Totale Niederlage und Zusammenbruchsgesellschaft in Südbaden
Hintergrund
Zeittafel
Juni 1944
Die Landung der Westalliierten in der Normandie am 6. Juni und der Beginn der sowjetischen Offensive gegen die Heeresgruppe Mitte am 22. Juni leiten die Endphase des Zweiten Weltkriegs in Europa ein.
August 1944
US-amerikanische und französische Truppen landen in der Provence und rücken in Richtung Norden vor.
B 2 Eine Inschrift auf dem Sockel eines alten Feldkreuzes an der L 125 zwischen Ehrenkirchen und Bad Krozingen erinnert an Josef Senn und Maria Behringer aus Ehrenstetten bzw. Kirchhofen, die dort am 4. November 1944 "durch Fliegerbomben" umkamen. Nicht erwähnt wird ein polnischer Arbeiter - mutmaßlich ein Kriegsgefangener oder Zwangsarbeiter -, der bei dem Angriff ebenfalls starb. Die Endphase des Krieges wurde durch zahllose Angriffe von alliierten Jagdbombern ('Jabos') auch auf einzelne deutsche Zivilisten und Soldaten geprägt. |
Ende November 1944
Französische bzw. US-amerikanische Truppen erreichen südöstlich von Mulhouse sowie bei Strasbourg den Rhein. Dazwischen steht in einem großen, bis in die Vogesen reichenden Frontbogen die 19. Armee der Wehrmacht mit mehreren zehntausend Soldaten ('Brückenkopf Elsass' bzw. 'Poche de Colmar').
27. November 1944
Ein britischer Luftangriff unter dem Decknamen 'Tigerfish' zerstört einen großen Teil der Freiburger Innenstadt und Teile anderer Viertel. Annähernd 3000 Freiburgerinnen und Freiburger sterben. Von 29550 Wohnungen bleiben nur 8165 unbeschädigt, 5840 sind völlig zerstört. Der Angriff, der sowohl den Wohngebieten als auch den Bahnanlagen der Stadt gilt, ist im Kontext der alliierten Operationen im Elsass zu sehen - ebenso wie der am gleichen Tag erfolgte Angriff auf Offenburg.
B 3 "Freiburg i.Br.: Ruinen von der Merianstraße aus". Die Aufnahme Willy Praghers illustriert sowohl die massive, flächendeckende Zerstörung der Straßenblocks nördlich des Friedrichrings als auch die lange Zeit, die der Luftangriff vom November 1944 nachwirkte - die Aufnahme stammt von März 1950 (vgl. B 9). |
B 4 Auf dem französischen Nationalfriedhof oberhalb von Sigolsheim (Gemeinde Kaysersberg Vignoble) sind nordwestlich von Colmar rund 1600 französische Soldaten begraben, die in den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs im Elsass und den angrenzenden Regionen umkamen. Georges Weil, dessen Grab links vorne zu sehen ist, starb beispielsweise am 3. November 1944, der neben ihm begrabene Armand Guedj am 15. Februar 1945. Jenseits der Treppe ist eines der beiden Grabfelder für muslimische Soldaten zu sehen, die rund die Hälfte der Toten auf diesem Friedhof ausmachen. Viele badische und württembergische Gemeinden wurden ab Ende März 1945 von französischen Kolonialtruppen aus Nordafrika besetzt. |
Februar 1945
Mit der Sprengung der Rheinbrücke bei Neuenburg endet der Rückzug der Reste der 19. Armee aus dem Elsass. Rund ein Dutzend elsässische Gemeinden - darunter Ammerschwihr und Sigolsheim - sind bei den Kämpfen im 'Brückenkopf Elsass' vollkommen zerstört worden. Ein Teil der Bevölkerung der Ortschaften östlich des Rheins - z.B. Breisach oder Hartheim - wird, wie bereits 1939, evakuiert, u.a. nach Ehrenstetten.
