Landesgeschichtliche Einordnung

Landesgeschichtliche Einordnung

www: Dr. Rainer Hennl (Arbeitskreis RP Karlsruhe)


Gliederung:

Begriffsdefinition/Vorbemerkung
Römerzeit
Früh-, Hoch- und Spätmittelalter
Frühe Neuzeit
Frühindustrialisierung/Hochindustrialisierung (1. Phase)
Die zweite industrielle Revolution
Weimarer Republik/Nationalsozialismus
Wiederaufbau/Wirtschaftswunder
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Die zweite industrielle Revolution

Die "zweite industrielle Revolution", die mit den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts einsetzte, bedeutete einen Staffelwechsel zugunsten neuer Leitbranchen - der Elektrotechnik, der Großchemie und des Maschinenbaus. Im Gegensatz zur ersten Industrialisierungsphase in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hielt der deutsche Südwesten dieses Mal von Anfang an den Anschluss an die technische Entwicklung, ja er wirkte sogar Maßstäbe setzend mit. Auf diese Weise entwickelten sich Baden und Württemberg bis 1914 zu führenden Industrieregionen Europas.

In Württemberg und noch mehr in Baden gewann der elektrische Strom, die "weiße Kohle", eine zentrale Bedeutung, da mit Hilfe der Elektrifizierung die Rohstoffarmut und der Nachteil der dezentralen Gewerbe- und Industriestruktur der Länder ausgeglichen werden konnte. In Stuttgart entstand 1882 die erste deutsche Blockstation zur Belieferung elektrischer Beleuchtungsanlagen, schon 1883 wurde das Hoftheater elektrisch erleuchtet und 1895 wurden das erste E-Werk und eine elektrische Straßenbahn in Betrieb genommen. Vergleichbare Pionierleistungen konnte das badische Mannheim vorweisen, wo seit 1881 (und damit im selben Jahr wie in Berlin) ein Ortsfernsprechnetz aufgebaut wurde und 1885 drei private Blockstationen zur Stromerzeugung bereitstanden. Dass der deutsche Südwesten auf dem Gebiet der Elektrizität zu Pionierleistungen fähig war, wurde 1891 europaweit buchstäblich sichtbar: Während der Internationalen Elektrotechnischen Ausstellung in Frankfurt a. M. erfolgte zwischen Lauffen am Neckar und Frankfurt am Main, d. h. über eine Distanz von 175 Kilometern, erstmals die leistungsstarke Fernübertragung von Strom. Hierbei wurde Strom durch eine Wasserturbinenanlage des Württembergischen Portland-Cement-Werks Lauffen erzeugt und über eine von der AEG und der schweizerischen Maschinenfabrik Oerlikon erbauten Hochspannungsleitung bei einem Energieverlust von nur 25 Prozent als hochgespannter Drehstrom mit 15.000 Volt nach Frankfurt übertragen. Am 25.8.1891 erstrahlten in Frankfurt 1.060 Glühlampen als Schriftzug "Kraftübertragung Lauffen-Frankfurt", und ein Drehstrommotor mit 100 PS ermöglichte den Betrieb eines haushohen Wasserfalls.

Das Eingangstor der Station

Das Eingangstor der Station "Kraftübertragung Lauffen-Frankfurt" in Frankfurt a. M., 1891
© Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheim

Das Kraftwerk Lauffen übernahm nach diesem erfolgreichen Feldversuch die Stromversorgung der nahen Oberamtsstadt Heilbronn, das damit zur ersten Stadt der Welt mit einem öffentlichen Drehstrom-Netz wurde.

Mit der Wechselstromübertragung von Lauffen nach Frankfurt hatte die Geburtsstunde des modernen Kraftwerks als Stromfabrik geschlagen. 1898 wurde in Rheinfelden das erste große Laufwasserkraftwerk in Europa nach vierjähriger Bauzeit vollendet, konzessioniert durch das Großherzogtum Baden und den Kanton Aargau. Das Kraftwerk bestand im Wesentlichen aus einem den Fluss querenden Damm, der das Wasser in einen Uferkanal drängte, und einem am Ufer stehenden 150 Meter langen Maschinenhaus, in dem 20 Turbinenpaare mit einer Gesamtleistung von 12.000 kW arbeiteten.

