Methodenvorschlag
Lernorterkundung
Die Dauerausstellung "Spurensuche: Jüdischen Leben in Hohenzollern" in der ehemaligen Synagoge Haigerloch
© Klaus Schubert, Haigerloch
Führung durch das Wohnviertel "Haag" und durch die Dauerausstellung:
Die Führungen werden je nach Bedürfnissen individuell abgesprochen und durchgeführt. Es empfiehlt sich deshalb eine vorherige Kontaktaufnahme und Vorbesprechung mit dem Vorstand des "Gesprächskreises Ehemalige Synagoge Haigerloch e. V."
Gedenktafel an der Außenwand der Synagoge
© Klaus Schubert, Haigerloch
Wohnviertel Haag:
- Spuren des religiösen und säkularen Lebens einer jüdischen Gemeinde (vgl. z. B. die Spuren der ehemals angebrachten Mesusa am früheren Gemeindehaus)
- Biographische Annäherung an Gustav Spier als Lehrer der jüdischen Schule und Rabbinatsverweser: Rathaus (jüdische Schule), Gemeindehaus (jüdische Schule und Privatwohnung), Synagoge
- Anhand der historischen Aufnahme ( AB 5 ), sowie des Stadtplanes und des Gipsmodells ( AB 4 ) können die einzelnen Gebäude lokalisiert werden.
- Anhand von AB 5 , AB 22 und AB 23 können die Schüler den Weg der Juden, die sich auf dem Bahnhof zur Deportation einfinden mussten, nachvollziehen und selbst gehen. Sie können sich fragen, warum der Geschäftsführer der NSDAP-Ortsgruppe, Josef Kronenbitter, die Route über die St. Annahalde anordnete und so offensichtlich den Zug durch die Unterstadt vermeiden wollte.
Routenvorschlag: Synagoge - St. Annahalde - ehem. Bahnhof - Unterstadt - Synagoge.
Jüdischer Friedhof im "Haag":
Der Friedhof in der Zeit des Nationalsozialismus - Rechercheauftrag:
- Letzter Grabstein in der Zeit des Nationalsozialismus, Grabsteine nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Regimes
- Deutsche und hebräische Inschriften auf den Grabsteinen: Vermehrte hebräische Beschriftung in den 30er Jahren als Zeichen der erneuten Bedrohung und Ausgrenzung
Vgl. hierzu Liste der Grabsteine des Friedhofs im "Haag" aus der NS-Zeit ( T 1 )
Der Friedhof als Lernort für das religiöse Leben der Haigerlocher Juden:
- Handreichung für Kinder: Luisa Eidel, Hilleke Hüttenmeister, Jüdischer Friedhof Haigerloch, Haigerloch (ohne Jahresangabe). Vielfältige Impulse für ein "entdeckendes Lernen" auf dem Friedhof.
- Entdeckung und Deutung der Symbole auf den Grabsteinen
- Entdeckung von Unterschieden zwischen einem christlichen und jüdischen Friedhof (Einzelgräber, die nicht abgetragen werden - Symbole - Steine)
- Entdeckung des ältesten und jüngsten Grabes
- Ostung der Grabsteine (vgl. Synagoge). De facto sind die Grabsteine wie die Synagoge nicht nach Osten, sondern nach Südosten ausgerichtet. Dies ist wahrscheinlich der Topographie zuzuschreiben.
Dauerausstellung "Spurensicherung: Jüdisches Leben in Hohenzollern":
- Handreichung für Kinder: "Jüdisches Leben in Hohenzollern - Eine Spurensuche für Kinder". Impulse für ein "entdeckendes Lernen" in der Dauerausstellung, mit Hinweisen auf die Zeit des Nationalsozialismus
- Bezüge zwischen der im Wohnviertel "Haag" noch immer nachvollziehbaren Infrastruktur einer jüdischen Gemeinde, dem jüdischen Friedhof und den Exponaten, Bild-/Text- und Tondokumenten der Dauerausstellung
- Videodokumente: Biographische Annäherung an das jüdische Wohnviertel in der Zeit des Nationalsozialismus
- Annäherung an die Familie Gustav Spiers: Wo finden sich in der Ausstellung Zeugnisse der Familie Spier? Vgl. das Videodokument Ruth Ben-Davids (geb. Spier), Photos, das Gebetbuch und der Text "Orangenernte" von Julius Spier, das Videodokument von Julius´ bestem Freund Heinz (Henry) Schwab.
Behandlung des Themas in der Schule
Die folgenden didaktischen Ansätze und Arbeitsblätter sind vorwiegend für die Sekundarstufen I und II konzipiert.
