Lernort Lufthansa-Maschine "Landshut"
Autor/in: Johannes Gießler
Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte an der ZSL-Regionalstelle Tübingen
Kurzbeschreibung des Moduls:
Das Unterrichtsmodul ist auf zwei Doppelstunden angelegt und richtet sich an Lernende der Sekundarstufe II (BF und LF). Die 1. Doppelstunde bereitet einen Besuch des „Lernort Landshut“ am Bodenseeairport Friedrichshafen vor. Die Schüler:innen versetzen sich in die Situation der Bundesregierung nach der Entführung von Hanns Martin Schleyer und der Lufthansa-Maschine Landshut und werden so für die konkrete Dilemmasituation der Regierung Schmidt sensibilisiert. Während des Besuchs des Lernortes soll die Ereignisgeschichte rund um die Flugzeugentführung und die Opferperspektive im Zentrum stehen. Der Lerngang ist auch ohne Exkursion umsetzbar; in diesem Fall wird der Besuch des Lernortes durch das digitale Angebot "Landshut 77, LH-181" ersetzt. Die nachbereitende 2. Doppelstunde soll die Eindrücke und Erfahrungen der Exkursion entemotionalisieren. Die SchülerInnen beschäftigen sich v.a. mit der Frage, wie der Rechtsstaat und die Gesellschaft angesichts der terroristischen Bedrohung reagierten. Sie erkennen, dass das „Missverhältnis zwischen objektiver ‚Macht‘ der Terroristen und der durch sie in Staat und Gesellschaft hervorgerufenen Angst“ (Petra Terhoeven) typisch für diese Form der politischen Gewalt ist und die Debatten über das Spannungsverhältnis von Freiheit und Sicherheit mittelfristig zur Stabilisierung einer liberalen, rechtsstaatlichen, aber wehrhaften Demokratie beigetragen haben. Das Modul leistet einen Beitrag zur Demokratiebildung.
Hintergrund
Die Entführung der Lufthansa-Maschine „Landshut“ am 13. Oktober 1977 durch palästinensische Terroristen auf dem Weg von Palma de Mallorca nach Frankfurt ist eng verbunden mit der Entführung des Präsidenten der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Hanns Martin Schleyer, durch die RAF (Rote Armee Fraktion). Die Entführer forderten die Freilassung von inhaftierten RAF-Mitgliedern, darunter Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe, aus der Haftanstalt Stuttgart Stammheim sowie von palästinensischen Häftlingen aus einem Gefängnis in Istanbul und drohten mit der Ermordung Schleyers und aller Passagiere sowie der Besatzung der Lufthansa-Maschine. Sie zwangen das Flugzeug nach mehreren Zwischenlandungen, darunter Rom, Aden und Dubai, schließlich nach Mogadischu in Somalia. Dort stürmte am 18. Oktober 1977 die GSG 9, eine Spezialeinheit der Polizei, die „Landshut“ und töte drei der vier Entführer. Daraufhin begingen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe Selbstmord. Hanns Martin Schleyer wurde durch seine Entführer ermordet. Die Ereignisse markieren den Höhe- und Wendepunkt in der Auseinandersetzung des deutschen (Rechts-)Staates mit der RAF, der durch die Bildung eines „Großen“ und „Kleinen Krisenstabs“, einer Nachrichtensperre und dem Kontaktsperregesetz an den Rand eines Ausnahmezustands geraten war.
Bedeutung
Bereits 1987 bilanzierte der Terrorismusexperte Walter Laqueur die Geschichte der RAF mit dem Satz: „Selten ist so viel über so wenig geschrieben worden“; im Gegensatz zur Populärkultur findet die RAF in den baden-württembergischen Bildungsplänen für das Fach Geschichte keine Erwähnung. Der Fokus des Unterrichtsmoduls liegt daher auch nicht auf den ereignisgeschichtlichen Abläufen, sondern spürt der Frage nach, wie der Staat und die Gesellschaft als „bedrohte Ordnung“ im „Deutschen Herbst 1977“ auf den Terrorismus reagierten. Die im Grundsatz nicht falsche These „unser Rechtsstaat hat sich in der Auseinandersetzung mit dem Terrorismus der RAF bewährt“ soll differenziert hinterfragt werden: Der Anteil der Deutschen, die im „Deutschen Herbst 1977“ die Wiedereinführung der Todesstrafe befürworteten, lag bei 67 Prozent. Diese Stimmung kann als Ergebnis eines Zusammenspiels von Politik, Medien und Gesellschaft verstanden werden. Die Wechselwirkungen zwischen politischen Entscheidungen, medialer Berichterstattung und gesellschaftlicher Stimmung werden von den Schüler:innen eingehend untersucht. Zentral ist die Erkenntnis, wie wichtig der Schutz und die Verteidigung fragiler rechtsstaatlicher Werte auch heute ist. Auch in der Gesellschaft der 1980er-Jahre trug das geschärfte Bewusstsein für diese Fragilität der Demokratie paradoxerweise zu ihrer Stabilität bei (Frank Biess). Indem die Schüler:innen gegenwärtige Symbolzuschreibungen zur Lufthansa-Maschine „Landshut“ (Symbol für den erfolgreichen Umgang mit Terrorismus? Symbol für eine „wehrhafte Demokratie“? …) reflektieren, wird ein Fokus auf die Stärkung von geschichtskultureller Kompetenz gelegt.
