Die Römer in Südwestdeutschland
Landesgeschichtliche Einführung
Autoren: | Rainer Gutjahr (Arbeitskreis RP Karlsruhe) Dr. Michael Hoffmann (Kompetenzzentrum) |
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Reiterhelm aus Bronze (3. Jh.) © Limesmuseum Aalen |
Felsgeburt des Mithras © Museum Güglingen, Foto: Hajdu |
Sesterz Antoninus Pius (2. Jh.) © Dr. Volker Kronemayer |
Die 2005 erfolgte Erhebung des Limes in den Rang eines „Weltkulturerbes“ unterstreicht die Tatsache, dass die römische Vergangenheit in herausragender Weise Bestandteil des kulturellen Gedächtnisses unserer Gesellschaft ist.
Auch liegt die europäische Dimension des Themas auf der Hand. Sie verbindet sich nicht zuletzt mit dem Aspekt der „Romanisierung“, die als „Ausbreitung des Römischen … in Form von Sprache, Sitten, Gegenständen, Techniken oder Menschen“ definiert werden kann (Krause).
Das römische Gebiet des heutigen Baden-Württemberg war Ziel einer Zuwanderung aus allen Provinzen des römischen Reiches. Dieser Vorgang war keine Einbahnstraße, er vollzog sich vielmehr im Austausch mit den vorgefundenen Kulturen, seien sie keltischer oder germanisch-neckarsuebischer Ausprägung.
A) Militärische Inbesitznahme:
- Chronologische Übersicht
A) Militärische Inbesitznahme: |
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- Chronologische Übersicht | |||||||
58-50 v. Chr. |
Die Rheingrenze Mit der Eroberung Galliens durch Julius Caesar wurde der Rhein zur Grenze des Römischen Reiches. Die Nordgrenze des Imperiums verlangte damit nach einer Regelung, vor allem auch angesichts der Tatsache, dass noch nicht einmal die Alpen im Norden Italiens der römischen Herrschaft unterworfen waren. |
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15 v. Chr. |
Die Gewinnung des Alpenvorraumes Kaiser Augustus (31 v. Chr. – 14 n. Chr.) plante in diesem Zusammenhang die Errichtung einer „Großgermanischen Provinz“ - Provincia Germaniamagna mit der Elbe als Nordostgrenze. Notwendig waren damit zunächst die Unterwerfung der Alpenvölker und die Sicherung der Alpenpässe als Voraussetzung des Zugriffs auf germanische Gebiete. In Ausführung dieses Vorhabens unterwarfen die beiden Adoptivsöhne des Kaisers Augustus, Drusus und Tiberius, im Jahr 15 v. Chr. die Rätier und Vindeliker, Völker, die in den Alpen und im Alpenvorland (Oberschwaben, Bayern) ansässig waren. Das Siegesmonument von La Turbie (oberhalb Monacos), das Tropaeum Alpium, nennt die Namen von 49 unterworfenen Alpenstämmen. Gleichzeitig besetzte römisches Militär das mit Rom befreundete Königreich Noricum (Österreich). Strategisch wichtige Straßenverbindungen über mehrere Bergpässe legten die Grundlage für weitere Militäroperationen nördlich der Alpen. Zahlreiche Militärstationen im nördlichen Alpenvorland dienten der Sicherung des neu gewonnenen Gebiets. Das reiche Fundmaterial von Augsburg-Oberhausen deutet auf ein Legionslager hin. Ein weiteres, 1967 am Hochrhein bei Dangstetten (Waldshut) entdecktes Legionslager wird als Ausgangspunkt für Militäroperationen in den germanischen Raum hinein betrachtet, die etwa über das Wutachtal nordwärts in das Tal des Neckars führten. Im Lager von Dangstetten war jene 19. Legion stationiert, die im Jahr 9 n. Chr. in der „Varusschlacht“ beim heutigen Kalkriese zugrunde ging. Der 15 v. Chr. unterworfene Alpenraum unterstand der Militärverwaltung. Der Kommandeur der bei Augsburg-Oberhausen stationierten Legionen war zugleich Statthalter von Vindelikien (Oberschwaben, Bayern): legatusAugusti pro praetore in Vindolicis. Die weiter gehenden Pläne des Kaisers Augustus – die Eroberung Germanien bis zur Elbe – scheiterten. Ein Aufstand in Pannonien (Ungarn, Kroatien) nötigte Tiberius zum Abzug von Truppen aus Germanien auf den Balkan. |
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9 n. Chr. |
