Der Tiefbunker am Feuerbacher Bahnhof - Luftschutzraum, Flüchtlingsunterkunft und Atombunker

Hintergrundinformationen

1.1 Bedeutung

Schutzraum, Wohnraum, (Über-)Lebensraum – diese unterschiedlichen Funktionen erfüllte der am Bahnhof des Stuttgarter Stadtteils Feuerbach gelegene Tiefbunker im Laufe seiner Nutzung. 1940/41 als Luftschutzbunker gebaut, wurde er nach dem Krieg schnell zur Notwohnung für Flüchtlinge v.a. aus den deutschen Ostgebieten, die hier bis zu mehreren Jahren untergebracht waren. Ab den 1960er Jahren gab es Pläne, den Bunker zum Atomschutzbunker umzubauen. Die Umbaumaßnahmen wurden 1975 abgeschlossen. In diesem Zustand befindet sich der Tiefbunker noch heute.


1.2 Geschichte

Als Ende 1940 mit dem Bau des Tiefbunkers am Feuerbacher Bahnhof begonnen wurde, gab es in unmittelbarer Nähe bereits einen Bunker, der kurz zuvor fertig gestellt worden war: der Winkelturm, so benannt nach seinem Konstrukteur Leo Winkel.

Dieser Hochbunker verdankt seine charakteristische nach oben spitz zulaufende Form der Theorie, dass an diesem Kegel auftreffende Bomben abgleiten und erst auf dem Boden explodieren. Der sechsgeschossige 21 m hohe und in der Grundfläche 12,8 m breite Turm bot Platz für etwa 300 Personen. Im Falle des Feuerbacher Winkelturms waren dies vor allem Arbeiter, Eisenbahnpersonal und Reisende, die dort kurzzeitig während eines Bombenangriffs Platz finden sollten. Innerhalb des Bunkers führten Treppen in Sitzstufenordnung um einen Kern, in dem Abwasser und Zuluft geführt wurden. Schlaf- oder Liegeplätze gab es keine.

Zugang zum Bunker boten zwei Eingänge, die über Treppen zu erreichen und durch Gasschleusen sowie gas- und splittersichere Stahltüren gesichert waren. Problematisch war das relativ kleine Treppenhaus, das nur wenige Menschen auf einmal fasste. Auf diese Weise war die Geschwindigkeit, mit der der Bunker gefüllt werden konnte, beschränkt. Als weiterer Nachteil erwies sich, dass die charakteristische Form der Winkeltürme aus der Luft gut auszumachen war und dadurch von feindlichen Fliegern als Orientierungshilfe genutzt werden konnte.

Stuttgart-Feuerbach, Winkel-Luftschutzbunker

B 1:  Der Feuerbacher Winkelturm

Mehr Personen Schutz bieten als der Winkelturm sollte der Tiefbunker unter dem Bahnhofsplatz. Er wurde gemeinsam mit dem Marktplatzbunker in der Stadtmitte und sechs weiteren Tiefbunkeranlage in Stuttgart genehmigt. Sie entstanden im Rahmen des „Führer-Sofortprogramms“, in dem sowohl der Ausbau von Kellerräumen in bestehenden öffentlichen und privaten Gebäuden als auch die Neuerrichtung von freistehenden Luftschutzbunkern angeordnet wurde.

Grund für die Errichtung in Feuerbach war insbesondere die Sicherheit der in den Rüstungsbetrieben am Ort tätigen Mitarbeiter. Der Bahnhofsbunker bot etwa 2.500 Personen Platz und wurde von den Schutzsuchenden zuerst angesteuert. Erst wenn dieser überfüllt war, suchten sie Schutz im Winkelturm. Allerdings blieben zu Beginn der Krieges noch viele Menschen bei Fliegeralarm lieber in den Kellern ihrer Wohnhäuser, weil sie hofften, dort das Schlimmste verhindern zu können. "Bist im Bunker du, brennt dein Haus im Nu", war ein weit verbreiteter Spruch.

Blick in den Tiefbunker B3-Blick_in_eine_Zelle

B 2  und B 3 :Zellen im Bunker im heutigen Zustand © Kerstin Arnold

Im Feuerbacher Tiefbunker reihen sich unter einer Decke aus Stahlbeton, die sich etwa 1,5 m unter der Erdoberfläche befindet, 6 qm große Zellen aneinander, in denen jeweils 12 Personen Platz finden. Heute sind die Räume teilweise mit sechs Dreistockbetten und Spinden ausgestattet. Diese Einrichtung stammt aber ebenso wie die Funktionsräume für Technik, Toiletten und Waschräume aus der Zeit des Kalten Krieges, als der Bunker für einen Langzeitaufenthalt im Falle eines atomaren Angriffs ausgebaut wurde. Im Zuge dieses Umbaus wurden auch eine Lüftungs- und Filteranlage, ein Generator und eine Brunnenanlage eingebaut.

