Hintergrundinformationen
Bedeutung
Der wunderschöne Bodensee ist im Laufe der Zeit vom Menschen massiv verändert worden – mit schlimmen Folgen für einzelne Fischarten. © Carsten Arbeiter
Umweltgeschichte beschäftigt sich mit den Wechselbeziehungen zwischen Menschen und dem Rest der Natur in der Vergangenheit (nach Beinart, Coates, 1995). Diese Wechselbeziehungen sollen am Beispiel der Fische und Fischer des Bodensees aufgezeigt werden. Der Ansatz ist fächerverbindend und umfasst Inhalte aus den Fächern Geschichte, Geographie und Biologie.
Der Bodensee ist alles andere als unberührte Natur. Seit Jahrtausenden stellt der Mensch den Fischen des Sees nach, vor allem im letzten Jahrhundert hat er zudem massiv in seine Ökologie eingegriffen. Aus einer Natur- ist eine Kulturlandschaft geworden, die von menschlichen Interessen geprägt und geformt ist. Dabei haben sich Fischbestände, Fischerei und Umweltbedingungen stark gewandelt. Diese Veränderungen werden an konkreten Beispielen aufgezeigt. Thema ist auch, wie der Mensch auf die tiefgreifenden Folgen seines Tuns reagiert und wie sich sein Leben und Denken geändert, inwiefern er aus seinen Fehlern gelernt hat.
Die Module für SEK 1 und 2 umfassen vier Themen, die exemplarisch und anschaulich Einblicke in die komplexe Umwelt- und Fischereigeschichte des Bodensees geben sollen. Die Themen können einzeln oder zusammen unterrichtet werden.
Thema 1 – Das Seeforellen-Drama – beleuchtet die Geschichte einer seltenen Fischart, die aufgrund massiver menschlicher Eingriffe in die Ökologie des Bodensees im späten 19. und 20. Jahrhundert fast ausgestorben wäre. Buchstäblich in letzter Minute konnte die Seeforelle durch ein beispielhaftes Rettungsprogramm vor dem Verschwinden bewahrt werden, wobei die Zukunft des `Bodenseelachses´ weiterhin offen bleibt.
Thema 2 – Fische, Phosphate & Phytoplankton – beschäftigt sich mit den Auswirkungen von Gewässerverschmutzung auf die Ökologie des Bodensees. Dabei werden die Auswirkungen der Eutrophierung des Sees in den 1960er bis 1990er Jahren auf die Bestandsentwicklung der Fische und die Folgen für die Fischerei thematisiert.
Thema 3 – Die Fischer vom Bodensee – beschäftigt sich mit den Fischern des Bodensees. Wer waren sie? Wie lebten, wie arbeiteten sie? Stimmt das Bild vom romantischen Fischerleben? Und wie haben die Fischer auf die Entwicklung der Fischereitechnik und die verschlechterten Umweltbedingungen am See reagiert? Vor allem am Beispiel der Autobiografie des Uhldinger Bodensee-Fischers Josef Sulger (1888 – 1961) sollen diese Fragen beantwortet und mit der aktuellen Situation verglichen werden.
Thema 4 – Fischfang, Fischereitechnik & Fischereirecht – zeigt, wie es durch internationale Kooperation und Kompromissbereitschaft 1893 gelang, von massiver Überfischung und nationaler Konkurrenz hin zu einer nachhaltigen, Ressourcen schonenden Bewirtschaftung zu kommen, die für die Bewirtschaftung der Weltmeere Vorbildcharakter haben könnte. Auch wird hier die Entwicklung der Fischereitechnik am Bodensee behandelt.
Das Modul für die Grundschule umfasst folgende Themen:
1. Felchen, Kretzer & Co: Wie und wo die Bodenseefische leben
2. Fischbabys aus dem Glas: Wie man Fische künstlich erbrüten kann
3. Schwebsatz & Spannsatz: Wie die Bodenseefischer Fische fangen
Die Schüler können einige Fischarten des Bodensees und ihre Lebensweise kennenlernen. Auch erfahren sie, wie Fische künstlich erbrütet werden und wie Fischer früher und heute Fische fingen.
