Geschichte
Obertsrot (heute Stadtteil von Gernsbach) und Schloss Neueberstein
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a) Die wichtigsten Jahresdaten
1219
früheste Erwähnung Gernsbachs
1243
Gernsbach wird erstmals in einer Urkunde als Stadt bezeichnet.
noch vor 1387
Kodifizierung der Privilegien der Stadt in einem durch die Grafen von Eberstein ausgestellten Freiheitsbrief
1387
Graf Wolf von Eberstein verkauft die Hälfte der Grafschaft Eberstein und damit auch die Hälfte Gernsbachs an Markgraf Rudolf VII. von Baden.
1417
Große Teile der Stadt fallen einem Stadtbrand zum Opfer.
1488
Erste Murgschifferordnung. Sitz der Gemeinschaft der auf Murg und Rhein flößenden Schiffer wird Gernsbach.
1505
Die in der Grafschaft Eberstein bestehende Herrschaftsteilung wird auf Drängen Badens vertraglich aufgehoben; die Grafschaft Eberstein wird badisch-ebersteinische Gemeinherrschaft.
1556
Einführung der Reformation in Gernsbach
1583
Die Stadt Gernsbach kauft sich von ihrer Gemeinherrschaft von der Leibeigenschaft frei.
1618-48
Gernsbach erleidet im Dreißigjährigen Krieg durch den Rückgang des Holzhandels, Kontributionen und Plünderungen starke wirtschaftliche Einbußen.
1660
Aussterben der Grafen von Eberstein im Mannesstamm. Der ebersteinische Anteil an der Stadt fällt an das Hochstift Speyer.
1691
Zerstörung von Teilen der Stadt im Pfälzischen Erbfolgkrieg
1787 und 1798
Zwei Stadtbrände vernichten zunächst die Unter-, dann die Oberstadt Gernsbachs. Wiederaufbau des Ortes nach Plänen Friedrich Weinbrenners.
1803
Aufgrund des Reichsdeputationshauptschlusses wird Gernsbach der Markgrafschaft Baden eingegliedert.
b) Strukturgeschichtliche Basisinformationen
1. Stadtwerdungsprozess und Übernahme von Zentralitätsfunktionen
Das innerhalb der Grafschaft Eberstein gelegene Gernsbach wurde erstmals 1219 als ein Markt- und Kirchdorf ("Genrespach … villa quae forensis est, Genrespach villa cum ecclesia") erwähnt. Der schon zum Zeitpunkt seiner frühesten Erwähnung über wirtschaftliche Zentralfunktionen verfügende Ort entwickelte sich innerhalb weniger Jahrzehnte zu einer kleinen Stadt.
Die Grafschaft Eberstein im Jahr 1505
© Rainer Hennl; Grafik Christiane Peh/Gerd Schefzik / Das Bild ist von der Lizenz CC-BY 4.0 ausgenommen
Hinter diesem Urbanisierungsprozess standen fördernd die Grafen von Eberstein, unter deren Herrschaft im Verlauf des 13. Jahrhunderts auch Kuppenheim, Bretten und Gochsheim zu Städten aufstiegen. 1243 wurde Gernsbach von Bischof Konrad von Speyer, einem Ebersteiner, zur selbständigen Pfarrei erhoben und in diesem Zusammenhang erstmals als "oppidum" bezeichnet. Um die Mitte des 13. Jahrhunderts war Gernsbach bereits nachweislich Sitz eines für die Verwaltung der gesamten Grafschaft zuständigen ebersteinischen Vogtes sowie Residenz ebersteinischer Ministerialer, der Schenken von Gernsbach. Zwischen 1262 und 1272 errichteten die Grafen von Eberstein schließlich knapp zwei Kilometer südlich der Stadt die Burg Neueberstein als neuen Stammsitz, womit Gernsbach endgültig zum Mittelpunkt der Grafschaft Eberstein geworden war.
