Hintergrundinformationen1.2 Geschichte |
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Der Anteil der Juden in der badischen Bevölkerung war im 19. Jahrhundert/Anfang des 20. Jahrhunderts sehr gering, der Bevölkerungsanteil der Juden in Baden betrug 1867 1,8%; 1890 1,6% und 1910 1,2% und lag damit über dem Reichsdurchschnitt (1890: 1,15%; 1910: 0,95%). Nach dem Gesetz über die bürgerliche Gleichstellung der Juden im Großherzogtum Baden von 1862 waren die Juden in den Städten in gehobenen Berufen überrepräsentiert, zumeist waren sie im Handel tätig, aber auch als Universitätslehrer, Rechtsanwälte, Ärzte und Lehrer an höheren Schulen. Durch den dramatischen Anstieg der Arbeitslosigkeit der Jahre 1929/30 fiel die Hetze der Nationalsozialisten gegenüber den Juden in Deutschland und somit auch in Baden auf besonders fruchtbaren Boden. Die Nationalsozialisten riefen im April 1933 zum Boykott gegen jüdische Geschäfte und die Tätigkeit von Rechtsanwälten und Ärzten auf, die jüdischen Beamten wurden im gleichen Monat in den Ruhestand versetzt, um das Berufsbeamtentum "wiederherzustellen", wie es im entsprechenden NS-Gesetz vom 7. April 1933 hieß. Die Nürnberger Gesetze verfügten 1935, dass Ehen zwischen Juden und Nichtjuden nicht geschlossen werden durften. Mit den Verbrechen in der Reichpogromnacht vom 9./10.November 1938 leiteten die Nationalsozialisten die "Endlösung der Judenfrage" ein: Den tödlichen Anschlag des Polen Hershel Grynszpan auf den Legationssekretär an der deutschen Botschaft in Paris, Ernst vom Rath, nahmen die Nationalsozialisten zum Anlass, die meisten Synagogen in Deutschland und damit auch in Baden anzuzünden bzw. erheblich zu demolieren, Friedhöfe zu verwüsten, jüdische Einrichtungen zu vernichten und Juden zu misshandeln und zu töten.
Für die "Wiedergutmachung" des Schadens mussten die deutschen Juden eine "Sühneleistung" von über 1 Milliarde Reichsmark aufbringen, außerdem mussten bestehende Versicherungsansprüche jüdischer Bürger an den NS-Staat abgetreten werden. In der Folgezeit wurde den jüdischen Ärzten und Rechtsanwälten verboten, ihren Beruf weiterhin auszuüben. Dieses Verbot wurde ab 1. Januar 1939 auf die selbstständigen Juden in Handel und Handwerk ausgedehnt. Die nächste Stufe der Judenverfolgung war der Transport der badischen Juden zum Lager Gurs in Südfrankreich. Dieses Internierungslager im unbesetzten Frankreich, das im April 1939 für Flüchtlinge aus dem Spanischen Bürgerkrieg errichtet wurde und in dem zu Beginn des 2. Weltkriegs auch französische Kriegsgegner und deutsche Emigrantinnen, darunter Hannah Arendt, festgehalten wurden, sollte alle 6.504 badischen, pfälzischen, saarländischen und die in Elsaß-Lothringen lebenden Juden aufnehmen, obwohl im Lager Gurs nicht für alle Juden genügend Platz bestand. Die Gauleiter von Baden, Robert Wagner, und von der Saarpfalz, Josef Bürckel, schoben die badischen und saarpfälzischen Juden dorthin ab. Die beiden Gauleiter ordneten an, dass am 22. und am 23. Oktober 1940 alle transportfähigen Juden aus Baden, der Pfalz und dem Saarland ihre Heimat verlassen mussten. Innerhalb kürzester Zeit, meist halbe bis 2 Stunden, mussten sich die Juden an zentralen Orten in größeren Städten mit Verpflegung, wenig Gepäck (50 kg) und Bargeld (100 RM) einfinden, damit man sie von dort in Zügen abtransportieren konnte.
