Verfolgung vor der Haustür – Gottlob, Marie, Anton, Helene, Eugen, Wilhelm und Olga

Hintergrund

Zeittafel


Schwerpunkt Verfolgung – Widerstand

 

1933 - 1939

Vor der Machtübernahme
Sicherung und Ausbau der Macht

 

1939 - 1945

II. Weltkrieg – Der Krieg im Innern
Schorndorfer in den Lagern Auschwitz, Buchenwald, Ravensbrück, Flossenbürg …

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


1933 - 1939

Vor der Machtübernahme

Januar 1933

B 3 Schneemann Adolf Hitler

Vor dem Bahnhofkiosk von Rosa und Gottlob Kamm – der kleine Junge ist ihr Sohn Bertold – machen sich Mitglieder der Freien Sportvereinigung und der SPD über Hitler lustig. Sie werden später angezeigt.

 

Sicherung und Ausbau der Macht

2. Februar
Demonstration der KPD
Nach der Ansprache eines Redners auf dem Unteren Marktplatz ziehen unter Gesang der „Internationalen“ etwa 50 Personen zum Augustenplatz. Anzeigen wegen Beleidigung des Reichskanzlers.

5. Februar
Gewerkschaften, SPD, KPD: Umzug mit Kundgebung vor dem Rathaus mit 1.000 Personen
Polizeikommissar Staiger: „Etwa 500 Personen mögen sich an dem Umzug beteiligt haben, u. wie ich sehen konnte, waren ¾ dieser Personen Auswärtige. Hinzu kommen noch 500 Zuhörer, so daß sich nach meiner Schätzung etwa 1.000 Personen vor dem Rathaus befunden haben.“ (Hammerschmitt, a.a.O., S.294)

Mitte Februar
Verbot eines Vortrags und einer Theateraufführung von Friedrich Wolf (KPD) 

4. März
Große Kundgebung der siegessicheren NSDAP
Nach einem Feuerwerk marschiert die SA mit Fackeln durch die Stadt zum Löwenkellersaal, in dem eine Rede Hitlers im Rundfunk übertragen wird.

5. März
Wahl zum Reichstag – Schorndorf: Hohe Wahlbeteiligung 89,4 %
40,9 % stimmen für die NSDAP. Hauptwählerpotenzial: Bauern, Selbstständige, Kaufleute und arbeitslose Arbeiter.
SPD 17,6 %, Kampffront Schwarz-Rot-Weiß/DNVP 13,9 %, KPD 7,8 %, CVD 7,1%, DDP 4,9%, Bauernpartei 3,9 %, Zentrum 3,2 %, DVP 0,6 %

7. März
Letzte Gemeinderatssitzung mit allen Gemeinderatsmitgliedern der SPD und KPD

8. März
Am Rathaus hängt die Hakenkreuzfahne neben der schwarz-weiß-roten Flagge.

13. März
Verbot und Auflösung von Arbeitervereinen
Arbeitergesangvereins ‚Frohsinn’, Arbeitersportvereine, Radverein ‚Vorwärts’ …

24. März
Politische Säuberungsaktionen
Hausdurchsuchungen, Festnahmen, „Schutzhaft“ – Grundlage Reichstagsbrandverordnung vom 28.2.1933.
An der Aktion beteiligen sich SA-Leute, die vom NSDAP-Ortsgruppenleiter Schaufler abkommandiert und von der Polizei als Hilfspolizisten mit Waffen ausgestattet werden. 24 Personen der SPD und vor allem der KPD werden in Schutzhaft genommen und für 3-6 Monate in das KZ Heuberg eingeliefert. Unter den Verhafteten ist auch KPD-Stadtrat Strobel.

25. März     
Drohungen gegenüber Gottlob Kamm –  „denselben in Schutzhaft zu nehmen“

 

T 1: Schreiben von Friedrich Schaufler, Bezirksnotar, seit 1926 NSDAP-Ortsgruppenleiter und ab 1935 stellvertretender Bürgermeister. Gottlob Kamm legt daraufhin sein Mandat nieder.

 

1. April
Boykottmaßnahmen gegen das Kaufhaus der jüdischen Familie Anspach
Zwei bewaffnete SA-Männer stellen sich vor die Eingangstür und drohen mit der Einlieferung ins Konzentrationslager. Viele Kunden besuchen trotzdem das Kaufhaus. Einen Tag zuvor weist Bürgermeister Raible die städtischen Ämter an, den „Einkauf im Warenhaus Anspach und im Konsumverein künftig unter allen Umständen zu unterlassen.“ (Hammerschmitt, S.120)

Anfang Mai
Umbenennung von Straßen und Plätzen. Die Burgstraße wird zur Adolf-Hitler-Straße, der Augustenplatz zum Horst-Wessel-Platz

24. Juni
Bücherverbrennung
Ablauf der Sonnwendfeier mit Verbrennung von Schriften „undeutschen Geistes“:

Vormittag: Gottesdienst
Nachmittag: Sportwettkämpfe aller Schulklassen auf drei Sportplätzen …
Abend: Versammlung auf dem Marktplatz: Choral und Volkstänze der HJ. Anschließend Gang zur Göppinger Steige um dort Schriften „undeutschen Geistes“ zu verbrennen. „Dann gab der Leiter des Festes, W. Seybold, der Führer der Hitlerjugend, das Zeichen zum Verbrennen kommunistischer Schriften und Flugblätter, die hier in Schorndorf beschlagnahmt worden waren. Mitglieder der HJ brachten Arme voll gedruckter Bücher und Schriftmaterials daher und bald flackerten die verbrannten Blätter vom warmen Winde aufwärts getrieben in die Luft. Ein freudiges Bild für die lebhaft interessierte Schuljugend.“ 
Zum Schluss: Gemeinsames Lied Ich hab mich ergeben    (Hammerschmitt, S. 85)

25. Juli
Verhaftungswelle und Inhaftierung im Polizei-Gefängnis Schorndorf
Unter dem Vorwand „kommunistischer Umtriebe“ werden 19 Personen festgenommen. Hintergrund: Feierlichkeiten des Deutschen Turnfestes in Stuttgart – Angst vor Terroraktionen

17.Oktober
Öffentliche Ermahnung – Ehrerbietung gegenüber den Liedern und neuen Symbolen
Propagandaleiter Erdmann: „[…] dass besonders in den umliegenden Häusern des Marktplatzes manche Einwohner es nicht für notwendig hielten, beim Deutschland- und Horst-Wessel-Lied den Arm zu heben. Wir wollen den Betreffenden die ernste Mahnung aussprechen, künftighin in dieser Hinsicht Charakter und Disziplin an den Tag zu legen [ ...]“   (Hammerschmitt, S.95)


1934

2. Februar
Verhaftung von Gottlob Kamm und Heinrich Schulze von der SPD

5. Februar – 19. Mai
Kamm im „Schutzhaftlager Ulm“ ohne vorherige Anklage
Nach der Entlassung: Zu Hause muss sich Kamm zweimal die Woche auf der Polizeistation melden. Er ist ein Jahr arbeitslos und gerät in Schorndorf zunehmend in Isolation. Allein schon seine Bekanntschaft gilt als gefährlich.

