Jüdische Geschichte im Geschichtsuntericht

IV. Das lange 19. Jahrhundert und die Judenemanzipation– eine Erfolgsgeschichte im deutschen Südwesten? (Klasse 8)


Mit der hier angesprochenen Selbstemanzipation begann in Deutschland eine ganz und gar ungewöhnliche soziale Erfolgsgeschichte der Juden als Minderheit, die auf einem ausgeprägten Arbeits- und Leistungsethos beruhte.“ (Reinhard Rürup)

Im Rückblick erscheint die deutsch-jüdische Geschichte des Kaiserreichs wie ein goldenes Zeitalter (...). International galt das deutsche Judentum als Modellfall der Emanzipation und als bewundertes Vorbild.“ (Ulrich Sieg)

Die Einschätzungen der beiden Historiker für Deutschland sind eindeutig: Das lange 19. Jahrhundert, von den Prinzipien der Aufklärung und den Wirkungen der Französischen Revolution bis zum Untergang des alten Europa im Ersten Weltkrieg, sah eine zunehmende Integration bisweilen sogar Assimilation der Juden in die nun bürgerliche Gesellschaft des entstehenden Deutschlands. Eine sprachliche Gegenüberstellung von „Juden und Deutschen“ erschien spätestens ab der Reichsgründung weder staatsrechtlich noch auch aus Sicht der meisten jüdischen Deutschen als angebracht.

Andererseits gilt es aber auch festzustellen:
„ … es ist deutlich erkennbar, dass gerade das in eigenen Parteien und Verbänden organisierte Auftreten des Antisemitismus eine einigende Funktion vor dem Hintergrund eines religiös, sozial und auch kulturell wenig einigen Reiches hatte. Antisemitismus stand in unmittelbarem Zusammenhang zur Konstruktion einer Nation mit einer Gesellschaft, der jeder einheitliche Unterbau fehlte.“ (Johannes Heil, Antisemitismus gestern und heute – eine Bestandsaufnahme)

Ehrenmal für die jüdischen Gefallenen des Ersten Weltkriegs in Rexingen

Moritz Ellstätter (1827-1905), Finanzminister in Baden, erstes jüdisches Regierungsmitglied in Deutschland

 

Dem Zivilisationsburch des Holocaust ging also, mit anderen Worten, eine lange und stetige Phase jüdisch-christlicher Annäherung voraus, die allerdings früh von nun rassisch begründeter und immer lauter werdender antisemitischen Propaganda begleitet wurde. Dieser Antisemitismus erfüllte, so Johannes Heil, im entstehenden Nationalstaat Deutschland die Funktion eines Ordnungsmusters , das bis weit in die politische Mitte hinein akzeptiert war. Wie lässt sich nun diese komplexe Gemengelage didaktisch umsetzen?

Ambivalenz der modernen Lebenswelten
1. Der wachsende Antisemitismus des 19. Jahrhunderts in seinem schillernden Übergang von christlichem Antijudaismus und rassischem Antisemitismus muss als Wurzel und Voraussetzung des Antisemitismus der völkischen Bewegung behandelt werden. Dabei sollte klar werden, dass dieser Antisemitismus sehr viel über die soziokulturellen Milieus aussagt, denen er entspringt, aber nichts (außer Zerrbilder) über das jüdische Leben.
2. Das jüdische Leben im Deutschland des 19. Jahrhunderts, seine Akteure, Leistungen und Wirkungen sollten als eigenständige Themenstränge gewichtet und behandelt werden. Dazu ist es zwingend notwendig, jüdische Quellen und Perspektiven zu analysieren sowie Handeln, Denken und Reden einzelner jüdischer Deutschen wie auch verschiedener Gruppen zu betrachten. (Innenperspektive und Auflösung von Kollektivsubjekten)

Dieses Vorgehen entspricht der Zielsetzung des Bildungsplans Geschichte 2016  für die Klasse 8, der gerade die „Ambivalenz“ der Lebenswelten um 1900 betont, und darunter auch die Begriffe "Rassenantisemitismus" und "Judenemanzipation" fasst (BP Geschichte Standard 3.2.5.3). Die im Übrigen auch in der Wissenschaft ausgetragene Kontroverse, inwieweit die Judenemanzipation des 19.Jahrhunderts wirklich eine Erfolgsgeschichte war, eignet sich gut, die Urteilskompetenz der Schülerinnen und Schüler zu fördern, allerdings nur bei überschaubarer und gründlichen Auswertung der verschiedenen zu Verfügung stehenden Argumente und Perspektiven.

