Ein Spätzünder auf der Überholspur - Biberachs Weg zur Industriestadt
Autor: Lars Mayr
Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte an der ZSL-Regionalstelle Tübingen
Kurzbeschreibung des Moduls:
In zwei Doppelstunden erhalten die Schülerinnen und Schüler einen Überblick zur wirtschaftsgeschichtlichen Entwicklung Biberachs an der Riß. Dabei sollen zu Beginn der ersten Doppelstunde anfangs im Zuge einer materialgestützten Diagnose der wirtschaftlichen Lage Biberachs aktuell Hypothesen und Fragen entwickelt werden, die die Entwicklung Biberachs im Bereich der Industrialisierung von ihren Wurzeln untersuchen und abgleichen bzw. einordnen mit den allgemeinen (bundes-)deutschen Entwicklungsstufen. Durch diese Kontextualisierung soll das Fundament für eine Beurteilung des Werdegangs Biberachs gelegt werden, zugleich aber auch Einsicht in womöglich notwendige Faktoren wirtschaftlichen Erfolgs gegeben werden anhand der Schritte, mit denen die Kommune selbst ihren rasanten Aufstieg förderte und überhaupt erst ermöglichte.
Konkret wird dies dann in der zweiten Doppelstunde durch die Porträts von drei Großunternehmen vertieft werden und deren firmengeschichtliche Entwicklung nachgezeichnet werden. Erneut spielt dabei der fortwährende Bezug zu den allgemeinen, übergeordneten bundesdeutschen Prozessen eine zentrale Rolle. Am Ende wird auch der Transfer zu aktuellen Herausforderungen für den Standort Biberach / Deutschland angerissen werden.
Hintergrund
b8, Liste Biberacher Unternehmen in den 30er Jahren
Wirtschafts- und strukturgeschichtliche Fragestellungen erhalten im Bildungsplan des Landes BW für die gymnasiale Kursstufe deutlich mehr Raum als früher. Insofern scheint es geboten, dem auch durch die regionalgeschichtliche Konkretion der oftmals recht abstrakten Inhalte Rechnung zu tragen, wozu dieses Modul einen Beitrag leisten soll. Gerade das Besondere und Ungewöhnliche der Biberacher Wirtschaftsgeschichte soll dabei behandelt werden, um so einerseits eine kritische Einordnung in die großen Leitlinien allgemein deutscher wirtschaftsgeschichtlicher Entwicklungen leisten zu können, andererseits aber auch eine differenzierte Diskussion zu Transformationsprozessen, die uns auch heute wieder in starkem Maße beschäftigen, fundieren zu können. Dass dabei Narrative wie die universale Modernisierungswirkung der Eisenbahn beispielsweise differenzierter betrachtet werden können, aber auch umgekehrt sich gängige Zusammenhänge wie die ökonomisch förderliche Wirkung der Geflüchteten und Vertriebenen nach 1945 wiederfinden lassen, mag hier als Beleg der eben aufgestellten These verstanden werden. Die Bedeutung dreier auf ihren Gebieten führenden Unternehmen, nicht nur für Wirtschaft, sondern auch für Gesellschaft und Politik im kommunalen Umfeld, steht insgesamt im Zentrum der Einheit. Letztlich bietet das Thema und das Modul so (hoffentlich) einen Erklärungsansatz für Bedingungen, Chancen und Risiken wirtschaftlichen Aufschwungs und Verständnis somit auch für die Gegenwart.
