Sozialpolitik durch Sozialdisziplinierung im aufgeklärten Absolutismus der Kurpfalz: Die Finanzierung des Mannheimer Zucht-, Irren- und Waisenhauses

Hintergrundinformationen

Bedeutung

Die aktuelle Diskussion um Aufbau, Funktionsweise und Bestand unserer sozialen Sicherungssysteme mag auch im Unterricht Gesprächsanlass sein, sich mit Aspekten staatlicher Sozialfürsorge zu beschäftigen und dazu motivieren, ihr historische Tiefenschärfe zu verleihen. Anhand einer landesgeschichtlichen Quelle wird dabei der Versuch unternommen, Zugang zur gänzlich anderen Alltagswelt unserer Vorfahren zu erhalten und gleichzeitig den Blick auf die Zeitgebundenheit sozialer Politik zu richten.

Während Bildungsstandards und Schulbücher für die Zeit des Absolutismus sich nahezu ausschließlich der Frage nach der Herrschaftsform und deren Legitimierung sowie den Merkmalen staatlicher Verwaltung am Beispiel Frankreichs zuwenden, erfahren die Schüler so gut wie nichts über die soziale Lebenswirklichkeit der Masse der Bevölkerung innerhalb der ständisch gegliederten Gesellschaft jener Epoche.

Ein Blick auf den ganz speziellen Aspekt staatlicher Armenfürsorge und Wohlfahrtspflege zur Zeit des aufgeklärten Absolutismus des pfälzischen Kurfürsten Carl Theodor (1742-1777/1799) soll Licht auf das komplexe Verhältnis von Herrscher, Verwaltung und Untertanen werfen. Am Beispiel der Finanzierung des Mannheimer Zucht-, Arbeits-, Irren- und Waisenhauses, wird die Funktionsweise damaliger staatlicher "Sozialpolitik" mit ihrer zeittypischen Vermischung von Fürsorge und Disziplinierung deutlich. Dabei wird nicht näher auf die damals landläufige "Arbeitspädagogik" als Mittel der "Sozialdisziplinierung" eingegangen.

Erlass der Regierung an das zur Durchsetzung eines Bußgeldkatalogs (13.05.1755)
Erlass der Regierung an das zur Durchsetzung eines Bußgeldkatalogs (13.05.1755)
© Stadtarchiv Eberbach

Kernfrage des hier vorgestellten Materials ist die Art und Weise der Finanzierung des Mannheimer Zuchthauses durch einen speziellen Bußgeldkatalog für die breite Masse der Bevölkerung, welche praktisch die gesamte Lebensführung der Kurpfälzer begleitete und unter staatliche Aufsicht stellte. Die angedrohten Sanktionen dienten nicht nur zur Geldabschöpfung, sondern sollten bei der unbescholtenen Bevölkerung auch eine "sozialdisziplinierende" Wirkung erzielen. Ob sich ein dermaßen durchgreifender gesellschaftspolitischer Anspruch in dem gewünschten Maße durchsetzen ließ, kann durch die Auswertung der hier vorgestellten Materialien ansatzweise herausgearbeitet werden.

Eine abschließende vergleichende Bewertung von Funktionsweisen und Effektivität sozialer "Teilnetze" damals wie heute liegt nahe.

Das Gebäude der ehemaligen Zucht-, Arbeits-, Irren- und Waisenhauses erhob sich auf dem Gelände des heutigen Quadrats Q6 in der Mannheimer Innenstadt in äußerster Randlage hart an der Stadtbefestigung. Letzte bauliche Reste des Gebäudekomplexes wurden erst 1960 abgerissen.