Geschichte
Fische und Fischer des Bodensees
Thema 1: Das Bodenseeforellen-Drama
Optisch kaum vom Lachs zu unterscheiden: die Bodenseeforelle © Carsten Arbeiter
Die Bodenseeforelle gehört zur Familie der Lachse und ist im Bodensee seit seiner Entstehung während der letzten Eiszeit vor etwa 120.000 Jahren heimisch. Aufgrund ihrer komplexen Lebensweise stellt die Seeforelle hohe Anforderungen an die Umwelt und reagiert empfindlich auf Beeinträchtigungen. Während ausgewachsene Seeforellen im Freiwasser des Bodensees leben, steigen sie zur Fortpflanzung in einige Zuflüsse des Bodensees auf, da sie nur dort geeignete Laichbedingungen vorfinden. Nach dem Schlüpfen verbleiben die jungen Seeforellen mindestens ein Jahr im Laichgewässer, bevor ein Teil von ihnen in den nahrungsreichen Bodensee abwandert. Seit den späten 1950er Jahren nahmen die Seeforellenbestände drastisch ab. Ein Tiefpunkt war im Jahr 1985 erreicht, in dem Berufsfischer nur noch 1,5t Seeforellen fingen. Zwischen 1910 und 1950 lag der durchschnittliche Ertrag bei etwa 11t/a.
Seeforellenfänge der Berufsfischer 1910-2008 © Rule 2005
Ursachen für den Bestandsrückgang waren vor allem Gewässerverbauung und Lebensraumdegradierung. Durch die Begradigung des Alpenrheins in den 1920er Jahren und die Kiesbaggerungen in seinem Flussbett in den 1950ern gingen wertvolle Laichareale verloren. Der Bau des Wasserkraftwerkes Reichenau 1959-62 schnitt die Seeforelle von den letzten intakten Laichgebieten im Vorderrhein ab.
Auch ist aus dem Alpenrhein, der früher selbst produktives Laichgewässer war, durch die Regulierung eine monotone Wasserautobahn geworden, die Laichfischen kaum noch Laichareale und Jungfischen praktisch keinen Schutz mehr bieten kann. Hinzu kommt der Schwall- und Sunkbetrieb der Speicherkraftwerke an Vorder- und Hinterrhein, der den Wasserstand täglich mehrfach verändert. Im See selbst sorgte die seit den 1960er Jahren intensivierte Fischerei zu einem zusätzlichen Druck auf die Forellenbestände. So bleibt bis heute ein Großteil der Forellen vor der Geschlechtsreife in den feinmaschigen Felchennetzen hängen.
Bis in die 1980er Jahre versuchte die Internationale Bevollmächtigtenkonferenz für die Bodenseefischerei (IBKF), die schwindenden Bestände durch Besatz von jungen Seeforellen aus anderen Alpenseen und von Regenbogenforellen zu kompensieren. Stillschweigend ging man davon aus, das Aussterben der Seeforelle nicht verhindern zu können.
Mitte der 1980er Jahre setzte ein Umdenken ein, und es wurden auf Initiative der IBKF gewaltige internationale Anstrengungen unternommen, um die bedrohte Fischart vor dem Aussterben zu retten. Neben der Renaturierung und dem Wiederanschluss von Laichgewässern flossen viele Millionen Euro in den Bau von Fischtreppen und in Fischbesatz. Auch wurde der Fang von Seeforellen stark reglementiert.
Seit den 90er Jahren haben sich die Bestände kontinuierlich erholt. Auch stehen wieder einige wenige intakte Laichgewässer zur Verfügung. Für eine natürliche Reproduktion reichen diese aber nicht aus; die Bodenseeforelle wird noch für Jahrzehnte auf menschliche Hilfe angewiesen sein. Dennoch zeigt dieses Beispiel eindrücklich, wie der Mensch sein Denken gegenüber der Natur geändert und große Anstrengungen vollbracht hat, um eine Fischart, für deren Aussterben er verantwortlich gewesen wäre, zu retten.
Das Alpenrheinkraftwerk Reichenau bei Chur verhinderte von 1962 bis 2000, dass Seeforellen eines ihrer Hauptlaichgebiete im Oberrhein erreichen konnten. © Gernot Grabher
Thema 2: Phosphate, Phytoplankton & die Fische
Noch in den 1920er Jahren dachten Bodenseeforscher ernsthaft darüber nach, im nahrungsarmen Bodensee Gülle zu verklappen, um die Fischerträge zu steigern. Die immer dichtere Besiedlung des Sees seit dem Zweiten Weltkrieg, die intensivierte Landwirtschaft und der bis in die 1970er Jahre weitgehend ungeklärte Eintrag von Fäkalien und Waschmittelrückständen sorgten in den 1960er bis 90er Jahren zu einer Eutrophierung des Sees mit drastischen und vielschichtigen Auswirkungen auf Flora und Fauna.
