Hintergrundinformationen
1.1 Bedeutung
Farblithografie der Industriestadt Heilbronn, lithographiert von Eberhard Emminger, gezeichnet von Johannes Läpple ( B 2 )
© Stadtarchiv Heilbronn
Die Wurzeln der Arbeiterbewegung liegen in der Revolution von 1848/49. Dies trifft auch für das Königreich Württemberg und besonders für die im 19. Jahrhundert in Württemberg früh entwickelte Industriestadt Heilbronn zu.
Das Handbuch für das Königreich Württemberg für das Jahr 1830 machte die führende Rolle Heilbronns in der Anfangszeit der Industrialisierung des Landes deutlich: „Wirft man einen Blick auf die Verteilung der württembergischen Industrie in den einzelnen Gegenden des Landes im allgemeinen, so zeigt sich, dass die Stadt Heilbronn verhältnismäßig die meisten, nämlich 20 Fabriken mit gegen 500 Arbeitern hat.“
In den Revolutionsjahren 1848 und 1849 beginnen sich die Arbeiter in Heilbronn wie in den anderen württembergischen Industriestädten (z.B. Esslingen und Göppingen) politisch zu organisieren. So war der Heilbronner Arbeiterverein bei der ersten Generalversammlung der württembergischen Arbeitervereine am 4. März 1849 in Göppingen mit einem eigenen Deputierten vertreten.
Typisch für die frühe Arbeiterbewegung in Württemberg nach 1849 war die enge Verbindung zur demokratischen Volkspartei. Noch bis in die Sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts sahen die württembergischen Arbeitervereine ihre Hauptaufgabe in der Durchsetzung gewerkschaftlicher Forderungen, im Aufbau eigener Fürsorgeeinrichtungen und in der Weiterbildung ihrer Mitglieder. Politisch glaubte man sich von der demokratischen Volkspartei vertreten, die man entsprechend unterstützte.
Dies begann sich erst 1863 zu ändern, als Ferdinand Lassalle die Unabhängigkeit der Arbeiterbewegung von den Liberalen forderte und in Leipzig den „Allgemeinen Deutschen Arbeiterverband“ (ADAV) gründete, mit den Kernforderungen eines allgemeinen Wahlrechts und staatlicher Unterstützungen für Produktionsgenossenschaften. In Württemberg fanden diese Forderungen allerdings zunächst nur wenig Anklang. Dies wird am Heilbronner Beispiel deutlich: Erst als August Bebel 1869 in Heilbronn auftrat und über die Forderungen des Nürnberger Kongresses der Arbeitervereine berichtete, begann man auch hier über eine politische Ausrichtung des Arbeitervereins zu diskutieren. Es dauerte aber noch weitere vier Jahre, bis sich in Heilbronn im Juli 1872 eine Ortsgruppe des ADAV mit 50 Mitgliedern zusammenfand. Zwei Jahre später bildete sich dann eine Ortsgruppe der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei in Heilbronn.
Die württembergischen Arbeitervereine zeigen in den ersten 25 Jahren nach der Revolution von 1848/49 die typische Zweiteilung der deutschen Arbeiterbewegung in eine starke gewerkschaftliche Ausrichtung und eine erst allmählich erfolgende Loslösung von der demokratisch geprägten bürgerlichen Linken in einem eher zögerlichen Aufbau einer eigenen politischen Organisation. Hundert Jahre später schließt sich der Bogen mit der Rückkehr der SPD nach dem Godesberger Programm zum Gedanken einer großen demokratischen Volkspartei.
Die enge Verbindung zwischen den deutschen demokratischen Volksparteien und der Entstehung der politischen Arbeiterbewegung wird am württembergischen und Heilbronner Beispiel besonders deutlich und macht das demokratiegeschichtliche Kontinuum von 1848/49 über die Reaktions- und Kaiserzeit bis 1919 (Weimarer Verfassung) und über die Zeit der Verfolgung während der NS-Herrschaft bis hin zum demokratischen Neubeginn nach 1945 deutlich.
