Methodenvorschlag
Lernorterkundung
Sekundarstufe I und II:
Die Schüler können im Staatsarchiv Sigmaringen anschauliches Wahlkampfmaterial (Plakate, Postkartenmotive, Karikaturen, Postwurfsendungen etc.) auswerten und anhand von fiktiven Reden eine Wahlkampfveranstaltung "nachspielen".
Ansprechpartner für die Lernorterkundung im Staatsarchiv Sigmaringen: Dr. Volker Trugenberger (Leiter des Staatsarchivs Sigmaringen).
1. Vorbereitung im Unterricht
Die Schüler sollten in groben Zügen informiert sein über
- die allgemeine weltpolitische Situation nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs (Bipolariät).
- die politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Situation in Deutschland in der Zeit der doppelten Staatsgründung (Besatzungsherrschaft, Kalter Krieg, Mangelwirtschaft, Teilung, Vertriebenenproblematik, Adenauers Politik der Westintegration).
- die politische Situation in Südwestdeutschland nach Kriegsende (französische und US-amerikanische Besatzungsherrschaft, Bildung der Länder Württemberg-Baden, Württemberg-Hohenzollern und Baden, Gründung von Landesregierungen, siehe AB 1a und AB 1b , B 22 , B 23 , B 24 ).
- die politische Auseinandersetzung um die Gründung des Südweststaats ( AB 2 ).
2. Quellenrecherche und Rollenspiel im Staatsarchiv Sigmaringen
Die repräsentativen Räume des Staatsarchivs eignen sich ideal für ein Rollenspiel, bei dem nach der Auswertung von originalem Wahlkampfmaterial am Rednerpult fiktive Wahlkampfreden gehalten werden. Die Mitschüler fungieren als Besucher der "Wahlkampfveranstaltung" und bringen ihre Sympathie bzw. ihr Missfallen für die einzelnen Redebeiträge zum Ausdruck. Die Klasse wird bei ihrer Arbeit im Staatsarchiv vom Fachlehrer geleitet, ein Mitarbeiter des Staatsarchivs Sigmaringen unterstützt ihn.
Konkreter Ablauf:
a) Begrüßung durch einen Mitarbeiter des Staatsarchivs Sigmaringen (5 Minuten)
b) Gruppenbildung (5 Minuten)
Die Schüler werden in drei bzw. sechs Gruppen eingeteilt. Sie fungieren ab jetzt als politisches Beraterteam von Dr. Gebhard Müller, von Leo Wohleb (bei sechs Gruppen jeweils zwei Beraterteams) bzw. als Hohenzollerischer Landesausschuss. Sie vertreten württembergische, badische bzw. hohenzollerische Interessen.
Der Hohenzollerische Landesausschuss war lt. "Gesetz über die Selbstverwaltung der hohenzollerischen Lande" vom 7. September 1950 das zentrale Verwaltungsorgan des hohenzollerischen Landeskommunalverbandes, bestehend aus den Landkreisen Sigmaringen und Hechingen (in den Jahren 1871 bis 1973 verfügten die "Hohenzollerischen Lande" bzw. das ehemalige Gebiet der "Hohenzollerischen Lande" über partielle Selbstverwaltungsrechte).
c) Gruppenarbeit: Sammeln von Argumenten (55 Minuten)
Die Gruppen bearbeiten arbeitsteilig Arbeitsauftrag 1, Arbeitsauftrag 2 bzw. Arbeitsauftrag 3 auf AB 11 .
- Sie werten dazu zunächst AB 3 , AB 4 bzw. AB 5 aus (10 Minuten).
- In einem zweiten Raum im Staatsarchiv ist originales Wahlkampfmaterial ausgelegt (Auflistung der Archivalien: T 1 ), aus dem Argumente für bzw. gegen die Südweststaatsgründung herausgearbeitet werden (45 Minuten). Das Material ist nicht geordnet, die Schüler müssen also zunächst einmal den politischen Standpunkt der entsprechenden Quelle entschlüsseln. Besonders ergiebig sind hierbei die ausgelegten Exemplare der Zeitschriften "Badnerland" bzw. "Vom See zum Main". Als Herausgeber dieser Zeitungen fungierten die Arbeitsgemeinschaften der Befürworter bzw. Gegner des Südweststaats, die Artikel und Karikaturen dieser Zeitungen sind deshalb besonders pointiert. Je nach Bedarf und Größe der Lerngruppe können weitere Ausgaben der Zeitung bereitgelegt werden.
d) Gruppenarbeit: Formulierung der Wahlkampfrede (30 Minuten)
e) Rollenspiel (30 Minuten)
- Je ein Schüler aus jeder Gruppe hält die erarbeitete Rede am Rednerpult.