Kraftwerk Rheinfelden, Aufnahme aus dem Jahr 1993

Kraftwerk Rheinfelden, Aufnahme aus dem Jahr 1993
© www.lmz-bw.de

Ähnlich wie Rheinfelden war das 1907 bis 1912 erstellte Kraftwerk Augst-Wyhlen konzipiert, wohingegen beim Bau des Kraftwerks Laufenburg (1909-1914) architektonisch und flussbaulich Neuland beschritten wurde, da Wehr und Maschinenbau quer zum Fluss standen. Laufenburg wurde mit einer Leistung von 40.000 kW nicht nur das leistungsstärkste Kraftwerk seiner Zeit, sondern auch zum Vorbild für alle modernen Laufwasserkraftwerke. Der Anlage in Laufenburg folgte im Verlauf des nächsten halben Jahrhunderts der Bau einer ganzen Reihe weiterer Kraftwerke am Hochrhein, namentlich Eglisau (1914-19), Ryburg-Schwörstadt (1928-31), Albbruck-Dogern (1929-34), Reckingen (1939-1948), Birsfelden (1950-54), Rheinau (1951-56), Schaffhausen (1960-63) und Säckingen (1961-66).

Der im Wasserkraftwerk Wyhlen erzeugte Strom erlaubte dem Großherzogtum Baden eine weitere technische Großtat. 1913 wurden die Wiesentalbahn (zwischen Zell im Wiesental und Basel) und die Wehratalbahn (zwischen Schopfheim und Säckingen) als erste Bahnstrecken Deutschlands vollständig elektrifiziert und seither mit Elektroloks des Typs A 1 (Maffei/Siemens/Schuckert-Werke) und kurz darauf auch A 2 (Hersteller wie A 1) und A 3 (Maschinenfabrik Karlsruhe/BBC) befahren.

Ein auf dem Feld der Elektrotechnik tätiger Großbetrieb wuchs mit der Schweizer Firma Brown, Boveri & Co. heran, die sich 1898 in Mannheim ansiedelte. BBC baute in Mannheim das erste Kraftwerk (1899/1900) und im Jahr 1900 in Zusammenarbeit mit Siemens die Wagen für die Mannheimer "Elektrische" (1900). Nachdem BBC ab 1904 bereits entscheidende Erfolge im Turbinenbau erzielt hatte, gelang es dem bei BBC tätigen Elektroingenieur Ludwig Roebel, 1912 den nach ihm benannten Wicklungsstab ("Roebelstab") zu entwickeln, der den Bau von Generatoren und großen Elektromotoren revolutionierte. Auf der Basis dieser technischen Fortschritte lieferte BBC 1914 für das Kraftwerk Elverlingsen die größte Turbine der Welt mit einer Generatorleistung von 20.000 kW.

Weltweit bekannt für ihren Turbinenbau war auch die Firma Voith in Heidenheim. So erhielt Voith Siemens Hydro 1903 den Auftrag, für das Niagara-Kraftwerk in Hamilton/Kanada zwölf je 12.000 PS leistende Francis-Zwillingsturbinen für die Stromerzeugung zu liefern.

Ein Indiz für die Elektrifizierung des deutschen Südwestens: elektrische Handbohrmaschine von C. & E. Fein/Stuttgart, 1895

Ein Indiz für die Elektrifizierung des deutschen Südwestens: elektrische Handbohrmaschine von C. & E. Fein/Stuttgart, 1895.
© Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheim

Absolut bahnbrechend wirkte die südwestdeutsche Industrie gegen Ende des 19. Jahrhunderts durch die von ihr ausgehende Motorisierung des Individualverkehrs. Gottlieb Daimler (1834-1900) und Wilhelm Maybach (1846-1929), die beide zuvor für die Gasmotorenfabrik Deutz gearbeitet hatten, machten in ihrer Cannstatter Versuchswerkstätte den von Nikolaus August Otto entwickelten Gasmotor für die Verwendung von flüssigen Kraftstoffen, insbesondere von Benzin, verwendbar. Im Jahr 1885 patentierte Daimler seinen nur 92 kg schweren, stehenden Einzylinder- Viertaktmotor (600 U/min), die so genannte "Standuhr". Als erster Versuchsträger für diesen Verbrennungsmotor diente Daimler und Maybach 1885 ein so genannter "Reitwagen", ausgerüstet mit zweiseitigen Stützrädern und einem luftgekühlten stehenden Ein-Zylinder-Motor. Damit hatten Daimler und Maybach das erste Fahrzeug mit Benzinmotor bzw. das erste Motorrad konstruiert. 1886 wurden in gleicher Weise eine vierrädrige Kutsche und ein Boot motorisiert, 1887 eine (Schienen-) Draisine und 1888 ein Luftschiff.

Der von Daimler und Maybach 1885 entwickelte

Der von Daimler und Maybach 1885 entwickelte "Reitwagen"
© Daimler Archive & Sammlung

1889 präsentierten Daimler und Maybach auf der Pariser Weltausstellung ihr erstes Komplett-Automobil, den "Stahlradwagen" (ausgestattet mit dem ersten Zahnrad-Wechselgetriebe der Welt) und 1896 den weltweit ersten LKW (2 Zylinder, 5,6 PS, Höchstgeschwindigkeit 12 km/h, Nutzlast 1.250 kg). Vier Jahre später baute die "Daimler-Motoren-Gesellschaft" (DMG) für Emil Jellinek den ersten "Mercedes" (benannt nach Jellineks Tochter mit dem Kosenamen Mercedes). Mit diesem "Mercedes 35 PS" löste sich die Automobilkonstruktion endgültig von der Kutsche. Indizien hierfür waren die gleich großen Räder an Vorder- und Hinterachse, der lange Radstand, der niedrige Schwerpunkt und der Pressstahlrahmen des Mercedes.

Der gebürtige Karlsruher Carl Benz (1844-1929) gründete 1883 in Mannheim die Benz & Cie - Rheinische Gasmotoren-Fabrik. Im Unterschied zu Daimler war es von Anfang an Benz’ Hauptziel, einen Kraftwagen zu schaffen, bei dem Motor, Fahrgestell und Antrieb exakt aufeinander abgestimmt waren. Am 29.1.1886 konnte Benz einen "Motorwagen mit Gasbetrieb durch Petroleum, Benzin, Naphta etc." beim Reichspatentamt als seine Erfindung anmelden Der Benzsche Patent-Motorwagen verfügte über einen Einzylinder-Viertakt-Benzinmotor mit einem Gesamthubraum von 954 ccm, der bei 400 Umdrehungen 0,75 PS entwickelte und das dreirädrige Fahrzeug eine Geschwindigkeit von bis zu 18 km/h verlieh.

Patenschrift für den Motorwagen von Karl Benz, 1886
BILDdateiname: benz.jpg
Bildunterschrift: Patenschrift für den Motorwagen von Karl Benz, 1886
© www.lmz-bw.de

Auf der Weltausstellung von Chicago (1893) stellte Benz das erste Serienmobil der Welt vor, das vierrädrige "Velociped" (1,5 PS, Höchstgeschwindigkeit 20 km/h), von dem zwischen 1894 und 1901 insgesamt 1.200 Stück verkauft wurden. Schon 1911 gelang Benz & Cie dann der erfolgreiche Angriff auf die magische 200 km/h-Grenze. Der "Blitzen-Benz", ein Rennwagen mit 21.504 (!) ccm und 200 PS, erzielte auf dem Ormond-Beach nahe Daytona eine Geschwindigkeit von 228 km/h und war damit schneller als jede Eisenbahn und jedes Flugzeug der damaligen Zeit.