Burg Neueberstein bei Gernsbach, Ende 17. Jahrhundert; GLA G Eberstein/5
© Landesarchiv Baden-Württemberg, Generallandesarchiv Karlsruhe / Das Bild ist von der Lizenz CC-BY 4.0 ausgenommen
Hierzu hatte auch beigetragen, dass sich in Gernsbach der einzige Warenumschlagplatz des Murgtals befand und sich auf dieser Grundlage eine arbeitsteilige Wirtschaft mit Landwirtschaft, Handwerk und Mühlengewerbe entfalten konnte. Gegen Ende des 13. Jahrhunderts setzte auch bereits der für Gernsbach charakteristische Holzhandel ein, der in den beiden folgenden Jahrhunderten zum Haupterwerbszweig der Stadt avancierte.
2. Zentrale Etappen der Herrschaftsgeschichte
1387 sah sich Graf Wolf von Eberstein nach einer langjährigen Fehde mit Graf Eberhard (dem Greiner) von Württemberg gezwungen, die Hälfte der Grafschaft Eberstein, und damit auch die Hälfte von Gernsbach, an Markgraf Rudolf VII. von Baden zu veräußern. Es erfolgte wohl eine räumliche Separierung der Stadt, auf jeden Fall aber eine Aufteilung der herrschaftlichen Güter, Einkünfte und Steuern sowie der Leibeigenen. Die herrschaftlichen Rechte in der Stadt nahmen jeweils ein badischer und ein ebersteinischer Vogt wahr.
Liebfrauenkirche Gernsbach, erbaut 1388, Portal am nördlichen Seitenschiff. Im Spitzbogenfeld nebeneinander das ebersteinische (links) und das badische Wappen (rechts) mit Helmzieren.
© Rainer Hennl
Das spannungsreiche Neben- und Gegeneinander zweier Herrschaften in einer Kleinstadt bestand bis 1505, als durch den sogenannten "Einwurfsvertrag" die seit 1387 geteilte Herrschaft in eine für die gesamte Grafschaft Eberstein geltende Gemeinherrschaft (ein Kondominat) überführt wurde. Fortan setzten die ungleich mächtigeren Markgrafen von Baden und die Grafen von Eberstein gemeinsam in Gernsbach einen Vogt als Vertreter beider Herrschaften ein, trafen auf gemeinsamen Zusammenkünften (sog. "Gemeintagen") Beschlüsse und Entscheidungen, setzten (meist nach badischen Vorbild) Ordnungen für die Grafschaft bzw. Gernsbach, installierten gemeinsam Priester und Kapläne und teilten alle Steuern, Geldstrafen, Einnahmen und Frondienste hälftig unter sich auf. Alle Untertanen hatten beiden Herrschaften zu huldigen und waren ihnen in gleicher Weise dienst- und gehorsamspflichtig.
Brunnen auf der Hofstätte/Gernsbach, angelegt 1511 zur Erinnerung an die 1505 erfolgte Etablierung der badisch-ebersteinischen Gemeinherrschaft
© Rainer Hennl
Die badisch-ebersteinische Gemeinherrschaft in der Grafschaft Eberstein und damit auch in Gernsbach hatte bis zum Jahre 1660, in dem die Grafen von Eberstein im Mannesstamm ausstarben, Dauer. Nachfolger der Grafen von Eberstein als Gemeinherren der Markgrafen von Baden wurden die Bischöfe von Speyer, von denen Teile der Grafschaft Eberstein, darunter auch Gernsbach, zu Lehen gingen.
3. Städtische Selbstverwaltungskompetenzen und -organe
Der Gernsbacher Bürgerschaft bekam noch vor 1387 in der "Friheidt unßer stadt Gernsbach" von den Grafen von Eberstein Selbstverwaltungskompetenzen zugebilligt. Der "Freiheitsbrief" erwähnt bereits Bürgermeister und Gericht der Stadt. Im späten 15. Jahrhundert werden als kommunale Organe dann zwei Bürgermeister, ein 14-köpfiges Gericht und der achtköpfige Rat, die sog. "Achter", fassbar.
Die Bürgermeister repräsentierten die Stadt gegenüber der Herrschaft, leiteten die gemeinsamen Sitzungen von Gericht und Rat, nahmen in Abstimmung mit ihnen und unter Aufsicht der herrschaftlichen Vögte die kommunalen Aufgaben und Befugnisse wahr und beaufsichtigten die untergeordneten städtischen Beamten.