Verlaufsplan
Zeit/Phase | Inhalte/methodische Hinweise |
1. Doppelstunde (evtl. vorbereitend): Wie soll der Staat mit Terroristen umgehen? |
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Einstieg |
Filmimpuls: Tagesschaubeitrag vom 13.10.1977
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Input / Erarbeitung 1 |
Grundlagen: Begriffs(er)klärungen und Stationen aus der Geschichte
Alternativ (als zeitökonomische Variante)
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Ergebnissicherung | mündliche Besprechung der Ergebnisse (ggf. SP unter Doku-Cam) |
Erarbeitung 2 |
Orientierung: Das „Undenkbare denken“
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Ergebnissicherung |
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fakultative Exkursion zum Lernort Landshut am Bodenseeairport Friedrichshafen Alternativ: Webseite der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland landshut77.de |
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2. Doppelstunde (evtl. nachbereitend): Wie reagiert die bedrohte Gesellschaft im „Deutschen Herbst 77“? |
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fakultativ |
Nachbesprechung der Eindrücke und Erfahrungen der Exkursion zum Lernort 3 – 2 – 1 Methode: SuS notieren drei „Dinge“, die sie schon wussten; zwei „Dinge“, die ihnen neu waren und notieren eine Frage/einen Gedanken, die/der sie noch beschäftigt. |
Einstieg |
Spiegelcover aus dem Jahr 1977
Mögliche Bündelung: Wie reagiert die bedrohte Gesellschaft im „Deutschen Herbst 77“? Alternativ (enger geführte Variante)
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Erarbeitung 1 |
Analyse: Reaktionen einer ‚bedrohten Ordnung‘ im „Deutschen Herbst 77“
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Ergebnissicherung |
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Reflexion |
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Überleitung |
Der „Deutschen Herbst 77“ als Wendepunkt der deutschen Geschichte Impuls: Karikatur: „Vorsicht, Mann, nicht ins eigene Fleisch“, Horst Haitzinger, 1977.
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Erarbeitung 2 / Reflexion |
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Transfer |
Blick in die Gegenwart: Die „Landshut“ – ein Symbol wofür? Impuls: (aktuelle) Zeitungsausschnitte mit verschiedenen Symbol-Zuschreibungen der „Landshut“
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Materialien
Für Abbildungen, Materialien und differenzierte Arbeitsblätter zu diesem Modul und deren Verwendung im Unterricht schreiben Sie bitte eine eMail an landeskunde@zsl-bw.de.
Didaktische Hinweise und Bildungsplanbezug
Standardstufe: Sek. I Sek. II
Inhaltbezogene Kompetenzen:
3.4.5 West- und Osteuropa nach 1945: Streben nach Wohlstand und Partizipation (12.1, Basisfach)
3.4.6 West- und Osteuropa nach 1945: Wege in die postindustrielle Zivilgesellschaft (12.1, Leistungsfach)
Prozessbezogene Kompetenzen:
(3) Hypothesen aufstellen
(4) Untersuchungsschritte zur Beantwortung historischer Fragen planen
nachvollziehe2.2 2.2 Methodenkompetenz:
(2) unterschiedliche Materialien (Texte) auch unter Einbezug digitaler Medien analysieren
(4) Informationen aus außerschulischen Lernorten auswerten
(2) historische Sachverhalte in ihren Wirkungszusammenhängen analysieren (Multikausalität)
(3) Möglichkeiten und Grenzen individuellen und kollektiven Handelns in historischen Situationen erkennen und alternative Handlungsmöglichkeiten erörtern
(7) Auswirkungen von politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturen und Prozessen auf die Lebens- und Erfahrungswelt der Menschen erläutern
(9) die Rolle von Medien in historischen Prozessen und für das Geschichtsbewusstsein analysieren
(4) eigene und fremde Wertorientierungen erklären und überprüfen
(5) die Übertragbarkeit historischer Erkenntnisse auf aktuelle Probleme und mögliche Handlungsoptionen für die Zukunft erörtern
(2) Zäsuren und Kontinuitäten benennen und in ihrer Bedeutung beurteilen
Leitperspektive
Bildung für Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt (BTV)
Literatur
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Dokumentation der Bundesregierung zur Entführung von Hanns Martin Schleyer, München 1977.
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Anne Ameri-Siemens: Ein Tag im Herbst. Die RAF, der Staat und der Fall Schleyer, Berlin 2017.
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Cord Arendes: Die „Landshut“ al deutscher Erinnerungsort, in: APuZ 40-41/2021.
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Hanno Balz: Von Terroristen, Sympathisanten und dem starken Staat. Die öffentliche Debatte über die RAF in den 70er Jahren, Frankfurt 2008.
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Johannes Hürter: Staat und Terrorismus in der Bundesrepublik der 1970er Jahre in: Die RAF – ein deutsches Trauma, Mainz 2018.
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Karrin Hanshew: Terror and Democracy in West Germany, Cambridge 2012.
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Klaus Weinhauer u.a. (Hrsg.): Terrorismus in der Bundesrepublik, Frankfurt 2006.
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Petra Terhoeven: Die Rote Armee Fraktion: Eine Geschichte terroristischer Gewalt, München 2017.
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Wolfgang Kraushaar (Hrsg.): Die RAF und der linke Terrorismus, 2. Bde, Hamburger Edition HIS Verlag, Hamburg 2007.
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Wolfgang Kraushaar: Die blinden Flecken der RAF, Bonn, 2018.
Links
- Projektseite der Bundeszentrale für politische Bildung zum Projekt: „Lernort Landshut“
- Webseite der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Dort werden die Geschehnisse rund um die Entführung der Lufthansa-Maschine "Landshut" im Herbst 1977 durch palästinensische Terroristen präsentiert.
- Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte an der ZSL-Regionalstelle Tübingen -
Herausgeber: Landesbildungsserver Baden-Württemberg
Quelle: https://www.schule-bw.de
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