Landesgeschichtliche Einordnung

Autor: Michael Tocha (Arbeitskreis RP Freiburg)

Der Begriff

Traditionell wurde die Frühe Neuzeit in den Kategorien Gesellschaft, Wirtschaft, Staat, Kirche usw. erfasst und dargestellt. Ihre Kirchengeschichte orientierte sich an den Begriffen Reformation, Gegenreformation und Glaubensspaltung. Sie rückte die Unterschiede zwischen den Konfessionen in den Mittelpunkt und entging dabei nicht immer der Tendenz zu einem "kirchengeschichtlichen Idealismus" (Heinz Schilling), der die gesellschaftlichen, machtpolitischen und alltagsgeschichtlichen Bedingungen an den Rand drängte.

Gegenüber dieser Sichtweise bedeutet der Begriff "Konfessionalisierung", der zu Beginn der 80-er Jahre von Heinz Schilling und Wolfgang Reinhard in die wissenschaftliche Diskussion eingebracht wurde, einen vollständigen Paradigmenwechsel. Er ist kein kirchengeschichtlicher, sondern ein sozialgeschichtlicher Begriff und umschreibt einen tiefgreifenden Umbruch aller Bereiche der Gesellschaft: Auf der Grundlage eines klar definierten Dogmas werden im 16. Jahrhundert von geeigneten Multiplikatoren neue Normen durchgesetzt, neue kirchliche und kulturelle Milieus bilden sich heraus. Die entscheidende Rolle spielt dabei der neuzeitliche Staat. Er sichert sich die Kontrolle über die Kirche als mögliche Machtkonkurrentin und nutzt ihre Möglichkeiten, staatliche Geschlossenheit zu erreichen und den Untertanenverband zu disziplinieren und zu homogenisieren. Es kommt zu einer Verdichtung der Staatlichkeit; insofern bezeichnet Konfessionalisierung einen Prozess der Modernisierung. Zugleich ist das Ergebnis eine vertiefte Verchristlichung, wie sie auch das Mittelalter noch nicht gekannt hatte.

Das Konzept wurde ursprünglich am Beispiel des Reformiertentums gewonnen, von dem von den späten 1540-er Jahren bis in die Anfänge des Dreißigjährigen Kriegs eine "zweite Reformation" ausging. Rasch wurde jedoch deutlich, dass ungeachtet aller bekenntnismäßigen Unterschiede ähnliche Entwicklungen auch bei Lutheranern und Katholiken zu beobachten sind. Man betonte diese Gemeinsamkeiten, indem man von "lutherischer" und "katholischer Konfessionalisierung" sprach (Parallelitätsthese). Die enge Verbindung von Konfessionalisierung und moderner Staatsbildung ermöglicht eine Datierung und Eingrenzung auf die Zeit zwischen 1555 und 1648, zumindest in Deutschland. Ob das Konzept der Konfessionalisierung auch im außerdeutschen Bereich als Leitkategorie dienen kann, ist umstritten.

 

Kritik am Konfessionalisierungsparadigma richtet sich auf vier Punkte:

  1. die etatistische Engführung: den Obrigkeiten sei es nur begrenzt gelungen, die Untertanen an neue Denk- und Verhaltensformen anzupassen. Mikrogeschichtliche Studien zeigten, dass Veränderungen im Bereich der Religiosität wie des Verhaltens und der Mentalität vielmehr auch von Laien und Kirchengemeinden "von unten" bewirkt worden sind. (Heinrich Richard Schmidt, Bern).
  2. den Endpunkt 1648: eine Reihe von Fallstudien untermauert, dass die Religion bis ins Jahrhundert der Aufklärung hinein ihre verhaltenssteuernde und legitimierende Funktion behalten hat (Helga Schnabel-Schüle, Trier). Insofern ist "Konfessionalisierung" die Signatur der gesamten Epoche der Neuzeit.
  3. die Gleichsetzung der Konfessionen: die katholische Konfessionalisierung verläuft anders und ungleichzeitig. Die institutionelle Kontinuität der katholischen Kirche entzieht sie in höherem Maß dem Zugriff des Staates, aber auch innerkirchlichen Reformbestrebungen: die Konfessionalisierung durch das Tridentinum gelangt erst im 18. Jahrhundert auf ihren Höhepunkt.
  4. das Ausblenden der religiösen Wahrheitsfrage. Dieser Einwand erscheint wenig stichhaltig, denn das Ringen der Zeitgenossen und die religiöse Aufladung aller Lebensbereiche werden ja gerade als zentrale Wirkungsfaktoren des Konfessionalisierungsvorgangs gesehen. Für den Historiker zählen aber die objektiven Folgen und Nebenfolgen dieses Ringens mehr als die subjektiven Intentionen der Akteure.

