Die badische Heil- und Pflegeanstalt bei Konstanz: eine wechselvolle Geschichte zwischen Krankenfürsorge und Euthanasie

Hintergrundinformationen

1. Bedeutung

Die wechselhafte Geschichte der badischen "Heil- und Pflegeanstalt bei Konstanz" zwischen 1913 und 1945 bietet einen mentalitätsgeschichtlichen Längsschnitt vom Kaiserreich bis zum Ende des Dritten Reiches in der Frage des Umgangs der Deutschen mit ihren psychisch Kranken und Behinderten. Es kann exemplarisch gezeigt werden, wie sich in der großherzoglichen Gründungsphase gesellschaftliche Reformkräfte dieser vernachlässigten Randgruppe annehmen, und die Fürsorge für die Patienten zum obersten Maßstab bei der Betreuung wird. Diese Phase endet abrupt nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges, als die Patienten zunehmend als Last für die Allgemeinheit angesehen wurden, auf deren Kosten sie lebten. Da sie aus Sicht des Staates bei der Verteilung der knappen Lebensmittel zuletzt an der Reihe waren, hungerten die Anstaltspatienten, was zu einer deutlich erhöhten Todesrate geführt hat. Die Geschichte der Anstalt bei Konstanz veranschaulicht somit, dass ohne die Infragestellung von humanen Werten im Ersten Weltkrieg, als diese Randgruppe unter dem ökonomischen Druck dem Hungertod preisgegeben wurde, die Verfolgung der Geisteskranken in der Nazizeit nicht so ohne weiteres hätte sofort anlaufen können.

Denkmal für die

Denkmal für die "Euthanasie"-Opfer im ZPR
© Marita Sennekamp

Nach der "Machtergreifung" durch die Nazis sollten die psychisch Kranken und Behinderten daran gehindert werden, Kinder zu bekommen, die nach der herrschenden Ideologie als "erbkrank" galten. Deshalb begann ihre Verfolgung zuerst damit, dass sie zwangsweise sterilisiert wurden. Die zweite Phase der Vernichtung und Ermordung der Kranken steht wiederum in einem engen Zusammenhang mit Krieg. An einigen Patientenschicksalen der Konstanzer Anstalt kann das Leiden der Betroffenen und die Ungeheuerlichkeit ihrer angeordneten Ermordung als "Euthanasie" stellvertretend für alle Opfer vor Augen geführt werden.

Die badische "Heil- und Pflegeanstalt" bei Konstanz wurde im März 1941 geschlossen, und die schönen, seenahen Gebäude gingen in das Eigentum des Deutschen Reiches über. Die neue Nutzung der wertvollen Immobilie als NAPOLA entsprach der rassistischen Naziideologie vollkommen, da sie nicht länger "Erbkranken", sondern der künftigen Elite zur Verfügung stand.


2. Geschichte

Die großherzogliche Anstalt: Reformpsychiatrische Gründungsphase und mangelnde Versorgung während des Ersten Weltkrieges


Am 11. Oktober 1913 wurde die "Großherzogliche Badische Heil- und Pflegeanstalt bei Konstanz" in Anwesenheit von vielen Ehrengästen als eine weitere moderne psychiatrische Einrichtung zur Behandlung von bis zu 910 Patienten feierlich eröffnet. Zuvor wurden die psychisch Kranken weit weg von ihren Familien in die Anstalten Illenau bei Achern oder nach Emmendingen transportiert, was den Bodenseegemeinden hohe Kosten verursacht hat. Der Ort oberhalb des Bahnhofes Reichenau war verkehrsmäßig günstig gelegen, da Besucher und Pflegekräfte die im Grünen, oberhalb des Bodensees gelegene Anstalt problemlos erreichen konnten. Die idyllische Lage sollte den Heilungsprozess der Kranken mitbewirken, und es gab ausreichend billiges Baugelände für das Personal, das man langfristig binden wollte. Therapeutische Aspekte spielten bei der Wahl ebenfalls eine Rolle: für die zur Beruhigung angeordneten Wasserkuren stand genügend Wasser zur Verfügung, das in einem eigenen Pumpwerk bei der Insel Mainau zur Anstalt hochgepumpt wurde.

In den Gebäuden wurden überschaubare Stationen eingerichtet, sodass das Zusammenleben in einem familienähnlichen Rahmen erfolgen konnte. Die Stationen wurden streng nach Geschlechtern getrennt bzw. für die Schwerkranken abgeschlossen. Die Anstalt versorgte sich durch eine eigene Gärtnerei und einen Gutshof weitgehend selbst. Dabei wurde die Mithilfe der arbeitsfähigen Patienten in Anspruch genommen.