Die vernichtende Niederlage in der „Varusschlacht“ im Jahre 9 n. Chr. trug sieben Jahre später mit zum Verzicht des Kaisers Tiberius (14 – 51 n. Chr.) auf alle rechtsrheinischen Eroberungen bei; somit wurde der Rhein wieder zur Nordostgrenze des Römischen Reiches. |
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Ausbau der Rheingrenze Im Zuge des Ausbaus der Rheingrenze wurden die bestehenden kleineren Militärlager Vindonissa (Windisch, Kanton Aargau) und Argentorate (Straßburg) zu Legionslagern vergrößert. Der Schutz der Rheingrenze wurde dem „oberen Heer“ - exercitus superior - und dem „unteren Heer“ - exercitus inferior - übertragen. Die in Vindonissa stationierte Legion des oberen Heeres war für die Überwachung der aus Italien, Gallien und Rätien in der Nordschweiz zusammentreffenden Fernstraßen zuständig.
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41-54 n. Chr. |
Errichtung der Provinz Rätien Im Zusammenhang mit der Errichtung der Provinz Rätien wurde in claudischer Zeit (Kaiser Claudius 41-54 n. Chr.) die Nordgrenze der Provinz am Südufer der Donau mit Kastellen befestigt, dazu gehören Unterkirchberg, Rißtissen, Emerkingen, Tuttlingen und Hüfingen. Von Hüfingen aus führte mit großer Wahrscheinlichkeit eine Straße über den Schwarzwald zum Kastell Riegel und von dort unterhalb des Kastells Sasbach über den Rhein; beim linksrheinischen Markolsheim mündete sie in die Rheintalstraße. Donaustraße und Rheintalstraße gewährleisteten die Verbindung von der Provinzhauptstadt Augsburg - Augusta Vindelicum - zur Kommandozentrale des oberen Heeres in Mainz – Mogontiacum.
Unter dem Schutz der Militärlager entstanden am Hochrhein bereits in der Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. Siedlungen und Landgüter – villae rusticae –, wie etwa das große Landgut von Laufenburg. Die Krise nach der Ermordung des Kaisers Nero 68 n. Chr., der Bataveraufstand 69/70 n. Chr. und die Belagerung des Legionslagers Mainz durch germanische Stämme zeigten die Notwendigkeit zur Herstellung einer kürzeren Straßenverbindung zur schnelleren Truppenverschiebung zwischen Donau und Rhein. |
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73/74 n. Chr. |
Die neue Straße führte durch das Kinzigtal über den Schwarzwald an den oberen Neckar (Waldmössingen und Rottweil), von dort über die Schwäbische Alb an die Donau (Tuttlingen) und weiter nach Augsburg.
Entstehung des Alblimes
Zur Sicherung dieser Straßenverbindung wurde es notwendig, die bisherigen Donaukastelle nach Norden auf die Schwäbische Alb vorzuverlegen. Zum Mittelpunkt der neu gewonnenen Gebiete und zum Verkehrsknotenpunkt wurde Rottweil - Arae Flaviae - im oberen Neckarland. Die neuen Kastelle von Sulz a. N. auf dem kleinen Heuberg, bei Ebingen-Lautlingen und Burladingen-Hausen dienten seit den Jahren nach 80 n. Chr. der militärischen Sicherung des Gebietes. Im gleichen Zusammenhang erfolgte der Ausbau der rechtsrheinischen Rheintalstraße; in Zunsweier bei Offenburg, in Heidelberg-Neuenheim und Ladenburg a. Neckar entstanden römische Lager. Eine neue Lage entstand durch den Feldzug des Kaiser Domitian (81-96 n. Chr.) gegen die germanischen Chatten in der Wetterau im Jahre 83 n. Chr. Domitian ließ den erweiterten Mainzer Brückenkopf mit Kastellen im Taunus und in der Wetterau sichern. So entstand der Taunus-Wetterau-Limes. |
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83 n. Chr. |
Main-, Odenwald-, Neckarlimes Weitere Kastelle am Main, im Odenwald und am mittleren Neckar (Main-, Odenwald-, Neckarlimes) stellten die Verbindung zum Alblimes her. Infanterieeinheiten zu je 500 Mann und eine Reitereinheit wurden in Köngen, Stuttgart-Bad Canstatt, Benningen, Walheim, Heilbronn- Böckingen und Wimpfen im Tal stationiert. Eine Straße von Köngen über Rottenburg nach Rottweil verband die neue Grenze mit dem Hinterland.
