Technikgeschichte Baden-Württemberg
Landesgeschichtliche Einordnung
Autor: Dr. Rainer Hennl (Arbeitskreis RP Karlsruhe)
Gliederung:
Begriffsdefinition/Vorbemerkung
Römerzeit
Früh-, Hoch- und Spätmittelalter
Frühe Neuzeit
Frühindustrialisierung/Hochindustrialisierung (1. Phase)
Die zweite industrielle Revolution
Weimarer Republik/Nationalsozialismus
Wiederaufbau/Wirtschaftswunder
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Frühindustrialisierung, Durchbruch der Industriellen Revolution und erste Phase der Hochindustrialisierung
Der wissenschaftlichen Durchdringung aller Zweige der Technik und dem Transfer technischen Wissens sollten die technischen Hochschulen dienen, die in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts in Baden und Württemberg entstanden. In Karlsruhe wurde nach dem Vorbild der Pariser �cole Polytechnique 1825 das Polytechnikum gegründet und damit die erste technische Hochschule Deutschlands überhaupt. Württemberg zog 1829 mit der Eröffnung einer vergleichbaren Einrichtung, der Vereinigten Real- und Gewerbeschule in Stuttgart, nach. Exemplarisch kann auf das Wirken Ferdinand Redtenbachers (1809-1863), seit 1843 Lehrstuhlinhaber für Mechanik und Maschinenlehre am Karlsruher Polytechnikum, verwiesen werden. Redtenbacher gewann durch seine Lehrtätigkeit geradezu eine Schlüsselfunktion bei der wissenschaftlichen Grundlegung des Maschinenbaus und bildete z.B. auch Carl Benz aus.
Bemerkenswerterweise legte Baden zu dieser Zeit nicht nur Wert auf die Ausbildung einer technischen Elite, sondern auch auf eine theoretische Unterweisung der Handwerkerschaft während der Ausbildungsphase. Zu diesem Zweck wurden bereits 1834 in kommunaler Trägerschaft Gewerbeschulen mit Besuchspflicht für Lehrlinge eingerichtet - eine Pionierleistung auf dem Feld des Berufsschulwesens.
Ebenso wie der Ausbau des technischen Bildungswesens ist auch die Rektifikation des Oberrheins, geplant vom badischen Oberlandesingenieurs Johann Gottfried Tulla (1770-1828), der Vorbereitungsphase der Industriellen Revolution zuzurechnen. Ziel des wohl bedeutendsten Landesmeliorations- und Wirtschaftsprogramms in der deutschen Geschichte war es, den Rhein in ein 200-250 Meter breites, möglichst geradliniges und gesichertes Bett zu verlagern, wodurch in erster Linie Boden melioriert, Kulturland gewonnen und Krankheiten wie Malaria, Ruhr und Typhus bekämpft werden sollten. Das gewaltige Unternehmen verwirklichte Baden in Kooperation mit den linksrheinischen Nachbarstaaten, ab 1817 (sechs Durchstiche im Gebiet nördlich von Karlsruhe) im badisch-bayerischen, ab 1840 im badisch-französischen Flussabschnitt. Technisch wurden die Rodungs-, Erd-, Ufersicherungs- und Deicharbeiten noch weitgehend von Hand ausgeführt, z. B. waren bei Karlsruhe-Eggenstein 1817/18 täglich 3.000 Arbeiter im Einsatz. 1876 (Abschluss der Oberrheinkorrektion bei Istein) verlief der Rhein schließlich in der zwischen den Anrainerstaaten vereinbarten Strombahn. Die Rheinbegradigung, die die Strecke zwischen Basel und Worms von 353 auf 272 Flusskilometer verkürzte, erwies sich über ihren ursprünglichen Zweck hinaus als unerlässliche Voraussetzung für die Erweiterung der Großschifffahrt. Die Schiffbarkeit des Oberrheins zwischen Mannheim und Straßburg für die Großschifffahrt wurde schließlich durch die Niederwasserregulierung (1907-1913) nach Plänen von Max Honsell sichergestellt Weiter ermöglichte die Neuordnung der Flussverläufe von Rhein und Neckar in Mannheim die Anlage des Städtischen Industriehafens (1897-1907), für den eine abgeschnittene Altrheinschlinge genutzt wurde.
