Jüdische Geschichte im Südwesten: Mehr als nur Verfolgung!

  Vorschlag für eine Integration der jüdischen Geschichte in den Geschichtsunterricht (Bildungsplan 2016) an regionalgeschichtlichen Beispielen für die Klassen 6-9

Dr. Michael Hoffmann (Kompetenzzentrum für Geschichtliche Landeskunde im Unterricht)


Leitperspektive: Bildung für Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt (BTV)

„Der konstruktive Umgang mit Vielfalt stellt eine wichtige Kompetenz für die Menschen in einer zunehmend von Komplexität und Vielfalt geprägten modernen Gesellschaft dar. (…) Kernanliegen der Leitperspektive ist es, Respekt sowie die gegenseitige Achtung und Wertschätzung von Verschiedenheit zu fördern.“ (Bildungsplan Baden-Württemberg 2016, Leitperspektiven)

Leitperspektive BTV und das Fach Geschichte

„Die Schülerinnen und Schüler begegnen in der Geschichte unentwegt Beispielen für Intoleranz, aber auch für gegenseitigen Respekt und Akzeptanz von Vielfalt. Sie lernen den unterschiedlichen Umgang der Gesellschaft mit Minderheiten im Verlauf der Geschichte kennen und entwickeln dabei Werthaltungen, die sie zur Achtung und Wertschätzung von Verschiedenheit befähigen.“ (Bildungsplan Baden-Württemberg 2016, Geschichte)

Jüdische und christliche Spieler des Fußballvereins Rexingen

Brennende Synagoge in Baden-Baden 1938

Brennende Synagoge in Baden-Baden 1938

 
I. Das pädagogische Potenzial
Die in den beiden Zitaten aus dem Bildungsplan 2016 formulierte grundsätzliche Zielsetzung der Sensibilisierung von Schülerinnen und Schülern für Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt lässt sich im Fach Geschichte besonders gut am Beispiel der jüdischen Geschichte Südwestdeutschlands verwirklichen. Diese bietet,  in ihrer Charakteristik, aber auch ihren vielfältigen Facetten ein einzigartiges historisches Beispiel für das Nebeneinander, Miteinander, Gegeneinander zwischen Juden und Christen, zwischen jüdischen und christlichen Deutschen über Jahrhunderte hinweg. Und natürlich lässt sich an diesem Beispiel auch erkennen, wohin die Nicht-Achtung von Verschiedenheit, die Gleichgültigkeit sowie die Ausgrenzung auf rassistischer Basis und ein damit einhergehender Vernichtungswille führen konnte. Dadurch kann das moralische Bewusstsein als wichtige Dimension des Geschichtsbewusstseins besonders entwickelt werden.

II. Das didaktische Potenzial: Mehr als nur Verfolgung
Schon seit einigen Jahren wird in der historischen und didaktischen Literatur zum jüdischen Leben in Deutschland beklagt, dass sich dessen Vermittlung innerhalb, aber auch außerhalb der Schule allzu sehr auf die Jahre 1933-1945 beschränke, vor allem auf den Holocaust als einzigartiges Menschheitsverbrechen. Dieser sei zwar ohne Zweifel der zentrale Fluchtpunkt der jüdisch-deutschen Geschichte, könne aber in seiner eigentlichen, katastrophalen Dimension nur vor dem Hintergrund einer ausführlichen und differenzierten Betrachtung des jüdischen Lebens in Deutschland seit dem Mittelalter verstanden werden.

(vgl. dazu: Michael Brenner, Jüdisches Leben in Deutschland. Mehr als nur Opfergeschichte, in: Praxis Geschichte 3/2016, S. 4—9, S.4; Martin Liepach, Jüdische Geschichte. Herausforderungen und Einsatzmöglichkeiten im Unterricht, in: Geschichte lernen 152 (2013), S. 1-8, S. 1; und auf der Basis empirischer Schulbuchanalyse ders./Wolfgang Geiger, Fragen an die jüdische Geschichte. Darstellungen und didaktische Herausforderungen, Schwalbach/Ts. 2014, S. 11-19)

Dieser Argumentation folgend ist es daher geboten, die Geschichte der Juden in Deutschland nicht nur auf eine bloße Verfolgungs- oder Opfergeschichte zu reduzieren, sondern deren Vielfalt in den Blick zu nehmen und sie als integralen Bestandteil der deutschen, gerade auch der südwestdeutschen Geschichte zu betrachten. Dies wird auch dem Anspruch des Bildungsplans, die Bildung von Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt zu fördern, besonders gerecht, indem hier an historischen Beispielen aus der deutsch-jüdischen Geschichte Formen der Akzeptanz, aber auch der Intoleranz und Verfolgung erarbeitet, beurteilt und bewertet werden.  

III. Didaktische Fragen
Die didaktische Grundlage zur Auswahl und Konzeption dieses Vorschlags bilden vier Fragestellungen:
1. Akteure und Gestalter: Wie kann die dominierende passive Opferrolle der Juden im Geschichtsunterricht überwunden werden?
2. Perspektivenwechsel: Wie kann die Außenperspektive der christlichen Mehrheitsgesellschaft aufgebrochen werden (und damit auch dem Gebot der Multiperspektivität entsprochen werden)?
3. Erinnerungskultur: Wie kann man der Radikalität der Ausgrenzung der deutschen Staatsbürger jüdischen Glaubens ab 1933 im Unterricht besonders gerecht werden?
4. Differenzierung: Wie kann eine simplifizierende Reduktion der Juden auf einen vermeintlichen Kern oder monolithischen Block vermieden werden?

Die Fragen orientieren sich stark an den Überlegungen von Rainer Hennl, „Frohe Kindheitstage und liebliche Heimatbilder“ – eine Skizze zur Geschichte und zum Selbstverständnis der Karlsruher Juden zwischen 1715 und 1933, Vortrag auf dem Tag der Landesgeschichte 2015 in Bruchsal, veröffentlicht in: Landesgeschichte in Forschung und Unterricht 12 (2016), S.37-54, S. 38

Umsetzungsvorschlag mit Beispielen und Unterrichtsmodulen

1. Antike (Klasse 6)

2. Mittelalter (Klasse 7)

3. Frühe Neuzeit (Klasse 7)

4. Das lange 19. Jahrhundert und die Judenemanzipation– eine Erfolgsgeschichte im deutschen Südwesten? (Klasse 8)

5. Deutsch-jüdische Geschichte in der ersten Hälfte des 20 Jahrhunderts (Klasse 9)


 


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Herausgeber: Landesbildungsserver Baden-Württemberg
Quelle: https://www.schule-bw.de

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