21.–23. April
100. Geburtstag von Gottlieb Daimler – Große Propagandaschau
Enthüllung des Daimler-Denkmals (wurde 1943 kriegsbedingt eingeschmolzen), SA-Aufmärsche, Vorführungen und Festbankett.

 

B 4 „Festlich“ geschmückter Marktplatz

 

30. April
Bürgermeisteramt kündigt sämtliche Bekanntmachungsaufträge mit dem demokratisch eingestellten „Schorndorfer Volksblatt“

Juni
Achtet auf die Volksschädlinge
Aktion Regierung und Partei gegen Staatsfeinde
Ansprache Ortsgruppenleiter Schaufler auf dem Marktplatz: „Mancher habe Gelegenheit genommen am Biertisch hinterm warmen Ofen dies und jenes zu kritisieren, haltlosen Gerüchten das Ohr zu leihen oder sie weiterzutragen. […]
Gegen diese Kritiker geht der Kampf […]“ (Hammerschmitt, S. 93)

November
Ermahnung bei Nichtbeflaggung am Reichstrauertag
Schaufler an Oberlehrer Bullinger: „Ich nehme an, daß Sie sich in Zukunft ein derartiges Versäumnis nicht mehr zu schulden kommen lasse. Heil Hitler.“ (Hammerschmitt, S. 95)

1935

April
Kein Schaukasten für den „Stürmer“
Eugen Bacher, Inhaber des Musikgeschäfts, lehnt die Anbringung eines Schaukastens für das antijüdische Hetzblatt Der Stürmer ab. Der Vorfall wird dem SA-Sturmführer Roos gemeldet.

4. Mai
Terror der Hitlerjugend: „Fluch über Dir!“
SA-Mitglieder und HJ, die in Uniform mit dem Spielmannszug erscheint, bringen den Schaukasten in einer feierlichen Aktion an. Da Bacher nicht zu Hause ist, gehen ca. 200 Personen zu den Tennisplätzen und zwingen Bacher hinter dem Spielmannszug zu seinem Haus zu marschieren – begleitet von Sprechchören der HJ: „Judenfreund, Du bist ein Verräter an Deinem Volk, an Deinem Führer, an Deinem Blut, an Deinem Glauben. Judenknecht, Du neigst Dich vor den Mördern Deiner Brüder! Fluch über Dir!“ (Theurer, a.a.O., S. 94)

31. August
Landgericht Stuttgart: Bacher ist selbst schuld.
Bachers Anzeige beim Landgericht Stuttgart gegen die Anführer der Aktion, die SA-Leute Roos, Losch und Rapp sowie dem HJ-Vertreters Jira wird abgewiesen, „da Bacher durch sein ungehöriges Verhalten selbst Anlass zu dem Vorfall gegeben hat.“ (Theurer, S.96)

3. Oktober
Die jüdische Familie Anspach entschließt sich, ihr Kaufhaus mit den Spielwaren, Haushalts-, Stoff- und Modeartikeln aufzugeben und Schorndorf zu verlassen.

10. Oktober – 25. Oktober
Erblehre, Rassenkunde und Bevölkerungspolitik
Große Ausstellung mit Filmen und Vorträgen


1936

19. Januar
„Showdown“: Anhänger der Deutschen Christen – Anhänger der Bekennenden Kirche
Nachdem der von Landesbischof Wurm abgesetzte und bereits auswärts wohnende Dekan Otto Rieder (D. C.) keine Anstalten machte seine Stellung zu räumen, erschien in der Tagespresse die Meldung des kommissarisch eingesetzten Dekan Josenhans (B.K): „Am Sonntag –  Kein Geläute, kein Gottesdienst“. Daraufhin lassen die lokalen NSDAP- und SA-Führer ihre Anhänger vor der Stadtkirche aufmarschieren und verkünden: „Dekan Rieder, wir grüßen dich, Heil Hitler!“

Um 11.45 Uhr kommen 300 bis 400 Josenhans-Anhänger vor der Kirche zusammen, singen „Eine feste Burg ist unser Gott“ und hören die Segensworte „ihres“ Dekans.

Auf dem Kirchplatz stehen sich Gegner und Anhänger von Rieder und Josenhans gegenüber. Es kommt zu erregten Debatten über den D.C.-Mann Rieder, den „Faulenzer“, über das Verhältnis der NSDAP zu kirchlichen Fragen und über die Person Josenhans von der Bekennenden Kirche. Zu Handgreiflichkeiten kommt es trotz der explosiven Lage nicht. Beim Abendgottesdienst kommt es zu einer     Abstimmung mit den Füßen. Rund 1.600 Kirchgänger erscheinen und betonen, dass sie Josenhans und nicht Rieder als Dekan wollen.

21. Januar
Josenhans muss wegen „Störung der öffentlichen Ruhe und Ordnung“ Schorndorf verlassen. Erst am 30. März 1936 kann er seine Stelle als Dekan antreten, die er bis 1949 inne hat.

29. Januar
Von der Stimmliste gestrichen
Mitteilung des Bürgermeisteramts an Selma und Helmut Anspach. Als Juden seien sie nach dem Reichsbürgergesetz vom 14.11.1935 von der Stimmliste gestrichen worden.

24. März                                                                                                                                                        
Keine Bedenken: Das Innenministerium widerspricht dem Bürgermeisteramt, das die seit 1935 in Schorndorf lebende Sinti-Familie Guttenberger von der Wählerliste streichen wollte.