Ende März 1945
Zwischen Karlsruhe und Mannheim überqueren französische Truppen unter General Jean de Lattre de Tassigny, nach dem unter anderem in Colmar eine Straße benannt ist, den Rhein. Während ein Teil dieser Truppen in Richtung Stuttgart vorstößt, rücken andere Teile in der Rheinebene bzw. über Pforzheim und Freudenstadt nach Süden vor. Das NS-Regime sucht Auflösungserscheinungen aufgrund der zunehmend hoffnungslosen Lage mit Terrormaßnahmen zu unterbinden.
B 5 Auf dem Friedhof in Waldkirch liegen, wie es auf einer 2015 aufgestellten Informationstafel heißt, "39 Opfer beider Weltkriege". Unter diesen sind "sieben Deserteure, die aufgrund von Unrechtsurteilen ermordet wurden". Auf den Kreuzen weist nichts auf die Umstände des Todes hin - während Wilhelm Kohl, Jahrgang 1905, nach einem standrechtlichen Todesurteil wegen Fahnenflucht am 11. April 1945 erschossen wurde, starb Stefan Karmelita offenbar infolge von Kampfhandlungen. Am Ort der Erschießungen, beim Wasserbehälter an der Ecke Allmendweg / Tannenweg, erinnert oberhalb des Friedhofs eine Tafel an die sieben Deserteure. Im Gegensatz zu Waldkirch wird in der Gedächtniskappelle, die für den am 22. April 1944 ermordeten Dekan Willibald Strohmeyer errichtet wurde, explizit auf die Umstände seines Todes verwiesen. Die Kapelle befindet sich südöstlich von Staufen, oberhalb der L 131, rund 750 m östlich der Einmündung der L 130. |
April 1945
Französische Truppen besetzen am 21. April Donaueschingen und, nach einzelnen Schusswechseln, Freiburg. Die am Rhein stehenden deutschen Truppen ziehen sich kampflos in den Schwarzwald zurück, da ihre Stellungen nach Westen gerichtet sind und die Franzosen von Norden her vorrücken. Am 23. April erreichen deren von Norden her über Donaueschingen vorgehende Einheiten die Grenze zur Schweiz. Am 25. April besetzen die am Rhein vorrückenden französischen Truppen Lörrach und Waldshut. Das XVIII. SS-Armeekorps, das zum großen Teil allerdings nicht aus SS-Einheiten besteht, ist im Südschwarzwald eingekesselt und löst sich auf, nachdem der Versuch, sich den Weg nach Osten freizukämpfen, unter großen Verlusten und schweren Zerstörungen in einigen umkämpften Ortschaften auf der Baar - unter anderem Aasen und Randen - gescheitert ist.
B 6 Mehr als 1000 Tote der Kriege 1870/71, 1914/18 und 1939/45 sind auf dem 'Ehrenfriedhof' in Donaueschingen-Allmendshofen bestattet, darunter offenbar viele, die in einem Lazarett starben. Der Tod der rund 90 Männer aber, die im April 1945 umkamen, ist im Kontext der Kampfhandlungen der letzten Kriegswochen auf der Baar zu sehen, wie etwa Alfons Johaentgen, der am 21. April umkam, oder Walter Mayer, der fünf Tage später starb. Auch bei dem unbekannten Soldaten, bei dem noch nicht einmal das Sterbedatum bekannt ist, ist anzunehmen, dass er im Chaos der letzten Kriegstage sein Leben verlor. Unter den Toten sind ferner rund 60 Opfer (von insgesamt 339) eines Luftangriffs auf Donaueschingen am 22. Februar 1945, darunter auch Frauen und Kinder, wie etwa der kurz vorher elf Jahre alt gewordene Reinhold Albert Boos, der zwischen einer Frau und einem Mann mit gleichem Nachnamen liegt - mutmaßlich seine Eltern oder Großeltern. |
8. Mai 1945
Mit der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht endet der Zweite Weltkrieg in Europa.
Juli 1945 bis 1949
Bis zu 1500 Personen sind in einem Lager für NS-Belastete in Freiburg-Betzenhausen interniert. Die Baracken hatten ursprünglich - offenbar in Blumberg - der Unterbringung von Zwangsarbeitern gedient. In Baden gibt es zwei weitere Lager dieser Art, in Lahr-Dinglingen und in Bühl-Altschweier.