Die in diesem Thema verborgene Komplexität, zwischen politischer-rechtlicher Gleichstellung und sozialer Ächtung, zwischen wirtschaftlichem Erfolg und Auswanderung, zwischen Assimilation und Selbstbehauptung, lässt sich besonders gut an konkreten Beispielen der südwestdeutschen Lokalgeschichte und der Biographiengeschichte fassen, von denen einige im folgenden kurz vorgestellt werden sollen.

Vorgeschichte der Judenemanzipation
Die Judenemanzipation hatte ihre Wurzeln in der Aufklärung. Stellte die Aufstellung der allgemeinen Menschen und Bürgerrechte 1789 in Frankreich den entscheidenden Schritt zur rechtlichen Gleichstellung der französischen Juden dar, so sollte dies auch im unterrichtlichen Zusammenhang (BP 3.2.3.2) nicht nur als einseitiges Zugeständnis der Mehrheitsgesellschaft an Juden gewertet werden, sondern als Resultat eines gemeinsamen Projektes, das nicht nur von christlichen Gelehrten, sondern eben auch jüdischen Aufklärern geprägt wurde.

 

 

Moritz Daniel Oppenheim, Der Lavaterstreit, 1856, Links Mendelsohn im Streitgespräch mit dem Schweizer Pfarrer Johann Caspar Lavater, im Hintergrund stehend Lessing

 

Für die deutsche Entwicklung kann hier der Philosoph Moses Mendelssohn herangezogen werden, der zum einen als Mitglied einer aufgeklärten Lesegesellschaft (BP 3.2.3.1.), dem Verein Gelehrtes Kaffehaus zu Berlin, wirkte, zum anderen aber auch als Vorbild für Lessings Nathan diente und somit Wegbereiter einer Integration über Bildung als das den Menschen auszeichnende, überreligiöse und universale Charakteristikum wurde. Mendelssohn selbst formulierte:

Kommen Sie! Wir wollen uns in Gedanken umarmen! Sie sind ein christlicher Prediger und ich ein Jude! Was tut dieses? Wenn wir dem Schafe und dem Seidenwurme wiedergeben, was sie uns geliehen haben, so sind wir beide Menschen. Wir wollen uns einander aufrichtig alle Unruhe vergeben, die wir uns wechselweise gemacht haben.“
Mendelssohn an Lavater, 9.3.1770

Das Leben Moses Mendelssohns repräsentiert damit beispielgebend für viele deutsche Juden die Trennung von Kultur und Religion: „Es war ihm gelungen, in kultureller Hinsicht deutsch zu werden und doch in religiöser Hinsicht Jude zu bleiben“. (Michael A. Meyer)

Beispiele jüdischen Lebens zwischen Emanzipation und Antisemitismus im deutschen Südwesten

1. Exemplarische Biographien

Berthold Auerbach war wohl im 19. Jahrhundert der berühmteste deutsche Schriftsteller, seine „Schwarzwälder Dorfgeschichten“ über seine schwäbische Heimat Nordstetten avancierten zur Weltliteratur. Der heute im Grunde vergessene Auerbach, eigentlich Moses Baruch Auerbacher (1812-1882) schrieb als Volksaufklärer Literatur über und für das Volk und prägte damit die Bildungsbewegung des Vormärz nachdrücklich. Als Burschenschafter in Tübingen trat er für nationalliberale Ziele ein und wurde deshalb auch verhaftet. Seine Hoffnungen auf ein humanistisches und liberales Deutschland und die Idealisierung deutsch-jüdischer Harmonie in den Dorfgeschichten stehen repräsentativ für die vieler anderer Juden dieser Zeit. Gleichermaßen musste auch er den Antisemitismus vor allem nach 1871 spüren. Von den Nationalsozialisten wurde gezielt jegliche Erinnerung an Auerbach ausgelöscht, mit literaturgeschichtlichen Wirkungen bis heute. Das literarische Schaffen und Wirken sowie die schwierigen, oft wechselnden Lebensumstände Auerbachs können am literarischen Ort seiner Geschichten, in Nordstetten im Berthold-Auerbach-Museum, oder an hand literarischer Zeugnisse (Unterrichtsmodul) erkundet werden.

