Landesgeschichtliche Einordnung
Autor: Thomas Forst (Arbeitskreis RP Freiburg)
Das Jahr 1945 steht im heutigen Geschichtsunterricht vorrangig im Kontext der Befreiung von der NS-Diktatur und der Errichtung einer stabilen Demokratie in Deutschland. Und auch in der gemeinsamen "Proclamation No.1" der Alliierten im Mai 1945 heißt es:
"Wir kommen als Sieger, nicht als Unterdrücker. Unsere Besatzungstruppen werden die Aufgabe haben, den Nationalismus und den deutschen Militarismus zu vernichten, die Herrschaft der Nationalsozialistischen Partei zu brechen, die Partei und ihre Gliederungen zu beseitigen, ihre Einrichtungen aufzulösen. Wir werden den deutschen Militarismus, der so oft die Welt ins Unglück stürzte, bis zur Wurzel ausrotten, die Verantwortlichen in Militär und Partei für Verbrechen und Grausamkeiten durch ordentliche Gerichte ihrer gerechten Strafe zuführen."
Als Konsequenz unternahmen die Westalliierten große Anstrengungen zur "Reeducation" und der Errichtung einer Demokratie nach westlichen Vorbildern.
Dennoch stand bei großen Teilen der deutschen Bevölkerung die Demokratisierung nicht im Zentrum ihres Interesses.
Der wichtigste Grund für diese Haltung ist sicherlich in der miserablen sozialen Lage der Menschen nach den Zerstörungen des Krieges und dem weitgehenden Einbruch der Produktion im Laufe des Jahres 1945 zu suchen.
Erzbischöfliches Palais
© Stadtarchiv Freiburg (Sammlung Karl Müller, N 75/1 Positivkasten 14)
Den Rahmen für die wirtschaftliche und politische Entwicklung setzten die Alliierten.
Auf der Jalta-Konferenz der "großen Drei" (USA, UDSSR, GB) im Februar 1945 erhielt auch Frankreich eine eigene Besatzungszone zugesprochen, deren Grenze zur Amerikanischen Zone etwa entlang des Rheins und ab Karlsruhe südlich der Autobahn Karlsruhe - Stuttgart - Ulm - München verlief. So wurden sowohl Baden als auch Württemberg diagonal geteilt. Die Französische Zone umfasste lediglich 12% der Fläche und nur vier Großstädte (Saarbrücken, Mainz, Ludwigshafen und Freiburg) mit Ludwigshafen als einzigem industriellem Zentrum. In der Französischen Zone wurden drei Bundesländer errichtet: "Land Baden" (Hauptstadt Freiburg), "Land Württemberg-Hohenzollern" (Hauptstadt Tübingen) und der "Kreis Lindau".
Staatliche Gliederung Südwestdeutschlands 1945-1952
© www.lmz-bw.de
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Die etwa nördlich der Autobahntrasse, also in der Amerikanischen Zone gelegenen badischen bzw. württembergischen Teile wurden zum "Land Württemberg-Baden" (Hauptstadt Stuttgart) vereinigt.
Die Besatzungspolitik der Alliierten gestaltete sich je nach Interessenlage recht unterschiedlich. So ergibt sich für das heutige Gebiet des Bundeslandes Baden-Württemberg ein uneinheitliches Bild:
US-ZONE:
Die USA hatten als einziger Verbündeter der Anti-Hitler-Koalition keinen Krieg im eigenen Land gehabt. Deshalb wollten sie:
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einen möglichst schnellen Wiederaufbau, damit sich das besetzte Gebiet wieder selbst versorgen könne und mittelfristig als Handelspartner zu Verfügung stehe,
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die Errichtung stabiler politischer Verhältnisse als Bollwerk gegen Sowjetunion im Zeichen des beginnenden Kalten Krieges.
Deshalb verfügten sie:
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die Einstellungen der Demontagen und Reparationen schon ab Mai 1946,
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die schnelle Wiederzulassung demokratischer Parteien,
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den raschen Wiederaufbau demokratischer Institutionen (z. B. die Wahl des Landtags Januar 1946, der Gemeinderäte im April 1946 und Kreistage im Mai 1946) und schrittweise Übertragung von Kompetenzen auf die deutsche Verwaltung.
Botschaft von General Eisenhower an das Volk in der Amerikanischen Besatzungszone, Plakat, 1945
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Französische Zone:
Nach drei deutsch-französischen Kriegen innerhalb von 70 Jahren, deutscher Besatzung und kollaboriendem Vichy-Regime stand die Sicherheit gegenüber Deutschland im Vordergrund. Hier setzten Kreise der Résistance eher auf Einbindung eines demokratisierten Deutschland in einen europäischen Staatenbund. Dagegen setzte sich De Gaule mit seinem Konzept durch:
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Zerstückelung Deutschlands, wenn möglich Annexion linksrheinischer Gebiete, internationale Kontrolle des Ruhrgebietes und Wiederherstellung Frankreichs als kontinentaler Großmacht
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Wiedergutmachung des durch Krieg und Besatzung angerichteten Schadens, immerhin ein Drittel des französischen Volksvermögens, durch Demontagen und Reparationsleistungen.