    Die Epoche der Konfessionalisierung lief in der Aufklärung aus; das 19. Jh. gilt allgemein als "Zeitalter der Säkularisierung". Im Widerspruch zu dieser vertrauten Vorstellung wird neuerdings betont, dass konfessionelle Prägungen ab etwa 1830 erneut an Bedeutung gewannen. Konfessionelle Identitäten und somit konfessionelle Gräben vertieften sich wieder; nicht nur in Deutschland durchdrang ein wirkmächtiger Konfessionalismus Politik, Gesellschaft und Alltag. Erst in den 1960-er Jahren verloren die Konfessionen ihre kultur- und identitätsbildende Kraft, das "zweite konfessionelle Zeitalter" ging zu Ende.

Titelbild von

Titelbild von "Christianopolis", einem utopischen Werk von Johann Valentin Andreae (1619). Der Verfasser stammte aus Herrenberg und war einer der Begründer der schwäbischen Kirchenkonvente.


Landesgeschichtliche Einordnung

Dem Konfessionalisierungsparadigma wohnt eine hohe Affinität zu landes- und mikrogeschichtlichen Ansätzen inne:

Es ist in besonderer Weise geeignet, regionale Identitäten zu erklären. Wie Sabine Holtz am Beispiel protestantischer Gebietsteile des Landkreises Rottweil gezeigt hat, entstehen solche Identitäten nicht naturwüchsig, sondern werden von staatlichen und kirchlichen Verhältnissen hervorgebracht. Insbesondere unter konfessionellem Vorzeichen war das Bedürfnis nach Abgrenzung und Ausgrenzung ausgeprägt; die Konfession war der wichtigste Faktor, unter den Bewohnern eines Dorfes oder eines Landstrichs ein Bewusstsein ihrer Eigenart und der Andersartigkeit der Nachbarn auszuformen. Solche Identifikationsmuster hatten ein großes Beharrungsvermögen. Subtile und langfristige Abgrenzungsmechanismen, wie sie zwischen Villingen und Schwenningen, dem evangelischen Schiltach und den katholischen Gemeinden in seiner unmittelbaren Nachbarschaft oder innerhalb des gemischtkonfessionellen Dorfes Tennenbronn bis in die Gegenwart zu beobachten sind, lassen sich auf diese Weise erklären. Dasselbe gilt in größerem Maßstab auch für ganze Territorien, z. B. Württemberg. So werden schwäbische Eigenheiten bis hin zur Kehrwoche von den Prägungen durch den Pietismus und fast 200 Jahre Überwachung und Erziehung durch die Kirchenkonvente (s.u.) hergeleitet.

Sofern Konfessionalisierung als Angelegenheit des Staates aufgefasst wird, rückt das jeweilige Territorium in den Mittepunkt der Betrachtung - die Darstellung etatistischer Konfessionalisierung ist per se Landesgeschichte, eine höhere Ebene gibt es dafür im Deutschen Reich nicht. Umgekehrt sind mikrohistorische Fallstudien erforderlich, wenn die Fragen geklärt werden sollen, ob Konfessionalisierung eher eine Aufgabe des Staates oder der Kommunen war oder ob sie das Leben auch nach 1648 überformte. (Das vorliegende Projekt "Villingen und Schwenningen 1670 - eine Grenzübertretung" ist mikrohistorisch angelegt und bestätigt die letztere Aussage. Zugleich belegt es die These, die staatlichen Vorgaben hätten die Untertanen nur unvollkommen oder gar nicht erreicht und Verhaltensänderungen seien eher von kommunalen Instanzen, hier dem Kirchenkonvent, angemahnt worden.)