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ca. 85 n. Chr. |
Die Provinzen Ober- und Untergermanien
Die Militärdistrikte des oberen und unteren Heeres wurden um 85 n. Chr. in den Status von Provinzen erhoben; so entstanden die Provincia Germania superior (Obergermanien) mit der Hauptstadt Mainz - Mogontiacum - und die Provincia Germania inferior (Untergermanien) mit der Hauptstadt Köln - Colonia Claudia Ara Agrippinensium. Etwa gleichzeitig rückten die römischen Truppen auf den Kamm der mittleren und östlichen Schwäbischen Alb vor. Der Sicherung der so entstandenen neuen Nordgrenze der Provinz Raetia dienten die Lager Gomadingen, Donnstetten, Urspring und Heidenheim.
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Straßenbau Im Schutz der befestigten Reichsgrenze wurde der Bau der direkten Verbindungsstraße von Mainz nach Augsburg in Angriff genommen. Diese „Hauptverkehrsachse des Limesgebietes“ (Filtzinger) führte von Mainz über Groß-Gerau, Gernsheim, Ladenburg, Heidelberg, Stettfeld, Cannstatt, Urspring bzw. Heidenheim, Günzburg nach Augsburg. Der Durchgangsverkehr von den Rhein- zu den Donauprovinzen nutzte diese Straße und wies dem Limesgebiet seine besondere Bedeutung zu. Eine Reihe weiterer Straßen war mit dieser Hauptachse verbunden; als „Verteiler“ oder „Drehscheibe“ können Heidelberg und Cannstatt angesprochen werden. Über diese Straßen waren z. B. Straßburg, Augst und Windisch zu erreichen.
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98 – 138 n. Chr. |
Ausbau der Grenzsicherung: Vorverlegung des Odenwald-Neckarlimes Die Epoche der Kaiser Trajan (98 – 117 n. Chr.) und Hadrian (117 – 138 n. Chr.) brachte den Ausbau der Grenze und insbesondere den Steinausbau der Militärlager: steinerne Umwehrungen mit Gesimsplatten und Zinnen sind Kennzeichen dieser Maßnahmen. Unter Kaiser Antoninus Pius (138 – 161 n. Chr.) wurden 145/146 n. Chr. die Holztürme des Odenwaldlimes durch Steintürme ersetzt.
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ca. 150 n. Chr. |
Kurz nach dieser Verstärkung des Odenwaldlimes kam es zu einer Vorverlegung des Odenwald-Neckarlimes um etwa 30 km nach Osten. Die neue, kürzere und ohne Rücksicht auf das Gelände geradlinig angelegte Palisadenlinie des „Vorderen Limes“ erleichterte die Überwachung der Grenze und Kontrolle des grenzüberschreitenden Waren- und Personenverkehrs.
