Die Studentenbewegung 1968/69 in Tübingen:
„Revolutionärer Kampf“ oder „pseudorevolutionäres Treiben“?
Hintergrund
Bedeutung
B 7: Wie radikal waren die Tübinger Studenten? Slogan in den „Roten Notizen“, dem Publikationsorgan des Tübinger AStA, während des Vorlesungsstreiks im Sommer 1969 (Streik-Info Nr. 6, 4.7.1969) |
Die Studentenrevolte um das Jahr 1968 steht als zentrale Wegmarke in der Geschichte der „alten“ Bundesrepublik für tiefgreifende Veränderungsprozesse. „Im Kern war Achtundsechzig ein Protest gegen traditionelle Autorität und Hierarchie, um individuelle Freiheitsspielräume auszudehnen und neue Lebensstile zu ermöglichen“ (Christina von Hodenberg, Das andere Achtundsechzig. Gesellschaftsgeschichte einer Revolte, München 2018, S. 188). Damit rücken die Vorgänge um 1968 auch in den Fokus des Bildungsplans, der die Ausweitung politischer Teilhabe, insbesondere den Umgang mit Protest und Aufbruchsversuche zu mehr Bürgerbeteiligung, als einen der beiden Schwerpunkte des Geschichtsunterrichts im Basisfach 12.1 definiert.
In den letzten Jahren wurde das über Jahrzehnte hinweg durch Medien und auch Geschichtsschreibung geprägte Bild der „1968er“ hinterfragt und in gewisser Hinsicht revidiert. Die Ereignisse der westdeutschen Studentenrevolte haben dadurch in mancherlei Hinsicht eine deutliche Neubewertung erfahren. Die Studentenbewegung von 1968 war weit mehr als Rudi Dutschke, SDS und Kommune 1. Die Meinungsführerschaft des SDS an den Universitäten stand stets auf dünnem Eis, sie war zeitlich begrenzt. Die Mehrheit der Studenten votierte für Reformen, nicht für eine Revolution. Überhaupt wird die Revolte von 1968 inzwischen in mancherlei Hinsicht nicht mehr als Anstoß für grundlegende Veränderungen, sondern als Teil und Ausdruck mittel- und langfristiger Veränderungsprozesse gesehen, die zum Zeitpunkt der Revolte bereits voll im Gange waren. Insofern stellt die Studentenrevolte nicht in jeder Hinsicht eine Zäsur für die Geschichte Westdeutschlands dar.
Die Breiten- und Tiefenwirkung der Revolte darf freilich nicht unterschätzt werden. "1968" ereignete sich fast überall in Westdeutschland, an den „Provinzuniversitäten“ genauso wie in Berlin und Frankfurt. Schauplatz der Auseinandersetzungen war der öffentliche und politische Raum, genauso aber auch die Sphäre des Privaten. Und gerade im privaten Raum sollten sich die Vorgänge der Jahre um 1968, wie Christina von Hodenberg nachgewiesen hat, letztlich sogar als folgenreicher erwiesen.
Das Unterrichtsmodul zu den Ereignissen in Tübingen in den Jahren um 1968 bietet den Lernenden Einblicke, die der oben erwähnten historischen Neubewertung Rechnung tragen. Auch jenseits der Großstädte, in Tübingen ereignete sich „1968“. Auch in Tübingen war die Kritik an Politik, Staat, Gesellschaft und Kultur radikal. Diese Kritik stand aber in Kontrast zum oft eher gemäßigten Vorgehen der Studenten. Bei den Wahlen zum Studentenparlament 1968 zeigte sich, dass ein Großteil der Studenten den radikalen politischen Wortführern des SDS nicht folgte. Nicht zuletzt der Blick auf die (wenigen) institutionell-strukturellen Veränderungen, die der Revolte in Tübingen folgten, sensibilisiert die Lernenden für eine differenzierte Beurteilung des Zäsurcharakters der Ereignisse um 1968.
B 6: Wie radikal waren die Tübinger Studenten? Am 13. Januar 1969 besetzen etwa 150 Studenten das Rektorat. Da Universitätsrektor Ludwig Raiser ihren Forderungen nicht nachkommt, stehen sie verlegen herum. Der Oberpedell ermahnt sie, mit dem Mobiliar pfleglich umzugehen. Die Studenten halten sich daran. Drei Stunden später ziehen sie wieder ab, nachdem man sich auf ein Teach-in im Festsaal verständigt hat. |
- Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte an der ZSL-Regionalstelle Tübingen -
Herausgeber: Landesbildungsserver Baden-Württemberg
Quelle: https://www.schule-bw.de
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