Hintergrundinformationen
1. Bedeutung
Als einzige Gemeinde im heutigen Neckar-Odenwald-Kreis wurde die Stadt Walldürn während des Zweiten Weltkrieges zum Ziel eines Bombenangriffes durch alliierte Langstreckenbomber. Der amerikanische Angriff vom 21. Juli 1944 richtete nicht nur erhebliche Zerstörungen an, sondern es verloren auch 17 Menschen ihr Leben.
An den Ereignissen dieses Tages lässt sich deutlich machen, dass das Thema Luftkrieg nicht nur anhand der Geschehnisse in den großen Städten und Ballungszentren, sondern auch am Beispiel des ländlichen Raumes im Geschichtsunterricht thematisiert werden kann.
Im Jahr 2007 wurde vom Heimat- und Museumsverein Walldürn ein Buch über den Bombenangriff herausgegeben, das die Grundlage für das hier vorliegende Modul bildet. Die beiden Autoren Eiko Schwalbe und Claus Hanak haben darin mit mehr als 50 Zeitzeugen gesprochen. Die Aussagen dieser Menschen – ebenso wie die im Walldürner Stadtarchiv erhaltenen Quellen – machen deutlich, dass der Luftkrieg spürbare Auswirkungen auf das alltägliche Leben der Menschen in einer „scheinbar sicheren“ Region des ländlichen Raumes hatte. Seit dem Sommer 1941 gehörten auch in dem kleinen Odenwaldstädtchen nächtliche Aufenthalte im Luftschutzkeller zum Alltag, ebenso wie „Notabwürfe“ von alliierten Bomben in den Gemeindewald und Überflüge britischer und (ab Juni 1942) auch amerikanischer Bomberverbände. Eine direkte Bedrohung für Leib und Leben der Menschen stellten die Ende des Jahres 1944 einsetzenden Tieffliegerangriffe auf die umliegenden Eisenbahnstrecken dar.
Derartige Ereignisse und Geschehnisse haben während des Zweiten Weltkrieges jedoch nicht nur in Walldürn stattgefunden, sondern sie gehörten zum Alltag der Menschen in weiten Teilen des damaligen Deutschen Reiches. Daher kommt dem, was damals in Walldürn geschehen ist, exemplarischer Charakter zu, wenn es darum geht, erfahrbar zu machen, wie die deutsche Landbevölkerung den Luftkrieg erlebte.
An der Tatsache, dass eine kleine, kriegswirtschaftlich und kriegspolitisch unbedeutende badische Kleinstadt wie Walldürn letztlich zum Ziel eines Bombenangriffes wurde, wird der totale Charakter des Zweiten Weltkrieges sichtbar. Plötzlich kann der Krieg überall, ja selbst vor der eigenen Haustüre stattfinden. Sichere Rückzugsorte gibt es nicht mehr. Dieser vom nationalsozialistischen Deutschland kaltblütig vom Zaun gebrochene totale Krieg, der Leid, Trauer, Tod und Vernichtung über Millionen Menschen gebracht hat, schlägt nun in das eigene Land zurück. Wobei selbstverständlich klar sein muss, dass der alliierte Bombenkrieg gegen Deutschland als Reaktion auf die deutsche Aggression zu verstehen ist. Trotz seinem Schrecken war er niemals Initiative.
2. Geschichte
Die vier Phasen des deutsch-britisch/amerikanische Luftkrieges
I. Phase: Der Sitzkrieg (September 1939 – Mai 1940)
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britische Tagesangriffe gegen meist militärische Ziele in Deutschland
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kaum deutsche Luftangriffe gegen Großbritannien
II. Phase: Die Luftschlacht um England (August 1940 – Mai 1941)
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schwere Tag- und Nachtangriffe gegen London und andere britische Großstädte
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Bombardierung der englischen Industriestadt Coventry in der Nacht vom 14./15. November 1940; große Teile der Stadt, darunter auch die mittelalterliche Kathedrale, werden zerstört; mit 568 Toten fordert dieser Angriff die meisten Opfer aller deutschen Luftangriffe gegen Großbritannien
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Propagandaminister Goebbels erfindet den Begriff „Coventrieren“ für die Vernichtung einer Stadt aus der Luft.
III. Phase: Aufbau des Bomber Command (Mitte 1941 bis Mitte 1942)
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nach den Misserfolgen bei den Tagesangriffen gegen Deutschland entwickelt die britische Luftwaffe eine „Nachstrategie“.