Zeitgleich mit dem Beginn der Rheinbegradigung schuf Karl Friedrich Freiherr Drais von Sauerbronn (1785-1851) eine Schlüsselinnovation auf dem Weg zur individuellen Mobilität - die "Draisine", den gemeinsamen Vorläufer des Fahrrads, des Motorrads und des Autos. In einer Zeit extrem hoher Getreidepreise (europaweite Missernten nach Ausbruchs des Vulkans Tambora 1815) und damit auch extrem hoher Pferdehaltungskosten konzipierte der badische Forstmeister nach Experimenten mit vierrädrigen Fahrzeugen 1817 eine hölzerne Laufmaschine mit Lenkstange, gefedertem Sitz , dosierbarer Klotzbremse, Ständer und einem Gewicht von ca. 20 kg. Drais wurde für seine Erfindung von Großherzog Karl 1818 zum Professor für Mechanik ernannt und seine Erfindung fand entgegen der älteren Forschungsmeinung recht weite Verbreitung, nicht zuletzt in Großbritannien (1819 Draisinen-Rennen in Ipswich) und den USA.
An der Frühphase der Industrialisierung in Deutschland war der Südwesten bekanntermaßen "mehr reagierend als agierend beteiligt" (Setzler, S. 16) und fand - insbesondere Württemberg - nur verspätet Anschluss an die allgemeine technische Entwicklung: "Wir sind" - konstatierte der Nationalökonom Moritz Mohl 1828 - "in den wichtigsten Partien der industriellen Mechanik um 20 bis 30 Jahre zurück …"
Als Leitsektor der Industrialisierung wirkte in Baden und noch mehr in Württemberg zunächst die Textilindustrie, in der 1850 mehr als die Hälfte der Arbeiter Badens und Württembergs beschäftigt war. Zum zweiten Vorreiter der Industrialisierung Südwestdeutschlands wurde die Papiererzeugung, während das Eisenbahnwesen seine wirtschaftlich-technischen Rückwärts- und Vorwärtskoppelungseffekte erst ab 1840/1846 zur Entfaltung brachte. Auffällig ist auch, dass noch bis zum Ende des 19. Jahrhunderts sowohl in Baden als auch in Württemberg in Abweichung vom Reichsdurchschnitt mehr Wasser- als Dampfkraft eingesetzt wurde. 1861 gewann z. B. Württemberg insgesamt 37.443 PS Antriebsenergie aus Wasserkraft und nur 2.654 PS aus insgesamt 236 Dampfmaschinen.
Im Bereich der Textilwirtschaft fand seit Beginn des 19. Jahrhunderts die maschinelle Produktion Eingang. Technischen Neuerungen aufgeschlossen war vor allem das Baumwollgewerbe, das der traditionellen Leinenweberei zunehmend den Rang ablief. 1809 nahm unter der Regie des Schweizers Johann Georg Bodmer die erste mechanische Baumwollspinnerei Badens im säkularisierten Kloster St. Blasien den Betrieb auf, der dort eingesetzte Spinnmaschinen-Typ stellte eine Kopie einer verbesserten Version der englischen Mule-Jenny dar. 1810 wurde durch Carl Bockshammer die erste wassergetriebene mechanische Baumwollspinnerei Württembergs in Stuttgart-Berg gegründet. Die dort genutzte Spinnmaschine war entgegen strengen Ausfuhrverboten und an der französischen Kontinentalsperre vorbei aus England eingeschmuggelt worden. 1812/13 erbaute auch Karl Ludwig von
Hartmann (1766-1852) eine mit Wasserkraft angetriebene Maschinenspinnerei in Heidenheim, 1829/30 eine zweite Spinnerei im säkularisierten Kloster Herbrechtingen. Beide Spinnereien zusammen betrieben 1844 insgesamt bereits 6.000 Spindeln. Mit einer Verzögerung einem Jahrzehnt ergriff die Mechanisierung dann auch die Baumwollweberei. Wieder in Heidenheim gründete der Kaufmann Gottlieb Meerbold (1796-1871) 1822 eine mechanische Kattunweberei, in der 120 im Hüttenwerk Wasseralfingen nach englischem Vorbild gebaute Webstühle Aufstellung fanden. Als Energie nutzte die Heidenheimer Weberei Wasserkraft, doch setzte Meerbold ab 1838 für seine 1834 gegründete Kattundruckerei bereits zwei Dampfmaschinen ein.