Teil 1:
Diskriminierung und Terror 1933 bis 1939
Die vorliegenden Quellen lassen mehrere didaktische Möglichkeiten zu. Auf einzelnen Arbeitsblättern finden sich bereits Aufgabenstellungen, mit Hilfe derer bestimmte Arbeitsblätter einzeln eingesetzt werden können. Für einen schnellen Überblick zum Thema sind vor allem AB 1 , AB 2 , AB 13 , AB 15a und AB 15b wichtig.
Daneben gibt es aber auch die Möglichkeit, mehrere Arbeitsblätter unter einer gemeinsamen Frage-/Aufgabenstellung zusammenzufassen:
Überblick zum Schicksal der Familie Spier ( AB 1 , AB 2 , AB 3a , AB 3b , AB 4 , AB 5 )
Mit Hilfe von AB 1 können die Schüler einen Überblick zur Biographie der Familie Spier gewinnen. AB 2 ergänzt diesen Überblick hinsichtlich der allgemeinen Situation für Juden im Deutschen Reich sowie speziell in Haigerloch. Die Aufgabe auf AB 1 legt nahe, auch die Informationen von AB 2 und AB 4 hinzuzuziehen.
Vertiefte Beschäftigung mit dem Schicksal von Julius Spier
Hierzu findet sich auf AB 1 eine Arbeitsanweisung. Die Schüler sollen sich in die Situation des Julius Spier hineinversetzen, der durch mehrere Kurse auf seine Auswanderung vorbereitet worden war, und einen Brief an dessen Freund Heinz Schwab (Bild: AB 3b ) schreiben.
Heinz Schwab war bereits 1937 nach New York ausgewandert. Zwischen den beiden Freunden bestand weiterhin ein Briefkontakt.
Die Schüler können so nachvollziehen, in welcher Spannung zwischen lokaler Verwurzelung und Angst vor nationalsozialistischem Terror die Entscheidung zur Auswanderung oder zum Bleiben gefällt werden musste.
Die für diese Aufgabe notwendigen Sachinformationen können, je nach zeitlichen Möglichkeiten, unterschiedlich umfangreich erarbeitet werden:
- Anhand der Überblicks-Materialien ( AB 1 , AB 2 und AB 4 )
- Anhand aller verfügbaren Materialien (AB 1 bis AB 15)
Wünscht der Lehrer eine möglichst breite Quellenbasis (AB 1 bis AB 15), so bietet sich die Methode des Gruppenpuzzles an:
1. Phase: Stammgruppen
Erarbeitung der grundlegenden Informationen anhand von AB 1
2. Phase: Expertengruppen
Arbeitsteilige Erarbeitung von weitergehenden Informationen. Gruppeneinteilung:
- Weitere Überblicks-Informationen ( AB 2 , AB 3b und AB 4 )
- Zeitungsartikel ( AB 6a , AB 6b , AB 7a , AB 7b )
- Schriftverkehr der Verwaltung ( AB 8a , AB 8b , AB 9 , AB 10 , AB 11 )
- Ausschreitungen gegen Juden 1938 und 1939 ( AB 12 , AB 13 , AB 14 , AB 15a , AB 15b )
3. Phase: Stammgruppen
Die Schüler referieren die Ergebnisse der Expertengruppen und leiten daraus die für den Brief notwendigen Informationen ab. Sie schreiben in der Stammgruppe den Brief des Julius Spier an Heinz Schwab.
Zeitungsartikel ( AB 6a , AB 6b , AB 7a , AB 7b )
Die Zeitungsartikel sind den "Hohenzollerischen Blättern" entnommen. Die Hechinger Zeitung war seit dem 1. Juli 1933 Parteiorgan der NSDAP und trug den Untertitel "Nationalsozialistische Tageszeitung". Der "Haigerlocher Bote" musste Ende Februar 1934 sein Erscheinen einstellen, die Abonnenten wurden von den Hohenzollerischen Blättern übernommen.
Die Schüler müssen also berücksichtigen, dass es sich bei den Zeitungsartikeln um Beiträge nationalsozialistischer Propaganda handelt.
Schriftverkehr der Verwaltung ( AB 8a , AB 8b , AB 9 , AB 10 , AB 11 )
Aufgaben:
Arbeite aus dem Schriftverkehr heraus, welche Schlüsse die Quellen über das Verhalten der Bevölkerung / der Verwaltung / der Parteifunktionäre gegenüber den Haigerlocher Juden zulassen.
Bewerte dieses Verhalten.