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Arthur Harris übernimmt die Führung des britischen Bomber Command und leitet eine radikale Kursänderung ein: Die Royal Air Force (RAF) beginnt nun mit der Flächenbombardierung deutscher Großstädte.
Geschehnisse in Walldürn:
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in der Nacht vom 28./29. September 1941 fliegt die RAF einen Angriff auf Frankfurt am Main, dabei kommt es zu „Notabwürfen“ eines Bombers über dem Walldürner Gemeindewald.
IV. Phase: Luftkrieg gegen Deutschland (1942-1945)
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seit Mitte 1942 fliegt die RAF massive Luftangriffe gegen militärische, industrielle und städtische Ziele in Deutschland und den besetzten Gebieten.
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ab Juni 1943 beginnt eine koordinierte Luftoffensive zwischen der RAF und der amerikanischen USAAF; im Gegensatz zu den Briten fliegen die Amerikaner Tagesangriffe.
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24. Juli-3. August 1943 gemeinsamer Angriff britischer und amerikanischer Flugzeuge auf Hamburg in der „Operation Gomorrah“, über 50.000 Tote.
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19.- 25. Februar 1944: konzentrierte Bombardierung von militärischen Zielen in Deutschland zur Ausschaltung der deutschen Luftwaffe.
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ab Mai 1944 sind das britische Bomber Command und die USAAF an der Vorbereitung und Durchführung des D-Day beteiligt (Landung der Alliierten in der Normandie am 6. Juni 1944).
13./14. Februar 1945: Angriff auf Dresden mit verheerenden Verlusten unter der Zivilbevölkerung. -
25. April 1945: letzter strategischer Einsatz der alliierten Bomberverbände in Europa.
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von 1944 bis 1945: ständige Bedrohung der britischen Zivilbevölkerung durch deutschen V-Waffen-Beschuss.
Geschehnisse in Walldürn:
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14. August 1943: über Walldürn werden zwei amerikanische B-17 Bomber „Flying Fortress“ von deutschen Jagdflugzeugen abgeschossen; die Maschinen stürzen ca. 15 Kilometer entfernt, nahe den Ortschaften Schweinberg und Pülfringen ab.
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in der Nacht vom 24./25. April 1944 fliegt die RAF einen Großangriff auf Karlsruhe, dabei kommt es zu „Notabwürfen“; zahlreiche Spreng- und hunderte von Brandbomben gehen auf die Walldürner Gemarkung nieder; in dem Dörfchen Gerolzahn (heute ein Ortsteil von Walldürn) werden zahlreiche Gebäude ein Raub der Flammen; ein kleines Mädchen stirbt dort an ihren Brandverletzungen.
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21. Juli 1944: amerikanischer Luftangriff durch zwölf schwere Langstreckbenbomber vom Typ B-24 „Liberator“ (Näheres hierzu unten).
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24. Oktober 1944: ein britischer Schnellbomber vom Typ „Mosquito“, wirft in den Abendstunden eine 4000-Pfund-Luftmine in den Walldürner Gemeindewald; enorme Schäden am Baumbestand sind die Folge.
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6. Januar 1945: ein Tiefflieger greift den Zug von Walldürn nach Hardheim an, zwei junge Frauen und der Schaffner werden getötet.
Der amerikanische Angriff vom 21. Juli 1944
Der 21. Juli 1944 war ein Großeinsatztag der amerikanischen Luftstreitkräfte. Mehr als 1.100 schwere 4-motorige Bomber und annähernd 800 Jagdflugzeuge als Begleitschutz kamen an diesem Tag zum Einsatz.
Teil dieser Armada waren auch 36 B-24 Bomber der 34. Bomb Group. Das Hauptziel (primary target) dieser Maschinen war eine Flugzeugteilefabrik der Firma Messerschmitt bei Kempten im Allgäu. Etwa auf der Höhe von Homburg an der Saar gerieten die amerikanischen Maschinen allerdings in eine Schlechtwetterfront, die sich nicht umfliegen ließ und zu miserablen Sichtverhältnissen und einer erhöhten Kollisionsgefahr im Luftraum führte. Diese widrigen Umstände führten schließlich dazu, dass der Verband sein Hauptziel – die Flugzeugteilefabrik – nicht angreifen konnte. Ebenso konnte das nicht näher benannte Zweitziel (secondary target) nicht angeflogen werden. Eine Änderung der Flugroute wurde notwendig. Nachdem einige Maschinen aus dem Verband sogar den Anschluss verloren hatten, entschied der kommandierende Offizier mit den verbleibenden zwölf Flugzeugen ein Ausweichziel anzugreifen. Dieses Ziel sollte der Bahnhof von Walldürn oder „Waldurn“ – wie in den amerikanischen Einsatzunterlagen zu lesen – sein. So nennt das Kriegstagebuch des britischen Luftfahrtministeriums in einer Übersicht vom 22. Juli 1944 Walldürn neben Schorndorf, Bad Münster und Düren ausdrücklich als erfolgreich bombardiertes Eisenbahnziel (railway target). Das Kriegstagebuch der 8. US Luftflotte deklariert die Stadt wegen des vorhandenen Bahnhofes (marshalling yard) als typisches Verkehrsziel. Insofern ein legitimes Ziel für die Amerikaner, zumal die alliierten Luftstreitkräfte aufgrund der zuvor erfolgten Landung in der Normandie von ihrem Oberkommando dazu angehalten wurden, die Transportkapazitäten im Westen nachhaltig zu stören. Nicht nur der zivile, vor allem der militärische Nachschub sollte unterbrochen werden, und dabei gerieten eben auch kleinere Eisenbahnlinien und Bahnhöfe zunehmend ins Visier.
