Methodenvorschlag
Lernorterkundung
Das im Juni 2000 eröffnete Museum zeigt in seiner Dauerausstellung die wechselvolle Geschichte der Donauschwaben. Originalexponate, historische Dokumente, mehrere hundert Fotografien und interaktive Medien erzählen über ihre Auswanderung und Ansiedlung in Südosteuropa, ihr Leben in dieser multiethnischen Region und über Flucht und Vertreibung nach dem Zweiten Weltkrieg. Dabei wird die Geschichte der deutschen Siedler in ihren kultur- und sozialgeschichtlichen Zusammenhängen präsentiert und gleichzeitig als ein Teil der europäischen Geschichte dargestellt. Die Ausstellung vermittelt damit auch einen Einblick in Geschichte und Gegenwart der südosteuropäischen Nachbarstaaten.
Die Dauerausstellung orientiert sich einerseits an dem geografischen Raum, in dem die Siedlungsgebiete der Donauschwaben liegen, und versucht die geschichtlichen Entwicklungen - wie etwa das Aufkommen des Nationalismus - aus den Besonderheiten des südosteuropäischen Raumes heraus zu erklären. Die Donauschwaben lebten in dieser Region mit anderen Völkern mehr als zwei Jahrhunderte friedlich und in gegenseitigem Respekt zusammen, bis aufkommender Nationalismus Hass und Gewalt unter den Völkern Südosteuropas schürte.
Der zweite Leitbegriff ist die Zeit. Der Ausstellungsrundgang folgt dem Weg der Donauschwaben von der Auswanderung im 18. und 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Die Ausstellung fragt, wie die deutschen Siedler sich nach ihrer Ankunft im historischen Ungarn zurechtgefunden haben, wie sie Häuser bauten, wie das Land bewirtschaftet wurde, wie sich das Zusammenleben im Dorf gestaltete. Die auf zwei Stockwerke verteilte Ausstellung behandelt im oberen Geschoss, wo der Rundgang beginnt, die Geschichte des 18. und 19. Jahrhunderts. Im Erdgeschoss sind die Themen des 20. Jahrhunderts verortet - vom aufkommenden Nationalismus in Südosteuropa vor dem Ersten Weltkrieg bis zu einem Blick auf die deutsche Minderheit in den heutigen Ländern Rumänien, Ungarn, Kroatien und Jugoslawien.
Und drittens sind es die Donauschwaben selbst, die Geschichte und die Geschichten der Menschen, die dargestellt werden. Die Menschen als Gegenstand der Geschichte kommen in fast allen Ausstellungsabteilungen zu Wort: Eine Vielzahl von Zitaten und Bildreproduktionen - auch aus privaten Sammlungen - verdeutlicht die Sicht der sogenannten kleinen Leute.
In der Geschichte der Donauschwaben haben die Themen Auswanderung, die Heimat verlassen zu müssen und das Einleben in einem fremden Land eine besondere Bedeutung. Diese Geschichte Besuchern anschaulich und eindrucksvoll zu vermitteln, ist ein wesentlicher Bestandteil der Vermittlungsarbeit des Museums.
B 4 Ankunft in Pest, Abbildung aus dem Jahr 1840
© Donauschwäbisches Zentralmuseum / Dieses Bild ist von der Lizenz CC-BY 4.0 ausgenommen
Warum gab es deutsche Siedler in Südosteuropa? Wie sind sie dort hingekommen? Wie haben sie sich dort zurechtgefunden? Wie haben sie ihre Häuser gebaut, das Land bewirtschaftet und wie ihr Zusammenleben im Dorf gestaltet? Und warum gibt es heute nur noch eine kleine deutsche Minderheit in den Ländern Rumänien, Ungarn, Kroatien und Serbien? Diese Fragestellungen stehen im Mittelpunkt der im Folgenden beschriebenen museumspädagogischen Aktionen, in denen Kindern und Jugendlichen die Geschichte der Donauschwaben (be)greifbar und erlebbar gemacht wird.
„In die weite Welt hinaus“ – Migration nach Südosteuropa
Diese museumspädagogische Aktion beginnt mit dem Kinderlied „Hänschen klein“. Das Lied kann fast jedes Kind mitsingen, doch hat sich je einer gefragt, warum Hänschen von zu Hause fort geht? Hier setzt die Geschichte der Donauschwaben an: Warum haben viele Menschen im 18. und 19. Jahrhundert ihre Heimat verlassen? Die Schüler werden selbst vor die Entscheidung gestellt, ob sie aus bestimmten Gründen aus ihrer Heimat fortgehen würden.