1835 gründete der Baseler Unternehmer Wilhelm Geigy-Lichtenhahn in Steinen im badischen Wiesental eine Textilfabrik mit 7.392 Spindeln und 40 mechanischen Webstühlen, ein weiteres Unternehmen entstand 1835 in Hagen. Ganz neue Maßstäbe setzte dann Franz Anton Buhl 1836 mit der Spinnerei und Weberei Ettlingen. Bei dieser Aktiengesellschaft handelte es sich bereits um ein vertikales Großunternehmen, in dem 1844 1.150 Arbeiter und Arbeiterinnen an 26.000 Spindeln und knapp 800 Webstühlen arbeiteten.
Spinnerei und Weberei Ettlingen; Stich aus dem Jahr 1838
© www.lmz-bw.de
Im Gegensatz zu manch anderem Traditionsbetrieb verpasste auch der auf das Jahr 1760 zurückgehende Baumwollverarbeiter Kolb und Schüle in Kirchheim/Teck den Anschluss an die neue Zeit nicht, sondern erweiterte seine Produktion durch technische Neuerung (Modernisierung der Webstühle in den 1830er Jahren, Einsatz von Dampfmaschinen ab 1848, Einsatz des mittels Lochstreifen "programmierbaren" Jacquard-Webstuhls zur Herstellung gemusterter Stoffe) und stieg zum Großbetrieb mit 750 Arbeitern (1852) auf. Stets auf dem neuesten Stand der Technik war auch die 1856 als Aktiengesellschaften gegründeten Firmen Württembergische Cattun-Manufaktur/Heidenheim (Hauptaktionäre Robert Meebold und Hermann Rothschild) und die Baumwollspinnerei und -weberei Esslingen, die mit 22.000 Spindeln und 450 Webstühlen das größte württembergische Unternehmen seiner Branche darstellte.
Jacquard-Webstuhl.
© Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheim
Nach der Reichsgründung wurde die Stuttgarter Firma Bleyle, die 1889 von Wilhelm Bleyle (1850-1915) gegründet worden war, zum größten Strickwarenhersteller Europas. Im Unterschied zu anderen Strickwarenherstellern ließ Bleyle die Kleidungsstücke nicht am Stück stricken, sondern mittels Strickmaschinen große Bahnen vorproduzieren, aus denen anschließend die benötigten Teile zugeschnitten und zusammengenäht wurden. Wohl das bekannteste Produkt des Unternehmens waren gestrickte Matrosenanzüge für Knaben, die im Zeitalter der Flottenbegeisterung auf große Nachfrage stießen.
"Werbeschild für "Bleyles Knabenanzüge" (um 1910)
© Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheim
Neue Akzente in der Textilindustrie konnte auch die Firma Schiesser/Radolfzell (gegr. 1876) setzen. Aufbauend auf eine Reihe von Patenten auf Materialien und Herstellungsverfahren entwickelte sich Schiesser nach seiner Gründung rasch zum Marktführer für Tages- und Nachtwäsche für Männer, Frauen und Kinder. Die Firma produzierte seit Ende des Jahrhunderts mit mehr als 120 elektrischen Rundstühlen und 700 Nähmaschinen. Auf der Pariser Weltausstellung 1901 erhielt Schiesser den "Grand Prix" für mehrere Patente, unter anderem für eine "Abhärtungswäsche" aus Leinen.
Als Beispiel für den Bau moderner Textilmaschinen können Stücklen & Terrot (gegr. 1862) in Cannstatt (Herstellung von Rundwirkmaschinen, den so genannten "Französischen Rundstühlen") sowie die auf das Jahr 1860 zurückgehende Nähmaschinenfabrik Haid & Neu in Karlsruhe gelten.
Im Bereich der Papierproduktion vollzog sich der Übergang zu industriellen Fertigungsmethoden wesentlich rascher als in der Textilindustrie. Zunächst wurde die Handpapierherstellung, die auf dem technischen Prinzip des Schöpfens basierte, aufgegeben. Stattdessen kamen Langsiebpapiermaschinen zum Einsatz, bei denen der Halbstoff kontinuierlich auf ein über Walzen laufendes Sieb gegossen wurde. Die frühesten Beispiele für die Aufstellung dieser sehr effizienten Endlospapiermaschinen bieten die Rauchsche Papierfabrik Heilbronn, in der seit 1824 eine Papiermaschine der Firma Bryan Donkin & Co./Bermondsey im Einsatz war, die Buhlsche Papiermühle Ettlingen mit einer Papiermaschine der Firma Risler frères & Dixon/Cernay (1828), die Papierfabrik Gustav Schaeuffelen in Heilbronn (1829) sowie Rau & Voelter in Heidenheim (1831). Bei den Papiermaschinen der beiden letztgenannten Firmen handelte es sich nicht mehr um ausländische Produkte, sondern bereits um deutsche Papiermaschinen, die von dem aus Heilbronn stammenden Mechaniker und Maschinenbauer Johann Jakob Widmann bzw. von Widmann und dem Heidenheimer Johann Matthäus Voith konstruiert worden waren.