Bedeutung
b5, Statistik zur industriellen Entwicklung im Kreis Biberach zwischen 1950-1960
Biberach an der Riß gehört, gemessen an einigen wirtschaftlichen Parametern, zu den erfolgreichsten Städten Deutschlands. Geringe Arbeitslosigkeit und hohe Gewerbesteuereinnahmen ermöglichen der oberschwäbischen Stadt einen politischen Handlungsspielraum, von dem viele andere Kommunen nur träumen können. Doch wo diese ökonomische Stärke ihren Anfang nimmt und inwiefern diese Entwicklung abweicht von klassischen Industrialisierungsprozessen, wie sie im Geschichtsunterricht oft paradigmatisch rekonstruiert werden, soll Gegenstand des vorliegenden Moduls sein. Dass dies nicht nur für Oberschwaben, sondern auch regional übergreifend interessant sein kann und sich hier auch eine Menge an Fragen, die die gegenwärtigen Transformationsprozesse wie Digitalisierung, Energiewende oder (De-) Globalisierung anknüpfen lassen, soll sich weisen durch die systematische Untersuchung von Faktoren, die erklären können, warum ausgerechnet eine einstmals strukturschwache Region 1945 gleichsam aus dem industriellen Dornröschenschlaf erwachte. Kann Biberach also Vorbild oder Modell sein für andere „Spätzünder“? Ist dies eine Art wirtschaftsgeschichtlicher „Sonderweg“? Wird diese Region auch in der Zukunft robust und stark in wirtschaftlicher Hinsicht bleiben? Zur Auseinandersetzung mit diesen Fragen will das vorliegende Unterrichtsmodul anregen.
Verlaufsplan und Materialien
Zeit/ Phase |
Inhalte/ methodische Hinweise |
Material |
E (G8/G9) | ||
1. Doppelstunde | ||
Einstieg |
Ausgangspunkt: Gegenwärtige Situation, um eine Leitfrage zu entwickeln: Im Unterrichtsgespräch gemeinsame Sichtung und knappe Auswertung von aktuellen Daten und Fakten mit Sammlung von Hypothesen dazu. Lehrkraft kontrastiert bestehenden Eindruck mit Quelle zur Firmenstruktur 1945: Wie passt das zusammen? Wie lässt sich dann Biberachs Entwicklung erklären? Liegt hier ein wirtschaftsgeschichtlicher „Sonderweg“ vor? |
[1,9 MB] |
Erarbeitung 1 |
Schülerinnen und Schüler sollen die „Norm“ der wirtschaftsgeschichtlichen Entwicklung allgemein rekonstruieren als Basis für die Beurteilung der Genese in Biberach: Mininetzwerk / Zuordnungsspiel als schnelle Möglichkeit die einzelnen Etappenpunkte herauszuheben (Verknüpfung mit Inhalten aus 11.1 / 11.2): SuS ordnen Bilder und Textkärtchen einander zu und legen ein Netzwerk mit entsprechenden Beschriftungen der Zusammenhänge, passsenden Symbolen etc. |
[580 KB] |
Auswertung / Besprechung I |
Präsentation der Ergebnisse – Überleitung zu arbeitsteiliger Erarbeitung, nun speziell zu Biberach | |
Erarbeitung II |
Schülerinnen und Schüler untersuchen in GA die Entwicklung Biberachs, wobei folgende Fragen im Focus stehen: - Welche Vorteile /Nachteile bringt der Wirtschaftsstandort Biberach mit sich? - Wie hängen diese Faktoren auch miteinander zusammen? Gruppenarbeit mit drei verschiedenen Themen: 1. (Wirtschafts-)Geschichtliche Ausgangslage und Besonderheiten im Werdegang der Stadt 2. Geographische und infrastrukturelle Besonderheiten Biberachs 3. Einfluss von Flüchtlingen und Vertriebenen auf die wirtschaftsgeschichtliche Lage |
[246 KB] [1,3 MB] [127 KB] |
Auswertung / Präsentation | Präsentation der Ergebnisse – erste Zwischenbilanz: Schülerinnen und Schüler stellen Bedingungen und Ausgangslage Biberachs 1945 dar, gemeinsame Entwicklung eines TA |
