Hintergrundinformationen
1. Bedeutung
Alle Epochen und Völker sind von dem Phänomen Migration betroffen - in unterschiedlicher Ausprägung und Intensität. Zu Recht hat das Thema auf breiter Front Einzug in die Bildungspläne gehalten (vgl. Link auf die Bildungsstandards zum Thema Migration und Service unter Tipps zur Weiterarbeit).
Die Gründe für Wanderungsbewegungen reichen von sozialer und wirtschaftlicher Not über politische, religiöse und weitere Formen von Diskriminierung bis hin zu klimatisch-ökologischen Entwicklungen. Monokausale Erklärungsmuster sind unzulänglich.
Die historische Migrationsforschung legt keinen ganz einheitlichen Begriff von Migration zugrunde. Übergänge zwischen Mobilität und Migration, zwischen zeitlich befristet angelegten individuellen Wanderungen und sich verfestigenden Aufenthalten von größeren Gruppen sind fließend. Im engeren Sinn bezeichnet Migration „die auf einen längerfristigen Aufenthalt angelegte räumliche Verlagerung des Lebensmittelpunktes von Individuen, Familien, Gruppen oder auch ganzen Bevölkerungen“ (Jochen Oltmer). Daneben gibt es zahlreiche Formen temporärer Migration, zu denen der Historiker Klaus J. Bade insbesondere „Arbeitsmigranten“ wie Saisonarbeiter, Söldner und Seeleute zählt. Auch solche nicht auf eine dauerhafte Niederlassung angelegten Wanderungen gehörten bereits seit dem späten Mittelalter und der frühen Neuzeit ins Bild. Zu denken ist etwa an Bildungsaufenthalte von Studenten und Adligen, Reisen von Künstlern und Baumeistern, Fernhändlern und Handwerkern.
Die Auswanderung entlang der Donau im 18. Jahrhundert (samt Vorläuferbewegungen und späteren Emigrationswellen) stellt sowohl quantitativ als auch in Bezug auf ihre Dauerhaftigkeit und ihre Fernwirkungen einen der bedeutendsten Migrationsprozesse der frühen Neuzeit in Europa dar, dessen Folgen bis in die Gegenwart reichen.
Die hier vorgelegten Quellen und Materialien haben exemplarischen Charakter und sollen zur vergleichenden Beschäftigung mit weiteren Migrationsprozessen in der Geschichte und Gegenwart anregen, denn wie nur wenige andere Phänomene ist Migration geeignet, hinter soziologischen oder psychosozialen Prozessen der Gegenwart - wie Ausgrenzung, Integration, Akkulturation etc. - historische Muster freizulegen bzw. umgekehrt vor deren Hintergrund die Erscheinungsweisen der eigenen Gegenwart einzuordnen.
B 1 Zille bei Ulm; Stich von Johann Peter Fehr aus dem Jahr 1795
(© Ulmer Museum) / Dieses Bild ist von der Lizenz CC-BY 4.0 ausgenommen
2. Geschichte
Wanderungsbewegungen zwischen Mittel- und Südosteuropa gab es bereits im Mittelalter. Um 1700 erhielt das Phänomen aufgrund der historischen Rahmenumstände neue Dimensionen. Nach dem kriegerischen Ende der rund anderthalb Jahrhunderte währenden türkischen Herrschaft über Ungarn gegen Ende des 17. Jahrhunderts und nach der innerungarischen Befriedung im Frieden von Sathmar 1711 bestand seitens der Habsburger ein Interesse an Wiederaufbau und Besiedlung des wieder in den eigenen Herrschaftsbereich zurückgefallenen, aber durch Kriegseinwirkungen schwer in Mitleidenschaft gezogenen Landes. Dieses Interesse dokumentiert bereits das erste habsburgische Impopulationspatent von 1689.
Als Folge der kaiserlichen Bestrebungen unter Karl VI., Maria Theresia und Joseph II. zogen im 18. Jahrhundert 100.000 bis 200.000 – manchen Schätzungen zufolge gar bis zu 400.000 - Kolonisten aus den südlichen und westlichen Teilen des Reichs (Rheingebiet, Pfalz, Elsass, Lothringen, Baden, Oberschwaben, Bodenseeraum) nach Südosten, um sich in Sathmar, im Ofener Bergland, der Schwäbischen Türkei, im Banat und in der Batschka, in Syrmien und Slawonien anzusiedeln. „Donauschwaben“ ist der Begriff, der sich später für diese Migranten einbürgerte.
Der Begriff „Schwabenzüge“ bezieht sich traditionell auf die drei großen Auswanderungs- bzw. Besiedlungswellen unter Karl VI., Maria Theresia und Joseph II. in den Zeitspannen 1723 bis 1726, 1763 bis 1773 und 1782 bis 1787. Diese bilden jedoch lediglich die quantitativen Spitzen einer realiter kontinuierlichen und lang anhaltenden Migrationsbewegung, die nicht nur auf staatliches Betreiben zustande kam. Eine wesentliche Rolle, vor allem in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts, spielte – beginnend mit der Ansiedlungstätigkeit des Grafen Károlyi 1712 – die private Ansiedlungspolitik.
Bedingt durch die Auswirkungen von Missernten, Teuerung, Kriegen und Seuchen sowie eine hohe Abgaben- und Steuerlast war die wirtschaftliche Lage der Landbevölkerung um 1700 ausgesprochen schlecht. Erbrechtliche Regelungen verschärften etwa in Oberschwaben die Situation und trugen teilweise zum sozialen Abstieg der bäuerlichen Bevölkerungsschicht bei. Armut war freilich nicht auf die ländlichen Gemeinden beschränkt, sondern auch in den Städten verbreitet.