An den beiden Tagen wurden die 6.504 badischen, pfälzischen und saarländischen Juden nach Gurs deportiert. Die Juden, die in Mischehen lebten, wurden verschont. Nach dieser Aktion stellten die Gauleiter Wagner und Bürckel triumphierend fest, ihre Gaue seien "judenfrei". Beim Transport blieben die jüdischen Familien zusammen, erst bei der Ankunft im Lager wurden sie nach Männern und Frauen getrennt. Auf Grund der schlechten hygienischen Zustände im Lager Gurs starben innerhalb des ersten Jahres schon ca. 1.000 Menschen, meist alte Leute und Kinder. Kinderreiche Familien wurden 1941 in andere französische Lager verlegt, ins Lager Rivesaltes nördlich von Perpignan am Mittelmeer und ins Lager Récébédou bei Toulouse. Wegen der miserablen Lebensbedingungen im Lager Gurs begannen seit 1941 Hilfsmaßnahmen durch verschiedene Hilfsorganisationen, wie z. B. der Quäker, dem Schweizer Kinderhilfswerk oder dem jüdischen Kinderhilfswerk. Sie versorgten die Insassen mit Lebensmittelpaketen, warmer Kleidung und Geldspenden. Nach Beschluss der "Wannseekonferenz" im Januar 1942 zur "Endlösung der Judenfrage" wurden die meisten jüdischen Insassen des Lagers Gurs in die Vernichtungslager, meist nach Auschwitz, Lublin-Maydanek oder Sobibor abtransportiert, wo sie kurze Zeit später ermordet wurden. Es wurde bei der Überführung ins KZ keinerlei Rücksicht auf die Gesundheit oder das Alter der Menschen genommen. Am Ende des Jahres 1943 war das Lager Gurs geräumt. Nur wenige Juden konnten legal oder illegal auswandern oder mit Unterstützung der französischen Résistance fliehen, wie z. B. Max Mayer aus Karlsruhe. Er wanderte wegen häufiger Diskriminierungen in der Schule und Öffentlichkeit als 15-jähriger nach Frankreich aus, wo er aufgegriffen und als deutscher Jude ins Lager Gurs verbracht wurde. Hier sah er seine Großeltern aus Karlsruhe wieder und musste aber mitansehen, wie sein Großvater im Lager an Ruhr verstarb. Seine Eltern und Geschwister sind alle im Konzentrationslager Auschwitz ums Leben gekommen. Mit Hilfe der Résistance gelang ihm die Flucht aus dem Lager Gurs über Spanien nach Palästina, wo er in einem Kibbuz wohnte und in der Landwirtschaft, später im Weinbau arbeitete. Als Zeichen für einen Neubeginn legte er sich den Vornamen Michael zu. Er heiratete und gründete eine Familie im Kibbuz. Als Autodidakt eignete er sich archäologische Kenntnisse an und führte in der Nähe seines Kibbuz viele Ausgrabungen durch. Er erlangte einen hervorragenden Ruf in der archäologischen Fachwelt Israels. Er verstarb am 20. Dezember 1999. Aufgrund eines Zeitungsberichtes über den Verfall des Friedhofs in Gurs ergriff der frühere Karlsruher Oberbürgermeister Günther Klotz (1952-1970) im Jahre 1957 die Initiative, den Friedhof instandzusetzen und in Zukunft zu pflegen. Dafür gewann er Städte und Gemeinden, aus denen Juden nach Gurs deportiert wurden, und den Oberrat der Israeliten Badens unter Leitung seines damaligen Präsidenten Otto Nachmann. Der französische Staat übertrug für 99 Jahre das Gelände des Friedhof Gurs an den Oberrat der Israeliten Badens, der ihn 1961 restaurierte. Am 26. März 1963 wurde der Friedhof eingeweiht. Die Opfer des Lagers, die Juden und die Kämpfer des Spanischen Bürgerkriegs, werden heute durch jeweils eine Stele auf dem Friedhof geehrt, und die Pflege des Friedhofs haben einige badische Städte übernommen, aus denen die Juden deportiert wurden, vor allem Karlsruhe. Die Stadt Karlsruhe führt auch in großen Abständen für besondere Gäste Fahrten nach Gurs durch.
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Die Deportation badischer Juden nach Gurs