Das schnellste Fahrzeug seiner Zeit: der

Das schnellste Fahrzeug seiner Zeit: der "Blitzen-Benz". Foto aus dem Jahre 1910
© Daimler Archive & Sammlung

NSU (gegr. 1873 in Riedlingen, 1880 Verlegung nach Neckarsulm) produzierte ab 1886 Fahrräder, ab 1901 Motorräder und ab 1906 auch Autos ("Neckarsulmer Motorwagen"). Mit seinen Motorrädern wurde NSU rasch deutscher Marktführer, zumal ein NSU-Motorrad 1909 mit 124 km/h einen Geschwindigkeitsweltrekord aufstellte.

Eine wesentliche Innovationen für die noch junge Kraftfahrzeugindustrie brachte 1897 Robert Boschs (1861-1942) Stuttgarter Werkstätte für Feinmechanik und Elektrotechnik auf den Markt. Bosch gelang es, einen Magnetzündapparat an die hoch drehenden Kraftfahrzeugmotoren zu adaptieren, womit eines der größten Probleme der damaligen Automobiltechnik gelöst war. Mit der Entwicklung von Hochspannungsmagnetzündern für Benzinmotoren und den an die Daimler-Motoren-Gesellschaft gelieferten Zündkerzen (1902) legte Bosch schließlich die Grundlagen für den Aufstieg seiner Firma zum Weltkonzern.

Bereits Daimler hatte 1888 die Gondel eines Gasballons mit einem Benzinmotor ausgestattet und damit ein Luftschiff konstruiert. Das erste starre und lenkbare Luftschiff erbaute zwölf Jahre später Graf Ferdinand von Zeppelin (1838-1917). Zeppelins LZ 1 wurde in einer schwimmenden Montagehalle auf dem Bodensee in der Bucht bei Manzell angefertigt, der Erstflug erfolgte am 2.7.1900. Das mit insgesamt 28,4 PS motorisierte Luftschiff wies ein starres 128 m langes Gerippe aus Leichtmetall, mit der eine Führer-Gondel fest verbunden war, und voneinander unabhängige Gaszellen mit 11.300 m3 Wasserstoff auf.

Erster Aufstieg des LZ 1 am 2. Juli 1900

Erster Aufstieg des LZ 1 am 2. Juli 1900
© www.lmz-bw.de

Bis 1914 ließ Zeppelin (1908 Gründung der Luftschiffbau Zeppelin GmbH und 1909 - unter Beteiligung von Wilhelm Maybach - der Luftfahrzeuge-Motorenbau GmbH in Friedrichshafen) 21 Zeppelin-Luftschiffe bauen. Die solcherart um Friedrichshafen ins Leben gerufene Luftfahrtindustrie bildete wie die Autoindustrie die Anstoß- und Trägerindustrie für weitere Industriewerke, so für die Rheinfeldener Fabrik der Aluminiumindustrie AG Neuhausen (1898), die erstmals in Deutschland größere Mengen Aluminium herstellte, weiter für die Aluminiumwalzwerke Wutöschingen und Singen 1910/1912 und für die Zahnradfabrik Friedrichshafen (1915).

Wie die Zeppelin GmbH stellte zwischen 1909 und 1918 auch Schütte- Lanz in Brühl bei Mannheim Luftschiffe her, allerdings ausschließlich für militärische Zwecke. Das Charakteristikum der insgesamt 22 Schütte-Lanz-Luftschiffe bildete deren Holzgerippe, während bei Zeppelins Luftschiffen stets Aluminium als Material für Ringe und Längsträger verwendet wurde.

Die moderne chemische Großindustrie Südwestdeutschlands entwickelte sich im Mannheimer Raum, der auch in der Folgezeit ihr bevorzugter Standort blieb. Zu nennen sind die Vereinigung Chemischer Fabriken (gegr. 1869; Anilinherstellung), die Chemische Fabrik Rheinau (gegr. 1872; Sodafabrikation), C. F. Boehringer & Söhne (gegr. 1872; Chininherstellung; 1902 erste chemische Coffein-Synthese; 1906 Entwicklung der ersten intravenösen Darreichungsform von Strophanthin) und die 1873 gegründete Rheinische Hartgummifabrik. Die Rheinische Hartgummifabrik wurde zum ersten und bedeutendsten Celluloidhersteller Deutschlands und nannte sich deshalb 1885 in Rheinische Gummi- und Celluloidfabrik um. Weltberühmt wurde die Firma seit 1896 durch die Produktion der bruchfesten, abwaschbaren und farbechten Schildkröt-Puppen, die aus Celluloid im Pressblasverfahren gefertigt wurden.

