Widerstand im Dritten Reich: das Beispiel Gertrud Luckner in Freiburg
Hintergrundinformationen
1. Bedeutung
Das Thema „Widerstand in der NS-Zeit“ ist auf zweierlei Weise von besonderer Bedeutung für den Unterricht. Zum einen ist es formal in vielen Bildungsplänen verankert und daher Pflichtbestandteil des Unterrichts. Zum anderen ist es aber auch emotional von großer Bedeutung, um Vorbilder zu liefern für heutige Schülergenerationen, die sehen sollen, dass es auch in einer menschenverachtenden Diktatur möglich ist, zu seinen Idealen zu stehen und die Werte der Menschlichkeit und der Demokratie zu verteidigen. Dabei werden häufig die großen Persönlichkeiten des Widerstandes in der Schule vermittelt. Die „Weiße Rose“, Georg Elser, der „20. Juli“ sind fast allen Schülern ein Begriff. Es gab bis 1991 sogar einen Feiertag in Gedenken daran.
Hinzu kommt, dass der Begriff des Widerstandes lange Zeit nur direkten Protest oder Aktionen gelten ließ, die auf die unmittelbare Beseitigung des NS-Regimes gerichtet waren. Die vielen kleinen Hilfeleistungen für Verfolgte sind dabei häufig übersehen worden. Sie können doch manchmal viel mehr als Vorbild dienen, da sie zeigen, dass sich nicht alle Menschen unter den gleichen Bedingungen von Terror und Unterdrückung in gleicher Weise verhalten. Zwischen den Extremen des völligen Gehorsams und des todesbereiten Widerstandes gab es Möglichkeiten und Alternativen, sich gegen das Regime zu stellen. Es ist angebracht mit den Schülerinnen und Schülern darüber zu diskutieren inwiefern es Handlungsmöglichkeiten für die Bevölkerung gab bzw. inwiefern diese genutzt wurde.
Zwar war das Risiko für die nichtjüdischen Helfer der Verfolgten nicht kalkulierbar. Sie wurden meist ohne Gerichtsverfahren von der Gestapo verfolgt und waren der Willkür der NS-Herrschaft schutzlos ausgeliefert. Die Folgen einer Hilfeleistung für Juden variierten zwischen einer Einweisung in ein Konzentrationslager – z.T. mit Todesfolge – bis zu einer geringfügigen Geldstrafe. Dazwischen gab es noch Bestrafungen wie Gefängnis- oder Zuchthausstrafen, relativ kurze Haft in einem Gestapo-Gefängnis, Verwarnungen und Einschüchterungen nach Vernehmungen durch die Gestapo. Daher ist das Gefühl der Angst und Ohnmacht in einer Atmosphäre totaler Rechtsunsicherheit voll verständlich, zumal die Furcht vor Denunziationen und der Gestapo real und begründet war.
Insgesamt war aber das Risiko zwischen Helfern und Verfolgten anders verteilt. Eine der Helferinnen fasste dieses treffend zusammen: „Was können die (Gestapo) mir schon tun, schlimmstenfalls stecken sie mich ins Gefängnis, aber wenn sie dich kriegen, werden sie dich umbringen.“ (Beate Kosmala: Zivilcourage in extremer Situation. Retterinnen und Retter von Juden im „Dritten Reich“ (1941–1945). In: Gerd Meyer u. a. (Hrsg.): Zivilcourage lernen. Analysen – Modelle – Arbeitshilfen. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2004, S. 106-115, hier: S. 113)
Dabei bewegt natürlich auch der Gedanke, warum die Mehrheit der Deutschen doch weggeschaut hat und nicht helfen wollte – zumal die Entschuldigung, niemand habe gegen die Nazis etwas tun können, durch die Helfer wie Gertrud Luckner ad absurdum geführt wird.
