Adolf Scheufele und die "Zigeuner" – Entnazifizierung und Erinnerungskultur

Hintergrund

Bedeutung


Die im Bildungsstandard 3.3.2.1. vorgesehene Frage nach dem Umgang mit Verantwortlichen des nationalsozialistischen Regimes kann am Beispiel des Entnazifizierungsprozesses des Adolf Scheufele und der Wahrnehmung der Sinti und Roma verdeutlicht werden.

Nach Kriegsende 1945 war Stuttgart unter amerikanischer Besatzung. Diese schwankte in Bezug auf Deutschlands Zukunft zwischen einer Verwaltung als Agrarstaat und eines raschen Wiederaufbaus der zerstörten Wirtschaft und Infrastruktur. Die von den Amerikanern in ihrer Zone initiierte Entnazifizierung war Teil einer umfassend angelegten Umerziehung der Deutschen, die allerdings die angestrebten Ziele nicht erreichte. Statt das Bewusstsein für Mitschuld zu stärken, führten die groß angelegten und rigoros durchgeführten Aktionen der Amerikaner zu Rechtfertigungsdrang bei den Deutschen.

Mit der Besetzung der Amerikaner in Deutschlang ging die systematische Überprüfung jedes Bewohners eines Ortes einher: Angehörige einer dem Nationalsozialismus nahe stehenden politischen Vereinigung ab dem Grad eines Ortsgruppenangehörigen sowie Angehörige der SS ab dem Rang eines Unterscharführers wurden verhaftet und zunächst in Gefängnissen vor Ort, dann in ehemaligen Konzentrationslagern oder Kriegsgefangenenlagern untergebracht. Die Situation in den Lagern war katastrophal, es fehlte am nötigsten, Hunger und Kälte verschlechterten die Lebensbedingungen zusätzlich. Die Nationalsozialisten sollten nicht zu Märtyrern gemacht werden und deswegen gehörte General Clays Meinung nach zu einer Re-education der Deutschen ihre Auseinandersetzung mit den Taten ihrer Mitbürger. Für die Alliierten war vor allem die persönliche Schuld entscheidend: Jeder Deutsche musste in einem Fragebogen Auskunft über seinen Beruf und seine Tätigkeit während der Zeit des Nationalsozialismus geben. Der Bogen umfasste 131 Fragen und musste ehrlich und vollständig beantwortet werden. Als Höchststrafe drohten einem Hauptschuldigen zehn Jahre Arbeitslager.

Da sich die amerikanische Besatzungszone im Nachkriegszustand befand, war die Entnazifizierung nicht ohne weiteres durchzuführen: Der Schorndorfer Gottlieb Kamm, der von den Amerikanern zum Staatsminister für politische Befreiung befördert wurde, berichtete davon, dass es schwierig war, unbescholtene Personen für die Spruchkammern zu finden, da andere Arbeitsstellen besser bezahlt waren. Außerdem fehlte es in der Nachkriegszeit an allem Nötigen. Zum Beispiel musste Kamm ein Gesetz erlassen, dass das Stehlen von Einrichtunsgegenständen wie Glühbirnen für den eigenen Bedarf zur sofortigen Entlassung führte. Auch Toilettenpapier war so knapp, dass das Durchschlagspapier von den Prozessmitschrieben genutzt wurde.

Außerdem wurden Sinti und Roma nicht von der Gestapo wie die Juden, sondern von der Kriminalpolizei wegen ihres vorgeblich asozialen Verhaltens registriert, verfolgt und in Konzentrationslager entsandt. Die Ämter begannen schon früh nach Ende der Zeit des Nationalsozialismus damit, die Anträge der Sinti und Roma auf Anerkennung als NS-Verfolgte an die Kriminalpolizei weiterzuleiten. Zum Teil wurden frühere Arbeiter der „Dienststelle für Zigeunerfragen“ mit dieser Aufgabe betreut und beurteilten den Charakter der Antragsstellenden. Nicht überraschend gaben die Beamten an, dass die Sinti und Roma wegen „Asozialität“ und nicht aus Rassengründen inhaftiert wurden, was Entschädigungszahlungen unmöglich machte. 

Anhand des Fallbeispiels des Adolf Scheufele sollen die Schülerinnen und Schüler den Erfolg des Entnazifizierungsprozesses im Raum Stuttgart untersuchen. Adolf Scheufele wurde zu Ende des 19. Jahrhunderts in Weilheim/ Teck geboren. Im Zuge des nationalsozialistischen Regimes stieg er zum Sachbearbeiter in der „Dienststelle für Zigeunerfragen“ bei der Kriminalpolizeileitstelle Stuttgart auf. Nach mehreren Anzeigen überlebender Sinti und Roma kommt es zur Anhörung vor der Spruchkammer des Entnazifizierungsgerichtes. Dank mehrerer ausgestellter „Persilscheine“ und allgemein einkehrender Abneigung gegenüber den Entnazifizierungsverfahren gelang ihm die Einstufung als „Mitläufer“. Begründet wurde dieses Urteil unter anderem damit, dass in Zukunft auch weiterhin Polizisten im Staat gebraucht würden. 

Dieses Beispiel veranschaulicht den Schülerinnen und Schülern, dass auch nach dem nationalsozialistischen Regime Adolf Scheufele Sinti und Roma weiterhin als asoziale und minderwertige Menschen bezeichnete, deren Charakter verlogen und falsch sei. Adolf Scheufele sah sich weiterhin dazu berechtigt, diese Minderheit kollektiv zu verurteilen und Stereotype weiter aufzubauen. Damit behielt Scheufele sein antiziganistisches Argumentationsmuster aus der Zeit des Nationalsozialismus erfolgreich bei. 

Weiterhin erkennen die Schülerinnen und Schüler, dass Adolf Scheufele mit diesem Argumentationsmuster nach dem Krieg die Fortführung seiner Karriere als Sachbearbeiter im Fahndungsdienst bei der Kriminalhauptstelle Stuttgart gelang. Später übernahm Adolf Scheufele die stellvertretende Leitung dieser Stelle. Damit dient dieses Modul der exemplarischen Veranschaulichung der Kontinuitäten eines NS-Schreibtischtäters.

Die Schülerinnen und Schüler sollen wahrnehmen, dass die schnelle Wiederaufnahme in die Beamtenstrukturen und der Karriereaufstieg Adolf Scheufele sicher auch gelangen, da Sinti und Roma in Baden-Württemberg nicht als Verfolgte angesehen wurden. Im Februar 1950 half ein baden-württembergischer Erlass, dass "Zigeuner" wegen ihrer „asozialen und kriminellen Haltung“ inhaftiert wurden, Entschädigungszahlungen zu verhindern. Erst in den späten 1980er Jahren stellte sich eine Veränderung der Wahrnehmung der Verfolgung von Sinti und Roma in der Zeit des Nationalsozialismus bei BRD und DDR ein. Im Jahr 1990 akzeptierte die Bundesregierung entsprechend dem Entschädigungsmodell gegenüber Israel die Forderungen der Sinti und Roma nach globaler und teilweise individueller Entschädigung. 2008 entstand am Rande des Tiergartens in Berlin ein Denkmal für die Verfolgung an den Sinti und Roma.


- Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte RP Stuttgart -


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