Hintergrundinformationen
1. Bedeutung
Den Schülerinnen und Schülern des mittleren Schussentals ist die Klosteranlage auf dem Martinsberg in Weingarten ein vertrauter Anblick. Dass das Kloster Weingarten 1865 der Stadt selbst ihren Namen gab, mag schon weniger bekannt sein, und dass die heute von der Stadt völlig eingeschlossene Anlage bis 1803 ein eigener kleiner Staat war, dürfte selbst diejenigen, die dort oder in der Nähe zur Schule gehen, verwundern.
Kirche und Klostergebäude
© Stadtarchiv Weingarten
Die Präsenz der das Stadtbild dominierenden Anlage, ihre vorrangig visuelle Vertrautheit also, kann zum Ausgangspunkt der Frage nach ihrer Geschichte und Geschichtlichkeit werden. Wie aber kann das Geschichtsträchtige vor Ort für den Geschichtsunterricht in der Schule fruchtbar gemacht und in diesen integriert werden? Verbindungen zu den Themen "Das Kloster", "Barock" oder "Absolutismus" bieten sich an und liegen auf der Hand.
Im vorliegenden Modul sollen das mittelalterliche Kloster Weingarten und seine Gründerfamilie, die Welfen, für die Schule erschlossen werden. Für das Kloster Weingarten spricht: Wie in einem Brennglas lassen sich zahlreiche - für das Oberthema "Kloster" idealtypische - Sachverhalte, Entwicklungen und Fragen überschaubar untersuchen, konkretisieren und exemplifizieren. Der thematische Bogen kann von den adeligen Gründern, der Gründungsgeschichte und den Hintergründen über das Leben im Kloster, die Anlage desselben und das Skriptorium als Ort der Schriftlichkeit und Kunst bis hin zum Reliquienkult und damit zur Frömmigkeit im Mittelalter allgemein geschlagen werden.
Die barocke Anlage in der heutigen Form gestattet diese thematische Breite freilich nicht. Um dennoch einen Zugang zur mittelalterlichen Klostergeschichte zu gewinnen, wurde der Weg über das örtliche Stadtmuseum im "Schlössle" gewählt, das die genannten unterrichtsrelevanten Themenkomplexe in moderner und strukturierter Weise präsentiert und das dadurch ein kompetenzorientiertes Erarbeiten ermöglicht und fördert.
Das "Schlössle" in Weingarten
© Stadtarchiv Weingarten
2. Geschichte
Die Geschichte des Klosters Weingarten im Mittelalter
Gründung und Frühzeit des Klosters Weingarten sind eng mit dem Adelsgeschlecht der Welfen, das vom 9. bis zum 13. Jahrhundert zu den mächtigsten Familien im Reich gehörte, verbunden.
Nach 934 gründeten sie ein Nonnenkloster an der Scherzach, im Bereich des heutigen "Alten Friedhofs". Das Kloster wurde als Hauskloster der Welfen reich mit Besitz ausgestattet und diente den Familienangehörigen als Grablege.
Zwischen Ende des 10. und Mitte des 11. Jahrhunderts scheint das Kloster abwechselnd von weiblichen und männlichen Klerikern besetzt gewesen zu sein. Nach einem Brand 1053 siedelte Welf III. den Konvent auf den Martinsberg um.
Nach dessen Tod tauschte sein Nachfolger, Welf IV., 1056 die ansässigen Nonnen gegen die Benediktinermönche des Klosters Altomünster (heute Kreis Dachau) aus. Das Jahr markiert damit die Geburtsstunde des Benediktinerklosters Weingarten.
Die Hintergründe der Umsiedlung sind allerdings unklar: Vielleicht wollte Welf IV. seinem Hauskloster dadurch größere Bedeutung und Stabilität sowie höheres Ansehen und Prestige verleihen. Der Hauptgrund dürfte jedoch in einem für die Adelsfamilie gefährlichen Testament zu sehen sein: Welf III. hatte - da er ohne direkte Nachkommen verstorben war - das gesamte Hausgut dem Kloster vermacht. Seine Mutter protestierte dagegen und rief eilends ihren Enkel aus Italien herbei, der das Testament erfolgreich anfocht und die Herrschaft antrat - die Schenkung wurde also nie vollzogen. Vor diesem Hintergrund macht der Tausch der Konvente Sinn, konnte so doch rechtlichen Auseinandersetzungen aus dem Weg gegangen werden. Dazu passt, dass die umgesiedelten Nonnen eine neue Äbtissin erhielten.