Phosphor-Gehalt im Bodensee 1951-2007. © Dr. Berg
Der massive Phosphateintrag sorgte für eine Zunahme von Phyto- und Zooplankton. Dieses ist die Nahrungsgrundlage von vielen Fischarten, und in der Folge kam es zu einer Maximierung der Fangerträge, zum anderen aber auch zu Artenverschiebungen im See. Während es immer mehr Weißfische und Flussbarsche gab, wurden empfindliche Arten wie Gangfische, Saiblinge und Kilche verdrängt. Dies hängt auch damit zusammen, dass sich die Laichbedingungen für alle Felchenarten und auch für Saiblinge und Seeforellen so verschlechtert haben, dass einige Arten (Kilch) ausgestorben sind. Das hohe Nährstoffaufkommen sorgte auch für ein schnelleres Wachstum und ein rascheres Einsetzen der Geschlechtsreife. Die IBKF reagierte mit veränderten Bestimmungen für die Fischerei und, da natürliche Reproduktionsbedingungen für die wirtschaftlich bedeutenden Sand- und Blaufelchen fehlten, mit intensivierten Besatzmaßnahmen, ohne die diese Arten ausgestorben wären.
Durch verbesserte Gewässerreinigung, eine umweltverträglichere Landwirtschaft und den Anschluss fast aller Haushalte an die Kanalisation setzte seit den 1990er Jahren eine Reoligotrophierung ein. Die Wasserqualität ist heute wieder vergleichbar mit jener der 1950er Jahre, und auch die Fischbestände haben sich wieder verändert.
Der Flussbarsch (Kretzer) profitierte von der Eutrophierung des Bodensees. © Dr. Berg
Thema 3: Die Fischer vom Bodensee
Reich waren die Fischer des Bodensees nie. Ihr Auskommen war karg, die Arbeit hart – zumal die Fischerträge schon immer stark schwankten und somit unsicher waren. Die meisten Fischer bewirtschafteten deshalb noch ein kleines Stück Land, bevor sie morgens in See stachen und wenn sie abends zurückkamen. Auf der Insel Reichenau ist das bis heute so. Auch heute noch ist oft die ganze Familie in den Fischereibetrieb eingebunden.
Zugnetzfischer am Untersee um 1900. © Markus Koch
Technische Entwicklungen haben den Alltag der Fischer erträglicher gemacht. Der Bootsmotor, der Anfang des 20. Jahrhunderts Einzug am See hielt, maximierte die Fangzeit. Ruderten früher manche Fischer täglich bis zu 25 Kilometer, konnten die Fanggründe nun schneller erreicht werden. Im späten 19. Jahrhundert lösten maschinengestrickte Baumwollnetze handgestrickte Hanfnetze ab, in den 1960ern revolutionierten dann Perlon- und Nylonnetze die Berufsfischerei. Seit der Entwicklung von Echoloten und GPS-Sendern zur Ortung von Fischen und Netzen könnten Fischbestände restlos ausgefischt werden – weshalb Selbstbeschränkung und Schonbestimmungen immer wichtiger geworden sind.
Bis zur Entwicklung der Nylonnetze in den 1960ern mussten die Hanf- und Baumwollnetze nach jedem Fischtag - wie hier auf der Reichenau um 1900 - getrocknet werden. © Markus Koch
Dank dieser technischen Entwicklungen und eines modernen internationalen Fischereimanagements ist der Berufsfischeralltag etwas weniger anstrengend und etwas auskömmlicher geworden. Lohnenswert ist der Beruf jedoch nur für den, der die Fischerei und den See liebt.
Thema 4: Fischfang, Fischereitechnik & Fischereirecht
Frisch geschlüpfte Felchenlarven. © Carsten Arbeiter
2008 fingen Berufsfischer am Bodensee über 700 Tonnen Fisch. Dieser hohe Ertrag liegt zum einen an einer Fischereitechnik, die sich seit dem späten 19. Jahrhundert stark gewandelt und verbessert hat. Der hohe Ertrag liegt auch an einer intensiven Bewirtschaftung des Sees. Seit 1887 gibt es Fischbrutanstalten am See, die die natürlichen Bestände der Felchen, Seeforellen, Saiblinge und Hechte durch künstliche Erbrütung stützen. So werden alljährlich etwa eine halbe Milliarde Felchenlarven in den See eingesetzt.
Dass es am Bodensee heute eine nachhaltige Fischerei gibt, liegt vor allem am internationalen Fischereimanagement. In der IBKF, der Internationalen Bevollmächtigtenkonferenz für die Bodenseefischerei, haben sich die Seeanrainer Deutschland, Österreich, Schweiz und Liechtenstein zusammengeschlossen, um den See gemeinsam und nachhaltig zu bewirtschaften. Gegründet wurde die IBKF 1893: zu Beginn der Hochindustrialisierung waren die Fischbestände des Sees stark überfischt, immer mehr Berufsfischer wandten sich anderen Berufen zu.
Die IBKF regelt heute den Fischbesatz, erlässt und kontrolliert Fischereibestimmungen. Auch setzt sie sich für Artenschutz und Renaturierungsmaßnahmen ein. Die internationale Kooperation funktioniert und könnte ein Vorbild für die Weltmeere ein.
- Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte RP Freiburg -