Neben handfesten wirtschaftlichen Ursachen gab es weitere Gründe für die Auswanderung aus dem deutschen Südwesten. Der badische Staatswissenschaftler Justi führt 1760 auch die „üble Beschaffenheit der Regierung“ und den „Mangel an Gewissensfreiheit“ an. Viele junge Menschen nutzten die Emigration als Chance, die obrigkeitlichen Ehevorschriften zu umgehen und eine Ausnahmegenehmigung zur Heirat zu erhalten. In manchen Fällen war wohl auch Abenteuerlust ein Impuls zur Emigration.
Die Reichsstadt Ulm und ihr Territorium waren mit rund 850 Auswanderern quantitativ nur gering beteiligt. Hierfür war u.a. die Konfession der Ulmer Bevölkerung verantwortlich, denn Protestanten war bis Anfang der 1780er Jahre die Einwanderung in das zur katholischen Habsburgermonarchie gehörende Ungarn verwehrt. Als Ort, an dem sich die Auswanderungswilligen zur Einschiffung nach Südosten sammelten und ihren Reiseweg auf der ab hier schiffbaren Donau fortsetzen konnten, kam Ulm allerdings besondere Bedeutung für die Auswanderung zu. Zwar stellten die vielen Auswanderungswilligen, die sich in der Stadt zur Weiterfahrt versammelten, eine logistische Herausforderung, teilweise auch Belastung dar, allerdings brachten sie der Stadt in wirtschaftlicher Hinsicht auch viele Vorteile, etwa für die ansässigen Wirte und Schiffer.
B B 3 Schachtelfahrt, Lithographie von Jakob Alt, Nachdruck des Originals von 1824
(© Stadtarchiv Ulm, F 2/3,Donauansichten) / Dieses Bild ist von der Lizenz CC-BY 4.0 ausgenommen
Nach Absolvieren der diversen Formalien, (meist) ausgestattet mit den nötigen Dokumenten, erleichtert um verschiedene Abgaben und Gebühren sowie in den betreffenden Fällen auch um ihr Bürgerrecht ließen die Auswanderer ihre bisherige Existenz hinter sich und machten sich per Schiff auf den Weg. Typisches Verkehrsmittel waren die so genannten Zillen (später auch Ulmer Schachteln genannt). Das gewünschte Ergebnis der Auswanderung blieb indes oftmals aus. „Dem ersten der Tod, dem zweiten die Not, dem dritten das Brot“, dieses geflügelte Wort fasst die Probleme der ersten Auswanderergenerationen prägnant zusammen.
ie Wiederaufnahme gescheiterter Auswanderer war (seit der ersten Auswanderungswelle von 1712) an der Tagesordnung und warf erhebliche Probleme auf, etwa die medizinische Versorgung und die Weiterleitung in die ursprünglichen Wohngebiete. Für diese Aufgaben hatte Ulm als Vorort des Schwäbischen Reichskreises die Verantwortung übernommen. Trotz der Negativerfahrungen vieler Auswanderer und der für jedermann sichtbaren Reintegrationsprobleme der Rückwanderer, denen oft nur ein Dasein als Tagelöhner und Bettler blieb, trieben kriegsbedingte Abgaben, Missernten, Viehseuchen, Unwetter und Hungersnöte während des gesamten 18. Jahrhunderts viele Bewohner Oberschwabens in die Emigration Richtung Ungarn. Für Oberschwaben hatte die Auswanderung insgesamt den Nebeneffekt, bestehende soziale Probleme abzumildern.
u den verschiedenen Auswanderungswellen im 18. Jahrhundert trugen auch gezielte Werbekampagnen des Aufnahmelandes bei, welches die Privilegien und die zu erhoffenden Lebensbedingungen der potentiellen Zuwanderer in leuchtenden Farben schilderte und sich mit dem Toleranzpatent Josephs II. von 1781 auch protestantischen Zuwanderern öffnete. Über weite Strecken des Jahrhunderts konkurrierten die kaiserlichen Bemühungen zur Ansiedlung in Ungarn allerdings mit den Versuchen anderer Staaten, namentlich Russland, Amerika oder Preußen, die an dieser Stelle nur am Rande behandelt werden, sich aber für einen Vergleich allemal anbieten.
Das Donauschwäbische Zentralmuseum befindet sich in einer ehemaligen Kaserne, dem sogenannten Reduit der Oberen Donaubastion. Dieses wurde als Teil der Ulmer Bundesfestung Mitte des 19. Jahrhunderts errichtet und 1855 fertiggestellt. Das fast 140 Meter lange Gebäude liegt nur wenige Meter vom Donauufer entfernt.
is zum Ende des Ersten Weltkriegs war die Bastion mit württembergischen Regimentern belegt, von 1920 bis 1933 von der Reichswehr und schließlich bis 1939 von der Wehrmacht. Das Reduit wurde als Defensivkaserne genutzt. Es sollte Soldaten und Kanonen aufnehmen, um die Stadt gegen Angreifer zu verteidigen. In der 150jährigen Geschichte ist aus dem Militärbau jedoch kein einziger Schuss gefallen. Vielmehr diente er im Zweiten Weltkrieg als Luftschutzbunker, nach dem Zweiten Weltkrieg als Unterkunft für Flüchtlinge und Vertriebene und bis 1971 als Notunterkunft. Seit 1974 steht der Bau unter Denkmalschutz.
ür die Errichtung des Museums hat die Stadt Ulm das Reduit vom Bund erworben und von 1995-2000 von Grund auf saniert. In dem Gebäude befinden sich heute das Donauschwäbische Zentralmuseum, mehrere Vereine und Läden sowie ein türkisches Theater.
- Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte RP Tübingen -