Berthold Auerbach. Ölportrait von Julius Hübne

 Moritz Henle 1882

 Moritz Henle 1882

 

Der Synagogenkantor Moriz Henle aus Ulm bietet ein zweites Beispiel des ambivalenten Verlaufs der Judenemanzipation in Südwestdeutschland. Wie viele andere jüdische Künstler, Literaten und Musiker in Deutschland auch näherte sich Henle der christlichen Mehrheitsgesellschaft an, etwa in seiner beruflichen Tätigkeit als Musiker und in seiner bürgerlichen Lebensführung. Sinnfällig in diesem Zusammenhang sind etwa die Namensführung (zunächst Moses, später Moriz bzw. Moritz) oder auch seine moderne Synagogenmusik. Henle zog dadurch heftige Kritik von Seiten der orthodoxen Juden auf sich, die diesen Assimilationsprozess Henles von Grund auf ablehnten. Gleichzeitig überwand auch Henle, der 1879 als Kantor an die führende Reformsynagoge Deutschlands, den Hamburger Tempel, berufen wurde, die Schranken des Antisemitismus nicht, auch er war selbst in seiner Heimatstadt Ulm antisemitischen Schmähungen der Zeitung Ulmer Schnellpost ausgesetzt. An Henle können also das Verhältnis von jüdischer Minderheit und christlicher Mehrheit, die Vielfalt der religiösen Anschauungen innerhalb des Judentums und auch die Grenzen der Emanzipation sowie der zunehmende Antisemitismus erarbeitet und damit der Grad der Integration der jüdischen Deutschen erörtert werden.

Schließlich sei als letztes Beispiel der Bankier und Sozialdemokrat Abraham Gumbel (1852-1930)  aus Heilbronn genannt. (Unterrichtsmaterial zu Abraham Gumbel). Gumbel hat sich früh für die Interessen der Arbeiterschaft und kleinen Handwerker eingesetzt, politisch wie wirtschaftlich. Er gehörte zu den Gründern des SPD-Ortsvereins 1874 und engagierte sich elanvoll gegen das Sozialistengesetz. Wirtschaftlich wandelte er seine Privatbank 1909 in einen genossenschaftlich organisierten Bankverein um, der die Keimzelle der späteren Volksbank in Heilbronn werden sollte. Risikogeschäfte und Spekulation waren in dieser Bank verboten. Gumbels Engagement in Heilbronn steht insofern vor allem für die bürgerliche Mitgestaltung der deutschen Gesellschaft um 1900 durch die jüdischen Deutschen, in diesem Fall vor allem für das Bemühen um Abfederung der sozialen Kosten der ersten Modernisierung. Gumbels erster Sohn Max fiel 1914 als Kriegsfreiwilliger in Frankreich.

2.Perspektivwechsel: Die Innenperspektive
Wenn die biographische Herangehensweise zu umfangreich oder zeitaufwändig erscheint, sollten wenigstens an Hand ausgewählter Beispiele, möglichst aus der unmittelbaren Umgebung, Stimmen jüdischer Deutscher dieser Zeit gehört und ihr Handeln und Wirken vor Ort recherchiert werden. Neben der einschlägigen Literatur im örtlichen Archiv bietet hierfür die Alemannia judaica einen reichhaltigen Fundus an Originalquellen für jede jüdische Gemeinde im deutschen Südwesten. Dabei können mehrere Aspekte untersucht werden.

Das Selbstverständnis der allermeisten Juden als Deutsche und ihre Hoffnung auf bürgerliche Gleichberechtigung zeigte sich besonders nach der Reichsgründung 1871 oder zu nationalen Feiertagen. Über die Feierlichkeiten des Sieges über Frankreich in Göppingen zum Beispiel berichtet die "Allgemeinen Zeitung des Judentums" vom 11. April 1871:

"Möge in Anerkennung des edlen Patriotismus, welchen zahlreiche Israeliten in reichen Spenden zur Linderung des durch den Krieg herbeigeführten Elends in hervorragender Weise bekundeten, endlich der letzte Rest kränkender Zurücksetzung und Ausschließung schwinden und im geeinigten Deutschland ein Recht und ein Gesetz für Alle ohne Unterschied in Wahrheit und in Wirklichkeit zur Geltung kommen."