29. März
Denunziation und Einschüchterung
Verhaftung des früheren KPD-Gemeinderats Karl Strobel morgens um 4 Uhr durch SS und SA, nachdem er am Vortag im ‚Elefanten‘ mit einem Bekannten über die Wahl zum Reichstag gesprochen hat.
„Abends kurz nach 6 Uhr wurde ich entlassen. Vor dem Rathaus über den Marktplatz bis zur Hauptstraße war die SS, SA, die Pol. Leiter [der NSDAP] und die Amtswalter angetreten. Sie bildeten zwei Reihen, in der Mitte eine Gasse, durch welche ich hindurchgehen mußte. Eine große Menschenmenge schaute diesem Schauspiel zu.“ (Hammerschmitt, S. 151)

6. April
Überwachung
Über die Kommunisten meldet Polizeiwachtmeister Schippert: „Sie halten sich […] entweder in der Wirtschaft zum Engel, Ochsen, Adler, Elefanten […] auf. Ein direktes Zusammenrotten wurde noch nie wahrgenommen.“ (Hammerschmitt, S. 148)

5. September
Denunziation am Stammtisch – neun Jahre später im KZ ermordet
Verhaftung von Heinrich Talmon-Groß in einer Gaststätte in Miedelsbach. Der Zigarrenmacher, Gewerkschaftssekretär und ehemalige SPD Stadtrat berichtet am Stammtisch über seine Schutzhaft auf dem Heuberg und bezeichnet Hermann Göring als den wahren Brandstifter des Reichstags. Wegen „politischer Verleumdung“ wird er zu 4 Monaten Gefängnis verurteilt und am 9.4.1937 von der Gestapo ins KZ Dachau verschleppt. Über das KZ Mauthausen führt sein Weg nach Dachau zurück, in dem er am 20. Februar 1945 ermordet wird.

3. Oktober
Die Anspachs verlassen Schorndorf
Anzeige in den Schorndorfer Nachrichten: „Wir [Gebr. Zollmann] übernehmen das bisher von der Familie Anspach in unserem Hause geführte Warenhaus und führen dasselbe als Textilgeschäft weiter. (Hammerschmitt S. 119)

27. Oktober
Der Film „Erbkrank“ läuft im Kino Hess in der Palmstraße.


1937

1. Oktober
Dienstantritt von Albrecht Speidel, Leiter der Schutzpolizei der Stadt Schorndorf
„ … bin ich bereit zum Kampfe …“
Mit Speidel übernimmt ein überaus ehrgeiziger und außerordentlich überzeugter Nationalsozialist die Führung der Polizeidienststelle Schorndorf.

Georg Schwäble, Führer der SA-Brigade 56, Schwäbische Alb schreibt am 6.3.1935 über Speidels Arbeit in Blaubeuren: „…hat stets restlos seine Pflicht und Schuldigkeit getan und sich durch Opferbereitschaft und Hingabe die rückhaltlose Anerkennung durch seine Vorgesetzten erworben.“ 

Und 1936 bescheinigt NSDAP-Ortsgruppenleiter Schilling: „ Speidel … der sich in politischer Hinsicht jederzeit als Nationalist und aktiver Kämpfer für unsere Bewegung eingesetzt hat … Insbesondere hat er sich energisch gegen das hiesige Kommunistengesindel gewandt und sich durchgesetzt.“
(StALB, Spruchkammerakten Albrecht Speidel)   

Von den Schorndorfer Polizeibeamten erwartet Speidel: Eine „soldatische Haltung, die heute von einem Polizeibeamten erwartet werden muß.“
Und: „Das Arbeitstempo und damit die Arbeitsleistung muß um 50% gesteigert werden …
Seidel weiter: „… der Polizeibeamte ist immer im Angriff gegen das Alte, Morsche … Die Fühlung mit den Volksgenossen darf nicht mehr abreißen …“
„In Bezug auf ehrliche Leistung, die in dem Reiche Adolf Hitlers besonders anerkannt werden soll, bin ich bereit zum Kampfe …“ (StASch: Rechenschaftsberichte Speidel 25.12.1937 und 31.12.1938)

In den nächsten Jahren bekämpft Speidel „als Soldat an der Heimatfront“ unerbittlich Menschen, die nicht zur NS-„Volksgemeinschaft“ gehören. 

Anmerkung:
1948 wird Speidel im Spruchkammerverfahren als „Belasteter“ eingestuft.
Folge: Einweisung in ein Arbeitslager für 18 Monate, Einzug von 25% seines Vermögens als Wiedergutmachungsleistung, Übernahme der Verfahrenskosten und Kosten des Internierungslagers. 1950 wird im Revisionsverfahren das Urteil aufgehoben. Von nun an gilt Speidel nur noch als „Mitläufer“ . (StALB, Spruchkammerakten Speidel)


1938

2. April
Rassenforscher Dr. Adolf Würth, Berlin in Schorndorf                            
Anton Guttenberger lehnt die Untersuchung der „Rassenhygienischen Forschungsstelle“ ab.

16. – 17. Juli
Schorndorf im Jubiläumstaumel: 250-Jahrfeier „Die Weiber von Schorndorf“

 

B 5  Großer Festumzug und Aufführung des Schauspiels „Die Weiber von Schorndorf“ von Josef Weinberg

 

2. August
„Heil Moskau“ – „Stalin, der Retter“
Die Firma L&C Arnold meldet, „daß an den Wänden eines Aborts unseres Betriebes zwei Mal „Heil Moskau“ und „Stalin der Retter“ aufgeschrieben wurde. Ein Dummejungenstreich?
Der NSDAP-Ortsvorsitzende und stellvertretende Bürgermeister Schaufler meldet den Vorfall über den Landrat an die Gestapo nach Stuttgart. Einzelverhöre mit Schriftproben durch Polizeileutnant Speidel bleiben ohne Ergebnis.

Februar – November
Weitere Auflösung von Vereinen und Glaubensgruppen: z. B. „Verein der Freunde Israels“, „Möttlinger Gemeinde“.
Bereits 1936: „Anthroposophische Gesellschaft“

2. Dezember
Schutzhaftanordnung der Gestapo für Paul Diebel, Fabrikarbeiter, Kommunist
Einlieferung ins Gestapo-Gefängnis Welzheim. Ablehnung des Antrags auf Aufhebung der Schutzhaft im Juli 1939. Verschleppung nach Dachau und am 27.9. 39 nach Buchenwald. Ermordung dort am 13. März 1940.