- Bei der anschließenden Diskussion kommen die bisher unbeteiligten Schüler in einem kurzen spontanen "Schlagabtausch" der politischen Lager zu Wort.
f) Vertiefung im Unterrichtsgespräch (15 Minuten)
Mögliche Impulsfragen:
Sekundarstufe I:
- Welche Argumente brachten Befürworter bzw. Gegner der Südweststaatsbildung vor?
- Warum führte die Frage der staatlichen Neugliederung zu so heftigem Streit?
- Wie kann man die politische Auseinandersetzung aus heutiger Sicht beurteilen? Wäre eine Zweiteilung des Südwestens in Baden und Württemberg (mit Hohenzollern) heute vorstellbar?
Sekundarstufe II:
- Welche Argumente standen in der politischen Auseinandersetzung wohl im Mittelpunkt / fanden in der Bevölkerung besondere Resonanz?
- Welche Motive und Argumente im Kampf um den Südweststaat führten zu einer starken Emotionalisierung und Polarisierung der politischen Auseinandersetzung?
- Wie lassen sich die Argumentationen der Kontrahenten anhand der weiteren Entwicklung im Südwesten bewerten (vgl. hierzu auch die Volksabstimmung des Jahres 1970: AB 9b )?
- Lassen sich Stil und Strategie der politischen Auseinandersetzung der Jahre 1950 / 51 mit heutigen Wahlkämpfen vergleichen?
g) Abschluss (5 Minuten)
- Kurzer Lehrervortrag:
Ergebnis der Volksabstimmung vom 9. Dezember 1951, Problematik des Abstimmungsmodus (siehe AB 9a ) - Gesamtbewertung des historischen Vorgangs durch die Schüler (Inhalt und Stil der politischen Auseinandersetzung, Procedere der Staatenfusion)
e) Optional: Führung durch das Staatsarchiv Sigmaringen:
Themen:
- Funktion und Arbeitsweise eines Archivs
- Quellenkunde (Vorstellung unterschiedlicher Originalquellen)
- Bildung, Erhalt und Tradierung von Geschichtsquellen
Die Archivführung kann, je nach Absprache, zwischen 30 und 60 Minuten dauern.
Zeitlicher Rahmen der Lernorterkundung: 145 Minuten (ohne Archivführung)
3. Nachbereitung im Klassenzimmer (optional)
Sekundarstufe I:
AB 7 kann als Impuls dienen, um noch einmal Inhalt und Stil der politischen Auseinandersetzung um die Südweststaatsgründung zu wiederholen.
Sekundarstufe II:
a) Einen vertiefenden Einblick in Stil und Methode der politischen Auseinandersetzung bieten AB 8a und AB 8b .
b) Anhand der in A AB 10 formulierten Thesen können die Schüler die weitere Entwicklung des Bundeslandes Baden-Württemberg bewerten bzw. über die Bedingungsfaktoren für die Identifikation des Bürgers mit einem Staatswesen nachdenken.
Das Thema im innerschulischen Unterricht
Sekundarstufe I und II:
A: Das Modul in einer Doppelstunde
1. Impuls (5 Minuten)
B 5 "Lieber ledig als schlecht verheiratet": Bildinterpretation
Evtl. zusätzlich / kontrastierend B 10 "So geht's nicht weiter"
Optional in Sekundarstufe II:
B 8
: Die Schüler entschlüsseln die Botschaft der auf der Fotografie abgelichteten Plakatwand: Die Botschaft eines Plakates der Südweststaatgegner (rechts) wird durch Ergänzung eines weiteren Plakates in das Gegenteil verkehrt.
Ausgangsfragen:
- Welche Argumente brachten Befürworter bzw. Gegner der Südweststaatsbildung vor?
- Sekundarstufe I : Warum führte die Südweststaatsfrage zu so heftigem Streit?
- Sekundarstufe II: Inwiefern führten Motive und Argumente im Kampf um den Südweststaat zu einer starken Emotionalisierung und Polarisierung der politischen Auseinandersetzung?
2. Historischer Hintergrund (Lehrervortrag, 5 Minuten)
- Grundlage: AB 2
- Veranschaulichung:
AB 1a und AB 1b (evtl. auf Folie)
B 22 , B 23 , B 24
3. Arbeitsphase (50 Minuten)
a) Gruppenbildung
b) Im Klassenzimmer sind an den Wänden B 1 bis B 21 aufgehängt. Die Gruppen erhalten Arbeitsauftrag 1 oder Arbeitsauftrag 2 auf AB 12 . Anhand von AB 3 bzw. AB 4 und des Bildmaterials (B 1 bis B 21) erstellen Sie eine fiktive Wahlkampfrede für bzw. gegen die Gründung des Südweststaats.