Die Helfer sollen und können heute zu Vorbildern für unsere Schülerinnen und Schüler werden. Der „Sand im Getriebe“ in Form von Zivilcourage, Solidarität und Verteidigung der Menschenrechte ist es, den wir den Schülern auch für den politischen Alltag der Gegenwart nahe bringen wollen. Davon lebt eine Demokratie auch heute noch. Gertrud Luckner war ein Mensch, der Hilfe im Alltag geleistet hat, der in seinem Rahmen und den begrenzten Möglichkeiten einer Frau aus dem Volk Verfolgten Unterstützung gegeben hat. Insofern dient sie uns bis heute als Vorbild. Für die Freiburger Schüler wird die Identifikation noch verstärkt, weil es sich um eine Person aus ihrer Stadt und damit aus ihrer Mitte handelt. Die große Bedeutung Gertrud Luckners für Freiburg lässt sich daran ablesen, dass die Bürger dieser Stadt Gertrud Luckner zur bedeutendsten Persönlichkeit, die in Freiburg lebt bzw. gelebt hat, gewählt haben – vor den beiden unbekannten Baumeistern des Münsterturmes. Die Abstimmung fand auf Initiative der Badischen Zeitung im März 2007 statt, und zur Wahl standen Persönlichkeiten von damals und heute aus den Bereichen Politik, Kultur, Sport oder Soziales.
B 2 Bildunterschrift: B2 Gertrud Luckner in Freiburg am Schwabentor 1936
(© Archiv des Deutschen Caritasverbandesl)
Zudem wurde 1987 in Freiburg eine Schule nach ihr benannt – die Gertrud-Luckner-Gewerbeschule. Diese Schule begeht jährlich am 26. September in Erinnerung an die Namensgeberin einen Gedenktag, sie hat das Vorbild Luckners in ihr Leitbild aufgenommen und unterstützt u.a. soziale Aktionen bzw. Einrichtungen. Daneben hat sie mit den Originalmöbeln eine Gertrud-Luckner-Bibliothek eingerichtet. Diese baut auf den Büchern auf, die Gertrud Luckner selbst in ihrem Besitz hatte und nach ihrem Tod der Schule vermacht hat. Weitere Teile des Nachlasses erhielten der Deutsche Caritasverband sowie die Universitätsbibliothek Freiburg.
Schwerpunkt der Anschaffungspolitik der Gertud-Luckner-Bibliothek sind Bücher zu Themen, die die Namensgeberin selbst ihr Leben lang beschäftigt haben. Ziel der Bibliothek ist, an das Leben und die Taten Gertrud Luckners zu erinnern, daneben aber auch Vorbild für gegenwärtige und zukünftige Generationen zu sein. Im Vordergrund steht dabei die Frage, was wir heute vom Beispiel Gertrud Luckners lernen können und wie das im Alltag umsetzbar ist.
Zudem ist vor dem Schulgebäude in der Kirchstrasse ein Stolperstein eingelassen worden. Die Stadt Freiburg hat nicht nur Gertrud Luckner selbst 1979 die Ehrenbürgerwürde verliehen, sondern eine Gertrud-Luckner-Medaille eingerichtet, mit der einmal jährlich Personen geehrt werden, die sich besonders um die Stadt verdient gemacht haben. Schließlich wurde ein Denkmal in Form einer Bushaltestelle neben dem Schulgebäude in der Bissierstrasse errichtet.
B 3 Getrud Luckner, Yad Vashem, Hain der Gerechten, 1969
© Archiv des Deutschen Caritasverbandes
Gertrud Luckners Engagement für andere und ihr Mut wurden vielfach gewürdigt. So trägt ein Baum im „Hain der Gerechten“ in Yad Vashem ihren Namen, und ein Altenwohnheim, das sich um Verfolgte aus der NS-Zeit kümmert, in Nahariyya in der Nähe von Haifa wurde 1975 nach ihr benannt. Gertrud Luckner wurde als eine der ersten Deutschen bereits 1951 nach Israel eingeladen. Im Holocaust-Museum in Washington ist ihr Name auf einer Gedenktafel eingeritzt. Der Staat Israel hat ihr seine höchste Auszeichnung, die „Medaille der Gerechtigkeit“ verliehen. Der jüdische Nationalfonds widmete ihr als „Heldin des jüdischen Volkes“ einen „Gertrud-Luckner-Ehrenhain“. 1987 erhielt Gertrud Luckner aus der Hand des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl den „Sir Sigmund Sternberg-Preis“ des Internationalen Rates der Christen und Juden.
B 9 Yad VaShem: Garten der Gerechten unter den Völkern (©Bömicke)
2. Geschichte
Gertrud Luckner wurde am 26. September 1900 in Liverpool (Großbritannien) als Kind von Gertrude und Robert Hartman geboren. Ihr ursprünglicher Name lautete Jane Hartman. Robert Hartman war deutscher Staatsbürger und als Marineoffizier in England tätig. Bereits als Baby wurde Jane als Pflegekind zu dem kinderlosen Ehepaar Luckner gegeben, das sie 1922 adoptierte. Die Luckners waren ebenfalls deutsche Staatsbürger und siedelten mit dem Kind 1907 nach Deutschland um. Gertrud Jane machte 1925 in Königsberg als Externe Abitur. Aufgrund häufiger Krankheiten und des Ersten Weltkrieges hatte sich ihre Schullaufbahn verzögert.