Den zivilgesellschaftlichen und politischen Beitrag jüdischer Deutscher zum kommunalen Leben belegen Beispiele aus der Stadt Schwäbisch Hall, wo z.B. der für seine orthodoxe Glaubenshaltung bekannte Kaufmann Heinrich Herz 1903 zum Gemeinderat als Vertreter der Nationalliberalen gewählt wurde. Ähnlich wie auf Reichsebene der Verein zur Abwehr des Antisemitismus entstand auch in Schwäbisch Hall eine Initiative gegen den Antisemitismus, bei der auch der evangelische Pfarrer sprach. Die Zeitung der Israelit schätzte die Lage am 25.10.1900 in Hall folgendermaßen ein:

Denn in unserer schönen, durch ein freisinniges Bürgertum sich auszeichnenden Stadt leben alle Stände und Konfessionen in bürgerlicher Eintracht beisammen, und nichts hat sich noch ereignet, das diesen Frieden im entferntesten hätte gefährden können. Aber dennoch müssen wir es hier dankbar anerkennen und öffentlich aussprechen, dass der Herr Stadtpfarrer durch seinen Vortrag (…) der Blutbeschuldigung gegen die Juden auf das allerentschiedenste widersprach.“

3. Lokales Wirken: Jüdische Gemeinden und die Modernisierung vor Ort
Lokalgeschichtliche Fallstudien vor allem größerer Städte zeigen, dass die bürgerlich-urbane Lebenswelt um 1900 in ganz erheblichem Maße durch ihre jüdischen Bürger geprägt war. Sozialer und wirtschaftlicher Aufstieg, verbunden mit der rechtlichen und politischen Gleichstellung sorgten dafür, dass die jüdischen Bürger der Großstädte tiefe Wurzeln in der kommunalen Gesellschaft schlugen und die Veränderungen in Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur, die man mit dem Begriff der Modernisierung zu erfassen pflegt, mit bewirkten. Sie können mithin als bedeutende Mitgestalter der Modernisierung vor Ort betrachtet werden.

Bei diesen Fallstudien wird auch deutlich, dass die soziale und mentale Differenzierung des deutschen Judentums so weit fortgeschritten war, dass von einem einheitlichen „Block“, wie ihn die antisemitische Propaganda beschwor, in keinem Fall gesprochen werden kann. Während sich das jüdische Bürgertum in Wirtschaft und Wissenschaft vor allem kommunal stark engagierte und integrierte, blieben die Juden auf dem Land oder die zugewanderten Juden aus dem Osten gesellschaftlich oftmals separiert.  Gleichermaßen lassen sich auch innerhalb der jüdischen Gemeinden verschiedene kulturelle Orientierungen feststellen, vom Übertritt ins Christentum und einer vollständigen Assimilation über eine dem liberalen Reformjudentum nahestende Akkulturation bis hin zur Orthodoxie und dem entstehenden Zionismus.

Beide Prozesse, die Modernisierung vor Ort bei gleichzeitiger Ausdifferenzierung der jüdischen Bürgerschaft lassen sich prismatisch gebündelt besonders gut im Mikrokosmos einer Großstadt wie Karlsruhe und den Karlsruher Juden (Unterrichtsmodul zu den Karlsruher Juden) erfassen. Die dortige Gemeinde war bis zur Zerschlagung durch die Nationalsozialisten die zweitgrößte Badens.

 

Moderne Konsumwelt:  Das Warenhaus Geschwister Knopf in Karlsruhe


Karlsruher Juden prägten die Stadt als Unternehmer und Bankiers, als Architekten und Lokalpolitiker, als Juristen, Mediziner und Wissenschaftler. Das Bankhaus Homburger wirkte z.B. bei der Umwandlung der Badischen Maschinenfabrik Durlach (1885) und der Brauerei Moninger (1888) in AGs mit und war auch an der Gründung der Karlsruher Elektrizitätsgesellschaft (1901) beteiligt. Warenhäuser wie die von Moritz Knopf oder bald auch Filialen von Hermann Tietz (Hertie) entstanden und verbreiteten eine neue Konsumkultur, die im Grunde bis heute wirksam ist. Mit Ausnahme der staatlichen Verwaltung waren jüdische Karlsruher in akademischen Berufen überproportional repräsentiert und wurden auch, wie z.B. der Bankier Fritz Homburger, in den Stadtrat gewählt.

 

Meistermannschaft KFV 1910

Meistermannschaft des Karlsruher Fußballklub KFV mit den jüdischen Spielern Gottfried Fuchs und Julius Hirsch, 1910

 

Auch im sportlichen Bereich schoben Karlsruher Juden weitreichende Entwicklungen an. Fußballer wie Julius Hirsch oder Gottfried Fuchs gehörten zu den Gründungsmitgliedern des KFV und wurden mit dessen Mannschaft 1910 sogar deutscher Meister.

