Von der Südsee nach Tübingen: das Dilemma der Völkerkunde – Die ethnologische Sammlung des Museums der Universität Tübingen
Methodenvorschlag
Verlaufsplanung mit Materialien
Zeit/ Phase |
Inhalte/ methodische Hinweise |
Material |
Sek. II | ||
1. Doppelstunde: Objekte der Südsee in Tübingen – Ästhetik und Spiritualität in westlichen Sammlungen | ||
1.1 Einstieg/ Entstehen einer Faszination und einer Fragehaltung: Objekte der Ethnologischen Sammlung | Die Schülerinnen und Schüler werden mit einer Reihe von kunstvoll angefertigten Objekten konfrontiert (AB 1, F 1); in einem zweiten Schritt lernen sie den Namen, die Funktion und die Herkunft der Objekte kennen. Dabei sollte die Präsentation weitgehend kommentarlos durchgeklickt werden; Nachfragen können im Anschluss beantwortet werden. (Bei ethnologischen Fachbegriffen (z.B. Malanggan, Poupou) kann auf spätere Arbeitsmaterialien verwiesen werden).
Hieraus sollte eine Fragehaltung generiert werden. Die Fragen der Schülerinnen und Schüler werden gesammelt und geordnet:
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AB 1 als Präsentation |
1.2 Erarbeitung 1: Die Herkunft der Objekte und ihre Funktion in den Herkunftsgesellschaften | Die erste Frage, mit der sich die Schülerinnen und Schüler beschäftigen, lautet:
Woher kommen diese Objekte (historisch, geografisch, gesellschaftlich) und welche Funktion haben sie in der Herkunftsgesellschaft? Hierzu verorten sie die zuvor gezeigten Objekte auf einer Karte (AB 2a) und lernen die Funktion von zwei ausgewählten Objekten, dem Poupou (AB 2b) aus Neuseeland und der Malanggan-Schnitzwerke (AB 2c) aus Papua-Neuguinea, näher kennen. Dabei wird nicht nur deutlich, wie eng der Zusammenhang zwischen Schnitzkunst, Architektur und Ahnenverehrung ist, sondern auch wie vielfältig der Ausdruck dieser Kunst und wie eng die religiöse Dimension damit verbunden ist. Die Schülerinnen und Schüler werden hier schon für das Besondere der außereuropäischen Kulturen sensibilisiert: Es geht bei diesen Kunstwerken nicht allein um eine ästhetische Dimension, wie wir sie im globalen Norden wahrnehmen, sondern in erster Linie um eine spirituelle. |
AB 2c |
1.3 Erarbeitung 2: Der Weg nach Tübingen – das Poupou | In einer zweiten Erarbeitungsphase beschäftigen sich die Schülerinnen und Schüler mit der Objektbiografie des Tübinger Poupou. Dabei wählt die Lehrkraft zwei Varianten, wie die Schülerinnen und Schüler den Weg von der Südsee nach Tübingen rekonstruieren:
Dabei ist die erste Variante deutlich zeitintensiver und kognitiv herausfordernder für die Schülerinnen und Schüler. In beiden Varianten wird klar, dass das Objekt eine sehr komplexe Geschichte in sich trägt und erst in den letzten 25 Jahren in seiner Bedeutung erkannt wurde. In jedem Fall wird spätestens hier die Frage nach Provenienz, Rückgabe und Restitution aufkommen. |
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1.4 Optionale Vertiefung: Der Weg in die Südsee - Modevorstellungen | Dass der kulturelle Austausch nicht nur in einer Richtung verlief, sondern auch europäische Vorstellungen in die Gesellschaften der Südsee eindrangen, wird durch die hybride Entwicklung der Tapa-Kleider (AB 3c) deutlich. Neben den Objekten selbst wird hier die Rolle von europäischen Besucher und Besucherinnen der Südsee am Beispiel von zwei Gruppen, Missionaren und Walfängern – näher beleuchtet. Dieser Unterrichtsschritt ist optional. |