1939

12. Februar
„Hammer und Sichel“ – „Von einer aktiven Wühlarbeit ist keine Rede“
Hammer und Sichel auf die Vorstadtstraße mit Kreide gezeichnet.
Polizeileutnant Speidel Anfang 39: „Zusammenkünfte von früheren Kommunisten wurden keine beobachtet. KPD-Anhänger […] im Aussterben. Von einer aktiven oder passiven Wühlarbeit ist keine Rede.“ (Hammerschmitt, S. 150)

In seinen Tagesberichten notiert Albrecht Speidel:
 12. Februar:  
„Gottesdienst in der Stadtkirche überwacht. Verbotener Hirtenbrief des Landesbischofs verlesen.  Christus […] ursprünglich Jude.“

25. April:
„Beim Abbruch der Zimmerwerkstatt Reile kommunistische Flugblätter gefunden.“

7. August:
„Staatsfeindliche Schriften bei der Firma Jupiter gefunden. Verdächtige nach Stuttgart zur Gestapo verbracht.“

15. August:
„Hochverräterische Schriften bei der Fa. Leibbrand“
(Staatsarchiv Ludwigsburg, Spruchkammerakten Albrecht Speidel)


1939 - 1945

II. Weltkrieg – Der Krieg im Innern
Schorndorfer in den Lagern Auschwitz, Buchenwald, Ravensbrück, Flossenbürg …

 

1939

8. September:
„20.50 Uhr Hetzelgasse. Ausländische Rundfunknachrichten in deutscher Sprache.“ Vorläufige Festnahme […] Bei den Festgenommenen handelte es sich um die langjährigen Parteigenossen Kreeb und Schmidgall. Die Parteimitgliedschaft bewahrte sie von schlimmeren Folgen. Am nächsten Tag waren sie wieder frei.
(Hammerschmitt, S.215)


1940

14. März
Ermordet im KZ Buchenwald – Paul Diebel, Politischer Häftling

T 2: Karteikarte Paul Diebel

Am 14.3. 1940 stirbt Paul Diebel mit 28 Jahren an den Folgen der Ruhrepidemie im Lager Buchenwald. Zuvor war er 1933 auf dem Heuberg inhaftiert und 1939 in den Lagern Welzheim und Dachau.

 
Frühjahr
Kriegswirtschaft: Die ersten polnischen Arbeitskräfte – „Fremdvölkische“ in der Stadt
Während des Zweiten Weltkriegs werden Arbeitskräfte aus den besetzten Gebieten vor allem in der Rüstungsindustrie und der Landwirtschaft benötigt. Je länger der Krieg dauert, desto mehr Arbeitskräfte braucht das Reich. 

Spätestens ab dem Frühjahr arbeiten die ersten polnischen Arbeitskräfte in Schorndorf. Sie werden beim Landwirt Schmid und beim Gartenmeister Dieterich eingesetzt.

Da Polen und Russen in der NS-Ideologie als minderwertige Rasse angesehen werden, bedeutet die Anwesenheit der „Fremdvölkischen“ eine Gefahr für die deutsche „Volksgemeinschaft“. Die Reichsregierung versucht mit den sog. Polen-Erlassen vom 8.3.1940 „… engere Berührungen mit der deutschen Bevölkerung“ weitgehenst [zu] verhindern.“ (Polenerlasse, Bundesarchiv)

B 6: Zwangskennzeichen – noch vor dem „Judenstern“ – , das auf jedes Kleidungsstück aufgenäht werden musste. 


Juni – August
Im Juni sind mindestens sechs Polen in Schorndorf beschäftigt
Im August kommen drei weitere Zivilarbeiter und zwei polnische Frauen hinzu, die als Hausmädchen im Bahnhof und als Hausgehilfin bei der Familie Fischinger arbeiten.
Der gemeinsame Besuch von Kirchen, Gaststätten, Tanzveranstaltungen, Theatern und Kinos mit der deutschen Bevölkerung ist ihnen verboten.  Mit der Eisenbahn dürfen sie nur mit schriftlicher Erlaubnis der Polizeibehörde fahren.
Und – „Wer mit einer deutschen Frau oder einem deutschen Mann geschlechtlich verkehrt oder sich ihnen unsittlich nähert, wird mit dem Tode bestraft.“ (Hammerschmitt, S. 227-229)

Wenn durch Anwerbeaktionen nicht genügend Kräfte gewonnen werden konnten, werden Männer, Frauen und Jugendliche zwangsweise aus ihrer Heimat verschleppt. Zwangsarbeiter gehören in den Kriegsjahren zum Alltagsleben der Deutschen in nahezu jeder Gemeinde.

9. Juli
Vom Wohlwollen und der Willkür des Arbeitgebers abhängig
Anzeige gegen den Polen Stanislaw Charusa, der beim Landwirt Hinderer arbeitet.
Charusa wird von der Gestapo verhaftet und am 15. Juli im Polizeigefängnis Welzheim „eingehend verhört“. Ihm wird angedroht, dass er im Wiederholungsfall sofort in Schutzhaft genommen wird.

Auch Landwirt Friedrich Schmid beschwert sich über seinen polnischen Arbeiter. Da Schmid wegen seiner cholerischen Anfälle über einen schlechten Leumund verfügt, werden seinen Klagen bei der Polizei nicht ernst genommen und nicht an die Gestapo weitergemeldet.
(Hammerschmitt, S. 230)

August
Französische Kriegsgefangene
15 französische Kriegsgefangene werden beim Bürgermeisteramt u.a. für Arbeiten im Straßenbau und im Wald beschäftigt. Untergebracht sind sie in einem Gefangenenlager – dem früheren Vereinsheim des CVJM – in der Gartenstraße 8.
(Holzer-Böhm, a.a.O., S. 165)

24. Dezember
Baugenehmigung für ein Kriegsgefangenenlager in der Lederfabrik Röhm
Hermann Röhm stellt den Antrag, im „ 1. Stock … soll ein Schlafraum zur Unterbringung von Kriegsgefangenen eingerichtet werden. Hierzu ist die Aufführung eines Kamins sowie die Einrichtung eines Abortes erforderlich.“
Die Genehmigungsurkunde erhält Röhm wenige Tage nach seinem Antrag.
(Beck, a.a.O., S. 219)

 

„Euthanasie“-Morde an Kranken und Behinderten - Tatort Grafeneck:
Opfer aus Schorndorf:
30. Mai: Marie Anna Fetzer

 

B 7: Stolperstein in der Römmelgasse


10. September: Albert Kohler
5. November: Elsa Heinrich
29. November:  Karl Hottmann
Anmerkung: 2020 sind neue Akten zur „Euthanasie“ aufgetaucht. Nach dem Fall der Mauer kamen im ehemaligen „NS-Archiv“ des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR viele Patientenakten ans Licht, die seit zwei Jahren der Forschungsöffentlichkeit zur Verfügung stehen. Die tatsächliche Zahl der Euthanasiemorde dürfte sich mehr als verdreifachen.