Die Ausschreitungen vom 9./10. November 1938/1939 ( AB 12 , AB 13 , AB 14 , AB 15a , AB 15b )
Aufgaben:
Die Ausschreitungen der Jahre 1938 und 1939 dienten v. a. dazu, Juden zur Ausreise zu bewegen. Arbeite heraus, welche Aktionen und Maßnahmen der "Terrorisierung" der Haigerlocher Juden dienten.
Suche Indizien, die darauf hindeuten, dass es sich bei den Ereignissen in der Nacht vom 9./10. November 1938 nicht, wie in der NS-Propaganda dargestellt, um spontane Racheakte, sondern um eine geplante Aktion handelte. (AB 13, AB 14)
Zusammenführung der Ergebnisse
Die Zeitungsartikel ( AB 6a , AB 6b , AB 7a , AB 7b ), der Schriftverkehr der Verwaltung ( AB 8a , AB 8b , AB 9 , AB 10 , AB 11 ) und die Ausschreitungen von 1938 und 1939 ( AB 12 , AB 13 , AB 14 , AB 15a , AB 15b ) können arbeitsteilig in Gruppen erarbeitet werden. Die Ergebnisse lassen sich dann mittels folgender Aufgaben zusammenführen:
Arbeite heraus, welche Informationen die Quellen über das Denken und Verhalten
- der nichtjüdischen Einwohner von Haigerloch
- der Bürokratie (Beamte, Bürgermeister)
- der Parteifunktionäre
enthalten.
Bewerte das jeweilige Verhalten im Hinblick auf die Frage nach der Mitverantwortung für die antisemitische NS-Politik.
Die Staatsanwaltschaft am Landgericht Hechingen nahm nach dem Krieg Ermittlungen auf und untersuchte die antisemitischen Aktionen in Haigerloch. Stelle Dir vor, Du wärst nach dem Krieg Staatsanwalt in Hechingen gewesen und hättest zu diesem Zweck eine Liste aufgestellt:
- Personen bzw. Personengruppen in Haigerloch, gegen die intensivere Ermittlungen eingeleitet werden sollen wegen des Anfangsverdachtes der Mitverantwortung für die antisemitische NS-Politik
- Begründungen für den Anfangsverdacht
Teil 2:
Die Deportationen 1941/1942
Folgende Fragen stehen im Mittelpunkt:
- Wer war "vor Ort" verstrickt in den Genozid?
- Wie vollzog sich der konkrete Vorgang der Deportation?
- Was konnten die Haigerlocher wissen?
- Wie wurde nach dem Krieg die Vergangenheit aufgearbeitet und wie gingen die einzelnen Personen mit ihrer Verantwortung um?
Für einen schnellen Überblick zum Thema sind vor allem AB 18 , AB 19 , AB 22 , AB 26 , AB 27a , AB 27d und AB 28 wichtig.
Allgemeine Aufgaben zu allen Arbeitsblättern (AB 16 bis AB 28):
- Fertige eine Tabelle an, die Auskunft darüber gibt,
a) welche Personen "vor Ort" in Maßnahmen zur sogenannten "Endlösung der Judenfrage" direkt bzw. indirekt verstrickt waren.
b) welche Verantwortung diese Personen trugen. - Wäge ab, welche Kenntnisse über die Tragweite der Maßnahmen man in Haigerloch haben konnte.
- Aufarbeitung der Vergangenheit nach dem II. Weltkrieg: Stelle zusammen, welche allgemeinen Argumentationen zur Selbstentlastung sich erkennen lassen ( AB 24a , AB 24b , AB 25a , AB 25b , AB 28 ).
- Erstelle ein Protokoll, das anhand der vorhandenen Informationen den Vorgang der Deportationen aus Haigerloch in seinem zeitlichen Ablauf wiedergibt.
Schreiben des Regierungspräsidenten wegen der Zwangsumsiedlung von Juden nach Haigerloch, 10. Mai 1941 ( AB 16 )
Siehe Aufgaben auf dem Arbeitsblatt.
Erlass der Gestapo vom 25. März 1942 ( AB 17a , AB 17b , AB 17c )
Siehe Aufgaben auf dem Arbeitsblatt.
Rundschreiben der Jüdischen Kultusvereinigung Württemberg e. V. vom 19. November 1941 ( AB 18 )
Siehe Aufgaben auf dem Arbeitsblatt.
Was wussten die Juden? ( AB 19 )
Siehe Aufgaben auf dem Arbeitsblatt.
