Hintergrundinformationen
1. Bedeutung
Die Stadt Herrenberg ist eine Gründung der Pfalzgrafen von Tübingen, die sich zu Beginn des 13. Jahrhunderts mit einer Anzahl weiterer Siedlungen und befestigter Sitze wie Asperg, Böblingen, Sindelfingen, Horb, Scheer und Blaubeuren ihr Territorium im mittleren Neckarraum sicherten.
Ihren besonderen Wert als historischer Lernort bezieht Herrenberg aus dem seit der Stadtgründung unverändert gebliebenen Grundriss. Wegen zweier verheerender Stadtbrände in den Jahren 1466 und 1635 blieben aus der spätmittelalterlichen Zeit leider nur die am Fuß des Schlossbergs als "Glucke vom Gäu" weithin sichtbare Stiftskirche St. Marien (Unserer Lieben Frau), das große Propsteigebäude des Stiftes (heute: evangelisches Dekanat) und die zur Schlossruine hinaufführenden, schenkelartigen Burghaldenmauern mit dem Hagtorturm erhalten.
Doch durch den seit dem 17. Jahrhundert erfolgenden Wiederaufbau der Stadt mit dem von repräsentativen Fachwerkhäusern geprägten Marktplatz, dem Marktbrunnen, den markanten Bauwerken wie dem Vogtei- und Oberamtsgebäude, der Spitalkirche, dem Bebenhäuser Klosterhof, dem Fruchtkasten und den weiteren Fachwerkbauten in den Gassen wird die heutige Altstadt zu einem eindrucksvollen und anschaulichen Beispiel einer frühneuzeitlichen, württembergischen Amtstadt. Nicht zuletzt deswegen wurde die Altstadt 1983 als Gesamtanlage unter Denkmalschutz gestellt.
Stiftskirche St. Marien und Propsteigebäude (Dekanat)
© LMZ-BW (Geißler)
2. Geschichte
Am Fuße ihrer 1228 erstmals urkundlich genannten Burg Herrenberg legten Pfalzgraf Rudolf II. von Tübingen und seine Nachfahren in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts eine städtische Ansiedlung an, indem sie die beiden Dorfmarkungen Mühlhausen und Reistingen zusammenlegten. Beide Orte wurden schon 775 genannt und haben römische Spuren, Reistingen auch Siedlungsspuren aus der Hallstattzeit.
Ab 1266 erscheint in Urkunden ein "Dietrich, Schultheiß in Herrenberg", 1276 ist Herrenberg als "oppidum" (Stadt) mit einem Markt erwähnt und 1278 wird das erste Herrenberger Siegel verwendet. Die Stadt war nun Sitz und Residenz der "die Scherer" genannten Herrenberger Linie der Tübinger Pfalzgrafen. Als der letzte Graf Konrad II. (der Scherer) Herrenberg im Jahr 1382 an den Grafen Eberhard II. (der Greiner) von Württemberg verkaufte, wurde es als württembergische Amtsstadt Verwaltungszentrale für die Dörfer der Umgebung.
Schloss Herrenberg in einer Darstellung von Nikolaus Ochsenbach (ca. 1580)
© Württembergische Landesbibliothek Stuttgart (HB XV 5)
Zeuge dieser ersten Epoche der Stadtgeschichte ist außer der noch teilweise erhaltenen Stadtbefestigung vor allem die Marienkirche (Stiftskirche), der erste dreischiffige Hallenbau in Schwaben. Das Westwerk wurde um 1280 begonnen, das Langhaus Anfang des 14. Jahrhunderts vollendet. Nachdem die Grafen von Württemberg 1439 ein Chorherrenstift an der Stadtkirche angelegt hatten, in dem von 1481 bis1516 die Brüder des gemeinsamen Lebens wirkten, wurden Langhaus und Chor (von 1356) durch Hans Murer von Ulm ca. 1470-1490 zu der heutigen spätgotischen Hallenkirche mit Netzgewölben umgebaut. Die Ausstattung des Kircheninnern gipfelt in dem "großartigen Bildchoral" von Chorgestühl (1517, Heinrich Schickhardt d. Ä.) und Hochaltar (1519, Jörg Ratgeb).
Eine der ältesten Darstellungen von Schloss und Stadt Herrenberg auf einem Altarbild von Heinrich Füllmaurer (1540)
© Gerhard Faix
Die kulturelle Blüte des mittelalterlichen Herrenberg leuchtet auf in den Namen von
- Heinrich Schickhardt (1558-1635), bedeutendster württembergischer Baumeister,
- Wilhelm Schickhardt (1592-1635), Orientalist, Mathematiker, Astronom und Kartograph in Tübingen, Erfinder der Rechenmaschine,
- Johann Valentin Andreae (1586-1654), Theologe, Autor und Reorganisator der evangelischen Landeskirche in Württemberg.