1941

Dienstags 11.42 Uhr, mittwochs 12.38 Uhr in Schorndorf: Häftlinge auf dem Weg in die Lager Welzheim und Rudersberg

Ab 1941 muss die Schorndorfer Polizei Gefangenentransporte übernehmen und für den „Abschaum der Menschheit“ (Polizeileiter Speidel am 28.8.1942) sieben Wachtmeister als Transportbegleiter stellen.
Die Gefangensammelwagen – anfangs gewöhnliche Eisenbahnwagen, die im Innern kaum beleuchtet sind – kommen dienstags um 11.42 Uhr und mittwochs um 12.38 Uhr in Schorndorf an. Da der Weitertransport ins Gestapo-Gefängnis Welzheim und ab 1942 ins Frauenarbeitslager Rudersberg erst um 17.20 Uhr erfolgt, werden die Häftlinge für einige Stunden im Rathaus im Polizeiortsgefängnis untergebracht.

Transporte:
1942: 134 Transporte mit 867 Gefangenen
1943: 267 Transporte mit 2.152 Gefangenen
Ab 1944: Durchführung der Transporte erfolgt durch die Gestapo
(Hammerschmitt, S. 221)


1942

Mitte Februar – Januar 1943
Massenmörder Albert Rapp aus Schorndorf – „in Eigeninitiative und mit Eifer“
Der 1908 in Schorndorf geborene und aufgewachsene Albert Rapp leitet als SS-Obersturmbannführer und Führer des Sonderkommandos 7a in Eigeninitiative und mit Eifer Massenerschießungen von mindestens 1180 Juden. 1965 wird er zu lebenslanger Haft verurteilt. 1975 stirbt er in der Haftanstalt Hohenasperg. (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Albert_Rapp, aufgerufen 12.6.2020)

Mitte März
„Ostarbeiter“: Das erste russische Arbeitskommando trifft in Schorndorf ein

Da der Versuch, Arbeitskräfte aus der besetzten Sowjetunion anzuwerben, fast völlig scheitert, werden Menschen vor allem aus dem heutigen Russland, Belarus und der Ukraine zwangsrekrutiert.
In der NS-Rassenideologie gelten sie als „Untermenschen“. Im Jahresbericht von Revierleiter Speidel über die „Überwachung der sowjetrussischen Arbeitskräfte“ kommt dies wie folgt zum Ausdruck: „ … Die Erziehung des deutschen Menschen zu dem unerläßlichen Standpunkt, daß er jetzt und erst recht in der Zukunft das Herrenvolk ist, braucht Zeit und Geduld.“ (StALB, Speidel Rechenschaftsbericht 1942)

Im Dezember 1942 arbeiten 151 russische Zwangsarbeiter in Schorndorf, im November 1943 sind es bereits 203.  

B 8 Zwangskennzeichen „OST"


Gemäß den „Ostarbeitererlassen sind die Ostarbeiter „… in geschlossenen Transporten ins Reich [zu bringen] …und in geschlossenen Lagern … mit Stacheldraht unterzubringen“ (Auszug Ostarbeitererlass 20.2.1942, Bundesarchiv)
Für die Bewachung der Lager müssen die Betriebe und die Polizei sorgen.

Polizeirevierleiter Speidel:  „Die Stadtwacht steht in Stärke von 60 Männern … zur Verfügung. Davon ist der 1. Zug [>12 Mann] stets verfügbar und durchweg mit Gewehren bewaffnet.“ „ … die nationalsozialistische Stadtwacht [steht] für jeden Einsatz bereit“  (StAL, Speidel 1942 Bericht: Personalveränderungen) 

4.–6. August
Sinti-Familie Guttenberger Festsetzungsbeschluss
Alle über 14-jährigen Familienmitglieder der Sinti-Familie Guttenberger hatten den Festsetzungserlass von 1939 zu unterschreiben, in dem ihnen mitgeteilt wurde, dass sie ihren Wohnsitz ohne Genehmigung nicht verlassen dürfen.

18. September
Ermordet im KZ: Albrecht Krauter, Gärtner und Schäfer
Im KZ Flossenbürg stirbt der Gärtner und Schäfer Albert Krauter aus Schorndorf an „Herzschwäche“. Er war am 22.6. 1942 von der Gestapo Stuttgart eingeliefert worden.

Die Schutzpolizei: „ … in Wort und Tat als treuer Diener unseres geliebten Führers“
Revierleiter Speidel in seinem Bericht von der Heimatfront 1942:      
▫ „1942 wurden von der Schutzpolizeiabteilung bearbeitet: 10 Verbrechen, 91 Vergehen, 306 Übertretungen, 117 polizeilichen Meldungen aller Art. Zu diesen schriftlich bearbeiteten Handlungen kommen noch 512 strafbare Handlungen, die im Schnellverfahren ihre amtliche Erledigung gefunden haben.
▫ 40 Personen wurden festgenommen und die meisten dem Amtsgericht oder der Gestapo vorgeführt.
▫ 11 Personen mußten zu ihrer eigenen Sicherheit oder der Sicherheit ihrer Mitmenschen in   polizeiliche Verwahrung genommen werden […]
▫ Die Schutzpolizei führte … 134 Gefangentransporte durch.
Davon die meist größte Anzahl nach Welzheim [Schutzhaftlager der Gestapo] und Rudersberg [Frauenarbeitserziehungslager]
▫  Zur Zeit haben wir in unserer Stadt über 300 Ausländer verschiedener Nationen
▫ Das Hauptereignis des Jahres auf dem Gebiet des Luftschutzes war der Luftangriff vom 4./5.Mai 1942. Im Jahr 1942 wurde 25 Mal Fliegeralarm gegeben.  (StA LB, Spruchkammerverfahren Albrecht Speidel)


1943

8.–11. März
„… die Zigeuner forttun …“
Anweisung der Kripo Stuttgart an die Polizeibehörde, das Ehepaar Guttenberger und die Kinder zu verhaften und am 15. 3. um 13 Uhr zum Nordbahnhof bringen.

Gegenüber Polizeimeister Haug bemerkt Dienststellenleiter Speidel am 11. März „dass Geschäft komme, man müsse die Zigeuner forttun, sie kämen in ein Lager.“ (StA LB, Spruchkammerverfahren Wendelin Haug)  

13.–18. März
Verhaftung der Familie Guttenberger – Verschleppung nach Auschwitz
Die Eltern Anton und Johanna und ihre Kinder Rudolf, Berta, Maria, Johannes, Elisabeth und ihr Pflegekind Karl werden am 13.3. Zuhause verhaftet und im Polizei- und Amtsgefängnis Schorndorf inhaftiert.

Da Johanna, Karoline und Gustav kriegswichtig beschäftigt sind, bleibt ihnen die Verhaftung und Inhaftierung erspart. Albert und Ludwig sind flüchtig.