Zum industriellen Aufschwung Badens und Württemberg trug nicht zuletzt die neuartige Lebensmittelindustrie bei. Die maschinelle Erzeugung von Nudeln erfolgte bei Birkel (gegr. 1896 in Schorndorf; ab 1909 Standort Endersbach) und bei der Ersten Badischen Dampfteigwarenfabrik in Weinheim (gegr. 1884, ab 1900 mit den Markennudeln "3 Glocken"). Instant-Produkte lieferte die Firma C.H. Knorr − Mühlenfabrikate, Landesprodukte, Fabrik von Suppenstoffen, die 1875 die Produktion von Suppenpräparaten aus Hülsenfrüchten, Gemüse und Gewürzen und ab 1889 die der Erbswurst aufnahm. Der Schweizer Michael Johannes Julius Maggi eröffnete 1887 in Singen eine deutsche Maggi-Niederlassung, die ab 1899 Maggis Suppenwürze, dann auch Suppen- und Soßen-Würfel und seit 1908 den legendären Fleischbrühwürfel produzierte.

Das Brauwesen erlebte in den 1880er Jahren durch die Einführung der von Carl von Linde erfundenen Ammoniak-Kompressionskältemaschine und der Dampfbrau-Anlagen ebenfalls eine technische Revolution, die um ein Vielfaches gesteigerte Produktionsraten ermöglichte. Größter Brauereistandort Badens wurde Karlsruhe (Seldeneck, Sinner, Hoepfner, Printz, Schrempp), allerdings machte im Großherzogtum auch die Fürstenberg Brauerei/Donaueschingen von sich reden, da Kaiser Wilhelm II. das von ihr im Jahr 1900 kreierte erste deutsche Pilsener Bier ("Fürstenberg-Bräu") zum "Tafelgetränk seiner Majestät" erhob. In Württemberg bediente sich die Brauerei Dinkelacker/Stuttgart ab 1891 mit der Auslieferung des Biers durch Lkws neuester Technik, während Schwabenbräu/Vaihingen als eine der ersten Brauereien Deutschlands eine automatische Flaschenabfüllanlage in Betrieb nahm (1903).

Weltruhm erlangten schließlich zwei württembergische Firmen, die in völlig verschiedenen Branchen revolutionäre Neuerungen auf den Markt brachten. Die Büroorganisation wurde durch den Stuttgarter Unternehmer Louis Leitz weltweit von Grund auf verändert. Leitz schuf 1893 einen Ordner mit Hebelmechanik, der als "Leitzordner" bis 1911 sein klassisches Aussehen (grau-marmorierter Einband, Schutzecken aus Metall, Kantenschienen und Griffloch auf dem Ordnerrücken) erhielt. Eine ganz wichtige Ergänzung des Leitzschen Organisationssystems stellte ein separater Handlocher, der 1901 konzipierte "Phoenix", dar. Die Württembergische Metallwarenfabrik/Geislingen (WMF, gegr. 1853) wandte seit 1892 ein vollkommen neues Versilberungsverfahren für Bestecke an, bei dem die Silberauflage so umverteilt wurde, dass sie an besonders beanspruchten Stellen doppelt so stark war. Durch diese noch heute zur Anwendung kommende "Perfect-Hartversilberung" wurde WMF zu einer weltbekannten Firma und mit 4.000 Mitarbeitern (1910) zum größten Industrieunternehmen Württembergs.


Weimarer Republik und Zeit des Nationalsozialismus bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs

Nach 1918 setzte sich die Aufwärtsbewegung innerhalb der Führungssektoren der zweiten Industrialisierungsphase in Baden und Württemberg fort, wenn diese sich auch, v. a. in der Inflationszeit und ab 1929, schweren konjunkturellen Turbulenzen ausgesetzt sahen.