Das Gericht war nicht nur der tonangebende Teil des (modern gesprochen) "Stadtrates", sondern übte in Gernsbach auch die Gerichtsbarkeit bis hin zur Blutgerichtsbarkeit aus, letztere aber immer in Beisein des Vogtes. Der Rat hatte keine rechtsprechende Funktion, sondern unterstützte lediglich das Gericht in seiner Eigenschaft als Beratungs-, Entscheidungs- und Verwaltungsorgan der Stadt.
Die jährliche Wahl der Bürgermeister erfolgte durch Gericht und Rat aus der Gruppe der Richter, die an sich auf Lebenszeit vollzogene Wahl der Richter und "Achter" erfolgte durch Gericht und Rat. Hierbei war es üblich, neue Richter aus dem Rat zu wählen, während Achter aus den Reihen der gesamten männlichen Bürgerschaft gewählt werden konnten. Sozial gesehen wurden Gericht und Rat durch die Gernsbacher Oberschicht, d. h. Murgschifferfamilien, dominiert.
Unterhalb von Bürgermeistern, Gericht und Rat gab es zu Beginn des 17. Jahrhunderts um die 70 (!) teils besoldete, teils ehrenamtliche Dienstämter, so Stadtschreiber, Schulmeister, Feuer-, Fleisch-, Brot- und Fischbeschauer, Marktmeister, Brunnenrüger, Werkmeister, Stadtknechte, Wächter, städtische Hirten, Hebammen sowie Totengräber.
4. Wirtschafts- und Sozialgeschichte
Wirtschaftlich gesehen stellte Gernsbach auf den ersten Blick eine "Ackerbürgerstadt" dar, gab es doch kaum einen Gernsbacher, der nicht in irgendeiner Form Landwirtschaft (darunter auch Wein- und Obstanbau) betrieb. Während die Stadt aber ihren Fleisch- und Fischbedarf auf der Basis der örtlichen Vieh- und Weidewirtschaft bzw. der ertragreichen Flussfischerei durchaus decken konnte, musste Getreide generell zugekauft werden. Der Grund ist darin zu suchen, dass die hügelige bzw. gebirgige Gernsbacher Gemarkung nicht die in begünstigteren Landschaften übliche Dreifelderwirtschaft gestattete. Das wirtschaftliche Rückgrat der in waldreicher Region befindlichen Stadt bildeten daher nicht die Land-, sondern die Holzwirtschaft und der Holzhandel. Dieser Umstand findet im Gernsbacher Stadtwappen noch heute seinen Niederschlag.
Heutiges Stadtwappen von Gernsbach. Es zeigt in Rückgriff auf die Vergangenheit der Stadt das Wappen des ebersteinischen Stadtherrn, die blaubesamte rote Rose, und zwei schräggekreuzte blaue Doppelhaken, die häufig als Flößerhaken interpretiert werden.
© Stadt Gernsbach / Das Bild ist von der Lizenz CC-BY 4.0 ausgenommen
Schon 1481 organisierten sich die "Schiffer und Rheinflößer zu Gernsbach und im Murgentale" als Gemeinschaft. 1488 gaben sie sich in Absprache mit der badisch-ebersteinischen Herrschaft erstmals eine Ordnung. Diese Murgschifferordnung und ihre jüngeren Versionen regelten das Warenangebot, die Absätze und die Preispolitik des Holzhandels, fixierten Rechte und Aufgaben der einzelnen Sparten des Holzgewerbes und umrissen die Organisationsstruktur der Murgschiffergemeinschaft. Sitz der Murgschifferschaft war von Anfang an Gernsbach, wo auch die vornehmsten Murgschifferfamilien (Hochmüller, Reinbolt, Weiler, Kast, Mack und Obrecht) ansässig waren. 1637 gingen in Gernsbach, obwohl das Holzgeschäft kriegsbedingt schwere Einbußen zu verzeichnen hatte, 15 von 225 Steuerzahlern dem Holzhandel nach und 16 weitere besaßen wenigstens Wald- und Sägemühlanteile.