Diese humane Reformphase in der badischen Psychiatrie wurde durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges jäh unterbrochen. Als erstes verlor die neugegründete Anstalt Konstanz etwa 80 % der männlichen Pfleger, da sie zum Militärdienst einberufen wurden. Zwar holten Angehörige vermehrt ihre Kranken als Arbeitskräfte nach Hause, denn gerade im ländlichen Bodenseeraum fehlten die Militärdienst leistenden Männer. Obwohl die Gesamtzahl der Patienten deshalb zurückging, wurden die verbleibenden Kranken im Verlauf des Krieges immer schlechter versorgt. Denn das reduzierte, medizinische Personal musste auch noch kriegsverletzte Soldaten versorgen, da in einem Nebengebäude der Anstalt ein Reservelazarett eingerichtet worden war. Die eigentliche Katastrophe für die Anstaltspatienten begann jedoch, als das Land nicht mehr für eine ausreichende Zuteilung an Lebensmitteln sorgte, was zu einer deutlich erhöhten Sterblichkeitsrate bei den Patienten vor allem in den beiden letzten Kriegsjahren geführt hat. Auch in der Nachkriegszeit wurden weiterhin noch Einsparungen vorgenommen, sodass die Versorgungslage noch länger ungenügend blieb. Danach kam es wieder zu einer von Reformideen geleiteten guten Betreuung der Konstanzer Psychiatriepatienten. Diese patientenorientierte, humane Einstellung änderte sich jedoch schlagartig nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten.

Denkmal auf dem Friedhof Konstanz für Euthanasieopfer

Denkmal auf dem Friedhof Konstanz für Euthanasieopfer
© Marita Sennekamp


Die Entrechtung und "Vernichtung" der Kranken in der NS-Zeit

a) die erste Phase der Zwangssterilisierungen

Entsprechend dem "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses", das am 1.1.1934 in Kraft trat, ordnete der Klinikleiter Dr.Kuhn bereits im Herbst 1933 an, dass bei den Frauen nur noch diejenigen Patientinnen offenen Ausgang erhielten, die nicht mehr fortpflanzungsfähig waren. Er erfüllte damit die neue Arztrolle, in der er gemäß der NS-Ideologie nicht mehr vorrangig das Wohl seiner Patienten sah, sondern im Dienste der "Volksgesundheit" handelte und die Zwangssterilisationen unterstützte. Die Organisation der irreversiblen Eingriffe, welche die Krankenkassen bezahlen mussten, stand unter der ärztlichen Gesamtverantwortung des Gesundheitsamtes Konstanz. Die Anstaltsärzte meldeten ihre fortpflanzungsfähigen Patienten und Patientinnen dem Gesundheitsamt, das bei den von ihm als "erbkrank" eingestuften Kranken ein Sterilisationsverfahren vor dem Erbgesundheitsgericht Konstanz einleitete. Dieses war an das Amtsgericht Konstanz angeschlossen, wobei jeweils ein Richter und zwei Ärzte ein Urteil für oder gegen Zwangssterilisierung fällten. Unter den auf 450 - 500 geschätzten Konstanzer Opfern waren vor allem schizophrene Patienten, Behinderte und Alkoholkranke, aber auch als geheilt entlassene, ehemalige Patienten. Denn auch die niedergelassenen Ärzte sollten ihre psychisch kranken Patienten dem Gesundheitsamt melden, was jedoch viele aus Gewissensgründen nicht taten. Übrigens mussten auch alle Schulleiter von "Hilfsschulen" ihre derzeitigen und ehemaligen Schüler angeben, da auch minderbegabte Schüler keinen Nachwuchs zeugen sollten.

Während der gesamten Dauer wurden die Zwangssterilisationen in der Öffentlichkeit nie kritisiert. Die Anstaltsärzte waren zwar bei der Sterilisierung nicht selbst beteiligt, leisteten jedoch willig bürokratische Mithilfe. Der beim Erbgericht tätige Amtsarzt, Dr. Rechberg, muss als Überzeugungstäter angesehen werden, der nie zur Rechenschaft gezogen worden ist.

b) Die Ermordung der Kranken

Seit 1935 plante Hitler im Zusammenhang mit der Kriegsvorbereitung die gezielte Tötung von psychisch Kranken. Zum einen wurde während eines Krieges wenig Widerstand, etwa von kirchlicher Seite, erwartet, und zum anderen sollten die dann knapper werdenden Ressourcen nicht auf "nutzlose Volksgenossen" verschwendet werden. Außerdem sollten die Anstaltsgebäude an den Grenzen geräumt und als Soldatenlazarette für Kriegsverletzte vorbereitet werden. Deshalb wurden auch die badischen Anstalten Illenau und Rastatt an der Grenze zu Frankreich für den geplanten Westfeldzug vom Deutschen Reich übernommen und die Patienten in andere badische Kliniken verlegt, was den Kontakt zu den Angehörigen erschwerte und ihre spätere Ermordung durch die Verlegungen leichter vertuschen ließ. Auch die Anstalt bei Konstanz erhielt auf diese Weise Neuzugänge von Patienten aus dem Oberrheingebiet.