Flugroutenkarte des Einsatzes der 34. Bomb Group vom 21. Juli 1944.
© Claus Hanak
Bilanz des Angriffs
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insgesamt 76 Sprengbomben (je 500 Pfund) abgeworfen
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in Walldürn wurde kein Fliegeralarm gegeben
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insgesamt 17 Todesopfer
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im Schulhaus sterben zwei Schülerinnen und drei Soldaten
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im „Krämer-Haus“ (privates Wohnhaus) sterben sechs Menschen
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46 Menschen werden z.T. schwer verletzt
Sachschäden:
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13 Gebäude total zerstört
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24 Gebäude schwer beschädigt
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186 Gebäude leicht bis mittelschwer beschädigt
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Bahnhof (eigentliches Ziel des Angriffs):
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Glasschäden am Bahnhofsgebäude
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sechs von acht Gleisanlagen stark beschädigt
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Glasschäden am Stellwerk
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Bahnwärterhäuschen total zerstört
Ausschnittvergrößerung aus einem amerikanischen Luftbild vom 24. März 1945. Die Bombenkrater sind durch weiße Punkte markiert.
© Claus Hanak
3. Anlage
Orte des Geschehens – einst und jetzt
Sichtbare Spuren des Bombenangriffes sind heute in Walldürn auf den ersten Blick keine mehr vorhanden. Die zerstörten und sehr stark beschädigten Häuser wurden abgerissen und an deren Stelle neue Gebäude errichtet. An den stark bis weniger stark in Mitleidenschaft gezogenen Gebäuden wurden die Schäden beseitigt.
Ausschnitt aus einem aktuellen Stadtplan von Walldürn. Einige beim Bombenangriff besonders stark betroffene Gebiete sind durch nummerierte (1-5) blaue Rauten markiert.
© grafikallerart.de
Für die Arbeit mit dem Unterrichtsmodul ist es nicht notwendig nach Walldürn zu kommen. Ist man allerdings mit einer Schulklasse vor Ort, lohnt es sich einige Plätze in der Stadt aufzusuchen. Mittels historischer Fotografien, die kurz nach dem Angriff entstanden sind, kann dann ein Vergleich von einst und jetzt gemacht werden. Auch das Ausmaß der Schäden wird dadurch für die Schülerinnen und Schüler leichter begreiflich und nachvollziehbar.
(1) Das Walldürner Schulhaus damals und jetzt. Heute ist darin die Grundschule untergebracht.
© Manfred Leiblein / Claus Hanak
(2) Das total zerstörte "Krämer-Haus“. Im Hintergrund ist das Dach der Schule mit dem Schultürmchen zu erkennen. Heute befindet sich auf dem Gelände die Volksbank.
© Hubert Sans / Claus Hanak
(3) Blick auf den teilweise zerstörten Bauernhof Sans. Heute ist an dieser Stelle ein Geschäftsgebäude.
© Hubert Sans / Claus Hanak
(4) Aufgerissene Hauswand eines Wohnhauses. Nur durch aufwendige Abstützarbeiten konnte das Gebäude gerettet werden.
© Claus Hanak / Manfred Leiblein
(5) Das zerstörte Fabrikgebäude der Wachswarenfabrik Heinrich Kieser. Im Vordergrund liegen Blecheimer, in denen das Wachs geliefert wurde. Das Wohnhaus steht bis zum heutigen Tag, das Fabrikgebäude wurde nach dem Krieg neu errichtet.
© Manfred Leiblein / Claus Hanak
- Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte RP Karlsruhe -