Die Besatzungen von acht Kohortenkastellen, neun Kleinkastellen und 267 Wachtürmen sicherten die Grenzlinie vom Main bis ins Remstal. ( „Römische Militärlager in Südwestdeutschland – Phasen der Besetzung - pdf-Datei)
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ca. 200 n. Chr. |
Bedrohung der Reichsgrenze – Verstärkung der Grenzbefestigung
Gegen Ende des 2. oder zu Anfang des 3. Jahrhunderts fand angesichts der Bedrohung der Reichsgrenze durch Markomannen und Alamannen eine Verstärkung der Grenzbefestigung statt: am obergermanischen Limes entstanden hinter der Palisade parallel laufend Graben und Wall; in Rätien ersetzte eine 2 bis 3 m hohe, 1,20 m breite Mauer die Palisade auf eine Länge von 166 km. Die Verstärkung der Grenzbefestigung konnte das Fortbestehen der römischen Herrschaft auf Dauer nicht gewährleisten. |
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213 n. Chr. |
Kaiser Caracalla (211 – 217 n. Chr.) stieß im Jahre 213 n. Chr. bei Dalkingen über den rätischen Limes zur Vorwärtsverteidigung nach Norden vor. Kaiser Severus Alexander (222 - 235 n. Chr.) zog indessen 231 n. Chr. Truppen aus dem Limesgebiet in den Osten des Reiches ab.
Auseinandersetzungen mit Alamannen und Franken Diese Schwächung des Grenzschutzes nutzten Alamannen zum Überrennen des obergermanischen und rätischen Limes; sie stießen bis zu Saar und Mosel bzw. zum Alpenrand vor. Dies zwang Severus Alexander zum Abbruch seines Perserfeldzuges. Er versammelte bei Mainz eine Angriffsarmee, wurde jedoch von seinen Soldaten im Mai 235 n. Chr. ermordet. |
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236 n. Chr. |
Der vom Heer zum Kaiser ausgerufene Maximinus Thrax (235 – 238 n. Chr.) eröffnete im Jahre 236 n. Chr. von Mainz aus eine Gegenoffensive, vertrieb die Alamannen aus dem Limesgebiet und ließ die zerstörten Anlagen am Limes wieder herstellen. |
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258 n. Chr. |
Weitere Vorstöße der Alamannen überlagerten sich mit Unruhen im Römischen Reich. Ein damit zusammenhängender Abzug römischer Militäreinheiten nach Pannonien durch Kaiser Gallienus (253 – 268 n. Chr.), die Usurpation des Postumus (260 – 269 n. Chr.) und die Gründung eines gallischen Sonderreiches (258 – 273 n. Chr.) ermunterte Franken und Alamannen zu einem Vorstoß über Donau und Rhein hinweg bis nach Gallien, Spanien und Italien. |
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ca. 290 n. Chr. |
Rückverlegung der Reichsgrenze an die Donau, die Iller und den Rhein Die Sicherung der neuen Reichsgrenze an Donau, Iller und Rhein ließ sich Kaiser Diokletian (284 – 305 n. Chr.) angelegen sein. Um 290 n. Chr. fiel der Beschluss zur Wiederbefestigung der Rhein- und Donaugrenze. Im heutigen Baden-Württemberg war lediglich noch das Umfeld der Lager von Isny (Vemania ) und Breisach (Brisiacum ) Teil des römischen Reiches. Ansonsten deckt sich die Landesgrenze von Baden-Württemberg im Westen, Süden und Südosten mit der spätrömischen Reichsgrenze, dem Donau – Iller – Rhein – Limes. |
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B) Zivile Besiedelung: |
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- Kulturtransfer aus dem Süden | |||||||
I. Besiedlungsstruktur: Städte/Lagerdörfer/Gutshöfe | |||||||
Schwerpunkte der Besiedelung Siedlungsschwerpunkte finden sich auf den fruchtbaren Böden entlang des Neckars von Rottenburg bis Wimpfen, dann am unteren Neckar bis zu seiner Mündung und im Oberrheintal. Schwächer besiedelt waren die Schwäbische Alb und Oberschwaben, dünn besiedelt Kraichgau und Schwäbischer Wald. Nahezu siedlungsleer war der Schwarzwald, mit Ausnahme seiner Höhen entlang von Hochrhein und Oberrhein. Kaiserliche Domänen Nach der Besetzung eines Gebietes richteten dort kaiserliche Verwaltungsbeamte kaiserliche Domänen (saltus) ein. Der Boden wurde an die ortsansässige Bevölkerung verpachtet, die bis gegen Ende des 1. Jahrhunderts n. Chr. wohl überwiegend keltischer Abstammung war. Dies lässt der Name des einzigen im rechtsrheinischen Gebiet bislang nachweisbaren Saltus erkennen: der saltus Sumelocennensis mit seinem Hauptort Rottenburg; Sumelocenna ist ein keltischer Name. Zahlreiche andere Fluss- und Ortsnamen sind ebenfalls keltischen Ursprungs. Die Verwaltung des Landes in Stammesgemeinden Zu Beginn des 2. Jahrhunderts n. Chr. wurden aus dem kaiserlichen Domänen Stammesgemeinden (civitates) mit eigener Selbstverwaltung gebildet; die beiden wichtigsten Civitates waren die Civitas Sumelocennensis mit dem Hauptort Sumelocenna (Rottenburg) und die Civitas Ulpia Sueborum Nicrensium, die Civitas der Neckarsueben mit dem Hauptort Lopodunum (Ladenburg). Weiter sind inschriftlich bezeugt die Civitas Aquensium, Vorort Aquae (Baden-Baden); die Civitas Portus, Hauptort Pforzheim; die Civitas Alinensium, Vorort Wimpfen im Tal; die Civitas Aurelia GS mit dem vermutlichen Vorort Vicus Aurelianus (Öhringen).