Ab Dezember 1945
Erste Hilfslieferungen mit Lebensmitteln, Kleidern und anderen Mangelwaren aus dem Ausland erreichen Freiburg. Den Anfang machen 18 Tonnen Speck aus Irland, es folgen umfangreiche Lieferungen aus der Schweiz, den USA und Norwegen. Hilfe erreicht Freiburg auch aus dem Vatikan und aus Schweden, Spanien, Brasilien, Chile und Argentinien.
B 7 Am Eingang einer Kindertagesstätte verweist in Freiburg an der Ecke Urachstraße / Quäkerstraße eine Hinweistafel auf das dort von 1946 bis 1949 bestehende "Verteilungszentrum für Hilfsgüter aus dem Ausland", von dem die im Hintergrund rechts zu sehende Baracke erhalten blieb. Wenige Meter neben dem Eingang erinnert ein 1958 errichtetes Denkmal an die Hilfe speziell aus der Schweiz: "Ich bin nur ein Stein / Doch lasst es mich sprechen / Den Streit liess man sein / Half Kriegsnot hier brechen / Schweizer Bürger errichteten 1946 hier eine Kinderspeisung". Auf "die Hilfen der Quäker nach dem 1. und 2. Weltkrieg in Freiburg" wird explizit auf den Schildern der nach ihnen benannten Straße hingewiesen. |
29. März 1947
Mit der badischen 'Landesverordnung über die Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus' gibt es klare, einheitliche Vorgaben für die Entnazifizierung im ganzen damaligen Land Baden, die sich an denen für die US-amerikanische Besatzungszone orientieren. Angesichts der vorher uneinheitlichen Vorgehensweise der auf Kreisebene operierenden badischen Untersuchungsausschüsse stellt diese Verordnung einen Schritt zur Wiederherstellung von Rechtsstaatlichkeit dar, wenige Wochen vor Inkrafttreten der Verfassung des Landes Baden.
B 8 Briefkopf eines Schreibens des im Dezember 1946 geschaffenen 'Staatskommissariats für politische Säuberung' , das der französischen Militärregierung unterstand. |
Juni 1948
Nach der Währungsreform beginnt der planmäßige Wiederaufbau von Freiburg. Bis dahin sind 80 % der leicht und 33 % der schwer beschädigten Wohnungen wieder bewohnbar gemacht worden. Weite Teile der Stadt liegen aber weiterhin vollständig in Trümmern (vgl. B 3).
ab 1949/50
In der französischen Besatzungszone, die sich bis dahin weitgehend abgeschottet hatte, treffen in größerer Zahl deutsche Flüchtlinge bzw. Vertriebene aus den Gebieten jenseits des Eisernen Vorhangs ein. In Freiburg erhöht sich ihre Zahl von 1847 im Oktober 1946 auf 8219 sechs Jahre später. Dazu trägt u.a. bei, dass mit der Wiederherstellung der Freizügigkeit in der neugegründeten Bundesrepublik auch die bis dahin geltenden Zuzugsbeschränkungen der Stadt Freiburg entfallen. Das einstige Internierungslager für NS-Belastete wird - nach wie vor mit Stacheldraht umzäunt - zum Landeshauptdurchgangslager für Flüchtlinge und Vertriebene umfunktioniert.
B 9 Der heute neben der Wallfahrtskirche in Kirchhofen stehende Grabstein, den Karl Friedrich Ehret (1897-1974) für seine Eltern, seine Schwester und sich selbst anfertigte, illustriert, wie nachhaltig die Schrecken des Zweiten Weltkriegs zumindest einzelne Zeitgenossen prägten. Auf der Rückseite hielt Ehret neben einer künstlerischen Darstellung lange nach 1945 fest: "Die hier ruhen wurden im Bombenangriff auf Freiburg am 27.11.1944 verschüttet, verletzt und gerettet". |
- Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte an der ZSL-Regionalstelle Freiburg -
Herausgeber: Landesbildungsserver Baden-Württemberg
Quelle: https://www.schule-bw.de
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