Die Pfahlbauer Mitteleuropas - eine "Tiefkultur"?
Hintergrundinformationen
Zeittafel
B 2: Übersicht über die Feuchtbodensiedlungen des Alpenraums.
© Aixa Andreetta
Ab 6000 v.Chr.: erste Pfahlbauten in Katalonien.
Ab 5500 v.Chr.: Erste Pfahlbauten an Seen des französischen Jura.
Ab 5000 v. Chr: erste Pfahlbauten in südlichen Alpenrandseen.
Ab 4300 v.Chr: erste Pfahlbauten an Schweizer Alpenseen.
Ab 4200 v.Chr.: erste Pfahlbauten am Bodensee und Federsee.
Ab 3000 v. Chr.: Das Rad wird zum Transport und Landbau eingesetzt.
Ab 2500 v.Chr. Pflugackerbau löst den Hackbau ab.
Um 2500 v.Chr.: Bau der ersten Pyramiden in Ägypten.
Ab 2200 v. Chr.: Bronzeitliche Pfahlbauten am Bodensee und Federsee.
Um 1300 v.Chr.: Pharao Tutanchamun in Ägypten.
Um 800 v.Chr.: Letzte spätbronzezeitliche Besiedlung des Bodensees.
Bedeutung
B 3: Rekonstruktion eines jungsteinzeitlichen Pfahlbaudorfes bei Unteruhldingen.
© Wikimedia commons, (Heribert Pohl)
Wann und wo gab es Pfahlbauten?
Die Pfahlbauten (Fachbegriff: Feuchtbodensiedlungen) der Jungstein- und Bronzezeit sind vor allem ein Phänomen des Alpenraums. Sie fehlen in vergleichbaren Landschaften Norddeutschlands und Skandinaviens. Offenbar setzte die Besiedlung von Feuchtgebieten eine Bereitschaft voraus, die den Ackerbauern in Mittel- und Nordeuropas zunächst fehlte.
Die ältesten Nachweise für Feuchtbodensiedlungen stammen aus Katalonien und Italien im 6. Jahrtausend vor Christus. Vermutlich von hier breitete sich diese Siedlungsform Richtung Norden aus. Im 5. Jahrtausend v.Chr. erreichten die Pfahlbausiedlungen die südlichen Alpenrandseen (z.B. Gardasee), ab 4300 vor Christus die nördlichen (u.a. Zürichsee und Bodensee), die Seen Oberschwabens, Österreichs und Sloweniens. Um 3800 v. Chr. schloss sich der Kreis um die Alpen in Bayern.
Die Besiedlung am Bodensee erfolgte nicht kontinuierlich mit gleicher Intensität, was wohl im Zusammenhang mit dem wechselnden Klima stand. Die ersten Dörfer entstanden um 4200 v. Chr. Phasen mit sehr starken und häufigen Wasserstandsschwankungen – etwa zur Zeit der mittleren Bronzezeit – machten den Bau von Siedlungen eher unattraktiv. Während der frühen und späten Bronzezeit gab es zahleiche Siedlungen am See. Nach 850 v.Chr. sind keine Pfahlbauten am Bodensee mehr nachweisbar.
Auch die Besiedlungsdichte ist unterschiedlich: lagen im Jung-Neolithikum (ab 4000 v. Chr.) die einzelnen Dörfer zwei bis fünf Kilometer voneinander entfernt, gab es im Endneolithikum (um 2500 v. Chr.) in manchen Bereichen alle hundert Meter ein Dorf.
Abbildung:
Ausbreitung von jungsteinzeitlichen und bronzezeitlichen Siedlungen am Bodensee.
Insgesamt sind im Alpenraum 500 Siedlungen nachweisbar, am Bodensee über einhundert.
Warum Pfahlbauten?
Zunächst: das Alpenvorland gehörte nicht zu den bevorzugten Bereichen Europas, an denen sich Ackerbaukulturen niederließen. Bautätigkeiten an Seen gewannen immer dann an Intensität, wenn auch in benachbarten Altsiedellandschaften eine rege Siedeltätigkeit herrschte.
Folgende Gründe werden diskutiert, welche die Pfahlbauer zu ihrer nicht unkomplizierten Siedlungsform bewogen haben könnten:
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Erhöhtes Sicherheitsbedürfnis: Pfahlbauten entstanden in Zeiten hoher Siedlungs- & Bevölkerungsdichte. Die Pfahlbauer wollten nicht nur am Wasser wohnen, sondern zum Teil weit in den See vordringen: viele Siedlungen sind weit in die Flachwasserzone vorgeschoben oder liegen auf Spitzen an Halbinseln.
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Einfaches Bauen: Pfosten konnten bis zu 4m tief in den Uferboden eingedrückt werden, Pfostenlöcher mussten nicht ausgehoben werden. Zudem war kein Roden und Ausgraben der Wurzeln nötig.