Neben dem Holzgewerbe entwickelte sich in Gernsbach ein differenziertes Handwerk, so lassen sich für das Jahr 1663 27 verschiedene Gewerbe belegen. Daneben existierte an der Murg wie am Wald- und Ziegelbach eine Vielzahl von Mühlen (in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zwei Mahlmühlen, weiterhin Säge-, Ölmühlen sowie eine Schleifmühle), weiterhin bestanden in Gernsbach spätestens seit 1544 eine Ziegelhütte und seit dem 14. Jahrhundert zahlreiche Schildwirtschaften.
Mahlmühlen im Umkreis von Gernsbach. Karte aus dem Jahr 1736; GLA H Gernsbach/15
© Landesarchiv Baden-Württemberg, Generallandesarchiv Karlsruhe / Das Bild ist von der Lizenz CC-BY 4.0 ausgenommen
Der Gernsbacher Markt hatte regionale Bedeutung und wurde jeden Montag auf der Hauptstraße abgehalten. Hierbei wurden auch Waren des Fernhandels (Salzfisch, Gewürze, Pelze, Tuche) angeboten; das Gleiche galt für die Gernsbacher Pfingst- und die Bartholomäusmesse am 24. August. Im Ort selbst ansässig waren zahlreiche Kleinhändler, aber auch in ganz Süddeutschland aktive Kaufleute.
Angesichts des Reichtums der Murgschiffer und der gut ausgestatten Fonds der beiden Stadtkirchen (Jakobs- und Liebfrauenkirche) kann nicht verwundern, dass in Gernsbach auch Kapitalhandel betrieben wurde und sich selbst die ebersteinische und die badische Herrschaft auf dem Gernsbacher Kreditmarkt bedienten.
5. Bevölkerungsentwicklung und Sozialstruktur
In Gernsbach lebten im Jahr 1497 um die 750, im Jahr 1618 um die 900 und 1721 dann 986 Menschen. Nahezu die gesamte Einwohnerschaft war bis 1583, als sich die Stadt von der Leibeigenschaft freikaufte, leibeigen.
Die Oberschicht Gernsbachs bildeten stets Murgschiffer und einige wenige Kaufleute. Als wirtschaftliche Grundlage der Mittelschicht dienten in erster Linie das Handwerk sowie die Holz- und die Landwirtschaft, daneben das Mühlen- und das Herbergswesen. Die anhand der Steuerbücher fassbaren Unterschichten lebten von Handwerk und Landwirtschaft, zur Unterschicht gehörten aber auch Mägde, Knechte und fahrendes Volk. Das im 17. Jahrhundert reichlicher fließende Quellenmaterial zeigt, dass um 1650 in Gernsbach eine schmale Oberschicht von 3% der Bevölkerung, eine recht breite Mittelschicht von 42% der Bevölkerung und eine 55% starke, Arme und ganz Arme umfassende Unterschicht existierten.
6. Gernsbach im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung
Die Geschichte Gernsbachs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung hat aufgrund ihrer Besonderheiten das besondere Interesse der Geschichtswissenschaft gefunden.
Die badisch-ebersteinische Gemeinherrschaft führte 1556 zunächst die Reformation in der Stadt (und in der gesamten Grafschaft) ein. Seit 1583 kam es aber zu heftigen Auseinandersetzungen über die Konfessionsfrage, da die Markgrafen von Baden-Baden zum Katholizismus zurückkehrten. Hierbei standen sich einerseits die protestantische ebersteinische Herrschaft und die katholische badische Herrschaft, andererseits die fast rein evangelische Bürgerschaft und die badische Herrschaft gegenüber. Die von den Markgrafen einseitig verfügte Schließung der evangelischen Pfarrkirche St. Jakob (1585-1595) wie auch die Wechselfälle des Dreißigjährigen Krieges lasteten schwer auf der Stadt, bis 1640 - und diese Regelung gilt noch heute - die Jakobskirche den Protestanten und die Liebfrauenkirche in der Oberstadt den Katholiken zugewiesen wurde.