Städte entstehen Eine Ausnahme im Bereich der zivilen Verwaltung ist die Stadt - municipium - Arae Flaviae (Rottweil). Stadtartigen Charakter tragen anhand ihrer Strukturen auch Ladenburg und Rottenburg, sie bilden eine stadtstaatlich geordnete, territorial verdichtete Verwaltungseinheit ab. Beide Orte wurden um die Wende vom 2. zum 3. Jahrhundert zum Schutz gegen Überfälle der Alamannen mit starken Mauern umgeben, ihre Fläche umfasst bis zu 45 ha, etwa dreimal soviel wie südwestdeutsche Städte im Mittelalter. Auch wenn die römischen Städte auf dem Gebiet des heutigen Baden-Württemberg sicherlich nicht mit den linksrheinischen Städten wie Trier oder Köln mithalten konnten, wiesen sie doch ein bemerkenswertes Maß an Urbanität auf. Der urbane, im Grunde an mediterrane Siedlungsmuster anknüpfende Charakter zeigte sich zum einen in Gebäuden der öffentlichen Verwaltung, wie z.B. einer Ratshalle (basilica), in deren Nähe ein zentraler Marktplatz (forum) zu finden war, der wiederum an einer wichtigen Hauptstraße gelegen war. Zum anderen verweisen auch die zahlreichen Heiligtümer auf ein reges religiöses Leben, wo neben den klassischen römischen Göttern auch Gottheiten aus dem gesamten römischen Imperium verehrt wurden. Die städtische Wirtschaft war in hohem Maße arbeitsteilig und an das römische Handelsnetz angeschlossen, zivile Wohnbauten zeugten von erstaunlichem Wohlstand. Auch die Annehmlichkeiten des städtischen Lebens kamen nicht zu kurz: Bäder und öffentliche Latrinen lassen sich z.B. für Rottenburg nachweisen, und in Ladenburg befand sich ein szenisches Theater, in dem etwa 5000 Zuschauer, mithin wohl mehr als die Einwohnerschaft der Stadt, Komödien und Tragödien verfolgen konnten.
Dass der Städtebau auch bewusst als Herrschaftsinstrument eingesetzt wurde, legt eine Auskunft des Tacitus nahe, der den Städtebau seines Schwiegervaters Agricola in Britannien beschreibt: „Um nämlich die Menschen, die verstreut und roh und daher leicht zum Kriege geneigt, an Ruhe und Muße durch Lustbarkeiten zu gewöhnen, ermutigte er sie persönlich zum Bau von Tempeln, Foren und Häusern und unterstützte sie dabei auf öffentlichem Weg, wobei er die Entschlossenen lobte und die Trägen tadelte: So herrschte wetteiferndes Streben um Ehre anstatt Zwang. Ferner ließ er den Söhnen der führenden Männer Unterricht in den freien Künsten zukommen, und zog das geistige Talent der Britannier dem Fleiß der Gallier vor, sodass diejenigen, die gerade noch die römische Sprache ablehnten, bald deren Beredsamkeit begehrten.“ Lagerdörfer
In Anlehnung an jedes Militärlager entstanden entlang der wesentlichen Ausfallstraßen zivile Siedlungen – vici – von zum Teil beachtlicher Größe, wie etwa die zivile Siedlung beim Kastell der Ala II flavia in Aalen oder auch der Vicus von Heidelberg mit seiner massiven Neckarbrücke. Ausgrabungen belegen die Bedeutung dieser Siedlungen als Standorte für Händler und Handwerker wie Töpfer, Schmiede, Metallgießer und Kalkbrenner. Kultbereiche und kleine Tempelbauten runden das Bild ab, teilweise kann man von einem stadtartigen Siedlungsplan sprechen. Auch kleinere vici wie Güglingen oder Mengen-Ennetach verfügten über öffentliche Einrichtungen wie z.B. ein Bad.