4. Ergebnispräsentation (20 Minuten)
Je eine Schülerin / ein Schüler der Gruppe hält die erarbeitete Rede vor der Klasse.
5. Ergebnissicherung, Problematisierung, Ausblick (5 Minuten)
Beantwortung der Ausgangsfragen
Weitere mögliche Impulsfragen:
- Welche Argumente standen in der politischen Auseinandersetzung wohl im Mittelpunkt / fanden in der Bevölkerung besondere Resonanz?
- Wie lassen sich die Argumentationen der Kontrahenten anhand der weiteren Entwicklung im Südwesten bewerten (vgl. hierzu auch die Volksabstimmung des Jahres 1970: AB 9b )?
- Lassen sich Stil und Strategie der politischen Auseinandersetzung der Jahre 1950 / 51 mit heutigen Wahlkämpfen vergleichen? (Sekundarstufe II)
- Wäre eine Zweiteilung des Südwestens in Baden und Württemberg (mit Hohenzollern) heute vorstellbar?
6. Abschluss (5 Minuten)
- Kurzer Lehrervortrag: Das Ergebnis der Volksabstimmung vom 9. Dezember 1951, Problematik des Abstimmungsmodus (siehe AB 9a )
- Gesamtbewertung des historischen Vorgangs durch die Schüler (Inhalt und Stil der politischen Auseinandersetzung, Procedere der Staatenfusion)
B: Vertiefende Behandlung des Themas (v.a. für Sekundarstufe II)
Im Folgenden finden sich Vorschläge für die Erweiterung des "Moduls in einer Doppelstunde".
Impuls:
Die Emotionalisierung und Polarisierung im Wahlkampf wird anhand von AB 6a und AB 7 weiter veranschaulicht.
Historischer Hintergrund:
Die Schüler erarbeiten weitere Hintergrundinformationen anhand von AB 2 .
Eine für Schüler anschauliche zeitgenössische Darstellung der politischen Auseinandersetzung zwischen Gebhard Müller, Leo Wohleb und Reinhold Maier findet sich in der Wochenzeitung DIE ZEIT vom 3. August 1950.
Arbeitsphase:
a) Hohenzollerische Perspektive
Neben der Position von Dr. Gebhard Müller und Leo Wohleb wird auch der politische Standpunkt des "Hohenzollerischen Landesausschusses" erarbeitet. Es wird also eine spezifisch hohenzollerische Perspektive eingebracht.
Zur Bedeutung des "Hohenzollerischen Landesausschusses": Lernorterkundung
Die Schüler bearbeiten Arbeitsauftrag 3 auf AB 12 .
b) Erweiterte Quellenbasis
Zusätzlich zu den Bildern (B 1 bis B 21) liegen AB 6a , AB 6b , AB 6c und AB 6d aus.
c) Gestaltung eines Wahlplakates
Zusätzlich zur Rede gestalten die einzelnen Gruppen ein Wahlplakat.
Ergebnissicherung und Vertiefung
a) Stilisierung der "Schwaben" und "Altbadener": Stereotype im Wahlkampf (Sekundarstufe II)
Anhand von AB 6b , AB 7 , AB 8a , AB 8b , sowie anhand der Motive auf B 1 bis B 19 arbeiten die Schüler "Stilisierungen" des "Badeners" bzw. des "Schwabens" heraus und beurteilen ihre Bedeutung und Funktion in der politischen Auseinandersetzung.
b) Der Begriff der "Heimat"
Anhand von AB 3 , AB 6a , AB 8b , AB 10 , B 4 , B 9 und B 19 analysieren die Schüler, welche Bedeutung der Begriff "Heimat" in der politischen Auseinandersetzung in beiden politischen Lagern hatte und wie er von beiden Seiten eingesetzt und funktionalisiert wurde.
c) Zusammenschluss - und dann?
Der Südweststaat als "Testfall der deutschen Demokratie" (Sekundarstufe II)
AB 10 : Die Schüler bewerten die in dem Zeitungsartikel formulierten Thesen des Jahres 1951 anhand der historischen Entwicklung des Bundeslandes Baden-Württemberg. Sie fragen sich, welche Faktoren entscheidend für die Identifikation mit einem Staatswesen waren und sind.
- Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte RP Tübingen -
Herausgeber: Landesbildungsserver Baden-Württemberg
Quelle: https://www.schule-bw.de
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