Jerg Ratgeb - Künstler und Kanzler des "gemeinen Mannes"
Hintergrund
Bedeutung
Neben seiner künstlerischen Bedeutung erlangte Jerg Ratgeb Bekanntheit als sogenannter "Bauernkanzler" während des Bauernkriegs 1525, laut Peter Blickle die "Revolution des gemeinen Mannes". Zunächst als Ausschussmitglied und Abgeordneter der Stadt Stuttgart zu den Bauern gesandt, um diese zu beschwichtigen und vom Einmarsch in die Stadt abzuhalten, schloss er sich wohl im Folgenden den Bauern an und übernahm die Aufsicht über die Schreibarbeiten der "Bauernkanzlei". Seine Tätigkeit bei den Bauern lässt sich nur aus fragmentarischen Nennungen in Quellen unterschiedlichste Herkunft erschließen. Vermutlich konzipierte Ratgeb einen Brief an die Adligen des Landes Württemberg mit der Aufforderung, sich den Bauern anzuschließen. Eventuell war er auch Mitglied der Gesandtschaft, die von Herrenberg aus zu Georg III. Truchsess von Waldburg geschickt wurde, um wegen eines Waffenstillstandes zu verhandeln.
B 4 Bauernkriegsfamilie - Kunstwerk von Thomas Putze auf dem Jerg-Ratgeb-Skultpurenpfad in Herrenberg
© Kamahele, commons.wikimedia
Über seine weitere Beteiligung im Bauernkrieg schweigen die Quellen. Man weiß nicht, ob Ratgeb in der Schlacht am 12. Mai in Böblingen mitgekämpft hat, wie seine Flucht verlief und wo er gefangengenommen wurde. Er taucht erst wieder im Zusammenhang mit seinem Gefängnisaufenthalt und dem Gerichtsprozess gegen ihn in Pforzheim 1526 auf, dessen Akten mit Ausnahme des Umschlags der Gerichtsakte, auf dem er der "Maler von Stuttgarten" genannt wird, aber leider verschollen sind. Seine äußerst harte Bestrafung, "so zu Phortzen deß paurn kriegs halber gevierteylt worden", ist somit nur anhand von Quellen aus späteren Jahren zu belegen. Über die Gründe, warum seine Bestrafung so drastisch ausgefallen ist, kann nur spekuliert werden. Eine Hypothese ist, dass er zu einer Zeit verurteilt wurde, als die Strafaktionen des Schwäbischen Bundes gegen die Aufrührer noch in vollem Gang waren, seine Verurteilung somit als Exempel dienen sollte. Ein zweiter Grund ist eventuell darin zu sehen, dass er keine Fürsprecher hatte, Rat und Ausschuss der Stadt Stuttgart, zu deren Kreis er ursprünglich gehört und in deren Auftrag er zunächst gehandelt hatte, ihn sogar durch dem Gericht vorgelegte Dokumente belasteten.
B 5 Blutspur - Kunstwerk von Frederick D. Bunsen auf dem Jerg-Ratgeb-Skultpurenpfad in Herrenberg
© Kamahele, commons.wikimedia
Die beiden Zuschreibungen als "Kanzler" und "Künstler" legen neben der Frage, in welcher Weise sich Ratgeb an den Aufständen der Bauern beteiligt und warum er eine solch harte Strafe auferlegt bekommen hat, nahe, in seinen erhaltenen Werken nach Bezügen zu seinem Leben und seiner politischen Einstellung zu suchen. Diese "Detektivarbeit" ist knifflig und spannend, da über sein Leben und Wirken äußerst wenig überliefert ist. Jerg Ratgeb und seine Bilder waren über Jahrhunderte in Vergessenheit geraten. In der Rekonstruktion von Leben und Werk Jerg Ratgebs und seiner zeitgeschichtlichen Bezüge betätigen sich die Lernenden somit als Geschichtsforscher und üben die historisch-kritische Methode.
- Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte RP Stuttgart -