Das historische Reisen wird bei einer Wanderung durch die Ausstellung nachvollzogen. Zu Fuß, per Schiff und mit dem Pferdewagen waren die Auswanderer unterwegs. Das Basteln einer „Ulmer Schachtel“ macht neugierig darauf, wie viele Menschen auf ein solches Schiff passten und wie lange sie darauf unterwegs waren. Und mit dabei ein kleiner Koffer, mit dem die Frage verbunden ist: Was haben die Auswanderer damals mitgenommen?
Hierbei spielen nicht nur sachliche Dinge eine Rolle, sondern vor allem auch die mitgebrachten Kenntnisse der deutschen Siedler in der Landwirtschaft und im Handwerk. Die Schüler probieren Arbeitstechniken wie das Mais ribbeln selbst aus, sehen an verschiedenen Verarbeitungsstufen wie aus einer Hanfpflanze ein Hemd entsteht und testen, wie es sich auf einem mit Maisblättern gefüllten Kissen schläft. Sie lernen das Leben, den Alltag, die Traditionen und Bräuche der Donauschwaben, die ein Teil der deutschen Geschichte sind, kennen und sehen, wie sie sich in einem fremden Land eingelebt haben.
„Flucht und Vertreibung“ – Zwangsmigration
Während im 18. und 19. Jahrhundert ganz unterschiedliche Gründe dazu geführt haben, dass überwiegend deutsche Bauern und Handwerker auswanderten und sich in Ungarn ansiedelten, hatten die Ereignisse im und nach dem Zweiten Weltkrieg, in den Jahren 1944 bis 1948, ganz andere Dimensionen. Viele Menschen in den deutschen Siedlungsgebieten wurden gezwungen, in kürzester Zeit ihre Heimat zu verlassen.
Im Workshop „Flucht und Vertreibung“ wird versucht neben der Erarbeitung der historischen und politischen Grundlagen über verschiedene Einzelschicksale einen emotionalen Zugang zum Thema zu schaffen. Wie fühlt es sich an, Haus und Hof verlassen zu müssen und nur das Nötigste mitnehmen zu können? Wie erlebten die Menschen den Abtransport in Viehwaggons zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion? Wie waren die Lebensumstände in den Internierungslagern?
Die unterschiedlichen Ereignisse - Flucht, Vertreibung, Deportation und Internierung - werden in Arbeitsgruppen anhand ausgewählter Materialien erarbeitet. Dazu gehören politische Beschlüsse, historische Quellentexte, Zeitzeugenberichte, Tagebucheintragungen, Gedichte und Briefe. Aber auch die Ankunft der Donauschwaben in Deutschland, die Aufnahme der zahlreichen Flüchtlinge und Vertriebenen in der Nachkriegszeit und der Prozess der Integration sind hier ein Teil des Themas. Die Geschichten von Zeitzeugen erzählen davon, was es bedeutet, einer unter 12 Millionen Flüchtlingen und Vertriebenen in einem zerstörtem Land zu sein; erkennen zu müssen, dass man nicht mehr in seine Heimat zurück kann und in einem Land bleiben muss, in dem man als Fremder empfunden wird.
„Das Wandern ist Lust …“ – Auswanderungsworkshop
Im Theaterworkshop „Das Wandern ist Lust …“ soll eine Vorstellung davon vermittelt werden, was Auswanderung bedeutet und wie diese im Fall der Donauschwaben ausgesehen hat. Den Teilnehmern soll deutlich werden, welches große Risiko die Menschen mit ihrer Entscheidung für die Auswanderung im 18. Jahrhundert eingingen und wie unterschiedlich ihre Lebensschicksale aussehen konnten.
Das Rollenspiel „Von einem, der auswandern wollte“ bietet den Teilnehmern einen Einstieg in das Thema Auswanderung. In dem kleinen Stück entschließt sich die Familie Schneider 1736 trotz der Warnungen des Fremden nach Ungarn auszuwandern und den Versprechungen des Werbekommissars Glauben zu schenken. Die Teilnehmer erstellen anschließend ihr eigenes Theaterstück, welches das Schicksal einer Auswandererfamilie thematisiert. Sie sollen sich dabei in die Situation der Auswanderer hineinversetzen. Dieses Rollenspiel wird unterstützt durch das Lesen von historischen Quellen, welche das nötige historische Hintergrundwissen vermitteln.
Die verschiedenen Angebote des Donauschwäbischen Zentralmuseums und der Kulturreferentin für Südosteuropa ermöglichen eine unmittelbare Begegnung mit der Geschichte der Donauschwaben und den südosteuropäischen Kulturen anhand originaler Objekte. Es werden für alle Klassenstufen und Schultypen Führungen und Programme angeboten.