Im Bereich der Kfz-Industrie fusionierten 1926 die Daimler-Motoren-Gesellschaft und Benz & Cie. zur Daimler-Benz AG. Technisch neu waren bei Daimler und Benz der Einsatz von Kompressormotoren (ab 1921; Mercedes 6/20 PS und Mercedes 10/35 PS), Großpressen zur Herstellung von Karosserieteilen (seit 1928), die Einführung der Schwingachse (1931) und des Heckmotors (1933) sowie der Einbau von Dieselmotoren in Serien-Pkws (1936; Mercedes-Benz 260 D).

Die "Maybach-Motorenbau GmbH" (bis 1918 Luftfahrzeug-Motorenbau GmbH) konnte aufgrund der Bestimmungen des Versailler Vertrags den Bau von Luftschiff- und Flugzeugmotoren nicht fortsetzen und konzentrierte sich auf den Bau von Luxusautomobilen (1929 12-Zylinder-Wagen Maybach 12; 1930 Maybach "Zeppelin" mit 200 PS und einer Spitzengeschwindigkeit von 170 km/h). Auch baute Maybach mit Erfolg Dieselmotoren für die Reichsbahn. So legte 1933 der "Fliegende Hamburger", angetrieben von zwei 12-Zylinder-Maybach-Dieselmotoren mit je 410 PS die 286 km lange Strecke Berlin-Hamburg in sensationellen 138 Minuten zurück.

Ferdinand Porsche (1875-1951), damals selbstständiger Leiter eines Konstruktionsbüros, entwickelte 1935/36 in der Garage seines Stuttgarter Privathaus die Prototypen des "Volkswagens". Nach deren erfolgreicher Erprobung baute Daimler-Benz in Sindelfingen 30 Vorserienfahrzeuge mit der internen Bezeichnung "VW 30". Der VW 30 verfügte über einen 4-Zylinder-Boxermotor mit 985 ccm, der bei 3.200 U/min eine Leistung von 22 PS entwickelte. In Serie gebaut wurde der Volkswagen bekanntermaßen jedoch erst nach dem Ende des Hitler-Staates.

Vorserienmodell des Volkswagens aus dem Jahr 1938 mit dem charakteristischen

Vorserienmodell des Volkswagens aus dem Jahr 1938 mit dem charakteristischen "Brezelfenster"
© Volkswagen Aktiengesellschaft

Walther Steiger produzierte zwischen 1918 und 1926 in Burgrieden (Landkreis Biberach) Personen- und Sportwagen. Steiger-Fahrzeuge, darunter der ab 1918 produzierte Steiger-Tourenwagen mit 2,6 Liter-OHC-Vierzylindermotor (50 PS), galten als die fortschrittlichsten deutschen Serienwagen ihrer Zeit, und auch im Rennsport erzielte Steiger in den 20er Jahren zahlreiche Erfolge.


Von 1924 bis 1927 wurde in Oberndorf am Neckar das Mauser-Einspur-Auto gebaut, das bei einer Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h nur 4,5 Liter Benzin auf 100 Kilometer verbrauchte. Der unorthodoxe, aber sehr zuverlässige Zweisitzer verfügte über zwei Haupt- und zwei seitliche absenkbare Stützräder, seine beiden Sitze waren hintereinander angeordnet.

Motorräder bauten weiterhin die NSU-Werke, neu hinzukamen als Anbieter auf dem Motorradmarkt der UT-Motorradbau aus Untertürkheim (seit 1922), die Standard-Fahrzeugfabrik GmbH Ludwigsburg (seit 1927) und die Maico-Werke GmbH in Pfäffingen (seit 1934).