[246 KB] |
Erarbeitung III |
Anhand von Materialien zur Ansiedlung zweier Unternehmen (Thomae und Liebherr) wird der Umgang Biberachs mit der Situation untersucht. Hinzu kommt ein Rückblick zur Strategie bzw. Zielsetzung der Stadtverwaltung: Blick auf Wünsche und Anliegen von Kommune und Unternehmen; Bedingungen des lokalen „Wirtschaftswunders“ |
[375 KB] [1,2 MB] [1,9 MB] [1,7 MB] [365 KB] |
Präsentation und Abschlussdiskussion | Schülerinnen und Schüler stellen ihre Ergebnisse vor und versuchen nun, die Gesamtergebnisse in Hinblick auf die anfängliche Leitfrage zu betrachten; Sicherung über Fortführung des TA |
[273 KB] |
2. Doppelstunde | ||
Einstieg | Impuls über die Übersicht zu den Beschäftigten in Biberacher Betrieben aus dem Jahre 1958: der Blick wird so auf die drei großen Unternehmen Handtmann, Liebherr und Thomae gelenkt, deren Firmengeschichte und -werdegang erarbeitet werden soll |
[2,5 MB] |
Erarbeitung 1 | GA mit Materialienpool zu den drei Unternehmen (empfohlen wird die digitale Zugänglichkeit zu den Materialien): Schülerinnen und Schüler erhalten über AB genaue Angaben zu den zu berücksichtigenden Leitfragen und sollen dazu ein Plakat und einen Vortrag erarbeiten (Materialien können optional ausgewählt werden, natürlich sind auch andere produktionsorientierte Bearbeitungszielformen denkbar) |
[84 KB] [2,3 MB] AB 12 [383 KB] [2,8 MB] [146 KB] [3,1 MB] |
Präsentation |
Schülerinnen und Schüler präsentieren ihre Ergebnisse | |
Vertiefung und Problematisierung | Schülerinnen und Schüler erhalten Historikertext und erarbeiten die Hauptthesen: Abgleich mit den eigenen Ergebnissen, Diskussion über Bewertung der einzelnen Faktoren und die zentralen Thesen |
[147 KB] |
Abkürzungen: SuS - Schülerinnen und Schüler GAA - Gruppenarbeitsauftrag TA - Tafelaufschrieb |
Didaktische Hinweise und Bildungsplanbezug
Standardstufe: Sek. II
Inhaltbezogene Kompetenzen:
Aus dem Bildungsplan für Allgemeinbildende Gynasien aus dem Jahre 2016:
3.4.5 West- und Osteuropa nach 1945: Streben nach Wohlstand und Partizipation
(3) den wirtschaftlichen Aufschwung in Ost- und Westeuropa bis Anfang der 1970er-Jahre am deutsch-deutschen Beispiel analysieren und vergleichen
Prozessbezogene Kompetenzen:
1. Fragen an die Geschichte formulieren und vorgegebene historische Fragestellungen nachvollziehen
3. Hypothesen aufstellen
4. Untersuchungsschritte zur Beantwortung historischer Fragen planen
nachvollziehe2.2 2.2 Methodenkompetenz:
2. unterschiedliche Materialien (insbesondere Texte, Karten, Statistiken, Karikaturen, Plakate, Historiengemälde, Fotografien, Filme, Zeitzeugenaussagen) auch unter Einbeziehung digitaler Medien analysieren
4. Informationen aus außerschulischen Lernorten auswerten (zum Beispiel Museum, Archiv, Denkmal, Kulturdenkmal, Gedenkstätte, historischer Ort)
1. Hypothesen überprüfen
2. historische Sachverhalte in ihren Wirkungszusammenhängen analysieren (Multikausalität)
4. Sach- und Werturteile analysieren, selbst formulieren und begründen
6. historische Sachverhalte rekonstruieren (Rekonstruktion)
7. Auswirkungen von politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturen und Prozessen auf die Lebens- und Erfahrungswelt der Menschen erläutern
1. die historische Bedingtheit der Gegenwart sowie Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Vergangenheit und Gegenwart analysieren und bewerten