Die genannten Beispiele verweisen darauf, dass sich Baden-Württemberg für das Thema der Konfessionalisierung auf der territorialen wie der örtlichen Ebene in besonderer Weise anbietet, stellt doch das Land historisch einen politischen und konfessionellen Flickenteppich dar. In diesem ist ein überaus interessantes Muster zu erkennen: Im Nordosten bildet das Herzogtum Württemberg einen kompakten, nach Süden hin ausfransenden Vorposten des Luthertums. Den Oberrhein entlang reihen sich die ebenfalls protestantischen Gebietsteile der Markgrafschaft Baden-Durlach. Am Randen und südlich des Hochrheins liegen die reformierten Kantone der Schweiz. Zwischen diesen großflächigen evangelischen Territorien erstreckt sich von West nach Ost, von den Vogesen an den Lech, eine Brückenzone der alten Kirche. Sie ist vergleichsweise schmal und vielfach von protestantischen Gebieten unterbrochen. Man könnte hier Kräfte am Werk sehen wie in der Tektonik der Erde: Hier kreuzen und verwerfen sich große Linien, es gibt es Schub und Druck und zahlreiche Bruchstellen und Reibungspunkte, hier entsteht in besonderer Weise konfessionelle Dynamik. Es ist deshalb vielleicht kein Zufall, dass gerade im Südwesten die Konfessionalisierung besonders nachdrücklich vorangetrieben wurde. Das Herzogtum Württemberg mit seinen Kirchenkonventen erwarb sich einen Ruf als das "evangelische Spanien". Aber auch die Kirchenpolitik im katholischen Vorderösterreich ließ an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig: Hier wurde erstmals 1521 und erneut 1522 die Verbreitung von "Luthers maynung und oppinion" durch die Regierung verboten. Diese Linie wurde durchgehalten, wenn nötig auch mit Gewalt, wie in Waldshut oder Kenzingen. Die Konfessionalisierung zeigt somit gerade im Südwesten deutliche Konturen und eine Fülle interessanter Facetten und Aspekte. Zu diesen gehört vorrangig die Nachbarschaft katholischer und evangelischer Dörfer und Städte; in den Mechanismen und Argumenten der wechselseitigen Abgrenzung kann Konfessionalisierung gerade auch für Schüler plastisch werden. Dasselbe gilt für die Geschichte von Schulen in der Frühen Neuzeit.

Die Konfessionen in Zentraleuropa um 1618
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Als geeignete Quellen sind die Protokolle der württembergischen Kirchenkonvente hervorzuheben. Sie sind gut greifbar, weil in zahlreichen heimatgeschichtlichen Darstellungen aus ihnen zitiert wird, wobei die eher kuriosen Vorfälle manchmal besonders beliebt sind. Aber auch die Originale oder Mikrofilme in den Archiven dürften für Schüler mit etwas professioneller Hilfestellung zugänglich sein. Aus diesen Protokollen ergibt sich ein sehr dichtes Bild von Frömmigkeit, Alltag und Mentalität der Menschen in Alt-Württemberg vom 17. bis ins 19. Jahrhundert. Weiterhin bieten sich die kirchlichen Visitationsprotokolle beider Konfessionen dafür an, Momentaufnahmen von den kirchlichen und sozialen Verhältnissen in einer Gemeinde zu erarbeiten. Im katholischen Bereich sind ferner die Sachquellen oder "Überreste" von herausragender Bedeutung - Feldkreuze, Kapellen, Heiligenfiguren, Votivbilder usw. Wann eine alte Kirche barockisiert, aus welchem Anlass und auf wessen Initiative eine Wallfahrt eingerichtet wurde, welche Heiligenfiguren in einer Kirche aufgestellt sind - mit solchen Fragestellungen und mit solchem Anschauungsmaterial können Schüler auf eine ihnen gemäße Weise zentrale Aspekte der Konfessionalisierung erarbeiten. Die Mehrzahl dieser Sachquellen stammt allerdings aus dem Kaiserreich und gehört damit in das "zweite konfessionelle Zeitalter". Hier verhilft das Konfessionalisierungskonzept dazu, scheinbare Nebendinge, die bisher nicht recht einzuordnen waren und vielleicht nur von einer beschaulichen Heimatkunde beachtet wurden, unter zentralen Problemstellungen, z.B. Selbstbehauptung und Repräsentation der katholischen Minderheit oder Ausmaß der Säkularisierung im 19. Jahrhundert, zum Sprechen zu bringen. Solche Sachquellen müssen von verschiedenen fachlichen Ansätzen her bearbeitet werden - etwa Religion, Medizingeschichte, Kunstgeschichte, Volkskunde. Damit vollzieht sich auch auf der didaktischen Ebene, was das Konfessionalisierungsparadigma grundsätzlich zu sein beansprucht: ein Konzept, das unterschiedliche Fachmethoden in einer Leitkategorie zusammenführt.

Fidelis von Sigmaringen

Fidelis von Sigmaringen (1578-1622), der kämpferische Heilige und Märtyrer der Gegenreformation. Seitenaltar in der Wallfahrtskirche St. Anna, Haigerloch
© Michael Tocha


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