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Nähe zu Jagd- und Fischgründen: Vor allem bei den Pfahlbauern der Jungsteinzeit spielten Jagd und Fischerei noch eine große Rolle. Die Fischgründe waren von den Dörfern schnell erreichbar, auch befanden sich Wasservögel (viele Zugvögel im nahrungsarmen Winter!) und Wild (Tränke) in der Nähe.
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Transport & Verkehr: Über Einbäume war der Transport von Menschen, Waren & Baumaterial leichter möglich als über Land.
Zivilisatorische Errungenschaften
B 5: Hausrekonstruktion anhand des Ausgrabungsbefundes von Hornstaad am Bodensee. Die Ständer wurden in Pfahlschuhe eingezapft (B), die das Einsinken in den feuchten Untergrund verhindern sollten.
(© Sabine Hagmann, Landesdenkmalamt)
Im Laufe der Jungsteinzeit sind in den Pfahlbausiedlungen Entwicklungen in den Bereichen Technik, Landwirtschaft und Handel zu erkennen.
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Der Stelzenbau auf Feuchtböden erforderte eine spezifische leichte Architektur.
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Immer mehr Siedlungen wurden mit Zäunen und Palisaden befestigt, was auf ein erhöhtes Schutzbedürfnis im Zuge der immer dichter werdenden Besiedlung rund um den Bodensee entstanden sein könnte.
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Während im Früh-Neolithikum die Dörfer oft nur wenige Jahre oder Jahrzehnte Bestand hatten, kam es im End-Neolithikum zu stabileren, bis zu einigen Jahrhunderten aufrechterhaltenen Siedlungsstrukturen, was auf Verbesserungen in der Architektur wie der Landwirtschaft (Pflugbau) verweist.
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Radfunde am Federsee und Hinweise auf den Einsatz von Zugtieren am Lac de Chalain legen nahe, dass im Endneolithikum neue Produktions- und Transportmethoden zum Einsatz kamen.
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Um 3000 v.Chr. ersetzte der eigentliche Ackerbau mit von Rindern gezogenem Hakenpflug zunehmend den bis dahin gebräuchlichen Hackbau.
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Im Laufe des Neolithikums kam es zu einer Diversifizierung der Nutzpflanzen und –tiere: zum Nacktweizen traten vermehrt Spelzweizen und Gerste; neben Rindern, Schafen und Ziegen wurden verstärkt Schweine gezüchtet.
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Arbeitsteilung entwickelte sich im Laufe des Neolithikums: Befunde legen nahe, dass sich manche Häuser innerhalb von Siedlungen auf bestimmte Arbeiten (Werkzeug-/ Textilherstellung) konzentrierten. Dennoch musste sich noch jede Familie selbst um ihre Ernährung kümmern; eine Spezialisierung im Sinne von Berufen gab es wohl noch nicht. Am Federsee gibt es jedoch im End-Neolithikum Hinweise auf Spezialisierung: so scheint sich eine Siedlung innerhalb eines zusammenhängenden Komplexes bereits auf die Herstellung von Textilien aus Flachs spezialisiert zu haben. Statt autarker Einzelsiedlungen scheint es also bereits Verbände mit Haupt- und Nebensiedlungen zu geben. Neue Transportmöglichkeiten durch Wagen könnten diesen Prozess beschleunigt haben.
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Soziale Differenzierung ist noch nicht fassbar. Allerdings ist davon auszugehen, dass es bei den bis zu 200 Einwohnern zählenden Dörfern ein Oberhaupt gegeben haben dürfte.
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Hinweise auf das kultische/ religiöse Leben sind spärlich. Menhire an den Seen der Westschweiz verweisen darauf, dass die dortigen Siedlungen in Kontakt zu den Megalith-Kulturen Westeuropas standen. In der neolithischen Feuchtbodensiedlung Sipplingen am Bodensee wurden Reste abgebrannter Lehmhäuser mit Wandmalereien, das Gehörn eines Urstieres sowie nahezu lebensgroße, realistisch aus Lehm auf die Wand geformte Frauenbrüste gefunden. Diese Funde könnten auf kultisch genutzte Häuser verweisen.
B 6: Plastisch geformte Lehmbrüste und bemalte Wände zierten um 3860 v. Chr. den Innenbereich eines Pfahlbauhauses in Bodman-Ludwigshafen am Bodensee.
(© Archäologisches Landesmuseum)
Beim Übergang von der Jungsteinzeit zur Bronzezeit kam es bei den Pfahlbauern zu weiteren zivilisatorischen Entwicklungen.