B 5 Schulwandzeitung „Ostland ruft“aus dem Jahr 1939
© Stadtarchiv Ulm / Dieses Bild ist von der Lizenz CC-BY 4.0 ausgenommen
Behandlung des Themas in der Schule
Die Auswanderung entlang der Donau bietet sehr unterschiedliche thematische Zugänge. In dieser Vielfalt eignet sie sich einerseits zur exemplarischen Behandlung des Themas Migration, andererseits bieten sich diverse Vergleichsmöglichkeiten an. Hierzu gehören Gründe für die Auswanderung genauso wie die Techniken der Abwerbung, die konkreten Bedingungen der Auswanderung genauso wie die durch die Auswanderung erst entstehenden Probleme.
Jeder Wanderungsprozess hat Ausgangs- und Zielpunkte. Der Schwerpunkt dieser landeskundlichen Materialien liegt auf Ulm und Oberschwaben als Ausgangsregion. Die Ansiedlungsprozesse in Südosteuropa werden hier nur angerissen. Sie als Gegenstück zu untersuchen, ist das Donauschwäbische Zentralmuseum der am besten geeignete Ort.
Die Materialien eignen sich zur projektorientierten Behandlung des Themas im Unterricht, bei der weitere Migrationsprozesse der Geschichte und Gegenwart vergleichend herangezogen werden (vgl. z.B. Bildungsplan Geschichte Realschule: Themenbereich 5: Bevölkerungsbewegungen in Vergangenheit und Gegenwart; Bildungsplan Geschichte Gymnasium Oberstufe: Wahlthema Migration; selbstständige Projektarbeit), sie können aber auch im Nachgang zu einem Überblick als Vertiefung eingesetzt werden.
In der Regel dürfte die hinführende Behandlung in der Schule und die nachgängige Aufarbeitung in der Exkursion sinnvoll sein. Eine vollständige Behandlung aller Materialien ist nicht intendiert, eine individuelle Schwerpunktsetzung sinnvoll. Die meisten Arbeitsblätter eignen sich für die Behandlung in der Sekundarstufe I oder II. Teile der Materialien ( AB 4 und AB 5 ) sowie die aufgezählten museumspädagogischen Aktionen sind auch teilweise für die Primarstufe geeignet. Sowohl die museumspädagogischen Aktivitäten als auch die Materialien für den unterrichtlichen Gebrauch appellieren an die Schülerinnen und Schüler, zum Phänomen Migration persönlich Stellung zu beziehen.
Das Gros der Arbeitsblätter ist im Geschehen des 18. Jahrhunderts verankert und bietet von dort aus thematisch und methodisch verschiedene Aktualisierungsansätze. Textarbeit erfolgt sowohl anhand von Originalquellen (vgl. AB 2, 3, 7 bis 10 in unterschiedlichem Bearbeitungsgrad) als auch anhand von Auszügen aus aktuellen Monographien (vgl. AB 1 und AB 6 ). AB 4 und AB 5 bieten eine im Anforderungsniveau weniger komplexe Kartenarbeit sowie eine Bastelarbeit. In den AB 6 und AB 12 kommt der Aspekt der Rezeption der Auswanderungszüge zum Tragen. AB 11 beleuchtet das Thema literarisch und musikpraktisch. AB 13 , AB 14 und AB 15 bieten komplexe Aufgabenstellungen zum Thema Migration im allgemeinen, zu verschiedenen, auch aktuellen Migrationsprozessen sowie zur Begrifflichkeit.
Für einen Überblick über das Thema Migration allgemein eignen sich die Projektseiten der aktuell (2012) eingeführten Schulbücher. Für einen Überblick über die regionale Ebene der Geschichte der Migration eignet sich die Verwendung des Teilprojekts Migration auf www.ulmergeschichteimnetz.ulm.de.
„Das Thema in 2 Unterrichtsstunden“
Um grundlegende Einsichten in das Thema Auswanderung entlang der Donau im 18. Jahrhundert ohne vergleichende Analysen zu vermitteln, eignet sich die Bearbeitung der Arbeitsblätter 1 (Gründe für die Auswanderung im 18. Jahrhundert), 2 (Die erste Auswanderungswelle 1712), 3 (Eine Donaufahrt im Jahr 1769) und für jüngere Klassen 4 (Durch welche Länder fließt die Donau). Zum Einstieg könnte das Lied auf AB 11 musiziert werden. Die weit reichende historische Bedeutung des Phänomens erschließt sich z.B. durch zusätzliche Analyse der Wandtafel „Ostland ruft“ bzw. die Bearbeitung des entsprechenden AB 12 .
- Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte RP Tübingen -