Nachdem Herrenberg 1466 von einem Brand heimgesucht wurde und auch im Bauernkrieg (1525) umkämpft wurde, brachte der 30-jährige Krieg das Ende der mittelalterlichen Stadt. Dem großen Stadtbrand von 1635 fielen fast alle Gebäude zum Opfer. Auch durch Pest und Seuchen verminderte sich die Einwohnerzahl auf ca. 40 % ihres Vorkriegsstandes.
Durch den Wiederaufbau nach 1635 konnte sich Herrenberg seine Zentralfunktion bewahren. So stammt der Kern der heutigen Altstadt aus dieser Zeit mit den Fachwerkhäusern am Marktplatz, der Spitalkirche (1656) und dem Fruchtkasten von 1684.
Herrenberg nach Merian (1643)
© Wolfgang Wulz
Herrenberg, ab 1806 Oberamtsstadt, blieb mit seinen Jahrmärkten und einem starken Handwerk seither wirtschaftlicher Mittelpunkt des landwirtschaftlich orientierten Oberen Gäus. Die Industrialisierung begann trotz des 1879 vollzogenen Anschlusses an die Gäubahn erst 1899 und setzte in stärkerem Maße nach dem Zweiten Weltkrieg ein.
Einen Einschnitt brachte 1938 die Aufhebung des Oberamts (Landkreises), wodurch Herrenberg zum Landkreis Böblingen kam, und der Zweite Weltkrieg, dem ca. 30 Gebäude zum Opfer fielen. Nach 1945 wuchs die Stadt wie viele andere besonders durch den starken Zuzug von Heimatvertriebenen und die neu angesiedelte Industrie. Zwischen 1965 wurden die umliegenden Dörfer Affstätt, Gültstein, Kayh, Kuppingen, Mönchberg und Oberjesingen eingemeindet. Seit 1974 ist Herrenberg Große Kreisstadt.
3. Anlage
Die Herrenberger Altstadt liegt bogenförmig am Abhang des Schlossberges, der sich spornartig in die Gäulandschaft vorschiebt. Die Umgrenzung der mittelalterlichen Stadt lässt sich im heutigen Stadtbild an den Resten der ehemaligen Wehrmauer noch gut ablesen. Anschaulich dokumentieren die in ihrer Anlage ins 13. Jahrhundert zurückgehenden Schenkelmauern die Verklammerung von Schloss und Stadt.
Plan für einen Altstadtrundgang
© Stadt Herrenberg
Druckversion
Im halbmondförmigen Grundriss der Altstadt folgen die wichtigsten Straßenzüge den Höhenlinien des Bergsporns. Deutlich tritt die alte Hauptdurchgangsstraße (Tübinger und Stuttgarter Straße) hervor. Als Bindeglied zwischen beiden Straßen ist der Marktplatz Zentrum der Stadtanlage. An der den Marktplatz südöstlich schneidenden Querachse der Altstadt (Bronngasse - Kirchgasse) liegen auch die Hauptwahrzeichen der Stadt: Rathaus, Stiftskirche und evang. Dekanat (letzteres nach Osten gerückt). Den Endpunkt dieser Achse bildet die Schlossruine auf dem Schlossberg.
Stiftskirche
Das Stadtwahrzeichen Herrenbergs ist die Stifts- und heutige Stadtpfarrkirche Unserer Lieben Frau. Die unverwechselbare Silhouette der Kirche mit der breiten Westturmfassade und der Zwiebelhaube beherrscht kilometerweit die Gäulandschaft. Die Stiftskirche wurde in zwei Bauabschnitten zwischen 1276 und 1493 erbaut und als erste spätgotische Hallenkirche in Süddeutschland vollendet. Neben einem hölzernen Chorgestühl und einem Glockenmuseum befindet sich in ihr auch die älteste Rosette Schwabens und die älteste Kirchenglocke Württembergs.
Die spätgotische Herrenberger Stiftskirche
© Wolfgang Wulz
Das Chorgestühl des Meisters Heinrich Schickhardt
© Wolfgang Wulz
Dekanat
Die Propstei des 1439 begründeten weltlichen Chorherrnstifts entstand seit Mitte des 15. Jahrhunderts. Bis 1517 beherbergte sie dann die Brüder vom gemeinsamen Leben, bis zur Reformation 1534 wieder weltliche Chorherren. 1534-1749 war es Sitz der Vögte, anschließend Wohnung und Amtssitz der Spezialsuperintendenten und Dekane.
Stadt- und Burghaldemauer mit Hagtorturm
Die Stadtbefestigung entstand mit der Stadtgründung im 13. Jahrhundert. Von der Stadtmauer mit einer Gesamtlänge von 1126 m sind heute noch 620 m an verschiedenen Stellen in der Altstadt erhalten, davon 250 m in voller Höhe mit Wehrgängen, Zinnen, Schieß- und Beobachtungsscharten. Besonders gut ist die Stadtmauer (Burghaldemauer) im Bereich des Schlossbergs zu erkennen. Das Hagtor oberhalb der Stiftskirche ist das einzig erhaltene Tor der Stadtmauer.