AB 3c |
1.5 Integration: Die Rolle der Ethnologen | Mithilfe von AB 4 lernen die Schülerinnen und Schüler einen wichtigen Akteur kennen, der konstitutiv für die Sammlung in Tübingen ist: den Mediziner und Ethnologen Augustin Krämer. Seine Reisen und deren „Früchte“ werden bewusst wertungsfrei dargestellt, sodass die Schülerinnen und Schüler selbst zu einer Positionierung finden können. In diesem Sinne sollte der Leseauftrag auch tendenzfrei formuliert sein, z.B.: „Einzelne Sammlungen sind oft das Erbe einzelner Sammler.“ Erläutere diese Aussage am Beispiel der Tübinger Sammlung. | |
1.6 Reflexion: Einen Standpunkt entwickeln | In einem weiteren Schritt sollen sich die Schülerinnen und Schüler dann zu den bisherigen Erkenntnissen positionieren und, darauf aufbauend, weitere Fragen entwickeln, die in der zweiten Doppelstunde bearbeitet und beantwortet werden können. Diese Fortführung ist grundsätzlicherer Natur und spricht die Völkerkunde/Ethnologie als Fach allgemein an (s.u.). | |
1.7 optionale Hausaufgabe: Recherche in der ethnologischen Sammlung | Als Rechercheauftrag, der in der nächsten Stunde einbezogen werden soll, können die Schülerinnen und Schüler sich mit weiteren Objekten der Tübinger Sammlung vertraut machen, indem sie auf dem „E-Museum“ recherchieren und sich z.B. ein Objekt aussuchen, das sie ihren Mitschülerinnen und Mitschülern vorstellen.
Erstelle eine ein- bis zweiseitige Präsentation zu einem Objekt (auch: Foto) deiner Wahl aus der Ethnologischen Sammlung. Benutze dafür das Angebot des E-Museum. |
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2. Doppelstunde: Das Fach Ethnologie und seine Sammlungen – eine Verpflichtung für die westlichen Gesellschaften? | ||
2.1 Einstieg, HA-Auswertung und Leitfrage: Warum wurden die Objekte in Europa gesammelt und welche Haltung verbirgt sich dahinter? | Die Schülerinnen und Schüler stellen ihre Ergebnisse vor. Dabei sollte das anschließende Unterrichtsgespräch auch auf die Kriterien ihrer Auswahl kommen: Warum gerade dieses Objekt? Ausgehend von dieser Reflexion sollen sich die Schülerinnen und Schüler in die Forschungshaltung der Ethnologie versetzen: Was sind deren Leitinteressen? Mit welcher Haltung wurde gesammelt? Wer sammelte? |
Impuls durch Schülerinnen und Schüler |
2.2 Erarbeitung 1: Die Ethnologie und ihre Museen | Warum wurden die Objekte in Europa gesammelt und welche Haltung verbirgt sich dahinter?
Entweder arbeitsteilig in Partnerarbeit oder arbeitsgleich in zwei Schritten informieren sich die Schülerinnen und Schüler über die Forschungsinteressen des Fachs Ethnologie. Dabei sollten sie zwischen einer historischen Position um die Wende zum 20. Jahrhundert und der heutigen Haltung unterscheiden. Anschaulich wird dies am Beispiel der Völkerkundemuseen, deren ursprünglicher Konzeption und Intention und ihrer Weiterentwicklung zu heutigen Museen der Weltkulturen. Hier könnte man die Debatten um die Umbenennungen einzubeziehen – diese zeigen deutlich, wie das Fach sich über die Zeit wandelte, sein Selbstverständnis und seine Inhalte infrage stellte und reflektierte.