Ottilie Lahnstein (1872-1943):
Schicksal einer nach Haigerloch zwangsumgesiedelten Jüdin ( AB 20a , AB 20b , AB 20c , AB 21 )
- Arbeite aus dem Brief Tilly Lahnsteins heraus,
a) welche Ziele Tilly Lahnstein verfolgt.
b) welche Argumente Tilly Lahnstein für ihr Anliegen vorbringt. - Recherchiere zur Biographie und zum weiteren Schicksal von Ottilie Lahnstein:
a) Bescheid des Innenministers ( AB 21 )
b) www.bundesarchiv.de (Namensverzeichnis des Gedenkbuchs für die Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933 - 1945)
c) www.stolpersteine-stuttgart.de
Der Weg zum Bahnhof ( AB 5 , AB 22 , AB 23 )
Siehe Aufgaben auf dem Arbeitsblatt.
Was geschah auf dem Haigerlocher Bahnhof? ( AB 24a , AB 24b , AB 25a , AB 25b , AB 26 )
Es handelt sich bei den Quellen um Aussagen von Angeklagten und "Opfern" aus dem Jahre 1947.
Auf Weisung des Landrats Paul Schraermeyer hatten zwei Fürsorgeschwestern die von der Gestapo angeordnete Durchsuchung auf dem Haigerlocher Bahnhof direkt vor der Deportation vorzunehmen. Nach dem Krieg wurden diese Fürsorgeschwestern in einem Strafprozess zusammen mit dem Hechinger Landrat wegen "Verbrechens bzw. Beihilfe zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit" angeklagt. Die Strafkammer des Hechinger Landgerichts verurteilte sie am 28. Juni 1947 zu Gefängnisstrafen zwischen einem und vier Monaten. Nachdem die Fürsorgeschwestern in Revision gegangen waren, wurden sie vom Oberlandesgericht Tübingen am 20. Januar 1948 freigesprochen.
- Vergleiche die Aussagen der angeklagten Fürsorgeschwestern mit der Aussage des Opfers Selma Weil. In welchen Punkten decken sich die Aussagen, in welchen nicht? Finde Gründe für die Unterschiede.
- Arbeite heraus, mit welchen Argumenten die beiden Fürsorgeschwestern versuchen, jegliche Mitverantwortung zu leugnen.
- Beurteile, davon ausgehend, die Argumentationen der Fürsorgeschwestern.
Die Namensliste ( AB 27a , AB 27b , AB 27c , AB 27d )
Die einzelnen Blätter des Dokuments sind in einer provisorisch gefertigten, 27 Zentimeter hohen und elf Zentimeter breiten Kladde eingeheftet, die aus einem festen blauen Aktendeckel zugeschnitten wurde. In der Innenseite des vorderen Umschlags ist ein Briefumschlag eingeklebt, in den zwei DIN-A4-Blätter eingelegt sind. Die Kladde fand wohl Anwendung auf dem Haigerlocher Bahnhof bei der Deportation am 24. April 1942. Die Leitung des Bahntransportes von Haigerloch nach Stuttgart war einem Beamten übertragen, der am Zielort eine Transportliste in vierfacher Ausfertigung vorzulegen hatte, in der die Transportnummer, die Personalien, der Beruf und ein Vermerk über das vorhandene Vermögen (ja - nein) enthalten sein musste. Die handschriftlichen Haken vor der Transportnummer legen den Schluss nahe, dass die Kladde auch der Anwesenheitskontrolle auf dem Haigerlocher Bahnhof diente.
Die abgeschobenen Juden wurden zwei Tage später mit rund 260 weiteren Juden aus Baden und Württemberg von Stuttgart nach Izbica bei Lublin deportiert. Niemand kehrte lebend zurück.
Aufgaben finden sich auf dem Arbeitblatt.
Ein Beispiel für die Aufarbeitung der Vergangenheit: Der Hechinger Landrat Paul Schraermeyer ( AB 28 )
Nach dem Krieg wurde der Landrat in einem Strafprozess wegen "Verbrechens gegen die Menschlichkeit" angeklagt. Die Strafkammer des Hechinger Landgerichts verurteilte ihn am 28. Juni 1947 zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten. Nachdem der Landrat in Revision gegangen war, wurde er vom Landgericht Tübingen am 12.8.1948 freigesprochen.
- Arbeite heraus, mit welchen Argumenten Landrat Paul Schraermeyer seine Mitverantwortung für die Deportation der Juden aus Haigerloch zu relativieren versucht.
- Finde im Gestapo-Erlass vom 25. März 1942 ( AB 17a , AB 17b , AB 17c ), der auch dem Hechinger Landrat zugestellt wurde, Sachverhalte, die für bzw. gegen Schraermeyers Behauptung vom 23. April 1947 sprechen, er habe "... damals nicht gewusst, um was es geht" (Staatsarchiv Sigmaringen Ho 400 T 2, Nr. 576 _54).
- Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte RP Tübingen -