1.2 Geschichte
Die zwei Papiermühlen, Lithographie der Gebrüder Wolff, um 1830 ( B 3 )
© Stadtarchiv Heilbronn
23.8.-3.9. 1848
Allgemeiner deutscher Arbeiterkongress in Berlin. Gründung einer Dachorganisation der Arbeitervereine „Die Verbrüderung“ mit Zentralort Leipzig. Gefordert wird unter anderem das Verbot der Kinderarbeit in den Fabriken und der Zehnstundentag.
18. September 1848
Aufruf des von Stefan Born geleiteten Zentralkomitees der Arbeiterverbrüderung an alle Arbeiter und Arbeitervereine zur Einigkeit im Kampf gegen die erdrückende Macht des Kapitals.
1848/49
Bereits in den Revolutionsjahren 1848/49 gab es in Heilbronn und anderen württembergischen Städten mit Industrie Arbeitervereine. In Göppingen schließen sich elf württembergische Arbeitervereine zu einer Landesvereinigung als Bezirksorganisation der „Allgemeinen deutschen Arbeiterverbrüderung“ zusammen.
1850
Insgesamt hatten die württembergischen Arbeitervereine in diesem Jahr 600 bis 700 Mitglieder, darunter auch Handwerksmeister, Kaufleute und Akademiker.
1851
Seit November 1851 wirkt sich die Reaktion auch in Württemberg aus, immer häufiger wird gegen Arbeitervereine vorgegangen. Im November 1851 weist der Stuttgarter Stadtdirektor dreißig der aktivsten Mitglieder des Stuttgarter Arbeitervereins aus, weil sich der Arbeiterverein „demokratischen Bestrebungen hingegeben habe.“
1852
1852 löst sich der Heilbronner Arbeiterverein auf und kommt damit einem drohenden Verbot zuvor. Im selben Jahr gründen ehemalige Mitglieder als Ersatz- und Tarnorganisation einen Arbeitergesangverein. Im Oktober 1852 verbieten die Oberamtsbezirke auf Anweisung der Regierung die noch bestehenden Arbeitervereine in Württemberg.
1852 - 1863
Während der Reaktionszeit setzen die führenden Vereinsmitglieder auch ohne eigene Organisationen ihre Aktivitäten fort. In der demokratischen Zeitung „Beobachter“ veröffentlichen sie weiter Aufsätze zur Arbeiterbewegung. Viele tauchen auch in der Volkspartei unter. Bibliotheken werden privat weitergeführt. In Gesangvereinen und Turnvereinen kam man weiterhin zusammen.
1861
Gegen Ende der Reaktionszeit versuchen sich einzelne Arbeitervereine als „Arbeiterbildungsvereine“ neu zu gründen unter Verzicht auf politische Aktionen.
März 1862
In Ulm wird ein „Arbeiterbildungsverein“ gegründet, in dem die Mitglieder sich über die Auswirkung der Einführung der Gewerbefreiheit in Württemberg unterrichten wollen. Das Oberamt äußert keine Einwände.
29.8.1862
Der Arbeiterbildungsverein Mannheim lädt Arbeitervereine in Deutschland zu einer Beratung über die Frage einer überregionalen Organisation ein. Vertreter von 12 innerdeutschen Arbeitervereinen, vorwiegend aus Baden und Hessen, und ein Vertreter eines deutschen Arbeitervereins in der Schweiz nehmen daran teil. Der Mannheimer Kongress ist die erste Bemühung um eine überregionale Organisation der deutschen Arbeiterbewegung nach den Jahren der Reaktion
2. November 1862
Die Berliner Arbeiterversammlung beeinflusst die Neugründung des Stuttgarter Arbeitervereins am 4.1.1863 „auf der Grundlage der von der Berliner Arbeiterversammlung am 2. November angenommenen Grundsätze.“
23.Mai 1863
Ferdinand Lassalle fordert die Unabhängigkeit der Arbeiterbewegung von den liberalen und demokratischen Parteien und gründet in Leipzig den „Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein“ (ADAV). In Württemberg findet Lassalle wenig Anklang, die Arbeitervereine setzen auf das „württembergische Modell“: gewerkschaftliche Aktionen der Arbeitervereine, Unterstützung der Fortschrittspartei. (1861 hatten sich die Liberalen und die Volkspartei zur Fortschrittspartei vereint.)