Die Firma Mannheimer Lanz wurde mit dem 1921 durch den Ingenieur Fritz Huber (1881-1942) entwickelten 12-PS-HL-Bulldog zum Schrittmacher der Motorisierung der Landwirtschaft. Der Lanz-Bulldog verfügte über einen Glühkopfmotor und konnte mit den verschiedensten Kraftstoffen betrieben werden. Im Übrigen wies er bereits die wesentlichen Konstruktionsmerkmale nachfolgender Typen auf: großer Hubraum (6.200 ccm) bei nur einem Zylinder und niedrige Drehzahl (420 U/min). Eigentlich als fahrbare Kraftquelle für kleine Dreschmaschinen und andere landwirtschaftliche Arbeitsgeräte konzipiert, entwickelte sich der Bulldog bald zu einer zuverlässigen Zugmaschine für die Bodenbearbeitung. 1926 entstand der erste Großbulldog, der HR 2, und 1929 kamen die Kühlerbulldogs HR 5 und HR 6 auf den Markt, deren Kühlwasser wie beim modernen PKW durch die Umgebungsluft gekühlt wurde. 1939 umfasste das Bulldog-Programm sechs Grundtypen mit 15, 20, 25, 35, 45 und 55 PS; insgesamt wurden bis 1942 ca. 100.000 Lanz-Schlepper verkauft.

Gespann-Bulldog der Firma Lanz aus dem Jahr 1921

Gespann-Bulldog der Firma Lanz aus dem Jahr 1921
© Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheim

Neben den Schleppern aus Mannheim war in der südwestdeutschen Landwirtschaft auch ein von der Firma Kramer in Gutmadingen produzierter Kleinschlepper im Einsatz. Das populäre, von seinen Eigentümern liebevoll als "Alles-Schaffer" bezeichnete Fahrzeug wurde von einem 3,5-PS-Zweitakt-Benzinmotor angetrieben und verfügte serienmäßig über ein Seitenmähwerk.

Für die in Friedrichshafen beheimatete Luftschifffahrt begann Ende der 1920er Jahre nochmals eine große Blütezeit. Der LZ 127 "Graf Zeppelin" begeisterte die Welt mit spektakulären Demonstrationsfahrten, einer Weltfahrt (1929), einer Polarfahrt (1931) und einer Ägypten-Palästina-Rundfahrt (1931).

LZ 127

LZ 127 "Graf Zeppelin" beim Wassern auf dem Bodensee (1930)
© www.lmz-bw.de

Ab 1930 wurde ein transatlantischer Liniendienst mit Zeppelinen aufgenommen, in den 1936 auch der neue Zeppelin LZ 129 "Hindenburg" eingebunden wurde. Die "Hindenburg" war zusammen mit ihrem Schwesterschiff das größte je gebaute Luftfahrzeug der Welt (Länge 246,70 Meter, Höhe 44,7 m, Breite einschließlich der Luftschrauben 46,8 m, Dienstgewicht rund 220 t, Ladefähigkeit ca.11 t, Unterbringungsmöglichkeit für 72 Passagiere, Gesamtmotorenleistung
4.200 PS, Marschgeschwindigkeit 125 km/h, Reichweite 16.000 km, Atlantiküberquerung 1936 in 61,5 Stunden). Mit der Explosion von LZ 129 bei der Landung in Lakehurst am 6.5.1937 fand dann freilich die glanzvolle deutsche Luftschifffahrt ein jähes Ende.

Die von Claude Dornier (1884-1969) 1922 gegründete Dornier-Metallbauten GmbH (Standort Seemoos, seit 1923 Manzell) produzierte ab 1922 das "Wal"-Flugboot, einen zweimotorigen Duralumin-Eindecker, der Dornier zu einer international bekannten Firma aufsteigen ließ. Der "Wal" wurde in den 1920er und beginnenden 1930er Jahren in ganz Europa, in Süd- und Mittelamerika sowie in Japan mit eingesetzt, und auch die seit 1934 bestehende erste Luftpostverbindung nach Südamerika ("Lufthansa-Südatlantikdienst") unterhielten "Wal"-Flugboote.