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Die Nutzpflanzen diversifizieren sich weiter: jetzt dominieren Dinkelweizen, Hirse und zunehmend Hülsenfrüchte den Anbau. Auch gibt es Hinweise auf Wintergetreide.
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Anhand von Siedlungsspuren und Grabfunden zeigt sich eine soziale Differenzierung der Gesellschaft in Arm und Reich. Beruflich spezialisierte Krieger, Händler und Handwerker werden erkennbar.
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Das Schwert sowie der vierspurige Wagen werden entwickelt.
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Brandbestattungen treten an die Stelle Erdbestattungen.
Die Pfahlbauern – eine Hochkultur oder eine Tiefkultur?
B 7: Rekonstruktion eines jungsteinzeitlichen Hauses aus dem Dorf Hornstaad. Wenn es auch Hinweise auf Arbeitsteilung gab, war Familie der Jungsteinzeit eine weitgehend autarke Wirtschaftseinheit.
(© Sabine Hagmann, Landesdenkmalamt)
Die folgenden fettgedruckten Merkmale kennzeichnen eine Hochkultur. Inwiefern sie auf die Kultur der Pfahlbauer zutreffen, soll diskutiert werden.
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Geplante Landwirtschaft (Bewässerung, Vorratshaltung, Handel): Jungsteinzeit: Ja. Bronzezeit: Ja. Seit der Jungsteinzeit gab es Vorratshaltung. Jagd und Fischerei spielten daneben weiterhin eine große Rolle. Es wurden zunehmend mehr Nutzpflanzen angebaut und unterschiedliche Haustiere (Rind, Schaf, Ziege, Schwein) gehalten. Der Ackerbau mit Hakenpflug ersetzte den Hackbau. In der Bronzezeit kommen weitere Nutzpflanzen hinzu und Wintergetreide wird angebaut. Die Jagd verliert an Bedeutung.
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Existenz von Städten (Mittelpunkte von Handel und Herrschaft bilden): Jungsteinzeit: Nein. Bronzezeit: Nein. In der Bronzezeit gab es einzelne befestigte Siedlungen oder „Burgen“ (z.B. `Siedlung Forschner´ und `Wasserburg Buchau´ am Federsee), die über ein größeres Gebiet und kleinere Siedlungen herrschten. Sie waren möglicherweise Wohnort von spezialisierten Handwerkern und Kriegern und wurden vom Umland mit Nahrung versorgt.
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Arbeitsteilung, Gesellschaftsklassen mit Spezialisierung und Hierarchie: Jungsteinzeit: in Ansätzen. Bronzezeit: Ja. Ansätze zur Arbeitsteilung sind für die Jungsteinzeit (Textilproduktion) nachweisbar. Die Existenz von (teil-)spezialisierten Jägern, Fischern, Handwerkern (Werkzeug- und Textilproduktion) und Ackerbauern ist nicht auszuschließen, dennoch bildete jede Familie eine autarke Einheit. In der Bronzezeit lassen sich anhand von Grabfunden spezialisierte und sozial privilegierte Krieger, Handwerker und Händler nachweisen.
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Schrift: Jungsteinzeit: Nein. Bronzezeit: Nein.
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Anspruchsvolle künstlerische Leistungen: Jungsteinzeit: Ja. Bronzezeit: Ja. Herstellung von Flöten, Zier-, Kult- und Schmuckgegenständen, Zierwaffen und Idolen aus Stein, Knochen, Lehm, Geweihen und in der Bronzezeit aus Metall.
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Ausgebaute Religion (z. B. mit einem funktional differenzierten Götterpantheon oder einem Monotheismus): Jungsteinzeit: Unbekannt. Bronzezeit: Unbekannt.
Es gibt eine Religion, in der der Glauben an ein Jenseits (Gräber), Fruchtbarkeit (Lehmbrüste, Stiere) und die Verehrung von Ahnen (Megalithe) möglicherweise eine große Rolle spielen. -
Einheitliches Kalendersystem: Jungsteinzeit: Unbekannt. Bronzezeit: Unbekannt.
Technische Errungenschaften: Jungsteinzeit: Ja. Bronzezeit: Ja. In der Jungsteinzeit wurde das Rad „erfunden“ sowie der zweirädrige Wagen entwickelt, weiterhin der Hakenpflug und die Pfahlbautechnik. Im End-Neolithikum wird Kupfer als Werkstoff entdeckt. Weit entwickelte Jagd- und Fischereitechnik mit Angelhaken, Netzen, Harpunen, Speeren, Reusen, Pfeil und Bogen. Für Haus- und Ackerbau existierten spezielle Werkzeuge (Beile, Sicheln, Nägel, Schaber, Messer etc.) und Gefäße (Keramik).
- Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte RP Freiburg -
Herausgeber: Landesbildungsserver Baden-Württemberg
Quelle: https://www.schule-bw.de
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