Am 15. März werden die Guttenbergers um 11 Uhr mit dem Zug nach Stuttgart gebracht. Am gleichen Tag werden 234 Menschen in Viehwaggons nach Auschwitz transportiert. Ankunft im Lager am 18. März spätabends.

B 9: Nordbahnhof Stuttgart
Gedenkveranstaltung, 15. März 2018

 

Mitte 1943
Schorndorf: Sieben „Ostarbeiter-Lager“ mit 178 Zwangsarbeitern

B 10: Stecksystem: Genormte Baracke des Reichsarbeitsdienst (RAD)
Ostarbeitererlass: „ … sind in geschlossenen Lagern … mit Stacheldraht unterzubringen“
Die Barackenlager dürfen nachts nicht verlassen werden.


Betriebseigene „Ostarbeiter-Lager“:

Fa. Abt, Landwirtschaftliche Geräte: 30 Männer, 2 Frauen
Fa. Arnold, Eisenmöbel: 6 Männer, 39 Frauen
Fa. Hahn und Kolb, Werkzeugmaschinen: 14 Männer
Fa. Röhm, Lederfabrik: 25 Männer (Kriegsgefangene)
Fa. Jupiter, Küchenmaschinen: 11 Männer
Fa. Pfleiderer, Holzwarenfabrik: 18 Männer, 2 Frauen
Fa. Kübler, Strickwarenfabrik: 31 Frauen

Beim Lager der Firma Kübler handelt es sich um ein Gemeinschaftslager für Zwangsarbeiterinnen verschiedener Arbeitgeber (kleine Betriebe, Krankenhaus, private Haushalte). Die Frauen kommen aus Russland, der Ukraine und Polen. 1943 ist in einem Bericht an die Gestapo erstmals von 19 Kindern die Rede. 1944 waren es noch zehn, im März 1945 14 Kinder. Über das Schicksal dieser Kinder ist nichts bekannt. (Holzer-Böhm, S.174)

Die Ostarbeiter erhalten kleinere Lebensmittelrationen, müssen länger und härter arbeiten und werden bei Übertretungen strenger bestraft. Ihre Vorgesetzten haben ihnen gegenüber ein sogenanntes „Züchtigungsrecht“.
1943 bleiben ihnen nach Abzug der Abgaben am Tag noch 20 Pfennig (Polen 50, Franzosen 70). Für Schwer- oder Sonntagsarbeit erhalten sie keine Sonderzulagen oder sonstige Vergünstigungen. Später werden die Verpflegungssätze und Löhne angehoben. Schließlich braucht man die Ostarbeiter bei guter Gesundheit.

Die Kriegsgefangenen der Lederfabrik Röhm scheinen ein gutes Los gezogen zu haben. Die Dolmetscherin Martha Fischer 1947 im Spruchkammerverfahren gegen Hermann Röhm (Urteil: Mitläufer):
 „Wie die Russen hier ankamen, waren sie ausgehungert, sie konnten kaum stehen … In kürzester Zeit hatten sie infolge der guten Pflege ihr volles Körpergewicht … Herr Röhm kümmerte sich täglich darum.“   
Anna Schneider (Köchin): „Mittags kochte ich für die Deutschen und die Russen gemeinsam …“ (Beck, a.a.O., S. 90)

In seinem Tätigkeitsbericht zum Thema Ausländer bzw. Ostarbeiter stellt Polizeileutnant Speidel fest:
„Im Jahr 1943 wurden insgesamt 105 Personen vorläufig festgenommen oder zwangsgestellt. Die Mehrzahl hiervon waren ausländische Arbeitskräfte. Wegen Arbeitsvertragsbruch wurden 32 Personen festgenommen bezw. Festnahmeersuchen an die Gestapo gestellt. Davon waren 4 Deutsche, alles andere Ausländer.“
Der „Rückgang der strafbaren Handlungen, die auf den Genuß von Alkohol zurückzuführen sind … trifft auf unsere deutschen Volksgenossen zu, weniger jedoch auf die … Ostarbeiter.“
„... Es gibt genug verwahrloste Zeitgenossen, die das Ansehen aller Deutschen durch Verkauf von Schnaps usw. zu Wucherpreisen an Ostarbeiter schwer schädigen …“  (StA LB, Spruchkammerverfahren Speidel)

Juni
Vom Schulfreund angezeigt
Der Glasermeister Wilhelm Bauer ist in Estland als Soldat der Marineartillerie stationiert. Im Heimaturlaub kommt er mit seinem Schulfreund Johannes Hermann ins Gespräch und bezeichnet Hitler als den größten Massenmörder aller Zeiten. 

Hermann zeigt Bauer einige Tage später an. Im September wird Bauer im Feld verhaftet und im Mai 1944 als politischer Volksschädling wegen Zersetzung der Wehrkraft zu drei Jahren Gefängnis und zwei Jahren Ehrverlust verurteilt.

Im KZ Papenburg wird der Glasermeister „in bestialischer Weise von SS-Soldaten misshandelt“. Im April 1945 wird er durch Briten befreit. (Reichle, a.a.O., S. 42 – 44)

Juli – November
In Auschwitz ermordet

 B 11: Sinti-Familie Guttenberger
1. Reihe: †Johanna, †Anton, †Maria, Gustav –2. Reihe: Rudolf, Johanna
3. Reihe: Drei Glaubensfreundinnen – 4. Reihe: †Berta, †Johannes
Es fehlen die Kinder: †Elisabeth, Albert, Karoline, †Ludwig  


Anton (50) und Elisabeth (12) am 26.7., das Pflegekind Karl (8) am 11.8. und im Zeitraum März – November Johanna Guttenberger (49)

Dezember
Karoline (18) wird in Auschwitz am 11.12. eingeliefert,

T 3 Häftlings-Personal-Karte Karoline Guttenberger

 

Rudolf wird am 12.12. ins KZ Natzweiler transportiert
Ludwig – im Oktober zum zweiten Mal verhaftet – kommt am 16. oder 23. 12. ins Lager.
Berta (17) stirbt an Hungertyphus.


1944

Schorndorf: Bericht von der Heimatfront
Aus dem Tätigkeitsbericht des Revierleutnants Speidel:
▫ „Strafbare Handlungen: 1944 wurden von der Schutzpolizeidienststellenabteilung bearbeitet Vorjahr in ( ): Verbrechen = 13 (20)    Vergehen = 174 (168)    Übertretungen =  116 (136)    
Dazu wurden noch = 121 (194) polizeiliche Meldungen aller Art erstattet. Insgesamt wurden 576 strafbare Handlungen schriftlich erledigt (586)

▫ Ein besonderes Kapitel nehmen die Arbeitsbummeleien und Arbeitsvertragsbrüche ein. Es wurden 59 Personen zusätzlich zur Anzeige bezw. der Geheimen Staatspolizei vorgeführt und zur Abrügung gebracht. Davon waren nur 5 Deutsche.

