Methodenvorschlag
2.1 Lernorterkundung
B 6
Themenführung „Die RAF ist Geschichte“ im Staatsarchiv Ludwigsburg für Schülerinnen und Schüler des Justinus-Kerner-Gymnasiums Weinsberg mit Frau Dr. Elke Koch, links neben ihr Karin Gramling vom SWR
© Ulrich Maier
Der außerschulischer Lernort Staatsarchiv Ludwigsburg
„Die RAF ist Geschichte“ – unter diesem Titel bietet das Staatsarchiv Ludwigsburg eine Führung für Schülerinnen und Schüler der Klassen 9 bis 13 aller weiterführenden Schulen an.
Die Themenführung zur RAF ist nur eines der vielfältigen archivpädagogischen Angebote des Staatsarchivs Ludwigsburg. Bereits den Grundschülern wird altersentsprechend vermittelt, welche Schätze das Archiv bietet.
Ziel der Themenführung „Die RAF ist Geschichte“ ist, Schülerinnen und Schülern zu zeigen, wie sie selbst Materialien zum Thema RAF im Archiv bearbeiten können.
Das Staatsarchiv Ludwigsburg verfügt über zahlreiche Akten zum Baader-Meinhof Prozess, z.B. die Verhandlungsniederschriften der Hauptverhandlung aus dem Bestand der Rechtsanwaltskanzlei Maixner 1972 – 1977 (PL 407 109 – 134) und Tonbandmitschnitte aus dem Bestand des Oberlandesgerichts Stuttgart aus dem Baader-Meinhof-Prozess (EL 300 II). Die Bestände im einzelnen können online im Katalog des Staatsarchivs eingesehen werden.
Da die Gerichtsdokumente größten Teils aus Kopien der Siebziger Jahre bestehen, ist die Lesbarkeit inzwischen zwar etwas eingeschränkt, inhaltlich vermitteln die Dokumente aber ein anschauliches Bild der Ereignisse: Zeugenaussagen, Einsatzberichte der Polizei, Vernehmungsakten, Bekennerschreiben., Gerichtsprotokolle – der Bestand umfasst 9,2 laufende Meter Aktenmaterial zum RAF-Prozess.
Im Einführungsteil erhalten die Schülerinnen und Schüler einen Überblick über die Besonderheiten des Baader-Meinhof-Prozesses, der – als reiner Strafprozess geführt – auch Züge eines politischen Prozesses trug, was vor allem neben den Angeklagten die Wahlverteidiger deutlich machen wollten. So vermitteln die Aussagen der Angeklagten vor Gericht aus den Tonbandmitschnitten anschauliche Eindrücke über die ideologischen Denk- und Argumentationsweisen der RAF-Mitglieder.
Beim Rundgang durch die Magazine werden die Schülerinnen und Schüler an den Aufbewahrungsort der Akten geführt und erhalten Einblicke in die Funktionsweise eines Archivs, die der Archivbenutzer im Lesesaal sonst nicht hat. Sie können den ausgewählten Dokumentenband selbst entnehmen, aus dem ihnen in einem typischen Magazinraum zwischen meterhohen Aktenregalen aus früheren Zeiten einzelne Archivalien vorgelegt und erläutert werden.
Abschließend erhalten die Schülerinnen und Schüler Gelegenheit einzelne Themenbereiche zu vertiefen und über ihre Eindrücke mit Archivmitarbeitern zu diskutieren.
2.2 Behandlung des Themas in der Schule
Ulrike Meinhof als junge Journalistin
© gemeinfrei
Ideal wäre es, eine Unterrichtseinheit zum Thema mit einem Besuch im Staatsarchiv Ludwigsburg zu verbinden und das Angebot des Archivs, die Themenführung „Die RAF ist Geschichte“, wahrzunehmen.
Die hier vorgestellten Materialien versuchen anhand ausgewählter Archivmaterialien und begleitender Texte den Schülerinnen und Schülern einen Einblick in die zentralen Fragen des Themas zu geben.
Sicher kann ein Unterrichtsmodul von wenigen Unterrichtssunden dieses komplexe Thema nicht ausschöpfen. Wohl aber können – vom Prozessgeschehen in Stuttgart-Stammheim ausgehend -, Linien aufgezeigt werden, die den Schülern helfen, ein von den Medien vielfältig geprägtes Thema zu erfassen, indem sie auf archivalische Quellen zurückgreifen.
Dabei geht es nicht nur um die Vermittlung von Fakten. Vielmehr sollen sich die Schülerinnen und Schüler aus ihrer heutigen Sicht mit den Handlungsmotivationen der RAF-Terroristen und den Auswirkungen ihrer Taten auseinandersetzen. Deshalb wurde der freien Diskussion in Kleingruppen in den Arbeitsanweisungen immer wieder Raum gegeben. In den folgenden Plenumsgesprächen können dann die Einzelergebnisse der Diskussion durch den Moderator (Lehrer oder auch Schüler) zusammengeführt werden.
