Otto und Gertrud Mörike - Kirchlicher Widerstand im Nationalsozialismus
Hintergrundinformationen
1. Bedeutung
Otto und Gertrud Mörike stellten sich mehrfach entschieden gegen die nationalsozialistische Ideologie. Otto Mörike war Mitglied der Bekennenden Kirche, einem Zusammenschluss oppositioneller Pfarrer. Mit persönlichen Wahlerklärungen bezogen sowohl er als auch seine Frau im April 1938 Position gegen Person und Politik Hitlers, was öffentliche Misshandlungen und eine Verurteilung Mörikes wegen "Vergehens gegen das Heimtückegesetz", "Kanzelmissbrauch" und "Beleidigung" zur Folge hatte. Während des Krieges nahmen Otto und Gertrud Mörike Juden bei sich im Pfarrhaus in Weissach-Flacht auf. Für ihren Einsatz erhielt das Ehepaar vom Staat Israel 1971 die Yad-Vashem-Medaille, zu ihrem Gedächtnis wurde 1975 in der "Allee der Gerechten" in Jerusalem ein Baum gepflanzt.
2. Geschichte
Otto Mörike wurde am 7. April 1897 in Dürrwangen (Kr. Balingen) als Pfarrersohn geboren und ist weitläufig mit dem Dichter Eduard Mörike verwandt. 1902 zog die Familie nach Ruit. Dort besuchte er die Volksschule und dann das Gymnasium in Esslingen. Mit 14 Jahren absolvierte er das Landesexamen und wurde in das theologische Seminar Maulbronn aufgenommen. 1915 meldete er sich als Kriegsfreiwilliger zum Heer und war drei Jahre an der Westfront eingesetzt. Nach seiner Rückkehr aus dem Ersten Weltkrieg studierte Mörike von 1919-1922 in Tübingen evangelische Theologie.
B 2 Otto Mörike als Student
© Privatsammlung Dora Metzger
Während seiner Zeit als Vikar in Oberboihingen (Kr. Esslingen) lernte Mörike die acht Jahre jüngere Tochter des dortigen Pfarrers, Gertrud Lörcher, kennen. Die beiden heirateten am 11. Februar 1926. Bereits seit 1925 amtierte Mörike als Pfarrer in Oppelsbohm (Kr. Waiblingen), anschließend übernahm er von 1935 -1938 die Pfarrstelle in Kirchheim unter Teck.
B 3 Familien Lörcher und Mörike auf dem Platz vor dem Pfarrhaus in Kirchheim/Teck, ca. 1937
© Privatsammlung Dora Metzger
Mörikes anfängliche Sympathie gegenüber den nationalsozialistischen Vorstellungen der Zusammengehörigkeit und der Volksgemeinschaft schlug bald in Skepsis und Ablehnung dieser Ideologie um. Im Kirchenkampf trat Otto Mörike auf die Seite der Bekennenden Kirche und war Mitglied des Landesbruderrats sowie stellvertretender Delegierter im Reichsbruderrat.
Seine entschiedene Gegnerschaft gegen das NS-Regime, die er z.B. in Predigten zum Ausdruck brachte, führte wiederholt zu Zusammenstößen mit Anhängern der Nationalsozialisten und offiziellen Stellen.
1936 wurde ihm schließlich der Lehrauftrag für den Religionsunterricht entzogen. Auslöser war ein Satz aus dem Schlussgebet der Sonntagspredigt, nämlich “dass Gott dem Führer die Zucht seines Geistes nicht entziehen möge“. Mörike reagierte in dieser Weise auf eine Lobrede Goebbels auf Hitler, in der dieser den “Führer als Hohepriester vor Gottes Thron“ bezeichnet hatte.
Zum Eklat kam es schließlich bei der Wahl vom 10. April 1938.
Durch eine Volksabstimmung sollten der vier Wochen vorher vollzogene "Anschluss" Österreichs an das nunmehr "Großdeutsche Reich" legitimiert sowie Hitlers fünfjährige Regierungspolitik bestätigt werden.
Briefmarke zur Volksabstimmung |
Stimmzettel zur Volksabstimmung 1938 |
© wikipedia (public domain) |
Die Kirche unterstützte die Wahlen, Otto und Gertrud Mörike hingegen legten an Stelle des amtlichen Stimmzettels jeweils eine Erklärung in den Wahlumschlag, der Pfarrer eine sehr ausführliche, seine Frau eine kürzere. Otto nannte den "Kampf gegen die Kirche und den christlichen Glauben sowie die Auflösung von Recht und Sittlichkeit" als Gründe für seine Ablehnung. Gertrud begründete ihre Neinstimmen mit ihrer Ablehnung des "NS als Weltanschauung ..., da er zum Fluch und ewigen Verderben unseres Volkes gereicht". In der Folge kam es zu öffentlichen Beschimpfungen und Misshandlungen Mörikes durch eine von der SA aufgebrachte Menge. Der Pfarrer wurde vier Tage in "Schutzhaft“ genommen.
Die Reaktionen auf die Wahlerklärung insbesondere Otto Mörikes sind ambivalent. Nachdem der Oberkirchenrat anfangs noch hinter Mörike gestanden war, äußerten sich dieser wie auch Landesbischof Wurm in der Folge zunehmend kritisch über Mörikes Verhalten, da es der Kirche schade.