▫ […] staatsfeindliche Äusserungen oder Handlungen […] 15 Personen zur Rechenschaft gezogen […]

▫ Festnahmen und Zwangsgestellungen: […] insgesamt 145 (109) Personen, die Mehrzahl waren wieder ausländische Arbeitskräfte. Davon viele, die über das Wochenende über ihre Faulheit in Arrest nachzudenken Gelegenheit hatten.

▫ Der Arbeitsvertragsbruch der ausländischen Arbeitskräfte – einschl. Elsäßer – war gegenüber   dem Vorjahr doch etwas zu hoch. Das kommt wohl daher, weil Welzheim und Rudersberg zuerst nach hier Arbeitskräfte abgeben […]

▫ Gefangenentransporte: Die Transporte nach Welzheim und Rudersberg  sind weggefallen bezw. werden durch die Schutzpolizei des Reiches ausgeführt.

▫ Das Abhalten und Hinauswerfen der Jugendlichen aus dem Lichtspieltheater war auch dieses Jahr erfolgreich. 3 Jugendliche mußten wegen Übertretung des JgdSchG. angezeigt werden. Das 6. Kriegsjahr durch die Umquartierungen und vor allem aber durch den Kohlenmangel und den Ausfall des Haushaltgases eine Belastung bezw. kalte Füße […].“    (StA LB, Spruchkammerverfahren Speidel)


„Zwieback für die Wehrmacht“
KZ-Häftlinge für den NS-Musterbetrieb Südland

B 12 Eingang zur Waffelfabrik J&G Mössle, dem „NS-Musterbetrieb“ Südland.
Einsatz auch von Häftlingen aus dem Gestapo-Lager Welzheim und dem Frauenarbeitslager Rudersberg (ab 1942)


Betriebsführer Jakob Mössle (PG und NSKK Staffelführer) und Polizeileutnant Speidel liegen politisch ‚auf einer Wellenlänge‘. Bei der Gründung der Schorndorfer Stadtwacht erwirbt sich Mössle bleibende ‚Verdienste‘. Mössle hat auch zu Hermann Eberle, dem brutalen Kommandanten (1940-1945) des Lagers Welzheim gute Kontakte. Eberle überprüft alle drei bis vier Wochen ‚seine‘ Häftlinge im „NS-Musterbetrieb“ und schreckt dort – in Anwesenheit von Jakob Mössle – auch vor Misshandlungen nicht zurück.

Anmerkungen:
1949 erhängt sich Eberle im Gerichtsgefängnis Schorndorf. Im Spruchkammerverfahren war ihm vorgeworfen worden, Häftlinge verprügelt und misshandelt zu haben und von über 30 Hinrichtungen verantwortlich gewesen zu sein. Darüber hinaus hätte er einen russischen Arzt verhungern lassen und einen englischen Häftling eigenhändig erschossen.
Mössle flüchtet im April 1945. In Abwesenheit wird er zu hohen Strafen verurteilt. 1949 taucht er in Schorndorf wieder auf. Er gab zu, an mindestens zwei Hinrichtungen von Polen in Welzheim teilgenommen zu haben. 1950 wird das Urteil der Spruchkammer Schorndorf im Revisionsverfahren in Ludwigsburg aufgehoben (Hammerschmitt, S. 236 + S.344)

Fremd- und Zwangsarbeiter/innen
1944 hat Schorndorf 10.739 Einwohner (einschließlich Wehrmachtsangehöriger).
Davon waren 683 ausländische Arbeitskräfte. 172 „Arbeitskräfte OST“ arbeiten in Zulieferbetrieben der Rüstungsindustrie und 17 in der Landwirtschaft und in Privathaushalten.

Speidel in seinem Bericht am 3. April 1944 an die Gestapo: „Arbeitsmäßig und wohl auch charakterlich ist ein Ostarbeiter mehr wert wie ein Franzose, Grieche usw.“      
Die Ostarbeiter waren für Speidel „Untermenschen“, deren Arbeitsleistung er höher einschätzte als die der Franzosen oder Griechen, die sich häufig bei geringfügigen Anlässen häufig krank melden und immer wieder die Ausgehbestimmungen missachten.

Verdächtigungen und Denunziationen
Angesichts der vielen Fremdarbeiter sind Verwaltung und Polizei auf die ‚Mitarbeit‘ der Bevölkerung angewiesen. Verdächtigungen und Denunziationen war Tür und Tor geöffnet.

Beispiele:
Anzeige gegen einen Friseurmeister
Grund: Er hatte Ostarbeiterinnen Dauerwellen gemacht.

Sonntag, 7. Mai
Ostarbeiter auf dem Gehweg
Meldung: „10-12 Ostarbeiter und -innen hielten sich stehend auf dem Gehweg auf. Machten keine Miene, deutschen Passanten den Weg freizumachen.“

Empfindlich reagiert die Bevölkerung, wenn sich Fremdarbeiter privat in aller Öffentlichkeit treffen und in ihrem Verhalten den notwendigen „Respekt“ vermissen lassen. „Schuld“ an diesem gelockerten Umgang waren meistens die Arbeitgeber der „Arbeitskräfte Ost“, die mitunter großzügig Ausgehanträge für ihre Ostarbeiter stellen und diese an Wochenenden auch in der Reichsbahn anzutreffen sind. Auch handhaben die Landgemeinden die Ausgehbeschränkungen weit weniger streng als die Schorndorfer Polizei, so dass immer wieder die Gestapo als übergeordnete Instanz eingeschaltet werden muss.

Persönliche Kontakte zwischen Deutschen und Ostarbeiter/innen sind strengstens verboten. In den Ostarbeiter-Erlassen wurde festgelegt: „… Jeder Geschlechtsverkehr mit Personen deutscher Staatsangehörigkeit und mit anderen ausländischen Zivilarbeitern oder Kriegsgefangenen ist bei Todesstrafe verboten. Frauen werden in ein Konzentrationslager eingewiesen.“ (Merkblatt für Arbeitskräfte aus den besetzten sowjetrussischen Gebieten, Bundesarchiv)

Ins Kino mit einer Ostarbeiterin – Nach Welzheim ins KZ
Landwirt Gotthilf Malsch und die bei ihm beschäftigte Ostarbeiterin Justina Stec haben ein Verhältnis. Im Nachbarort werden sie zusammen im Kino gesehen und angezeigt.
1944 werden Malsch und Stec in Konzentrationslager eingeliefert. Nach der Entlassung aus dem KZ Welzheim wird Malsch die Enteignung seines Hofs und die Einlieferung in KZ Dachau angedroht. Um Schlimmeres zu verhindern, setzt sich Frauenschaftsleiterin Sofie Schöllhammer beim Ortsgruppenleiter für ihn ein. Nach dem Krieg heiraten Gotthilf Malsch und Justina Stec.