Aus einer heutigen Sicht heraus werden die Schülerinnen und Schüler die Art und Weise der Aneignung vieler Kulturgüter, die westliche Haltung der Superiorität und die Profanierung zweifellos hinterfragen oder kritisieren. Die Frage nach dem Völkerkundemuseum kann auch noch vertieft diskutiert werden mithilfe der Argumente, die sich in einer Debatte der taz finden. |
AB 5b |
2.3 Erarbeitung 2: Restitution? | Warum sind die Objekte immer noch hier? Müssen sie nicht zurückgegeben werden? Wenn ja, an wen? Wie findet man berechtigte Erben und Erbinnen/Nachfahren und Nachfahrinnen?
Die Frage der Restitution ist inzwischen eine, die annähernd jedes ethnologische Museum bewegt. Dabei ist jedoch zwischen unterschiedlichen Situationen zu unterscheiden: Gibt es überhaupt Rückgabeforderungen? An wen wären die Objekte zu restituieren? Wie sind die Sammlungen in den Besitz der einzelnen Objekte gelangt – soweit das überhaupt noch nachvollziehbar ist? Eine grundsätzliche Einigkeit besteht inzwischen bei sog. „human remains“, also Schädeln und weiteren menschlichen Überresten – diese werden heutzutage weitgehend widerspruchslos rückerstattet, sofern man eruieren kann, woher sie stammen. Bei Kunstgegenständen ist die Lage schon sehr viel schwieriger, weil es viele Museumsverantwortliche in Europa gibt, die – mit unterschiedlich guten Argumenten – dafür plädieren, dass diese Objekte in ihren jeweiligen Sammlungen verbleiben sollen. Zum Teil wird mit einem „Weltmuseum“ argumentiert – dagegen spricht, dass diese Museen sich zumeist im globalen Norden befinden und die Menschen des globalen Südens kaum die finanziellen Möglichkeiten für Reisen haben. Hier wird vorgeschlagen, Museen zu errichten, die wir aus dem Norden besuchen. Zumal die Menschen vor Ort dann ihre Geschichte kennenlernen könnten. Eine Möglichkeit zur Lösung der Probleme wird z.B. in der Digitalisierung gesehen. Dennoch scheint sich in den letzten Jahren ein Paradigmenwechsel zu vollziehen. Mithilfe einer grundsätzlichen Handlungsanleitung zum Umgang mit kolonialem Sammlungsgut des Deutschen Museumsbundes (AB 6a) und am Beispiel einer Auswahl von fünf ganz konkreten Objekten (AB 6b) sollen die Schülerinnen und Schüler durchspielen, wie solche Verhandlungen verlaufen können.
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AB 6a AB 6b |
2.4. Integration und Urteilsbildung: Kolonialismus und Rassismus als westliche Denkhaltung |
Verbirgt sich dahinter nicht ein Ausdruck von kolonialistischer und/oder rassistischer Haltung? Über der Fragestellung des Moduls liegt eine grundsätzliche: Wie stark ist das westliche Denken (noch immer) von rassistischen und/oder kolonialistischen Werthaltungen geprägt – vielfach ohne dass es uns überhaupt bewusst ist? Diese grundlegende Frage, die den Zugang zu vielen gesellschaftlichen Debatten ebnet (bis hin zum sog. Historikerstreit 2.0), kann zum Abschluss des Moduls aufgenommen werden. Dazu bieten sich vier Herangehensweisen an: die über Definitionen (AB 7a), die über aktuelle Statistiken (AB 7b), die über die Reflektion des Begriffs Rasse, der als solcher wissenschaftlich nicht haltbar ist (AB 7c), und die über die Frage, wie man mit kolonialen Denkmalen umgeht (AB 7d).
Die Lehrkraft kann nicht zuletzt aufgrund des Zeitbudgets entscheiden, welchen Weg bzw. welche Wege die Schülerinnen und Schüler beschreiten sollen. |
- Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte an der ZSL-Regionalstelle Tübingen -
Herausgeber: Landesbildungsserver Baden-Württemberg
Quelle: https://www.schule-bw.de
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