B 4 Landesbischof Theophil Wurm
© Evangelischer Pressedienst
Auch das Verhalten des Vorgesetzten von Otto Mörike, Dekan Martin Leube, war geprägt von einem tiefen Zwiespalt. Seiner christlichen Überzeugung nach hätte er Mörike beistehen müssen. Andererseits hatte er aber Angst vor Repressalien.
Die Kirchheimer Kirchengemeinde war ebenfalls gespalten. Der Kirchengemeinderat plädierte in einem Brief an den Oberkirchenrat zwar für eine Wiedereinsetzung ihres “rechtmäßigen Pfarrers“, andere Gemeindemitglieder baten den Landesbischof in mehreren Schreiben um Mörikes Verbleib in Kirchheim, jedoch gab es in der Stadt auch viele Gegner eines Wiedereintritts Mörikes ins Pfarramt, was die Rückkehr der Pfarrers schlussendlich unmöglich machte.
Von staatlicher Seite aus wurde Otto Mörike schließlich vom “Sondergericht“ Stuttgart unter Vorsitz des Senatspräsidenten Hermann Cuhorst wegen “Vergehen gegen das Heimtückegesetz“ angeklagt und zu einer Gefängnisstrafe von zehn Monaten verurteilt, die jedoch zur Bewährung ausgesetzt wurde.
B 5 Hermann Cuhorst während der Nürnberger Prozesse
© Wikipedia (20110828163150)
Nach einer Interimszeit an unterschiedlichen Stellen übernahm Mörike schließlich am 26. Juli 1939 die Pfarrstelle Weissach mit Flacht und später auch Iptingen (Kr. Böblingen). Während dieser Zeit stellten sich die Mörikes nicht mehr offen gegen den Nationalsozialismus, kümmerten sich aber im Verborgenen um Opfer und Verfolgte. So unterstützten sie inhaftierte Pfarrer sowie deren Angehörige mit Briefen und Lebensmittelpaketen und begannen, verfolgte Juden bei sich aufzunehmen.
B 6 Familie Mörike in Flacht
© Privatsammlung Dora Metzger
Gegen Ende des Jahres 1943 bekamen die Mörikes über den in Reichenbach/Fils wirkenden Freund Theodor Dipper das erste Mal Kontakt mit dem Bruderring, einer kleinen im Verborgenen arbeitenden Organisation, die im Wesentlichen aus württembergischen Pfarrfamilien und deren Vertrauten bestand. Diese beherbergten als "Bombenflüchtlinge" getarnte, untergetauchte jüdische Flüchtlinge, vermittelten ihnen Quartiere oder halfen bei ihrer Flucht ins Ausland.
B 7 Gästebuch des Ehepaars aus Flachter Zeit
© Privatsammlung Dora Metzger
Am 19. Dezember 1943 kamen Max und Karoline Krakauer ins Haus Mörike. Ende Januar 1943 hatte ihre 800 Tage dauernde Flucht durch Deutschland begonnen, die sie durch 66 Häuser von Berlin über Pommern nach Württemberg führte. Fast alle ihre Angehörigen und Freunde wurden ermordet, sie selbst schließlich durch den Einmarsch der Amerikaner erlöst. Beim Pfarrpaar Mörike wohnten die Krakauers vom 19. Dezember 1943 bis zum 17. Januar 1944 und vom 6. bis zum 15. Juni 1944. Über die Identifikation mit dem Schicksal der Krakauers wurde Otto Mörike zu einem der Hauptverantwortlichen des Bruderrings.
B 8 Max und Karoline Krakauer
© Privatsammlung Dora Metzger
Für ihren mutigen Einsatz für jüdische Mitbürger verlieh die jüdische Gedenkstätte Yad Vashem in Israel dem Ehepaar Mörike am 3. November 1970 die Auszeichnung für die “Gerechten der Welt“.
B 9 Gedenkmedaille des Staates Israel für Otto und Gertrud Mörike
© Privatsammlung Dora Metzger
Nach Kriegsende wurde Mörike auf die Pfarrei Stuttgart-Weilimdorf versetzt und 1953 schließlich zum Dekan von Weinsberg ernannt. 1959 ging er in den Ruhestand, engagierte sich in der Friedensbewegung und führte den Vorsitz der “Aktion Sühnezeichen“ in Württemberg.
Bis ins hohe Alter übte Mörike Kritik am Verhalten der Kirchenleitung im Dritten Reich und rief dazu auf, die Vergangenheit nicht zu verdrängen, sondern Buße für die Gräueltaten der Nationalsozialisten zu tun, sich für Friedens- und Versöhnungsarbeit zu engagieren.
Otto Mörike starb am 9. Juni 1978 in Schorndorf, seine Frau folgte ihm am 24. Dezember 1982.
3. Anlage
B 10 Gedenktafel an das Ehepaar Mörike
© Gerald Prießnitz
73 Jahre nach dem nächtlichen Überfall durch Anhänger der NSDAP wurde am ehemaligen Stadtpfarrhaus in Kirchheim eine Gedenktafel für das Ehepaar Mörike angebracht.
In Flacht ist ein Altenpflegeheim nach Otto Mörike benannt.
- Arbeitskreis Landeskunde/Landesgeschichte RP Stuttgart -