Die Heterogenität der Karlsruher Juden ist sowohl in den unterschiedlichen Wohnquartieren, den verschiedenen Berufen wie auch der Spaltung der jüdischen Gemeinde 1869 sichtbar. Zwei Synagogen, die eine mit einer Orgel ausgestattet und einer christlichen Kirche im Innenraum ähnelnd ist der liberalen Hauptgemeinde zuzuordnen, die andere, eher nüchtern gehaltene der orthodoxen Austrittsgemeinde. (AB für den Unterricht)

 

Synagoge der liberalen Mehrheitsgemeinde in der Kronenstraße, 1896

 

 

Orthodoxe Synagoge in der Karl-Friedrich-Straße, um 1900


Dass sich das Judentum im Südwesten im Verlaufe der Modernisierung wie die gesamte Gesellschaft auch sozial und kulturell ausdifferenziert hat, man mitunter also bereits zur Zeit des Kaiserreichs nicht mehr von „den Juden“ als einer einheitlichen Gruppe sprechen kann, zeigt das Beispiel der blühenden jüdischen Gemeinden in Hohenzollern und am Oberen Neckar. Hier stehen sich ein städtisch-bürgerliches Milieu in Hechingen und ein ländlich-kleinbürgerliches in Haigerloch und Rexingen gegenüber.
Die drei im Unterrichtsmodul behandelten Gemeinden Haigerloch, Hechingen und Rexingen stellen mit ihrer jeweils langen und die Orte prägenden jüdischen Geschichte geeignete Unterrichtsgegenstände dar. Dabei bietet jede der drei Gemeinden über das „Typische“ jüdischer Lebenswelten im Südwesten zur Zeit des Kaiserreichs und der Weimarer Republik hinaus Besonderheiten, die eine eingehende Beschäftigung lohnen. So verfügt Haigerloch mit dem „Haag“ über ein in Deutschland einzigartiges zusammenhängendes Wohnviertel, in Hechingen war der Anteil jüdischer Textilbetriebe zur Zeit der Industrialisierung so hoch wie in keinem anderen südwestdeutschen Ort und Rexingen galt um 1900 als „Viehbörse Süddeutschlands“.

 4. Spurensuche auf jüdischen Friedhöfen
Die Vielgestaltigkeit jüdischen Lebens zwischen Emanzipation und Ausgrenzung, Assimiliation und Auswanderung kann auch am Beispiel der Grabsteingestaltung auf jüdischen Friedhöfen erkundet werden. Diese zeigen, je nach Einzelfall verschieden, Akzentverschiebungen in der Sprache, der Symbolik oder auch der Architektur. Die Erkundung, die die entsprechenden religiösen Vorschriften beachten muss (!), kann darüber hinaus auch zu einer Recherche über Entstehung und Schicksal der jüdischen Gemeinde vor Ort erweitert werden. Mit der website der Alemannia judaica steht ein reichhaltiger Informationspool über alle jüdischen Gemeinden und Friedhöfe Südwest-Deutschlands zu Verfügung, mit deren Hilfe vor Ort recherchiert werden kann.

Grabsteine auf dem jüdischen Friedhof Bopfingen-Oberdorf

 

Eine Spurensuche anderer Art ist die nach jüdischen Schülern an der eigenen Schule. Gerade die traditionsreichen humanistischen Gymnasien mit klassischer Bildung waren bei den jüdischen Deutschen, die ihren Aufstieg über Bildung anstrebten, beliebt. Einige von Schülern im Rahmen von Seminarkursen durchgeführte Recherche-Arbeiten fanden ihren Weg in die historische Forschung oder in eine schulische Denkmalsgestaltung. Für den ersten Fall sei die Arbeit über 19 jüdische Schüler des Karl-Friedrich-Gymnasiums Mannheim (ehemals Vereinigtes Großherzliches Lyceum) genannt, unter diesen z.B. Ludwig Landmann, der spätere DVP-Oberbürgermeister von Frankfurt/Main. Am Peutinger Gymnasium Ellwangen führte die Suche nach dem letzen jüdischen Schüler Erich Levy zum einen zum Kontakt zu dessen emigrierter Familie in den USA, zum anderen aber auch zur Einweihung eines schulischen Denkmals als Ort der Erinnerung.

 


 - Kompetenzzentrum für Geschichtliche Landeskunde im Unterricht  -

 


Der Text dieser Seite ist verfügbar unter der Lizenz CC BY 4.0 International
Herausgeber: Landesbildungsserver Baden-Württemberg
Quelle: https://www.schule-bw.de

Bitte beachten Sie eventuell abweichende Lizenzangaben bei den eingebundenen Bildern und anderen Dateien.