Von wenigen dieser Lagerdörfer ist ihre römische Bezeichnung bekannt: die Bewohner von Öhringen sind überliefert als vicani Aurelianenses, die von Köngen als vicani Grinarionenses; die vicani Murrenses waren an der Murr beheimatet. Gutshöfe – architektonischer Kulturtransfer aus dem Süden
Der Gutshof - villa rustica - bildete die Hauptsiedlungsform rechts des Rheines in Obergermanien und Rätien. Die Gutshöfe, von denen über 1200 Exemplare nachgewiesen sind, dienten der landwirtschaftlichen Erschließung und waren damit tragendes Element in der Romanisierung der eroberten Gebiete. In dem am dichtesten besiedelten Gebiet am mittleren Neckar dürfte jedes dieser Einzelgehöfte ca.40 ha Land umfasst haben. Zu den Produktionszweigen gehörte neben dem Ackerbau auch die Viehzucht. Durch die Weiterverarbeitung landwirtschaftlicher Produkte – Milch zu Käse, Fleisch zu Würsten, Häute zu Leder – waren die in Einzellage errichteten Höfe bei der Versorgung ihrer Bewohner autark. Handwerksbetriebe, Töpfereien, Ziegeleien, Metallverarbeitung, Kalkbrennereien ergänzten die wirtschaftlichen Aktivitäten der Villa rustica.
Die Bauweise und Ausgestaltung der Wohnhäuser der villae rusticae illustrieren in besonderem Maße den architektonischen Wissens- und Kulturtransfer aus Italien nach Südwestdeutschland: Säulen, repräsentative Treppen, Eckrisaliten, Estrichböden, verputzte Wände, Glasfenster, Ziegeldächer, Badehäuser mit Hypocaust-Heizung, Latrinen und Keller stehen für einen Wohnkomfort, den die einheimische Bevölkerung bis dato nicht gesehen hatte.
Mit der villa urbana in Heitersheim existiert auf dem Gebiet Baden-Württembergs sogar eine mit Mosaiken, Ziergärten und anderem Luxus zu Repräsentationszwecken ausgestaltete Prachtvilla. |
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II. Infrastruktur: Wasserversorgung/Handelswege/Verkehrsnetz |
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Infrastruktur: Wasserversorgung Die Urbarmachung des Landes ging einher mit einem zügigen Ausbau der Wasserversorgung. Dies war zum einen für die entstehenden Städte und Siedlungen wichtig – nicht zuletzt auch in hygienischer Hinsicht, zum anderen aber auch für die Kastelle und Lager an und hinter dem Limes. Man hat errechnet, dass allein die 1000 Mann starke Reitereinheit in Aalen ca. 32000 l Trinkwasser brauchte – täglich, das entspricht etwa 300 gefüllten Badwannen. Dabei ist aber das Brauchwasser für die Thermen oder die Pflege der Tiere nicht einbegriffen.
Infrastruktur : Handelsnetze Die Anwesenheit der römischen Armee in Südwestdeutschland führte zu einem Aufblühen des lokalen, regionalen und überregionalen Handels. Aber auch die anderen Produkte, auf die sich die villae rusticae spezialisiert hatten, wie z.B. Käse, Tonziegel, Lederwaren etc. fanden ihre Abnehmer unter den Soldaten oder den in den Lagerdörfern ansässigen Handwerkern.