So ist die französische Besatzungspolitik gekennzeichnet durch:
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den Widerspruch zwischen ernsthaften Demokratisierungsbemühungen und dem Prinzip weitgehender Kontrolle der deutschen Verwaltung nach dem in der Kolonialpolitik entwickelten Konzept der "indirect rule". Dies bedeutete, dass die französische Besatzungsmacht, im Gegensatz zu den Amerikanern, alle politischen Entscheidungen selbst bis auf Kreisebene hinab kontrollierte.
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Demontagen und Entnahmen aus der laufenden Produktion bzw. Überführung großer Teile der landwirtschaftlichen Produktion nach Frankreich neben der großflächigen Abholzung z. B. des Schwarzwaldes.
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im Gegensatz zu den Amerikanern Versorgung der Besatzungsmacht aus der Besatzungszone selbst.
Die Folge war nicht nur die Verschärfung der Lebensmittelengpässe, sondern auch der Wohnungsmisere in den weitgehend zerstörten Innenstädten.
Dies machte es Kritikern leicht, der Besatzungsmacht die gesamte Verantwortung für die Misere der Nachkriegszeit zuzuschieben und die Schuld nicht vor allem in dem von Deutschland begonnenen und mit dem Ziel der Ausbeutung, Expansion und Vernichtung geführten Krieg zu suchen.
Diese restriktive französische Besatzungspolitik geriet immer mehr in Widerspruch zum den deutschlandpolitischen Konzept der Briten und Amerikaner und wurde 1948/49 erst aufgegeben, als Frankreich sich wegen seiner hohen Schulden dem Druck der USA beugen musste und der Marshallplan eine verlockende Alternative zur bisherigen Politik darstellte.
Konferenz des französischen Außenministers Robert Schuman mit den Landesregierungschefs der französischen Besatzungszone zur Südwestfrage am 29.05.1949 in Offenburg (v. links: Wolf Donndorf, Leo Wohleb, Gebhard Müller, Robert Schuman, Peter Altmeier)
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Die unmittelbare Nachkriegszeit ist in ganz Deutschland gekennzeichnet durch große Verluste und Zerstörungen des Krieges: Allein aus Baden-Württemberg waren 218.000 Soldaten gefallen, 38.700 Zivilisten wurden Opfer des Bombenkrieges. Die meisten Innenstädte lagen in Trümmern, viele historische Altstädte waren unwiederbringlich zerstört. Die Trümmerräumung wurde eine der wichtigsten kommunalen Aufgaben.
Trümmerräumung in Freiburg
© Stadtarchiv Freiburg (Sammlung Karl Müller, N 75/1 Positivkasten 14)
Auch der knappe noch verbliebene Wohnraum unterstand der kommunalen Bewirtschaftung, große, behelfsmäßige Barackensiedlungen mussten errichtet werden um neben den Überlebenden der Bombardierungen auch Heimkehrer und Flüchtlinge aus Ostdeutschland, Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn aufnehmen zu können.
Flüchtlingslager in der Opfinger Straße in Freiburg
© Stadtarchiv Freiburg (Sammlung Karl Müller, N 75/1 Positivkasten 3)
Allerdings kam die französische Militärregierung zunächst der ihr nach dem Potsdamer Abkommen zukommenden Verpflichtung der Aufnahme von Flüchtlingen nicht nach. Noch im Oktober 1946 betrug der Flüchtlingsanteil in der französischen Zone nur 1,5% der Gesamtbevölkerung (vgl. Britische Zone 13,6%, US-Zone 16,3%). Erst ab dem Frühjahr 1949 gab Frankreich dem Druck der Briten und Amerikaner nach und öffnete ihre Zone für Flüchtlinge.
Aufnahme in das Lager Betzenhausen (Freiburg)
© Stadtarchiv Freiburg (Sammlung Karl Müller, N 75/1 Positivkasten 1)
Rohstoffmangel, weitgehende Zerstörung des Transportwesens (besonders der Eisenbahn) und Fachkräftemangel ließen beispielsweise in Baden die Gesamtproduktion in den ersten beiden Kriegsjahren auf 40% des Vorkriegniveaus (1936) schrumpfen. In der französischen Zone behinderten Fachkräftemangel, die weitgehende wirtschaftliche Isolierung von den anderen Zonen sowie eine doppelt so hohe Demontagelast im Vergleich zum Gebiet der Bizone die Produktion zusätzlich.
Gegen Ende 1945 verschlechterte sich die Ernährungssituation immer weiter: Standen in der amerikanischen Zone jedem "Normalverbraucher" noch 1300-1500 Kalorien der rationierten Lebensmittel zu, so waren es in der französischen Zone lediglich 900-1000. Dies schwächte die Arbeitsleistung noch weiter, Hamsterfahrten aufs Land wurden für viele überlebensnotwendig. Dennoch konnten viele Güter nur auf dem illegalen Schwarzmarkt beschafft werden.
Kleiderausgabe
© Stadtarchiv Freiburg (Sammlung Karl Müller, N 75/1 Positivkasten 1)
Vollständige und den Jahreszeiten entsprechende Bekleidungen zu beschaffen, wurde für viele unmöglich, durch Armut bedingte Krankheiten wie z. B. Tuberkulose nahmen dramatisch zu.
- Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte RP Freiburg -
Herausgeber: Landesbildungsserver Baden-Württemberg
Quelle: https://www.schule-bw.de
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