Dabei gab es sowohl positive Rückmeldungen als auch Kritik und Ablehnung. Die Schülerinnen und Schüler werten drei solcher Briefe (AB 9) aus. (Diese Textauswertung kann auch als vertiefende Hausaufgabe erfolgen. Oder im fächerübergreifenden Unterricht mit Deutsch als Grundlage für eine Stellungnahme genutzt werden.) |
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2.8. Schluss und Ausblick: Urteile im Prozess und Prozessfolgen |
Die ersten knapp 2 Minuten der Urteilsverkündung werden als Audio (mit Fotos der Angeklagten) eingespielt: www.youtube.com/watch?v=sVSUg6k7Q-8 Zusätzlich bzw. begleitend wird die Übersicht über die zehn Urteile eingeblendet. Vermutlich möchten sich Schülerinnen und Schüler dazu äußern.
Die Folgen des Prozesses werden von der Lehrkraft zusammengefasst: - Einrichtung der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg, um das Prinzip „Kommissar Zufall“ durch eine systematische Aufklärung zu ersetzen. Die Erforschung des Verbrechenskomplexes durch die Ermittler im Ulmer Prozess diente dabei als Modell für die künftigen Vorermittlungen dieser Zentralen Stelle (D 3). - tatsächliche Haftzeiten der Verurteilten im Prozess werden eingeblendet. (D 5) |
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2.9. Vertiefung / Ausblick II: Heutige Rechtsauffassung |
Je nach Interesse bzw. Zeitmanagement können die Urteile im Ulmer Einsatzgruppenprozess mit den späten Verfahren der Gegenwart verglichen werden. Die Wende in der Urteilsfindung wird durch den Demjanjuk-Prozess 2011 und das BGH-Urteil von 2016 markiert. Auch D 6 liefert Diskussionsanlässe. Als Resümee kann auf den Anfang Bezug genommen werden: „Die Mörder sind unter uns“ – Diskutiert die Bedeutung dieses Sachverhalts für die Gesellschaft / für die Menschen in der frühen Bundesrepublik. |
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- Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte an der ZSL-Regionalstelle Tübingen -
Herausgeber: Landesbildungsserver Baden-Württemberg
Quelle: https://www.schule-bw.de
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