Auf allen größeren Märkten im römischen Südwestdeutschland wurden neben regionalen Produkten auch Luxusartikel aus anderen Regionen des Imperium Romanum angeboten: Wein und Olivenöl aus Spanien, Fischsauce aus Nordafrika, Austern von der Atlantikküste oder Tafelgeschirr aus Südfrankreich. Die Fernhändler importierten exotische Nahrungsmittel und ebenso teure Baustoffe wie Marmor.
Infrastruktur: Von den Straßen zum Verkehrsnetz
Im Schutz der befestigten Reichsgrenze war ab 85 n. Chr. der Bau der direkten Verbindungsstraße von Mainz nach Augsburg in Angriff genommen worden. Diese „Hauptverkehrsachse des Limesgebietes“ (Filtzinger) führte von Mainz über Groß-Gerau, Gernsheim, Ladenburg, Heidelberg, Stettfeld, Cannstatt, Urspring bzw. Heidenheim, Günzburg nach Augsburg. Der Durchgangsverkehr von den Rhein- zu den Donauprovinzen nutzte diese Straße und wies dem Limesgebiet seine besondere Bedeutung zu. Eine Reihe weiterer Straßen war mit dieser Hauptachse verbunden; als „Verteiler“ oder „Drehscheibe“ können Heidelberg und Cannstatt angesprochen werden. Über diese Straßen waren z. B. Straßburg, Augst und Windisch zu erreichen. Im Laufe der Zeit entstand so ein dichtes Straßennetz, das große und kleinere Orte untereinander und mit den großen Handelsrouten in Italien und Frankreich verband. Die befestigte Bauweise (via strata) ermöglichte eine schnelle Bewegung von Truppen und auch von schweren Pferdewagen zum Materialtransport.
Aus dem Straßennetz entwickelte sich aber bald ein echtes Verkehrsnetz: Meilensteine (im Abstand von ca. 2 km) gaben Entfernungen und Orientierung an, mit den Beneficiariern kontrollierten Straßenaufsichtsbeamte Zustand und Verkehr auf den Straßen und Kreuzzungen und in regelmäßigen Abständen fanden sich Rast- bzw. Übernachtungsstationen (alle 37 km). Da schwere Waren am leichtesten auf dem Wasser transportiert wurden, waren auch Schiffsanlegestellen, wie z.B. in Ladenburg, in das Verkehrsnetz integriert.
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III. Zusammenleben in der Migrationsgesellschaft im Schatten des Limes |
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Die Bevölkerung Südwestdeutschlands diesseits des Limes wird auf 300 000 – 600 000 geschätzt, wobei deren Zusammensetzung alles andere als einheitlich war. Mit Hilfe von Grabinschriften lassen sich z.B. Soldaten aus Sevilla, Mailand, Südwales und Tunesien nachweisen. Fast alle müssten in der heutigen Terminologie als Migranten bezeichnet werden: so sind die Neckarsueben aus Hessen zugewandert, viele Kelten, wenn man einer Aussage des Tacitus glauben darf, nach der Eroberung Galliens durch Caesar in das Dekumatland geflüchtet und auch die Handwerker, Händler und Soldaten haben vermutlich in der Hoffnung auf sozialen Aufstieg und das römische Bürgerrecht ihre Heimat verlassen.
Ob und inwiefern das Zusammenleben der verschiedenen Ethnien friedlich war, ist heute kaum noch festzustellen, jedoch dürften die Einheitlichkeit der Verwaltungssprache, die Aussicht auf wirtschaftlichen Erfolg, der zivilisatorische Fortschritt, die religiöse Toleranz und das Rechtssystem eine integrative Wirkung entfaltet haben. Als Indiz dafür kann die Übernahme und Verbreitung der römischen Inschriftenkultur (epigraphic habit) an über 170 Fundorten gelten, wobei nicht nur die lateinische Sprache, sondern auch die Anlässe, die Formalien sowie die Symbolsprache übernommen wurden.
