„Frage der Etikette“ oder „Kampf um die Republik“?

Der Konflikt zwischen den Sigmaringer Regierungspräsidenten und dem Haus Hohenzollern in der Weimarer Republik

Hintergrund

Zeittafel


11. August 1919
Artikel 109 der Weimarer Reichsverfassung verfügt die Gleichheit aller Deutschen vor dem Gesetz sowie die Aufhebung „aller Vorrechte oder Nachteile der Geburt oder des Standes“. Adelstitel dürfen nur noch als „Teil des Namens“ geführt werden. Titel dürfen nur noch vergeben werden, wenn sie „ein Amt oder einen Beruf bezeichnen“.

23. Juni 1920
Preußisches Gesetz „über die Aufhebung der Standesvorrechte des Adels und die Auflösung der Hausvermögen“. Adligen wird der Anspruch auf die Prädikate „Königliche Hoheit, Hoheit, Durchlaucht und dergleichen und auf besondere Ehrungen“ entzogen. Aufgrund der republikanischen Gesetzgebung darf Wilhelm von Hohenzollern (1864-1927) zwar die Bezeichnung „Fürst“ behalten, nun aber nicht mehr als Titel („Fürst Wilhelm von Hohenzollern“), sondern als Teil des Nachnamens („Wilhelm Fürst von Hohenzollern“). Nach seinem Tod wird der Familienname zu „Prinz von Hohenzollern“.

  

B 2:

Emil Belzer (1860-1930), Regierungspräsident des preußischen Regierungsbezirks Sigmaringen 1919-1926. Der Regierungsbezirk Sigmaringen unterstand direkt den preußischen Ministerien.

 

 

11. November 1922
Die Beflaggung des Sigmaringer Rathauses am Geburtstag Wilhelm von Hohenzollerns wird durch einen Erlass des preußischen Innenministers an den Regierungspräsidenten als „mit dem geltenden Rechtszustand unvereinbar“ erklärt.

Juni 1923
Die KPD-Zeitung „Die Rote Fahne“ veröffentlicht einen Brief Wilhelm von Hohenzollerns an seinen Bruder, in dem er den ersten demokratischen Regierungspräsidenten Hohenzollerns, Emil Belzer (Zentrumspartei, 1860-1930), in offensichtlicher antirepublikanischer Gesinnung als „vertrauensunwürdige Persönlichkeit“ und „Erfüllungspolitiker“ beschimpft. Wilhelm ist nicht bereit, sich zu entschuldigen. In der Folge bricht der Regierungspräsident den persönlichen Kontakt zu den Hohenzollern ab.

1. April 1926
Regierungspräsident Emil Belzer tritt in den Ruhestand. Die Verleihung der Ehrenbürgerwürde durch die Stadt Sigmaringen unterbleibt, weil das Haus Hohenzollern signalisiert, dass dies als unfreundliche Haltung gegenüber dem „Fürsten“ verstanden würde.

  

B 3:

Alfons Scherer (1885-1964), Regierungspräsident des preußischen Regierungsbezirks Sigmaringen 1926 bis 1931. Alfons Scherer war wie Emil Belzer Zentrumspolitiker. Sigmaringen galt als Hochburg der Zentrumspartei.

 
30. April 1926
Der preußische Beamte und Zentrumspolitiker Alfons Scherer (1885-1964) wird Regierungspräsident in Sigmaringen. Alfons Scherer sagt seinen Antrittsbesuch bei Wilhelm von Hohenzollern ab, weil dieser zu einem Gegenbesuch nicht bereit ist und damit die gesellschaftliche Gleichheit nicht gewährleistet sei. Damit beginnt ein sechs Jahre dauernder öffentlichkeitswirksamer Konflikt zwischen dem Regierungspräsidenten und dem Haus Hohenzollern. Die weiterhin bestehende Vorrangstellung der Hohenzollern ist offensichtlich: Beamte werden unter Wahrung höfischen Formen (z.B. Verneigung vor dem „Fürsten“) zur Audienz auf das Schloss geladen, die Hohenzollernfamilie erhält Ehrenplätze bei öffentlichen Veranstaltungen, das Publikum erhebt sich beim Erscheinen des „Fürsten“, die Stadt wird bei Festtagen der Adelsfamilie beflaggt. Der Regierungspräsident drängt mit Nachdruck auf die gesellschaftliche Gleichstellung der Hohenzollern.

9. Januar 1927
Protokollarische Differenzen anlässlich der Einweihung des neuen Rathauses in Sigmaringen führen zum Eklat: Wilhelm von Hohenzollern pocht darauf, dass ihm vor dem Festakt der Regierungspräsident vorgestellt werde. Der Regierungspräsident wiederum besteht darauf, dass nur er (als höchster Vertreter der Staatsregierung) Vorstellungen entgegennimmt – auch die des hohenzollerischen Hauschefs, da dieser als Privatmann keinerlei Privilegien oder Standesvorrechte habe. Wilhelm von Hohenzollern erscheint deshalb demonstrativ erst nach der offiziellen Feier am Rathaus, um einen Kranz am Kriegerdenkmal niederzulegen.
Um der Spende von 35.000 Reichsmark durch das Haus Hohenzollern Paroli bieten zu können, erwirkt Scherer einen staatlichen Zuschuss in derselben Höhe, den er bei der Einweihung des Rathauses verkünden kann – als Zeichen dafür, dass „der Staat doch viel mehr vermag“. Der Zuschuss wird zum Grundstock für den Bau der Stadthalle.