Nachrichtentechnik Schutzmaßnahmen

B 4 und B 5:Nachrichtentechnik und Schutzmaßnahmen für den Fall eines Atomangriffs aus der Zeit des Kalten Krieges
© Kerstin Arnold

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Tiefbunker zu Notwohnungen für Flüchtlinge umfunktioniert. In Feuerbach fanden von der Caritas betreut vor allem Familien aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten in 75 Zellen Unterkunft. Auf engstem Raum zusammengepfercht und in einer, höchstens zwei Sechs-Quadratmeter-Zellen pro Familie wohnend war das Zusammenleben der Menschen von großen Spannungen geprägt. Hausmeister, von den Bunkerbewohnern weiterhin „Bunkerwart“ genannt, sorgten für Ordnung und griffen bei Konflikten schlichtend ein.

Der Betreuungsorganisation des Bunkers musste eine Miete für die Unterkunft bezahlt werden. Pro Kabine waren 6 Mark pro Woche zu entrichten, einerlei ob eine Kabine mit einer oder mehreren Personen belegt war. Dieser Betrag beinhaltete alle Kosten wie Heizung, Licht und Reinigung. Oft war dieser Betrag für manchen Bewohner nicht erschwinglich und es kam zum Räumungsurteil durch die Gerichte, was aber wirkungslos blieben, da für die Menschen kein anderer Wohnraum vorhanden war.

Flüchtlingszelle

B 6  Rekonstruktion einer Wohnzelle von Flüchtlingen
© Kerstin Arnold

Im Februar 1946 verzeichnete Stuttgart 375.000 Einwohner. Davon waren 663 Menschen in Bunker wohnend gelistet. Die Zahl stieg bis zum Herbst 1946 auf 1.739 Bunkerbewohner. Die höchste Zahl wurde 1948 erreicht mit 2.309 Personen. Zum Stichtag 1. Juli 1949 wohnten in den Bunkern noch 257 Familien mit 294 Kindern, 881 alleinstehende Männer und 56 alleinstehende Frauen, insgesamt 1.729 Personen.

Mit Zunahme neu geschaffenen Wohnraums konnten Flüchtlinge aus dem Bunker ausquartiert werden. Vorrang bei der Zuweisung hatten Familien mit Kindern, die in Tiefbunkern wohnten. Hier wurde berücksichtigt, dass ein Organismus, der Licht, Luft und Sonne braucht, bei längerem Aufenthalt unter Tage Schaden nehmen muss. Nicht vergessen darf man auch den psychischen Druck, den ein längeres Wohnen in diesen Verhältnissen mit sich brachte.

Ein Schlaglicht auf die angespannte Situation wirft ein Selbstmord einer 37-jährigen Frau, Mutter von 2 Kindern, am 15. April 1950. Die Familie wohnte im Sonnenbunker in Bad Cannstatt und hatte Mietschulden. Es wurde ein Räumungsurteil erlassen. Da aber kein Ersatzwohnraum zu beschaffen war, konnte das Urteil nicht umgesetzt werden. Während ihr Mann vor Gericht war, nahm sie sich das Leben.

Der Stuttgarter Gemeinderat beschloss im Herbst 1949 für die in Bunkern untergebrachte Familien zinslose Darlehen zu gewähren. Die Höhe betrug 1.500 DM je Wohneinheit und konnte bis auf 3.000 DM aufgestockt werden. Es sollte aber noch acht Jahre dauern, bis die letzten Flüchtlinge den Bunker verließen.

1959 mietete die Firma Bosch den Raum zur Unterbringung italienischer Gastarbeiter an. Diese beschwerten sich allerdings massiv beim italienischen Konsul über den heruntergekommenen Zustand des Bunkers, woraufhin Bosch in Rutesheim Unterkünfte errichtete und diese den Gastarbeitern als Wohnraum anbot.

Ab 1960 stand der Bunker schließlich leer und sollte zum Atomschutzbunker ausgebaut werden. Aufgrund fehlender finanzieller Mittel stockte der Bau jedoch mehrfach. Erst am 29. Januar 1975 konnte er renoviert dem Amt für Zivilschutz übergeben werden.


1.3 Anlage

Mit Ende des Kalten Krieges verlor der Bahnhofsbunker in Feuerbach - wie auch alle anderen Schutzbauten - seine Funktion und die Verwaltung wurde von den öffentlichen Trägern auf eine Minimum beschränkt. In Stuttgart widmet sich heute der Verein Schutzbauten Stuttgart e.V. der Geschichte und Dokumentation aller Schutzbauwerke in Stuttgart. Hierzu zählen Bunker, ausgebaute Stollen wie auch sogenannte Pionierstollen.

 

 - Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte RP Stuttgart -


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