1. historische Sachverhalte in Raum und Zeit einordnen
4. bei der Analyse, Strukturierung und Darstellung von historischen Sachverhalten Fachbegriffe anwenden
6. historische Sachverhalte in Zusammenhängen darstellen (Narration)
7. regionalgeschichtliche Beispiele in übergeordnete historische Zusammenhänge einordnen
Der Bildungsplan ist nicht unter CC veröffenlicht: (C) Bildungsplanplattform Baden-Württemberg"
Materialien und Medien
Abbildungen
B 1 (jpg; 18 KB) Öchsle-Bahn zwischen Warthausen und Ochsenhausen
B 2 (jpg; 22 KB)] Kräne der Firma Liebherr aus den 50er Jahren
B 3 (jpg; 75 KB) Vergleich aktuelles BIP des Landkreises Biberach mit Daten zum Land Baden-Württemberg
B 4 (jpg; 114 KB) Werbung für Liebherr-Kräne aus dem Jahre 1955
B 5 (jpg; 48 KB) Statistik zur industriellen Entwicklung im Kreis Biberach zwischen 1950-1960
B 6 (jpg; 48 KB) Ansicht Firmengelände Dr. Karl Thomae GmbH 1971
B 7 (jpg; 48 KB) Anteile der Wirtschaftsbereiche an der Wertschöpfung im Kreis Biberach
B 8 (jpg; 48 KB) Liste Biberacher Unternehmen in den 30er Jahren
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Arbeitsblätter
AB 1 (pdf; 580 KB) Mini-Mystery
AB 2 (pdf; 246 KB) Die wirtschaftliche Ausgangsposition - Geschichtliche Entwicklung
AB 3 (pdf; 1,3 MB) Die wirtschaftliche Ausgangsposition - Geographische und ökonomishe Bedingungen
AB 4 (pdf; 126 KB) Die wirtschaftliche Ausgangsposition - Flüchtlinge und Vertriebene
AB 5 (pdf; 375 KB) Firmengeschichte Thomae - Ansiedlung des Unternehmens I
AB 6 (pdf; 1,2 MB) Firmengeschichte Thomae - Ansiedlung des Unternehmens II
AB 7 (pdf; 1,9 MB) Firmengeschichte Liebherr - Ansiedlung des Unternehmens I
AB 8 (pdf; 1,7 MB) Firmengeschichte Liebherr - Ansiedlung des Unternehmens II
AB 9 (pdf; 364 KB) Wirtschaftliche Entwicklung Biberachs in der Nachkriegszeit
AB 10 (pdf; 84 KB) Aufgabenblatt zu den Dossiermaterialien
AB 11 (pdf; 2,3 MB) Firmenentwicklung Liebherr anhand einer Pressemitteilung aus dem Jahre 1974
AB 12 Werbematerialien Liebherr aus dem Jahre 1955
AB 13 (pdf; 383 KB) Firmenentwicklung Thomae
AB 14 (pdf; 2,8 MB) Presseartikel Thomae
AB 15 (pdf; 145 KB) Firmengeschichte Handtmann
AB 16 (pdf; 3,8 MB) Die Entwicklung der Biberacher Industrie von den fünfziger bis in die siebziger Jahre im Spiegel von Statistiken und Zeitungsartikeln
AB 17 (pdf; 147 KB) Biberachs Wirtschaft von den 70er Jahren bis in die Gegenwart
AB 18 (pdf; 1,9 MB) Einstiegspräsentation Stunde I
AB 19 (pdf; 2,5 MB) Einstiegspräsentation Stunde II
AB 20 (pdf; 273 KB) Mögliches Tafelbild Stunde I - Mögliche Lösungen
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Literatur
Literaturliste:
- Brunecker, Frank: Ankommen 1945-1960, Museum Biberach, 2022.
- Brunecker, Frank (Hg.): Boehringer Ingelheim - Ein Medikament entsteht, 2. überarbeitete Auflage, Biberach 2011.
- Brunecker, Frank: Alles Handtmann, aktualisierte Aufl. anlässlich des Firmenjubiläums, Biberach 2023.
- Brunecker, Frank: Liebherr – Kräne und mehr, Biberach 2005.
- Boelcke, Willi A.: Wirtschaft und Gesellschaft vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, in: Dieter Stievermann (Hg.): Geschichte der Stadt Biberach, Stuttgart 1991.
- Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte an der ZSL-Regionalstelle Tübingen -
Herausgeber: Landesbildungsserver Baden-Württemberg
Quelle: https://www.schule-bw.de
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