Im Spannungsfeld zwischen Demokratie und Diktatur. Der Offenburger Salmen

2.2 Behandlung des Themas in der Schule

Dieser Beitrag bietet Unterrichtshilfen für drei zentrale Themenfelder, die sich am Beispiel Offenburg erarbeiten lassen:

  1. Repression und Partizipation:
    Der Kampf um politische Teilhabe am Beispiel der Offenburger Versammlung von 1847

    Fachliche und didaktische Grundlegung des Themas
  2. Die Eroberung der Straße:
    Aktionsformen außerparlamentarischer Partizipation am Beispiel der Offenburger Versammlungen 1848/49

    Fachliche und didaktische Grundlegung des Themas
  3. Freiheit und Recht:
    Die 13 Offenburger Forderungen als Grundrechtsentwurf
    Fachliche und didaktische Grundlegung des Themas

Relevant für alle drei Themen:

Historische Einordnung

Die Revolution von 1848/49 ist ein europäisches Ereignis. Sie beschränkt sich keineswegs auf den deutschen Südwesten. Reform und Revolution, Revolutionsabwehr und Gegenrevolution bilden die Koordinaten eines gemeinsamen europäischen Erfahrungs- und Handlungsraumes im Kontext einer gewaltigen Umbruchsituation in der Mitte des 19. Jahrhunderts (s. AB 1 )

In Deutschland setzt im September 1847 die Volksversammlung im Offenburger Salmen ein erstes Zeichen des demokratischen Aufbruchs. Die Versammlung der ca. 900 badischen Demokraten in Offenburg lässt sich also der frühen Phase des Revolutionsverlaufs zuordnen: Protest formiert sich, Mitstreiter werden mobilisiert und organisiert, Forderungen artikuliert und verbreitet.

Im weiteren Verlauf der Revolution steht Offenburg, das damals ca. 4.000 Einwohner zählt, noch zweimal im Brennpunkt des Geschehens (s. AB 5 ):

  • am 19. März 1848 als Versammlungsort für ca. 20.000 Menschen

    Keine Revolution ohne Kommunikation, Flugblatt März 1848
    Keine Revolution ohne Kommunikation, Flugblatt März 1848
    © Stadtarchiv Offenburg

  • am 13. Mai 1849 als Versammlungsort für ca. 35.-40.000 Menschen, deren Forderungen vor dem Hintergrund des Soldatenaufstandes in Rastatt den badischen Großherzog zur Flucht aus Karlsruhe veranlassen.

Historische Voraussetzungen

Dass Offenburg "Wiege der Demokratie" (Eberhard Jäckel) werden kann und der deutsche Südwesten vom reformerischen und revolutionären Umbruch besonders erfasst wird, ist weniger historischer Zufall als Folge historisch gewachsener Voraussetzungen, die für die landesgeschichtliche Einordnung des Lernortes von Bedeutung sind:

    • In den ehemaligen südwestdeutschen Reichsstädten kann an politische Partizipationsformen angeknüpft werden, die auf kommunaler Ebene den Stadtbürgern die Erfahrung politischer Opposition und Verantwortung ermöglichen. Weitgehend demokratische Gemeindeordnungen, die 1831 von der badischen Regierung erlassen werden, fördern die demokratiegeschichtlich so produktive Verbindung von "Gemeindebürgertum und Liberalismus" (Paul Nolte).
    • Ein aktives Vereinswesen (Turner, Sänger) trägt zur politischen Sensibilisierung und Mobilisierung der Bevölkerung bei.
    • Offenburg, bis 1802 eine Freie Reichstadt, hat seit 1845 mit Gustav Rée einen liberalen Bürgermeister und in dem Landtagsabgeordneten für den hiesigen Wahlkreis, Christian Kapp, einen oppositionellen Liberalen im badischen Landtag. Es gilt daher als Hochburg der liberalen Opposition in Baden. In der zeitgenössischen Wahrnehmung wird es der "weltbekannte Demagogenort" genannt oder auch das "badische Bethlehem", wo "stets der Revolutionsheiland geboren" werde.

Der angesehene Offenburger Bürgermeister Gustav Rée
Der angesehene Offenburger Bürgermeister Gustav Rée
© Stadtarchiv Offenburg

Historische Zusammenhänge

Die Versammlung im Offenburger Salmen 1847 ist, wie auch die folgenden Offenburger Versammlungen, repräsentativ für die radikalliberale, demokratische und soziale Protestbewegung in Baden: "Offenburg ist also in gewissem Maße Symbol der republikanischen Demokratie Südwestdeutschlands geworden. Darin liegt seine geschichtliche Rolle, aber auch seine Begrenzung. Es verkörpert einen Aspekt der deutschen Revolution von 1848/49, nicht die Vielzahl der Strömungen und auch nicht die politischen Vorstellungen und Interessen der Mehrheit der Deutschen von 1848/49" (Franz X. Vollmer).

Alle drei Offenburger Versammlungen sind repräsentativ für das, was in den Bildungsstandards unter dem Begriff der Partizipation gefasst wird: Hier treten Menschen miteinander in Verbindung, tauschen sich aus, diskutieren ihre Erwartungen und Enttäuschungen, bündeln ihre Interessen und artikulieren ihre Wahrnehmungen und Forderungen. Sie erobern den politischen Raum, bilden dort eine politische Öffentlichkeit und erfüllen das, was als politische Kultur bezeichnet wird, mit Leben. Wolfram Siemann nennt diesen Vorgang "Fundamentalpolitisierung". Dieser Vorgang ist untrennbar mit der "Kommunikationsrevolution" verbunden. Revolution heißt zunächst: kommunizieren, organisieren und mobilisieren. In diesen Partizipationserfahrungen besteht ein fundamentales Element des historischen Erbes der Demokratiebewegung von 1848/49 (s. AB 2 ).

Der Begriff der Partizipation bündelt historische Handlungsmuster und menschliche Grunderfahrungen zu einem historischen Fundamentalvorgang. Im Kern ist dieser Fundamentalvorgang politisch. Demokratisierung steht dabei im Mittelpunkt. So positiv Partizipation damit als politischer Fundamentalvorgang hin zu einer demokratisch verfassten sowie rechtlich und politisch sich emanzipierenden Staatsbürgergesellschaft zunächst auch belegt sein mag, der Begriff ist bereits für die Beschreibung der Demokratiebewegung im 19. Jahrhundert ambivalent. Er schließt Gewalterfahrungen ebenso mit ein wie die Erfahrung begrenzter und schließlich verweigerter Partizipation.

Es ist üblich, den revolutionären Verlauf auf zwei Handlungsebenen zu betrachten: Partizipation spielt sich während der Demokratiebewegung 1848/49 sowohl auf der "Straße" ab als auch in den "Parlamenten" (Landtage und Nationalversammlung). Dort findet die Verfassungs- und Nationalrevolution statt, während die "Straße" der Ort der "Basisrevolution" (Wolfgang Siemann) ist (s. AB 3 )

 

- Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte RP Freiburg -