Modell einer deutschen Langsiebpapiermaschine aus den1840er Jahren
© Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheim
Die schmale Rohstoffbasis der Papierfabrikation (Hadern) stellte der Heidenheimer Papierfabrikant Heinrich Voelter noch vor der Jahrhundertmitte auf eine breite Grundlage. Er entwickelte das von dem sächsischen Weber Friedrich Gottlob Keller erfundene Holzschliffverfahren (Verfahren, Holz unter reichlicher Wasserzugabe durch einen Schleifstein zu zerfasern und den Faserbrei als Hadern-Ersatzstoff zu nutzen) weiter, wofür ihm 1847 auf der Münchner Industrieausstellung die große Gedenkmünze und im selben Jahr durch König Wilhelm I. von Württemberg die Medaille für Kunst und Wissenschaft zugesprochen wurde. In der Folgezeit gelang es Voelter in Zusammenarbeit mit dem Mechaniker Johann Matthäus Voith industrietaugliche Maschinen zur Herstellung von Holzschliff zu konstruieren. Eine weitere Verfahrensverbesserung erbrachte die durch Voith und Voelter gemachte Erfindung des Raffineurs (1859), mit dessen Hilfe sich der Holz-Grobstoff weiter verfeinern ließ.
Schleifmaschine von Voelter/Heidenheim um 1870
© Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheim
In den 1870er Jahren hatte sich Holz schließlich als Hauptrohstoff für die Papierherstellung durchgesetzt. Allein in Baden entstanden demzufolge zwischen 1879 und 1886 acht Zellulosefabriken, unter denen die 1884 gegründete Zellstoff-Fabrik Waldhof die größte Europas werden sollte.
Dem Eisenbahnbau verhalf in Baden der Staatsrat Karl Friedrich Nebenius zum Durchbruch, denn erst auf Empfehlung Nebenius’ beschloss der badische Landtag im März 1838 den Aufbau eines badischen Eisenbahnnetzes. Als erster Abschnitt der Hauptbahn wurde am 12.9.1840 die Strecke Mannheim-Heidelberg in Betrieb genommen, von Heidelberg aus wurde 1843 Karlsruhe, 1844 Offenburg und 1845 Freiburg erreicht. Nachdem 1848 das einzige größere natürliche Hindernis in der Oberrheinebene, der Isteiner Klotz nördlich von Efringen-Kirchen, durch zwei Tunnels und eine kurvenreiche Trassenführung überwunden worden war, kam die badische Hauptbahn 1855 in Basel und 1863 in Konstanz an.
Ein Zug Richtung Norden auf der Bahntrasse beim Isteiner Klotz; GLA G Technische Pläne II Eisenbahnen 3 Nr. 49 (4)
© Generallandesarchiv Karlsruhe
Zur besseren Koordination des im Aufbau begriffenen Eisenbahnwesens konstruierte der Karlsruher Physiker Wilhelm Eisenlohr einen Nachbau des Wheatstoneschen Telegraphen, der erstmals 1847 auf der Strecke Karlsruhe-Durlach zum Einsatz kam und sich glänzend bewährte. Zuständig für das Hochbauwesen der badischen Eisenbahn wurde der Weinbrenner-Schüler Friedrich Eisenlohr, der unter anderem die ersten Bahnhöfe von Heidelberg, Mannheim, Bruchsal, Karlsruhe, Baden-Baden und Freiburg erbaute.
In Württemberg hatte die Regierung 1836 durch Oberbaurat von Bühler und Generalmajor von Seeger Pläne für ein württembergisches Hauptbahnennetz, das Stuttgart/Cannstatt mit Heilbronn, der westlichen Landesgrenze, Ulm und Friedrichshafen verbinden sollte. Doch erst 1844 wurde mit dem Bau der Zentralbahn begonnen, deren erste Teilstrecke (Cannstatt-Untertürkheim) am 22.10.1845 eröffnet wurde. Schwierig gestaltete sich beim Bau der Zentralbahn die Verbindung zwischen Stuttgart und Cannstatt, für die in zweijähriger Arbeit (1844/46) zunächst unter der Mittelachse des Schlosses Rosenstein der erste Eisenbahntunnel Württembergs angelegt und anschließend der Neckar mittels der 200 Meter langen Rosensteinbrücke überspannt werden musste. Zeitgenossen galt das Ensemble von Tunnel und Brücke schlichtweg als technisches Wunderwerk.