18. Oktober
Verliebt in einen sowjetischen Kriegsgefangenen – Hinrichtung
Die 19-jährige Emma wird unter dem Verdacht festgenommen, „ein Liebesverhältnis mit einem sowjetischen Kriegsgefangenen zu haben.“   Im Polizeiverhör gesteht sie „geschlechtlich mit dem Bolschewisten verkehrt zu haben“. Der russische Kriegsgefangene wird gehängt. „Vollkommen schuldlos“, wie Emma nach dem Krieg aussagt. (Hammerschmitt, a.a.O., S. 238-253)

„Hinreichend getrennt“ – Bestattungen auf dem Alten Friedhof

B 13: Holzkreuze und Grabsteine der 13 noch vorhandenen Gräber der Fremd- und Zwangsarbeiter/innen  
Natalya Dytschwa, stirbt am 26.2.1943. Ihr Alter und die Todesursache sind nicht bekannt.


1944 werden auf dem Alten Friedhof folgende Fremdarbeiter bestattet:  
Adam Berski, *1919  †1944, Doppelseitige Lungenentzündung
Ustja Mowtschan, *1911  †3.1.1944, Bauchhöhlenschwangerschaft
Alexandra Gerasinowa, *1986  †22.1.1944, Ruhr  
Pawel Kolenko, *1926  †21.4.1944, Tuberkulose
Leo Kudorenko, *1924  †25.4.1944,  Tuberkulose
Nikolai Sliskow, *1923   †7.5.1944, Magenblutungen
Nasar Damianschuk, *1899  †25.12.1944, Zwölffingerdarmgeschwür
Die Todesursachen deuten auf schlechte Lebensverhältnisse und mangelnde medizinische Versorgung hin.

Familie Guttenberger
Ermordet
Maria (16) im Frühjahr in Auschwitz, Johannes (15) am 16.9. in Buchenwald.

T 4 Mitteilung vom KZ Buchenwald: Tod des Schülers Johannes Guttenberge


Zwangsarbeit

Karoline im KZ Ravensbrück und verschiedenen Außenarbeitslagern.
Ludwig in Ravensbrück und vermutlich in Bergen-Belsen.

T 5 Ludwig Guttenberger, seine WVHA-Karteikarte


Giftgasversuche und Zwangsarbeit

Rudolf in Natzweiler, Neckarelz und Dachau.
Karoline und Rudolf überleben die Gewaltherrschaft der Nazis.


Paul Bay: Nicht konform verhalten – „Alles genommen“

B 14 Malermeister Paul Bay (1.v.l.) und seine Mitarbeiter. Gustav Guttenberger (2.v.r.)


Trotz diverser Anwerbungsversuche werden Malermeister Paul Bay und seine Frau Marie nicht Mitglied der NSDAP.
So gut es möglich war, hielten die gläubigen Christen Abstand zu den Nationalsozialisten im Ort. Die Bays beteiligen sich auch nicht an Wahlen. „Das Kreuz hat einen Haken“ formuliert einmal Marie Bay. Für seinen Mitarbeiter Gustav Guttenberger setzt sich Friedrich Bay ganz besonders ein. Es gelingt ihm, für ihn eine UK-Stellung zu erreichen (Großauftrag: Gehäuse für Volksempfänger spritzen), so dass Gustav im März 1943 nicht nach Auschwitz deportiert wird. Vermutlich 1944 taucht Gustav unter. Bays Tochter Irmgard: „Zmal war Gustav weg“. Er überlebt den NS-Staat.

Sein mutiges Verhalten hatte für den Malermeister Folgen:
Er durfte nicht mehr                                                                      
… an der Berufsschule Schorndorf Werkstattunterricht erteilen
… Bienensachverständiger sein (Seine Bienenzucht wurde geschlossen)  
… Malermeister sein. Sein Geschäft wurde geschlossen. In Waiblingen musste er als „Zwangsarbeiter“ arbeiten
Seine Tochter Irmgard: „Man hat ihm am Schluss alles genommen“
(Gespräch Irmgard Kleinle – Eberhard Abele 9.7.20)


1945

20. Februar
Ermordung von Heinrich Talmon-Groß in Dachau
Durch die Denunziation eines „Stammtischbruders“ verbrachte er fast neue Jahre in Gefängnissen und Konzentrationslagern

28. Februar
Die Russin Olga Domaskina stirbt mit 20 Jahren an Tuberkulose. Sie wird auf dem Alten Friedhof begraben.

15. März
Flucht
Rudolf Guttenberger gelingt in Bad Salzungen die Flucht

21. April
Einmarsch der Amerikaner in Schorndorf  – Kampflose Übergabe der Stadt
Gegen 8.30 Uhr erscheinen die ersten amerikanischen Soldaten auf dem Marktplatz.

Fabrikant Walter Arnold, der als Dolmetscher des Bürgermeisters Richard Beeg fungierte, zu den Soldaten: „Hello boys! Do you want to see the Mayor? He wants to turn the town over to you.“ Nach Verhören durch den amerikanischen Kommandanten erklärte Bürgermeister Beeg: „Ich übergebe hiermit die Stadt kampflos den alliierten Truppen.“

24. April
Befreiung
Karoline Guttenberger von den Russen im Lager Wittenberg befreit

April  
Befreiung
Wilhelm Bauer von Briten in einem Bremer Gefängniszuchthaus befreit

3. Mai
Ermordung von Ludwig Guttenberger auf der „Cap Arcona“

6. Mai
Tod durch Schädelbruch
Der 26-jährige polnische Zwangsarbeiter Waclaw Luszcewski  stirbt an einem Schädelbruch.  

8. Mai
Bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht
Ende des II. Weltkriegs, Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus

22. Juni
Gottlob Kamm Bürgermeister von Schorndorf
Ernennung von Gottlob Kamm zum Bürgermeister durch den Landrat im Namen der Militärregierung

 


- Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte an der ZSL-Regionalstelle Stuttgart -


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