Das Hagtor als einzig erhaltenes Tor der Stadtmauer
© Wolfgang Wulz
Schlossberg mit Aussichtsturm
© Wolfgang Wulz
Schlossruine mit Aussichtsturm
Von der ehemaligen Burg- und Schlossanlage sind nur noch einige Ruinen übrig. Auf dem Stumpf des ehemaligen Westturms (volkstümlich "Pulverturm") wurde 1957 ein Aussichtsturm errichtet.
Marktplatz
Seit der Stadtgründung finden an diesem Ort Märkte statt, bis 1504 wurde hier auch unter freiem Himmel das Hochgericht gehalten. Die Fachwerkhäuser entstanden nach dem großen Stadtbrand von 1635.
Der Marktbrunnen wurde 1347 zum ersten Mal urkundlich erwähnt. Er versorgte die Stadt mit Wasser. Seine Säule zeigt einen Löwen und das Württemberger Wappen.
Das klassizistische Rathaus mit dem Glocken- und Uhrentürmchen stammt aus dem Jahr 1806.
Marktplatz mit Fachwerkhäusern
© Wolfgang Wulz
Oberamt
Das Amtshaus wurde 1655 auf dem Platz des 1635 abgebrannten herrschaftlichen Kellereigebäudes und Fruchtkastens gebaut. Die ehemalige Vogtei war seit 1759 Oberamt und von 1930 bis 1938 Landratsamt.
Vogtei- und Oberamtsgebäude (1655)
© Wolfgang Wulz
Spitalkirche
Die Spitalkirche wurde um 1400 zusammen mit dem benachbarten Spital durch eine Bürgerstiftung erbaut. Sie wurde mehrfach wieder erneuert. Im Inneren ist eine mit Intarsien geschmückte Holzkanzel zu sehen, die beim Wiederaufbau der Spitalkirche nach dem Stadtbrand von 1635 eingebaut wurde.
Die nach dem Stadtbrand wieder aufgebaute Spitalkirche (ca. 1635)
© Wolfgang Wulz
Der frühere Hirsauer Hof, heute "Alt-Herrenberg"
© Wolfgang Wulz
Hirsauer Hof
Der Hirsauer Hof oder das Haus des Abts von Hirsau war wahrscheinlich nicht die älteste Niederlassung des Klosters in Herrenberg., denn nach dem Brand von 1466 ist ein ehemaliges Hirsauer Haus genannt. Um 1450 erwarb die Abtei das angrenzende und dann Hinterhaus genannte Gebäude, heute das Restaurant "Alt-Herrenberg".
Klosterhof
Der Bebenhäuser Klosterhof wurde 1484 als Pfleghof errichtet. Nach der Reformation war er Sitz des geistlichen Verwalters. Nach dem zweiten Stadtbrand 1635 wurde das Gebäude auf dem steinernen Erdgeschoss vergrößert wieder aufgebaut. Danach wurde es als Hofkameralamt und während des Gäubahnbaus als Sitz der Königlichen Eisenbahnbauverwaltung genutzt.
Der ehemalige Bebenhäuser Klosterhof (17. Jhdt.)
© Wolfgang Wulz
Der Stiftsfruchtkasten von 1683/84
© Wolfgang Wulz
Fruchtkasten
Der Fruchtkasten gehört zu den markantesten Gebäuden in Herrenberg. Errichtet wurde er 1683/84. Sein Fachwerk ist reich ornamentiert. An einem Beobachtungserker erinnert eine Inschrift von 1525 an die Besetzung Herrenbergs im Bauernkrieg.
Auf dem Graben
Hier ist besonders gut eine Häuserzeile zu erkennen, die auf der alten Stadtmauer aufliegt. Früher befanden sich hier eine Anlage mit Vortor, Brücke, Rondell, Zwinger und Wehrgang.
Teile der alten Stadtmauer
© Wolfgang Wulz
Die Herrenberger "Stäpfele"
© Wolfgang Wulz
Staffeln
Eine Vielzahl von Staffeln und gepflasterte Straßen prägen das Bild der Altstadt und sind neben der Stiftskirche ein weiteres Wahrzeichen Herrenbergs. Auf diese Eigenheit gehen auch die historischen Spitznamen "Stäpfelesrutscher" und "Pflastersteinscheißer" zurück.
Fachwerkhäuser
Die lückenlos erhaltenen historischen Gebäude sind ein besonderes Markenzeichen. Ein einzigartiger Fachwerkpfad erklärt die Bauhistorie. 23 Stationen in einem Rundgang durch die Altstadt bieten Anschauungsmaterial zur gesamten Fachwerkpalette vom 15. bis zum 19. Jahrhundert.
Plan des Herrenberger Fachwerkpfades
© Stadt Herrenberg
Druckversion
- Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte RP Stuttgart -