Schloss Rosenstein mit der Neckarbrücke und Tunnelmündung; Lithografie aus dem Jahre 1850
© www.lmz-bw.de
Zu Wasser begann das Dampfzeitalter auf dem Gebiet des heutigen Baden-Württemberg im Jahr 1818 und auf dem Bodensee. Eigner des ersten Dampfschiffes war der Konstanzer Spinnereibesitzer Johann Caspar Bodmer. Freilich fiel sein Schiff, die "Stephanie", schon auf der Jungfernfahrt nach Meersburg mit Maschinenschaden aus und galt im Volksmund fortan als "Steh-Fahr-nie". Das Zeitalter der Dampfschifffahrt auf dem Bodensee begann damit recht eigentlich erst 1824, als das auf Anregung des Tübinger Verlegers Johann Friedrich v. Cotta vom württembergische Staat 1823/24 erbaute Dampfboot "Wilhelm" den regelmäßigen Fahrbetrieb zwischen Friedrichshafen und Rorschach übernahm. Das noch aus Eichenholz gefertigte Schiff wies eine Länge von 30,6 Metern auf und hatte eine Wasserverdrängung von 90 Tonnen.
Dampfschiff "Wilhelm" vor Friedrichshafen am Bodensee; Lithographie aus dem Jahr 1825
© www.lmz-bw.de
Das erste eiserne Dampfschiff auf dem Bodensee ging 1837 auf Jungfernfahrt und wurde im Auftrag der Dampfboot AG Lindau auf der Verbindung Lindau-Rorschach-Konstanz eingesetzt.
Auf den großen, schwer zu befahrenden Flüssen Badens und Württembergs setzte die Dampfschifffahrt später als auf dem Bodensee ein. Seit 1831/33 verkehrten regelmäßig Dampfschiffe zwischen dem badischen Schröck (ab 1833: Leopoldshafen) und Mainz bzw. Köln, und 1842 wurde in Mannheim die erste Dampfschleppgesellschaft gegründet. Auf dem Neckar zeigten sich die ersten Dampfschiffe nicht vor 1841, zudem wurde auf dem Fluss die Dampfschifffahrt erst seit 1878 - mit dem Einsetzen der Kettenschifffahrt - konkurrenzfähig. Zwischen Mannheim und Heilbronn wurde eine 115 km lange Kette im Fluss verlegt, an der sich die Dampfkettenschlepper (sog. "Neckaresel") mit angehängten Kähnen flussaufwärts zogen. Eine Dampfmaschine hob hierbei die Kette aus dem Wasser und diese lief über das Deck des Dampfers, um dann am Heck wieder im Strom zu versinken.
Modell eines Neckarkettenschleppers
© Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheim
Die ersten badischen und württembergischen Lokomotiven waren noch aus England bzw. den USA importiert worden. Doch schon 1841 baute die in Karlsruhe angesiedelte Maschinenfabrik Emil Kessler die erste süddeutsche Lokomotive (die "Badenia"), was als wirkliche Geburtsstunde des Maschinenbaus im Südwesten gelten kann. Kesslers Karlsruher Maschinenfabrik verfügte über eine eigene Gießerei, arbeitete mit Dampfmaschinen und hatte bis 1847 schon die stolze Zahl von 108 Lokomotiven produziert. 1846 gründete Kessler auf Einladung und mit bedeutsamer Unterstützung des Königreichs Württemberg auch in Esslingen eine Lokomotiv- und Wagonfabrik. Die Maschinenfabrik Esslingen (ME) spielte eine herausragende Rolle bei der Industrialisierung Württembergs und stellte bis zum Tode Kesslers im Jahr 1865 insgesamt 800 Lokomotiven her, darunter auch die im Ausland begehrten Alb-Loks, die eigens zur Überwindung der Geislinger Steige konzipiert worden waren. Für heutige Schülerinnen und Schüler ist mit der zwischen den Haltestellen Südheimer Platz (Talstation) und Waldfriedhof verkehrenden Standseilbahn Stuttgart (gebaut 1928/29) noch heute ein Produkt der ME "erfahrbar".