Februar 1927
Drei Sigmaringer Beamte werden auf Betreiben Scherers durch das preußische Innenministerium strafversetzt. Die Staatsvertreter waren gegen den ausdrücklichen „dienstlichen Wunsch“ des Regierungspräsidenten zur Audienz auf dem Schloss erschienen. Das Verhalten Wilhelms gegenüber dem Regierungspräsidenten wird vom preußischen Innenministerium als „Angriff auf die Staatsautorität“ eingeschätzt.

19. Mai 1927
Für die Mitfinanzierung des Rathausneubaus soll Wilhelm von Hohenzollern die Ehrenbürgerwürde der Stadt Sigmaringen verliehen werden. Angesichts der durch den Konflikt angespannten Situation beschließt die Stadtverordnung, die Verleihung zu vertagen. Einigen Stadtverordneten, die für die Vertagung gestimmt hatten, werden daraufhin bereits erteilte Bauaufträge des Hauses Hohenzollern entzogen. Ein bei der Abstimmung anwesender Beamter beschimpft die Stadtvertreter und wird wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe verurteilt. Die Hofkammer übernimmt die Gerichtskosten und die Geldstrafe.
 

 

B 4

Wilhelm von Hohenzollern (1864-1927) vor dem demokratischen Umsturz als Offizier der königlich-preußischen Infanterie (Kaisermanöver 1909, vorne links).

 

22. Oktober 1927
Tod von Wilhelm Fürst von Hohenzollern. Mehrere Reichsbehörden sowie die Rathäuser in Sigmaringen und Hechingen planen eine gesetzeswidrige Beflaggung ihrer Gebäude. Sigmaringer Stadtverordnete bestellen einen Kranz mit der gesetzeswidrigen Aufschrift „Seiner Königlichen Hoheit“.

Juli 1928
In einem Runderlass weist Alfons Scherer sämtliche Amtsträger in Hohenzollern an, gegenüber dem Haus Hohenzollern die republikanischen Namens- und Titelregelungen durchzusetzen. Mit Wilhelms Sohn und Nachfolger Friedrich Viktor (1891-1965) führt Scherer einen jahrelangen Kleinkrieg. Friedrich verwendet kontinuierlich und gesetzeswidrig den Titel „Fürst“ und das Prädikat „Hoheit“. Bei der Verleihung des „Fürstlich Hohenzollerischen Hausordens“ beruft sich Friedrich Viktor auf das Gottesgnadentum und tritt im Pluralis majestatis auf („Wir“).

 

B 5:

Friedrich Viktor von Hohenzollern (1891-1965) nach dem Scheitern der Weimarer Republik: In Stahlhelmuniform bei der Feier zum 1. Mai 1934 (ganz links).

 

November 1930
Eine Delegation der Stadt Sigmaringen bittet angesichts der drohenden Verlegung der „fürstlichen“ Verwaltung und des „fürstlichen“ Wohnsitzes nach Bayern und des damit drohenden großen wirtschaftlichen Schadens beim preußischen Innenministerium um Vermittlung im Konflikt. Das Innenministerium sondiert darauf erstmals bei den Hohenzollern, die eine Einigung von einer „Befriedung der Verhältnisse“ und damit der Absetzung des Regierungspräsidenten abhängig machen. Aus persönlichen Notizen des Bürgermeisters ist ersichtlich, dass das Innenministerium bereit ist, den Regierungspräsidenten fast bedingungslos zu „opfern“.

1. Januar 1931
Die hohenzollerische Hofkammer wird (nachdem das Adelshaus lange mit dem Wegzug gedroht hatte) von Sigmaringen nach München verlegt – wohl auch wegen der wirtschaftlich schwierigen Lage.

 

B 6:

Damals wie heute ein Werbefaktor für Sigmaringer Geschäftsleute: Der Status des Hoflieferanten. Die weitgehende wirtschaftliche Abhängigkeit der Stadt Sigmaringen vom Hohenzollernhaus führte dazu, dass größere Teile der Bürgerschaft den Konfrontationskurs der Regierungspräsidenten mit „ihrem Fürsten“ ablehnten.

 

31. August 1931
Der preußische Innenminister Carl Severing (SPD) versetzt den nur 48 Jahre alten Regierungspräsidenten Scherer in den einstweiligen Ruhestand. Begründet wird dieser Schritt mit den starken Spannungen gegenüber dem Haus Hohenzollern.
Unter dem neuen Regierungspräsidenten und Zentrumspolitiker Heinrich Brand (1887-1971) wird die politisch-gesellschaftliche Sonderstellung der Hohenzollern weitgehend akzeptiert. Friedrich Viktor und die Beamten dürfen im außerdienstlichen Verkehr die Titel und Prädikate wieder verwenden, die durch die Gesetze der Republik abgeschafft worden waren.

1935
Der Leiter der Staatskanzlei des „Führers“, Staatssekretär Otto Meissner, gewährt „Fürst“ Friedrich Viktor die Erlaubnis, das Prädikat „Königliche Hoheit“ zu führen.

 

 

B 7:

Die Widersacher residierten in der Sigmaringer Karlstraße lange fast in direkter Nachbarschaft: Links das „Regierungsgebäude I“, von den Nationalsozialisten als „Palais Scherer“ diffamiert. Rechts die „Fürstliche“ Hofkammer.


- Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte an der ZSL-Regionalstelle Tübingen -


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