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IV. Religiöse Vielfalt und Toleranz | |||||||
Einheimische Kulte der Kelten und Germanen sowie die mitgebrachte Reichsreligion der Römer gingen im Laufe der knapp 300 Jahre römischer Besatzung eine eigentümliche Symbiose ein, die zum Teil aus einer römischen Umdeutung bestehender Götter (interpretatio Romana), aus neuen gallorömischen religiösen Kulten sowie dem Kaiserkult oder Mysterien-Kulten bestand, in die sich die Provinzialen einbringen konnten. Ein gutes Beispiel hierfür findet sich in Ladenburg, wo im 2.Jhdt. ein Heiligtum des Merkur Cimbrianus bzw. Merkur Visucius bezeugt ist (im ersten ist ein germanischer Name, im zweiten ein keltischer Name eingeflossen und der römischen Gottheit Merkur zugeordnet worden.) Auch in den zahlreichen Jupitergigantensäulen haben sich Vorstellungen eines keltischen Himmelsgottes mit denen des Weltenhgerrschers Jupiter auf eigenständige Art und Weise vermischt und eine neue Form „gallorömischer“ Religion hervorgebracht.
Daneben lebten aber auch noch weitere keltische Gottheiten wie die Pferdegöttin Epona, die Göttin Siruna oder die Matres campestres fort und wurden in Inschriften scheinbar problemlos römischen Göttern wie Jupiter oder Apollo beigeordnet. Der Sehnsucht nach Erlösung und initierenden Ritualen kamen insbesondere orientalische Mysterien-Religionen entgegen, insbesondere der bei den Soldaten beliebte Mithras-Kult (z.B. Ladenburg, Heidelberg), der Kybele-Kult (Cannstatt) oder der Jupiter-Dolichenus-Kult (z.B. Aalen).
Im Zuge der Romanisierung entwickelte sich also ein spezifisches provinzialreligiöses System, das einerseits von religiöser Toleranz, andererseits von einer Amalgamierung verschiedener religiös-kultureller Vorstellungen gekennzeichnet war. |
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V. Umgang mit der Umwelt | |||||||
Der zivilisatorische Fortschritt, der mit der Romanisierung in Südwest-Deutschland Einzug hielt, vollzog sich auf Kosten einer teilweisen schonungslosen Ausbeutung der Ressourcen. Mit Hilfe von Pollenuntersuchungen hat man nachgewiesen, dass der Baumbestand auf Grund von Rodungen zwischen dem 1. Jhdt. v. Chr. und dem 3. Jhdt. n. Chr. teilweise erheblich zurückgegangen sein muss, so dass die Gegend, die ursprünglich von Caesar als von gewaltigen und undurchdringlichen Wäldern bedeckt beschrieben wurde, am Ende gar unter Holzmangel litt. Insbesondere in den Gäu-Gebieten entlang des Neckars und seiner Seitenflüsse wurde der Auenwald-Bestand fast vollständig abgeholzt, einerseits zur Urbarmachung des Landes, andererseits zur Beschaffung von Baumaterial und Brennholz.
Ein paar Zahlen zeigen dies deutlich: Um einen kleinen Töpferofen ein Jahr lang zu beheizen, brauchte man etwa 1 ha Wald; die gleiche Menge Wald, was ungefähr 200 Tonnen Holz entspricht, verbrauchte eine durchschnittliche Thermenanlage in der Provinz im Jahr. Die daraus resultierende Problematik, insbesondere im Hinblick auf die dauerhafte Versorgung der Provinzen an Rhein und Donau mit ausreichend Holz, dürfte den Römern wohl bewusst gewesen sein. Allerdings sind Schutzmaßnahmen, wie sie der Senat z.B. für die zyprischen Wälder erlassen hat, für Südwest-Deutschland nicht überliefert. Jedoch sind Pachtverträge überliefert, die einen schonenden Umgang mit den Wäldern und Wiederaufforstung vorschrieben und somit erste Ansätze einer nachhaltigen Forstwirtschaft erkennen lassen. Auch in der Metallgewinnung ist ein Vorgehen ohne Rücksicht auf den Menschen oder die Natur festzustellen. |
Herausgeber: Landesbildungsserver Baden-Württemberg
Quelle: https://www.schule-bw.de
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