Die Durchführung der Tötung erfolgt zentral gesteuert vom Deutschen Reich aus, die sogenannte T4 Aktion (nach der Zentrale in Berlin, Tiergartenstr.4) sollte ca. jeden fünften Patienten der Psychiatrischen Anstalten töten. Die dabei beteiligten Täter wurden zu strengster Geheimhaltung gezwungen. Als der Klinikdirektor Dr. Kuhn die Anweisung erhielt, für jeden Anstaltspatienten einen Meldebogen mit genauen Angaben zur Person und Krankheit auszufüllen und nach Berlin zu schicken, gingen die Anstaltsärzte davon aus, dass ihre Patienten für einen Arbeitsdienst außerhalb der Anstalt herangezogen werden sollten. Um sie davor zu verschonen, stellten sie ihre Patienten in den Meldebögen eher kränker und als nicht arbeitsfähig dar und unterschrieben damit indirekt, ohne es zu wissen, deren Todesurteil. Denn nach der Einstufung in diesen Meldebögen wurden die "lebensunwerten" Patienten nach Nützlichkeits- und Krankheitsaspekten herausgesucht. Die nach diesem Verfahren für die Ermordung vorgesehenen Patienten der Anstalt bei Konstanz wurden in 11 Transporten vom Mai 1940 an bis zum Februar 1941 durch das vom Deutschen Reich unterhaltene Busunternehmen GEKRAT zu der Tötungsanstalt Grafeneck auf der Schwäbischen Alb gebracht. Dort wurden sie meist unmittelbar nach ihrer Ankunft durch die Vergasung mit Kohlenmonoxyd ermordet. Da den Konstanzer Klinikärzten Verlegungen in andere Anstalten als Grund angegeben wurden, ahnten sie zunächst nichts von der Ermordung ihrer Patienten. Als jedoch Angehörige der bei den ersten beiden Transporten Ermordeten bei ihnen nachfragten und bei mehreren, angeblich an Krankheiten verstorbenen Patienten Sterbedatum und tödlicher Krankheitsverlauf identisch waren, erkannten die Ärzte, dass ihre Patienten umgebracht wurden. Von da an versuchte vor allem der Klinikdirektor Dr. Kuhn Patienten zu retten, indem er die Transportlisten durch einige Namensstreichungen manipulierte und alle Ärzte möglichst viele Patienten nach Hause entließen, sofern die Angehörigen sie aufnehmen wollten.

Die T4 Aktion wurde im August 1941 reichsweit abgebrochen, da die deutsche Bevölkerung zunehmend beunruhigt war über die hohe Anzahl von verstorbenen psychisch Kranken und sich auch die Kirche anklagend zu Wort meldete. Die NS-Führung konnte sich zu Beginn des Russlandfeldzuges ein Aufbegehren der Bevölkerung nicht leisten. Doch lief die gezielte Tötung von Geisteskranken danach geheim und zentral gesteuert weiter. Zudem kam es wie schon im Ersten Weltkrieg in den Anstalten zu Hungersterben. Da die Anstalt bei Konstanz im März 1941 geschlossen wurde, erlitten die ursprünglich Konstanzer Patienten spätere Verfolgungen in anderen Anstalten, in die sie verlegt worden waren. Insgesamt wurden 508 Patienten der Konstanzer Anstalt umgebracht. Die Reichenauer Gebäude des Landes Baden wurden vom Deutschen Reich übernommen und in eine NAPOLA verwandelt: die von einer Reformpsychiatrie gegründeten Anstaltsgebäude wurden den "nutzlosen Volksgenossen" weggenommen, damit die junge, nationalsozialistische Elite darin einziehen konnte.


3. Anlage



Lageplan der neugegründeten Anstalt bei Konstanz

Lageplan der neugegründeten Anstalt bei Konstanz
© Heinz Faulstich

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Moderner Lageplan (2022)


 

- Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte RP Freiburg -


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