Welf IV. als Fürst mit Lehensfahne, seine Gemahlin Judith als Stifterin (Darstellungen aus dem "Stifterbüchlein", 15. Jh.)
© Württembergische Landesbibliothek Stuttgart, Cod. hist. Q 584, fol. 25v und 26r
Eine weitere Veränderung stellte nach 1050 der - vielleicht auch mit der Umsiedlung zusammenhängende - Umzug der Welfen auf die Ravensburg dar, die als neue herzogliche Residenz erbaut worden war. Die Mönche des Klosters Weingarten erhielten aus diesem Anlass die ehemalige Pfalz - den Verlust als Residenzort konnte das Kloster dadurch freilich nicht kompensieren.
Das Jahr 1094 markiert in zweierlei Hinsicht einen bedeutsamen Einschnitt in die Klostergeschichte: Welf IV. schloss das Kloster der Hirsauer Reform an, die den Einfluss von Klostergründern und -vögten zu beschneiden suchte. Er verzichtete auf fast alle Herrschaftsbefugnisse und übertrug sein Hauskloster rechtlich dem "Heiligen Stuhl". Aus dem welfischen Eigenkloster wurde so ein "freies Kloster", unter dem Schutz des Papstes und mit größerer Eigenständigkeit.
Auch materiell bedeutete die Herrschaft Welfs IV. eine Blütezeit für das Kloster Weingarten. So erfolgten im selben Jahr, beim Tod seiner Gemahlin Judith, zahlreiche Schenkungen, unter denen sich mit großer Sicherheit auch die Heilig-Blut-Reliquie befand, die zum wertvollsten Besitz des Klosters werden sollte und die noch heute in einer eindrucksvollen Reiterprozession verehrt wird.
1182 wurde das romanische Münster, das bis zu seinem Abriss 1714 im Wesentlichen erhalten blieb, eingeweiht. Es gehörte eine Zeit lang zu den größten Kirchen des Abendlandes und spiegelte die Bedeutung und Macht der Welfen in Süddeutschland wider. Bereits 1191, nach dem Tod Welfs VI., gingen die welfischen Besitzungen in Süddeutschland jedoch an die Staufer über.
Anfang des 13. Jahrhunderts erreichte die Abtei Weingarten ihre kulturelle Blütezeit. Die im Skriptorium entstandenen Bücher dieser Zeit, etwa die berühmte Welfenchronik oder das sog. Berthold-Sakramentar, sind mit ihren kostbaren Buchmalereien sichtbarer Ausdruck dieses Höhepunktes.
Die Geburt Christi (Initiale "L" aus dem Berthold-Sakramentar, Weingartener Skriptorium, nach 1220)
© Württembergische Landesbibliothek Stuttgart, HB II 46, fol. 12v
Unter König Rudolf von Habsburg (seit 1273) wurde die Ravensburg zum Sitz der Landvogtei Oberschwaben (seit 1378: Schwaben). In umfangreichen Urkundenfälschungen sicherten sich die Weingartener Mönche ihre Besitzungen und Rechte.
Die folgenden Jahrhunderte sind durch einen Dauerkonflikt zwischen Kloster und Landvogtei um die Reichsstandschaft des Klosters geprägt. Letztere wurde 1533 in einem Vertrag mit der nunmehr österreichischen Landvogtei offiziell anerkannt.
3. Anlage
Das Stadtmuseum "Schlössle" in Weingarten bietet im ersten Stock einen strukturierten, didaktisch modern aufbereiteten Zugang zur Geschichte des Klosters Weingarten im Mittelalter und seinen Gründern.
Die Räume im Einzelnen:
- Die Welfen und die Klostergründung
- Die Klostergebäude und die Basilika
- Das Leben im Kloster
- Die Buchmalerei
- Die Heilig-Blut-Verehrung
- (Der Blutritt)
Diese räumliche und zugleich thematische Aufteilung der Sammlung wurde im vorliegenden Modul für eine arbeitsteilige Anlage desselben genutzt.
- Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte RP Tübingen -