Unterrichtsvorschlag für eine Doppelstunde (S II)
Vorbereitete Hausaufgabe, Besprechung als Einstieg
Der Baader-Meinhof-Prozess vom 21.5.1975 – 28.4.1977 vor dem Oberlandesgericht Stuttgart in der Justizvollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim ( AB 1 )
1.Erarbeitungsphase:
AB 2 Übersicht der Ereignisse bis zum Selbstmord der RAF-Gefangenen in Stuttgart Stammheim
(Partnerarbeit mit anschließendem Plenumsgespräch, Ergebnissicherung im Tafelanschrieb durch Visualisierung in einem Tafelbild nach der vorbereiteten Phasengliederung der Partnerarbeitsphase)
2. Erarbeitungsphase:
Zeugenaussage zum Bombenanschlag auf das Hauptquartier der US-Armee in Europa in Heidelberg ( AB 4 )
Bekennerschreiben zum Bombenanschlag auf das Hauptquartier der US-Armee in Europa in Heidelberg ( AB 5 )
(Gruppenarbeit (arbeitsgleich) mit anschließender Diskussion)
Besprechung und Ergebnissicherung in einem Tafelbild
Hausaufgabe oder Zusatzphase zur Vertiefung
Aussage Gudrun Ensslins vor Gericht zu den Anschlägen von Frankfurt und Heidelberg sowie über das Widerstandsrecht bzw. eine Pflicht zum Widerstand. ( AB 6 )
B 8
RAF-Fahndungsplakat im Haus der Geschichte Baden-Württemberg
Die Dauerausstellung im Haus der Geschichte Baden-Württemberg vermittelt den idealen Hintergrund für die zeitliche Einordnung der RAF in die Zeit der Siebziger Jahre.
© Haus der Geschichte Baden-Württemberg
Unterrichtsvorschlag für vertiefende Projektarbeit in mehreren Unterrichtsstunden (SII)
Die vorgeschlagene Unterrichtssequenz stellt zunächst den Heidelberger Anschlag in den Vordergrund, durch ein Aussageprotokoll eines amerikanischen Augenzeugen vor der CID-Behörde in Heidelberg, kontrastiert mit einem Bekennerschreiben der RAF zu diesem Anschlag.
In Auszügen von Tonbandmitschnitten aus dem Prozess nehmen die Angeklagten Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Jan-Carl Raspe und Gudrun Ensslin zu Fragen des Prozesses Stellung, aber auch – etwa in der Aussage von Gudrun Ensslin – zu ihrer Handlungsmotivation (Erklärung von Gudrun Ensslin vom 4.5.1976, u.a. zum Anschlag von Heidelberg).
Einige Aussagen der Hauptangeklagten können in Tonbandausschnitten auf SWR2 Archivradio angehört werden (Nähere Hinweise auf den Arbeitsblättern, in D 1 und unter „Links“.)
Begleitend werden Materialien angeboten, die z.B. die Entwicklung vom Studentenprotest zu ersten Aktionen wie der Kaufhausbrandstiftung von Andreas Baader und Gudrun Ensslin aufzeigen (Empörung – Protest – Gewalt), die den ideologischen Hintergrund der RAF verdeutlichen (Auszüge aus dem „Konzept Stadtguerilla“ von Ulrike Meinhof), oder die die Entstehung des „Mythos Stammheim“ thematisieren. An einem Beispiel wird außerdem aufgezeigt, wie die Überlieferung der RAF-Geschichte die Rezeption prägt (Textvergleich: Zitate aus dem Text von Stefan Aust, Der Baader-Meinhof-Komplex, mit den Quellentexten der Gerichtsprotokolle).
Die Arbeitsblätter sind so abgefasst, dass sie für einen Lernzirkel (Lernen an Stationen) oder Phasen selbst organisierten Lernens verwendet werden können. Dabei sollten sich immer mindestens zwei, besser drei oder vier Schülerinnen und Schüler mit dem Text befassen und über ihn diskutieren. Entsprechend sind die Arbeitsanregungen formuliert. Die Ergebnisse können dann auf einem Protokollblatt eingetragen werden. Ebenso wäre auch arbeitsteilige Gruppenarbeit möglich.