Nach dem Abitur begann sie ein Studium der Volkswirtschaftslehre an den Universitäten von Königsberg, Frankfurt am Main, Birmingham und Freiburg. Gertrud Luckner beendete ihr Studium 1930 mit einem Diplom in Volkswirtschaft und schloss eine Promotion an, die sie 1938 abschloss. Ihre Dissertation schrieb sie über die Selbsthilfe der Arbeitslosen in England und Deutschland. Bereits zu Studienzeiten war Gertrud Luckner häufig auf Auslandsreisen, sie arbeitete in der Quäker-Bewegung mit und war Mitglied im Friedensbund deutscher Katholiken. Daneben leistete sie Sozialpraktika in Deutschland und England ab. Ebenfalls 1938 trat sie eine hauptamtliche Stelle beim Deutschen Caritasverband in Freiburg an.
Gertrud Luckner äußerte früh ihr Unbehagen bzgl. des Nationalsozialismus und warnte bereits 1932 Juden vor der politischen Entwicklung und riet zur Ausreise. Gertrud Luckner initiierte einen privaten Diskussionszirkel, in dem sie mit Freiburger Schülern und Studenten die aktuelle politische Lage diskutierte. Wegen ihrer intensiven Auslandskontakte und „pazifistischer Tendenzen“ begann die Gestapo bereits 1933, ihre Post zu überwachen. Gertrud Luckner setzte aber dessen ungeachtet ihr soziales Engagement fort und versuchte Juden in ganz Deutschland zu helfen. Mal schnürte sie Lebensmittelpakete für Zwangsumgesiedelte, mal vermittelte sie gefälschte Ausweise und half bei der Ausreise, mal nutze sie ihr Netzwerk, um Verstecke für Juden zu organisieren, die untertauchen mussten. Daneben organisierte sie Medikamente, Geld, Fahrmöglichkeiten und Fluchtwege.
Der Freiburg Erzbischof Conrad Gröber unterstützte sie dabei, indem er ihr 1941 eine bewusst vage formulierte Vollmacht ausstellte, die zum Ziel hatte, ihre vielen Reisen formal zu legitimieren, sie unter bischöflichen Schutz zu stellen und ihr finanzielle Spielräume zu ermöglichen. Daneben erhielt sie Hilfe durch den katholischen und evangelischen Widerstand sowie jüdische Organisationen. 1934 war Gertrud Luckner der katholischen Kirche beigetreten. Leider wurde Gertrud Luckner von einem Mitarbeiter der Caritas bei der Gestapo verraten, die sie am 24. März 1943 auf einer Fahrt nach Berlin verhaftete, monatelang verhörte und schließlich im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück internierte. Gertrud Luckner trug die Häftlingsnummer 24648. Erst mit der Auflösung des Lagers durch die Rote Armee 1945 kam sie frei und kehrte nach Freiburg und zu ihrem alten Arbeitsgeber – der Caritas - zurück. Hier baute sie die Abteilung Verfolgtenfürsorge im Caritasverband auf, die sie bis 1969 leitete.
B 1 Gertrud Luckner 1936
(© Archiv des Deutschen Caritasverbandes)
Daneben gab sie den Opfern des Nationalsozialismus eine Stimme und setzte sich für sie ein. Zudem rief sie 1948 den „Freiburger Rundbrief“ ins Leben, der sich gegen Antisemitismus und Neofaschismus wand und bis heute wendet und für den Dialog sowohl zwischen Juden und Christen als auch zwischen Israelis, Arabern und Deutschen eintritt. Die Versöhnung und das Gespräch mit anderen Religionen und Kulturen erklärte sie zu ihrem Lebensziel und war noch weit nach ihrer Pensionierung in Diskussionsrunden, mit Vorträgen, auf Kirchentagen etc. dafür aktiv. Gertrud Luckner starb am 31. August 1995 im gesegneten Alter fast 95 Jahren und ist auf dem Hauptfriedhof in Freiburg beigesetzt worden.
- Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte RP Freiburg -