Lokomotive "Kopernicus" der ME aus dem Jahr 1850
© www.lmz-bw.de
Die von Kessler gegründeten Maschinenfabriken waren die mit Abstand bedeutendsten Maschinen bauenden und Metall verarbeitenden Unternehmen in Baden und Württemberg. Zu erwähnen wären aber noch einige weitere Betriebe, die den seit der Mitte des 19. Jahrhunderts ständig wachsenden Bedarf an Kraft- und Arbeitsmaschinen zu decken versuchten. Der bedeutendste Dampfmaschinenhersteller in Baden und Württemberg wurde die Firma Gotthilf Kuhn, Maschinen- und Kesselfabrik, Eisen- & Gelbgießerei, in Stuttgart/Berg. Seine Blütezeit erlebte das 1852 gegründete Werk nach der Reichsgründung, bis 1894 hatte Kuhn insgesamt um die 2.350 Dampfmaschinen und 2.150 Dampfkessel hergestellt, darunter auch höchst innovative Dampfbrauerei-Anlagen. In Mannheim produzierte Heinrich Lanz (1838-1905) für die Landwirtschaft ab 1879 Dampfdreschmaschinen und Lokomobile (bis 1907 insgesamt 20.000). Hierdurch stieg Lanz bis zum Ende des 19. Jahrhunderts zum bedeutendsten Landmaschinenhersteller Europas auf, der auch auf den Weltausstellungen in Paris (1900) und Brüssel (1910) durch Lokomobile mit bisher unerreichten Leistungen (460 bzw. 1.000 PS) großes Aufsehen erregte.
Lokomobile und Dreschmaschine im Einsatz. Werbeplakat von Heinrich Lanz/Mannheim aus dem Jahr 1910.
© Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheim
Friedrich Voith (1840-1913) baute in seiner Heidenheimer Maschinenfabrik 1873 die erste brauchbare Francisturbine, seit 1881 aber auch komplette Papiermaschinen und erwarb sich bald als Hersteller von Turbinen und Papiermaschinen einen gleichermaßen hervorragenden Ruf. Weitere Maschinenfabriken mit klangvollen Namen entwickelten sich aus kleinen handwerklich-mechanischen Werkstätten, die im Umkreis von Betrieben mit Maschineneinsatz entstanden waren: so etwa Boehringer in Göppingen (gegr. 1844) oder Vögele in Mannheim (gegr. 1836).
Zukunftsträchtige Betriebe bildeten sich weiter im Bereich der Fabrikation von Metallkurzwaren heraus. Zu nennen ist vor allem die 1819 gegründete Fabrik von Carl Deffner in Esslingen, die in Deutschland moderne Verfahren der Oberflächenveredelung von Metallen und der Verformung von Blechen (Walzen, Drücken, Ziehen) einführte und sich bis zur Jahrhundertmitte zu einem Großbetrieb entwickelte, der seine Qualitätsprodukte zu über 42% ins Ausland verkaufte.
Württemberg wurde aber auch zu einem wichtigen Spielzeugproduzenten, v. a. zur Heimat des Blechspielzeugs. Zu einem der bedeutendsten Blechspielzeughersteller des 19. Jahrhunderts überhaupt wuchs die Kinderspielwarenfabrik Rock & Graner in Biberach heran ("Biberacher Blechspielzeug"), deren Waren 1851 auf der Londoner Weltausstellung Begeisterung hervorriefen. 1891 produzierten die Gebrüder Märklin für die Leipziger Frühjahrsmesse erstmals eine Uhrwerkbahn mit Schienenanlage in Form einer Acht, womit der Grundstein für den Welterfolg der Märklin-Eisenbahnen gelegt war. Die Firma Margareta Steiff in Giengen an der Brenz machte erstmals 1879 durch einen Filz-Spielzeugelefanten auf sich aufmerksam, da sich dieses Spielzeugtier als viel strapazierfähig und weicher als vergleichbare Produkte anderer Hersteller erwies. 1902 entwickelte Steiffs "Filz-Spielwarenfabrik" dann das zukünftige Top-Produkt des Unternehmens, den Teddybären 55 PB. Nach anfänglichen Misserfolgen wurden 1903 auf der Leipziger Spielwarenmesse 3.000 Exemplare dieser Bären verkauft und 1907 wurden schon knapp eine Million Bären für das In- und Ausland gefertigt. Produktionsstätte der Teddybären war bemerkenswerterweise seit 1903 ein hochmodernes Fabrikgebäude in revolutionär wirkender Glasbauweise, das den Beschäftigten sehr gute Arbeitsbedingungen bot.
- Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte RP Karlsruhe -
Herausgeber: Landesbildungsserver Baden-Württemberg
Quelle: https://www.schule-bw.de
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