Ein Dornier Do R

Ein Dornier Do R "Superwal" auf dem Bodensee (1926)
© www.lmz-bw.de

Eine weitere technische Glanzleistung der Dornier-Werke stellte die Do X dar. Das Riesenflugzeug (Länge 40,1 m, Spannweite 48 m, 12 Motoren mit je 640 PS, Reisegeschwindigkeit 170 km/h, 2.200 km Reichweite, Aufnahme von bis zu 160 Passagieren) brach 1931 zu einem "Weltflug" auf, der das Flugzeug überall bekannt machte und neue Wege in der Passagierluftfahrt aufzeigte.

Eine Dornier Do X beim Start auf dem Bodensee (1929)

Eine Dornier Do X beim Start auf dem Bodensee (1929)
© www.lmz-bw.de

Leichtflugzeugbau fertigte ab 1926 die Klemm GmbH in Böblingen. Das bekannteste Flugzeug der Klemm-Werke wurde die Klemm Kl 25, von der über 600 Stück hergestellt, darunter auch in Lizenz in Großbritannien und den USA. In die Fluggeschichte ging die Klemm Kl 26 ein, mit der Elly Beinhorn 1931/32 im Alleinflug eine Weltumrundung durchführte.

Die Fluss- und Bodensee-Schifffahrt in Baden und Württemberg erlebte in den Zwanziger- und Dreißigerjahren erhebliche technische Veränderungen. Auf dem Rhein nahm der von den Brüder Jacob und Hermann Hecht geleitete Rhenania-Konzern/Mannheim 1932 den Verkehr mit Motorschiffen auf, die rascher als die bisher übliche Schleppschifffahrt Güter befördern konnten. 1938 fuhren für die (damals bereits "arisierte") Rhenania bereits 30 Gütermotorschiffe mit einer durchschnittlichen Ladefähigkeit von 700 Tonnen.

Der Neckar wurde zwischen 1921 und 1935 von Mannheim bis Heilbronn durch die Anlage von 11 Staustufen als Schifffahrtsweg ausgebaut, was das Ende der Neckar-Kettenschifffahrt bedeutete. In der Nachkriegzeit erfuhr der Ausbau des Neckars mit der Anlage von insgesamt 27 Staustufen und 24 Kraftwerken seine Fortsetzung, wodurch Stuttgart (1958) und Plochingen (1968) zu Hafenstädten wurden.

Auf dem Bodensee erschienen ab 1925 die ersten größeren deutschen Motorschiffe, doch es sollte noch bis 1963 dauern, bis mit der "Stadt Überlingen" das letzte deutsche Dampfschiff auf dem Bodensee seinen Dienst einstellte.

Eine staatseigene Elektrizitätsversorgung und -verteilung baute Baden ab 1921 mit der Badischen Elektrizitätsversorgung AG (ab 1938 Badenwerk) auf. Zusätzlicher Strom wurde nicht nur durch den Bau weiterer Rheinkraftwerke gewonnen (s. o.), sondern auch durch den Ausbau des während des Ersten Weltkriegs errichteten Murgkraftwerks und des Schwarzenbachwerks (1922-26) sowie den Bau des Großkraftwerks Mannheim (1921-1923) und des Schluchseewerks (ab 1928).

In Württemberg hingegen entstand eine recht zersplitterte Elektrizitätslandschaft (mit allerdings drei Großwerken: Technische Werke Stuttgart, Neckarwerke AG Esslingen und Oberschwäbische Elektrizitätswerke Biberach); die noch 1935 nur 44% der in Baden zur Verfügung stehenden elektrischen Energie hervorbrachte.

Bau der Schluchsee-Staumauer (1930)

Bau der Schluchsee-Staumauer (1930)
© www.lmz-bw.de

Zeichen einer neuen Zeit war neben der zunehmenden Elektrifizierung auch das Aufkommen des Rundfunks. 1924 wurde in Stuttgart die Süddeutsche Rundfunk AG gegründet, die ihr Programm mittels eines MW-Rundfunksenders mit 0,25 kW Leistung ausstrahlte. 1926 erfolgte in Baden die Inbetriebnahme des Zwischensenders Freiburg. Radios produzierte seit 1924 die Württembergische Radio GmbH (WEGA), seit 1927 Saba in Villingen und seit 1934 Schaub in Pforzheim.

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