7./8. Juni 1863
Vereinstag deutscher Arbeitervereine in Frankfurt. August Hochberger vertritt mit anderen Delegierten die württembergischen Arbeitervereine. Konstituierung einer lockeren Konföderation „Vereinstag deutscher Arbeitervereine“. Hochberger wird zum Vertreter der württembergischen Arbeitervereine gewählt, gleichzeitig zum Mitglied im Führungsorgan, dem „Ständigen Ausschuss“. Gleich danach beginnen die Vorbereitungen eines Zusammenschlusses sämtlicher württembergischer Arbeitervereine.
20. September 1863
Im Saal des Plochinger Waldhornbräus, einem traditionell demokratisches Lokal, wird der „Gauverband württembergischer Arbeiterbildungsvereine“ unter dem Vorsitz August Hochbergers gegründet.
1864
Am 25.Juni 1864 stirbt König Wilhelm I. von Württemberg, im September 1864 tritt das reaktionäre Kabinett „von Linden“ zurück. Sein Sohn und Nachfolger Karl I. pflegt einen liberaleren Kurs, setzt als erster deutscher Regent den Bundestagsbeschluss von 1854 formell außer Kraft, der demokratische Vereine verboten hatte. Damit ist in Württemberg der Zustand von 1848/49 wieder hergestellt.
27.11.1865
Gründung eines „Arbeiterbildungsvereins“ in Heilbronn. Bei den Gründungsfeierlichkeiten sind auch Oberamtmann, Stadtschultheiß und Dekan, Fabrikanten, Geschäftsleute und Vertreter der Fortschrittspartei anwesend.
1867
Im Mai 1867 sind ca. 1500 württembergische Arbeiter in Arbeitervereinen organisiert.
5.-7. 9. 1868
Auf dem Nürnberger Kongress vom 5.-7-September 1868 fordert August Bebel die Gründung einer eigenen Arbeiterpartei mit politischer Zielrichtung. Der Kongress fasst einen entsprechenden Beschluss
Januar 1869
Der Heilbronner Arbeiterverein lehnt August Bebels Forderungen zunächst ab, stimmt dann unter Druck des Landeskomitees zu. Darauf gründete sich am 6. Februar aus Protest dagegen ein liberal geprägter „Heilbronner Arbeiterbund“, der weiterhin eine politische Betätigung ablehnt. Er existiert bis 1877.
1869
1869 bildet sich in Stuttgart eine Zweigstelle des von Lassalle ins Leben gerufenen ADAV.
9. Mai 1869
August Bebel spricht in Heilbronn über das Wesen der Sozialdemokratie und stellt die Theorien von Ferdinand Lassalle vor.
7.-9. August 1869
Eisenacher Kongress: Als Konsequenz des Nürnberger Beschlusses konstituiert sich die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP) unter Führung von August Bebel und Wilhelm Liebknecht. Der Heilbronner Arbeiterverein ist mit 60 Mandaten vertreten. Die meisten württembergischen Arbeitervereine, so auch der Heilbronner, stehen aber weiterhin mehrheitlich hinter der Volkspartei.“
1870
Der württembergische Gauverband als Zentralorgan der württembergischen Arbeitervereine wird in die Landesorganisation der württembergischen Sozialdemokratie übergeleitet.
1874
In Heilbronn gründen fünf Handwerksgesellen eine Ortsgruppe der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP). Sie steht in Konkurrenz mit der Volkspartei, der viele Arbeiter in Heilbronn weiterhin zuneigen.
1875
„Allgemeiner Deutscher Arbeiterverein“ (ADAV) und Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP) vereinigen sich 1875 in Gotha zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAP), aus der 1890 die SPD hervorging.
1878
Nach den Kaiserattentaten im Mai und Juni 1878, die fälschlicherweise den Sozialdemokraten unterschoben worden waren, werden sozialdemokratische Vereinigungen auch in Württemberg verboten.
1881
August Bebel kandidiert bei der Reichstagswahl für den Wahlkreis Heilbronn. Von den abgegebenen 25 625 Stimmen erhält er 163.
- Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte RP Stuttgart -