Die Arbeitsblätter gliedern sich in vier Bereiche, die gleichzeitig Unterrichtsphasen darstellen:
I. Information zu Zeitereignissen und zum Prozess (AB 1 – AB 3)
II. Der Heidelberger Anschlag: Aussage eines Augenzeugen vor Gericht und Bekennerschreiben der RAF ( AB 4 und AB 5 )
III. Aussagen der Hauptangeklagten Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof und Jan-Carl Raspe im Prozess zu Fragen der Verteidigung, der Haftbedingungen, der Handlungsmotivation (AB 6 – AB14)
IV. Zusatzmaterial zum ideologischen Hintergrund der Angeklagten, zum „Konzept Stadtguerilla“ und zum Aufbau der RAF (AB15 – AB17)
Als Einstieg bietet sich an, Bilder zu den Angeklagten, zu Gerichtspersonen, zu den Schauplätzen der Terroraktionen im Internet suchen zu lassen. Dort gibt es eine Fülle von Bildmaterial, die allerdings zum größten Teil nicht für Veröffentlichungen freigegeben sind, aber für die Verwendung im Unterricht leicht zugänglich sind.
Über diese Bilder können Vorwissen und erste Eindrücke verbalisiert, Fragen der Schülerinnen und Schüler zu der Unterrichtseinheit aufgeworfen werden.
Phase I
Die folgende Informationsphase könnte als Lernen in Gruppen an Stationen stattfinden (Gruppentische mit den Materialien, die dann gewechselt werden) mit anschließendem Plenumsgespräch.
AB 1 Der Baader-Meinhof-Prozess vom 21.5.1975 – 28.4.1977 vor dem Oberlandesgericht Stuttgart in der Justizvollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim
AB 2 Übersicht der Ereignisse bis zum Selbstmord der RAF-Gefangenen in Stuttgart-Stammheim
AB 3 Empörung – Protest - Gewalt
Phase II
Daran knüpft sich die exemplarische Auseinandersetzung mit dem Geschehen des Heidelberger Anschlags an.
AB 4 Zeugenaussage zum Bombenanschlag auf das Hauptquartier der US-Armee in Europa in Heidelberg
AB 5 Bekennerschreiben zum Bombenanschlag auf das Hauptquartier der US-Armee in Europa in Heidelberg
Bei der Zeugenaussage handelt es sich um ein Faksimiledokument aus den Beständen des Staatsarchivs. Hier werden die Schülerinnen und Schüler mit den Einzelheiten der Terroraktion konfrontiert. Im Kontrast dazu erscheint die Rechtfertigung der RAF im Bekennerschreiben entlarvend. Mit keinem Wort werden Opfer erwähnt. Die Aktion wird dargestellt als Protest gegen den „Völkermord in Vietnam“, der mit dem Geschehen von Auschwitz gleichzusetzen sei, und von den „Menschen in der Bundesrepublik“ unterstützt würde.
Da in dieser Phase neben der faktenorientierten Interpretation auch die Wirkung der Texte diskutiert werden sollte, sollte die Auseinandersetzung mit den Quellen in arbeitsgleicher Gruppenarbeit durchgeführt werden.
Phase III
Die anschließende Phase stellt hauptsächlich die Hauptangeklagten durch ihre Aussagen vor Gericht vor. Dabei sollen die Schülerinnen und Schüler auch die Tondokumente aus dem Archivradio des SWR 2 heranziehen. Die Bearbeitung der Arbeitsblätter (AB 6 – 14, Aussagen von Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof und Jan-Carl Raspe zu Fragen des Gerichts, der Haftbedingungen, der Handlungsmotivation, der Verteidigung) würde sich für Partnerarbeit an Stationen eignen.
AB 6 : Erklärung von Gudrun Ensslin zu Anschlägen der RAF am 4.5.1976
AB 7 : Andreas Baader kritisiert das Gerichtsverfahren
AB 8 : Jan-Carl Raspe äußert sich zu den Haftbedingungen
AB 9 : Ulrike Meinhof und Andreas Baader zur Frage: Strafprozess oder politischer Prozess?
AB 10 : Zur Strategie der Verteidigung
AB 11 : Tumultartige Szenen bei der Ablehnung der Pflichtverteidiger durch die Angeklagten
AB 12 : Ulrike Meinhof über den Ausschluss von Wahlverteidigern
AB 13 : Textvergleich: Gerichtsprotokolle – Text in der Bearbeitung von Stefan Aust
AB 14 : Anklageschrift und Urteil
Phase IV
Materialien des IV. Themenbereichs (AB 15 – 17 Quellen zur Ideologie und zum „Mythos Stammheim“) könnten in Gruppen diskutiert und in einer Schlussdiskussion besprochen werden.
AB 15 Mythos Stammheim (Aussagen von Ulrike Meinhof und Holger Meins über den „Freiheitskampf der RAF)
AB 16 Ulrike Meinhof, Das Konzept Stadtguerilla (Auszüge)
AB 17 „Die Rote Armee aufbauen“ (Erklärung zur Befreiung Andreas Baaders)
- Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte RP Stuttgart -